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V.

Und diese liebeselige Stimmung verflog nicht mit der schönen Stunde, die sie gezeitigt – sie blieb tage-, wochen-, mondelang, nicht immer in gleicher Höhe, sondern flutend, ebbend, heute ein Rausch, der mir die Sinne schier umnebelte, und mich zu jeder tüchtigen Arbeit unfähig machte, morgen eine kraftvoll arbeitsfrohe Begeisterung; dann wieder ein seliges Träumen zu den Wipfeln der Bäume hinauf, in denen die Vögel sangen, hin über die sonnigen Beete mit den Schmetterlingen, die von Blume zu Blume sich wiegten – aber sie blieb. Es war damit, wie mit dem Patschuliduft in meinen Schloßzimmern, der nicht »heraus wollte«, wenn er sich auch einmal mehr bemerklich machte, als das andere Mal. Und auch in einem Zweiten hatte die Stimmung in meinem Herzen mit dem Duft in meinem Zimmer Aehnlichkeit: »Man gewöhnt sich daran«, hatte Holzbock gesagt. Es kam die Zeit, wo ich den Duft nicht mehr spürte, trotzdem er da war, wie sonst; und es kam die Zeit – und o, wie bald! – wo ich die Seligkeit in mir wohl noch empfand, aber nur als etwas, das sein müsse, und von dem ich kaum begreifen konnte, daß es nicht immer gewesen.

Die Brücke, welche die Gegenwart mit meiner Vergangenheit hätte verbinden sollen, schien abgebrochen; und wenn sie noch stand, ich hatte keine Lust, sie zu betreten. Es war nicht eigentlich mein freier Wille gewesen, was mich in diese neuen Verhältnisse geführt hatte, die mit den alten gewohnten in schroffstem Gegensatz standen; aber sollte ich mir selbst nicht als ein leichter Ball erscheinen, den der Zufall heute hierhin schleudert und morgen dorthin, mußte ich aus der Not eine Tugend machen, in der ich mir selbst gefiel. Und das gelang mir zu meiner großen Beruhigung überraschend gut und schnell. Du gehörtest einmal nicht, tröstete ich mich, zu dem zahmen Geflügel, das auf dem festen Land sein sicheres Nest hat; – ein Sturmvogel bist du, der heimlos über das wilde Meer schweift und keine Rast kennt, als wenn er sich einmal auf der züngelnden Welle schaukelt. Dazu hat dich das Schicksal gewollt, welches dich zu einer Zeit, in der andere Jünglinge unter der Eltern, der Verwandten treuer Hut die ersten tastenden Schritte in das Leben thun, ohne Eltern und Verwandte auf dich selbst stellte. So magst du nun sehen, wie du mit dem Leben fertig wirst.

Und wenn mir dann das Gewissen zuraunen wollte, daß ich, immerhin eltern- und verwandtenlos, doch treue Freunde mein nennen durfte: in erster Linie den wackeren Professor, in zweiter die guten Frauen in dem alten Giebelhause – so brachte ich die mahnende Stimme bald zum Schweigen. Das Leben, zu dem sie mir verholfen hätten im besten Falle, war das Leben nicht, das ich führen konnte, war eines in Ketten und Banden, die ich doch früher oder später hätte sprengen müssen. So war es ja nur ein ungeheures Glück, daß ich es so früh gethan.

Und in der Konsequenz dieses Bruches mit meiner Vergangenheit, welcher mir in meines Geistes Thorheit als eine Heldenjünglingsthat erschien; – wenn ich auch in einem langen Brief an Professor Hunnius meine Flucht aus der Heimat einen »Pagenstreich« nannte und als solchen zu entschuldigen suchte, – wurde es mir nicht allzuschwer, der neu errungenen Freiheit auch die Erinnerung an meine Jugendfreunde zum Opfer zu bringen: an Schlagododro, an Adalbert, selbst an Maria. Mit jedem Tage wurden die teuren Gestalten mehr zu blassen Schemen, denen ich auswich, wollten sie mir nahen. Und hatte ich nicht guten Grund dazu? Wie verwundert würde der Löwenherzige die blauen Augen gerollt und die gelbe Mähne geschüttelt haben über mein jetziges Leben! Wie hätte es die schneidende Satire des blassen Spötters herausgefordert! Und hätte ich dem lieben Mädchen, das nicht lachen konnte, in ihr ernstes Gesicht sagen können –

Nun ja, es muß gesagt sein, weil es einzig und allein diese Tollheiten erklärt, wenn es auch in sich selbst die Tollheit der Tollheiten – ach! und etwas viel Schlimmeres war, wofür ich aber nicht die Verantwortung zu tragen brauche – Gott sei Dank! – es muß gesagt sein, daß ich Frau von Trümmnau liebte.

Für mich schon längst nicht mehr Frau von Trümmnau – für mich Adele, die ich mit dem herzlichen Du anredete, und die mir das Du von Herzen zurückgab. Freilich nicht in der Gesellschaft, nur wenn wir allein waren. Und wir waren es nicht so oft, wie es mein Sehnen verlangte, das immerdar zu ihr ging; aber doch so oft es ihre und meine Zeit erlaubte, und die Rücksicht, welche sie auf die Gesellschaft nehmen zu müssen behauptete selbst in anbetracht eines jungen Menschen »sans conséquence«, und dessen »Mutter sie beinahe sein könne«.

Sie mit ihren vierundzwanzig Jahren!

Und mit denen sie mich doch und mit ihrer Frauenwürde und ihrer gesellschaftlichen Stellung – Vorzüge, welche sie nach Befinden bald einzeln, bald im Verein geltend machte – in Schranken hielt, die ich nach kurzer Zeit nicht mit einem Wort, einer Gebärde, einem Blick zu überschreiten wagte. Hätte ich mich doch lieber in mir selbst verzehrt, als sie erzürnt! Und was die Furcht nicht that, mich vor jeder Unbedachtsamkeit zu bewahren, durch die ich ihre Gunst verscherzt, die mich wohl gar aus der geliebten Nähe verbannt hätte, das bewirkte jene schwärmerische Anbetung, die dem begehrlichen Manne lächerlich erscheint, und die dem Jüngling, wenn er wahrhaft liebt, so natürlich, so selbstverständlich ist.

Ich durfte ihr die Hand küssen, wenn ich kam und ging – das war alles; und hatten meine Lippen eine Sekunde länger verweilt, als ihnen erlaubt war, ging auch dies »Alles« verloren, und ich konnte sicher sein, auf Tage nicht einmal die Spitzen ihrer Finger berühren zu dürfen. So war ich denn klug und weise, mich begnügend mit dem, was mir blieb. Und das ja so viel war, daß mich die Engel in himmlischer Höhe darum hätten beneiden müssen: ihr süßer Anblick, ihr silberhelles Lachen, ihr holdes Geplauder und der beschämende Triumph, in allem anderen von ihr gehalten und behandelt zu werden wie ein Bruder von einer Schwester, die, wie sie sein volles Vertrauen hat, so ihm ihr Vertrauen rückhaltlos schenkt.

Ich meinte, sie könne nichts mehr vor mir zurückbehalten haben. Daß sie des Herzogs Tochter sei, hatte sie mir freilich nie in direkten Worten gesagt, und ich glaube bestimmt, für diesen einen Punkt versiegelte ihren Mund ein Eid, den sie sich selbst gegeben, oder der Herzog ihr abgenommen hatte. Dafür nahm sie aber an, wie mir aus tausend Anspielungen und Wendungen zweifellos hervorging, daß mir das Geheimnis so gut bekannt sei, wie jedem, der am Hofe verkehrte und vermutlich auch der ganzen Stadt, womöglich dem ganzen Ländchen.

Und es währte nicht lange, so hatte ich auch von ihr selbst die traurige Geschichte ihrer Ehe erfahren, in der ich sie freilich in meinem Gewissen nicht von aller Schuld freisprechen konnte, und hätte dieselbe auch nur in einem Uebermaß von kindlichem Gehorsam bestanden.

Ihr Gatte war dreißig Jahre älter als sie. Sie hatte ihn, wie sie selbst zugeben mußte, nie geliebt, nie einen Augenblick auch nur die Illusion der Liebe für ihn gehabt. Er war auch, was sie freilich nicht gewußt zu haben brauchte und sicher nicht gewußt hatte, ich aber durch mein Allerweltsorakel wußte, einer edleren Liebe so wenig fähig wie wert gewesen: ein völlig blasierter Roué von dem Schlage des Kammerherrn von Trechow, des würdigen Genossen seines wüsten Lebens, dessen schale Neige er einem in der herrlichsten Blüte der Schönheit und Jugend prangenden Mädchen anzubieten wagte. Und das Mädchen hatte den traurigen Freier annehmen können! Wie war das möglich gewesen?

Mein Gott, sagte Adele in einer jener Stunden, in denen sie mit mir sprach, wie mit sich selbst; ich gebe zu, es würde mir heute nicht so leicht geworden sein; ich würde vielleicht – gut! wenn Du willst, ich würde bestimmt nein sagen. Aber damals! lieber Himmel, mit meinen siebzehn Jahren! Was wußte ich von der Welt! was hatte ich vom Leben gesehen in meiner Pension, in die ich noch als halbes Kind gekommen, und die ich nur verließ, um zu heiraten! Ein Glück erwartete ich von der Ehe nicht. Nach den dunklen Andeutungen unserer Stiftsdamen – meine Pension war nämlich ein adliges Fräuleinstift – so eine Art Kloster – mußte ich die Ehe für ein Martyrium halten, das man lieber nicht auf sich nimmt, oder doch nur auf sich nehmen kann in der Zuversicht, sich schneller der himmlischen Freuden würdig zu machen, nachdem man den Jammer und das Elend des Lebens so recht gründlich ausgekostet. Und schien doch, was ich von Ehen hörte oder sah, diese trübselige Ansicht zu bestätigen. Die herzogliche Ehe sollte eine glücklose sein; und meine Mutter, die nach wenigen Jahren von ihrem Gatten geschieden, und deren einziges Kind ich war, hatte ich nie lachen, aber desto öfter weinen sehen. In unserm Kloster war es nicht gerade amüsant, aber doch ein vergnügliches Dasein im Vergleich mit meinen trübseligen Kinderjahren bei der melancholischen Mutter auf unserm einsamen Landgute. Dann starb die Mutter, der ich mehr als halb entfremdet war; ihren Gatten, der sich längst wieder verheiratet – glücklicherweise weit von hier – hatte ich meines Wissens nie zu Gesicht bekommen. Mit den eigenen Verwandten war meine Mutter zerfallen; niemand kümmerte sich um mich, niemand nahm sich meiner an, als der Herzog. Nun, er wünschte mich in seiner Nähe; er wünschte, daß ich Herrn von Trümmnau heiratete, und – so habe ich ihn geheiratet.

Das war eine lange Erklärung, durch die für mich nichts klar wurde, als daß der Herzog das Glück seines Kindes, nachdem er den Frieden des Hauses, welches ihr Elternhaus hätte sein sollen, zerstört, seinem eigenen Interesse rücksichtslos geopfert hatte. Denn freilich hatte er sie nun ganz »in seiner Nähe«, ganz für sich, die schöne liebenswürdige Tochter, die in der prächtigen Villa, welche er ihr geschenkt, nur für ihn blühte, während ihr alternder Gatte an fremden Höfen die nutzlosen Tage und Jahre verzettelte und jetzt bereits seit Jahren bald hier, bald da im Süden lebte, »die angegriffene Gesundheit zu kräftigen«.

Ich weiß nicht, was Du willst, sagte Adele, wenn sie mir wieder einmal solche Gedanken, die ich nicht äußern durfte, von der Stirn gelesen; mehr als glücklich kann man doch nicht sein, und ich bin es ja in einem Maße, daß ich den lieben Gott alle Morgen bitte, er möge ein Auge zudrücken und mich kleinen Nestvogel in seiner Gnade so ruhig weiter singen und flattern lassen. Nun hat er mir noch in meine fröhliche Einsamkeit einen jungen Freund geschenkt, der mir den Bruder ersetzt, nach dem ich mich all mein lebenlang schmerzlich gesehnt habe; und der wirklich so ein lieber prächtiger Junge und so recht nach meinem Herzen ist, wenn er nur das abscheuliche melancholische Wesen lassen wollte, das ihn immer zur Unzeit und am unrechten Orte befällt, – nämlich in meiner Gegenwart, während er in der Gesellschaft seiner Herren Freunde, höre ich, ein sehr munterer und ausgelassener Kamerad sein soll, der so leicht kein Spiel verdirbt. Da sehe ich doch wahrhaftig nicht ein, weshalb er mir just mein harmloses verderben muß.

War ihr Spiel wirklich so harmlos? Die Quelle ihrer Fröhlichkeit, und was den kleinen Nestvogel, wie sie sich nannte, so aus voller Brust erquicklich singen und so lustig flattern machte, war es wirklich nur ihr angeborenes lebenskräftiges Temperament? Ich hätte nicht in den Jahren stehen müssen, wo man gewohnt ist, alles Glück und Leid der Welt nach dem Stande seiner eigenen Herzensangelegenheiten zu bemessen, und mein Herz hätte nicht so tief getroffen sein dürfen, wollte sie, daß ich mich dabei beruhigte und nicht vielmehr ruhelos nach der wahren verborgenen Quelle ihres Glückes spähte, die doch keine andre sein konnte als die Liebe; in diesem Falle eben eine der Gegenliebe gewisse Liebe. Aber umsonst zermarterte ich mich in spürender Eifersucht. In ihrer Umgebung war niemand, den ich mit meinem Verdachte auch nur im Vorübergehen hätte beehren können. Dann wurde mir wohl ein Herr von Pahlen genannt, ein russischer Offizier, der in irgend einer diplomatischen Mission vor fünf Jahren sich mehrere Wochen an unserm Hofe aufgehalten hatte und von ihr ausgezeichnet sein sollte. Aber selbst die Nachrichten meines allwissenden Mentors über diesen verdächtigen Punkt lauteten sehr unbestimmt; und, wenn ich, was ich nicht unterließ, bei einer schicklichen Gelegenheit ihr gegenüber des genannten Herrn (von dessen Liebenswürdigkeit ich Wunderdinge gehört!) erwähnte, nahm sie das so unbefangen auf, wußte von dem famosen Russen noch ein paar harmlose Geschichten so harmlos zu erzählen – nein, der Russe war es sicher nicht. Ich mußte schon die Stunde abwarten, die mir das Rätsel löste.

Als ob das Schicksal nicht beschlossen hätte, daß mir diese Stunde nur zu bald kommen sollte! Als ob nicht voraus zu sehen gewesen wäre, daß diese Stunde die letzte meines eigenen Glückes sein mußte – alles dessen, was ich für beseligende Wirklichkeit nahm, und das doch nichts war – für mich nichts war und nichts sein konnte, als eine geschminkte Lüge und ein eitler Traum.


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