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VI.

Es war, als wären die nächsten Tage dazu ausersehen, gerade nach dieser Seite hin mein Gemüt noch mehr zu verdüstern, meine Oppositionslust zu schüren und mich nachdrücklich daran zu mahnen, daß ich mich wahr und wahrhaftig im Lager meiner Feinde befinde.

Für den norddeutschen Reichstag war durch den plötzlichen Tod des Vertreters unsrer Stadt und des ländlichen Kreises, zu dem auch die Insel gehörte, eine Neuwahl notwendig geworden, die von der Regierung fast gewaltsam beschleunigt wurde und bereits in allernächster Zeit stattfinden sollte. Sowohl von seiten der konservativen, als der liberalen Partei – es gab nur diese beiden bei uns in allerdings verschiedenen, aber nur für das Auge des Eingeweihten merklichen Schattierungen – waren in aller Eile die Hebel der Agitation angesetzt worden; jene hatte den Pastor Renner, diese den Professor von Hunnius als ihre respektiven Kandidaten aufgestellt. Als ich die Stadt verließ, war von dem allen noch keine Rede gewesen; nun überraschte es mich mit doppelter Gewalt. Die Sache, die ich haßte, hatte zum Vorkämpfer den Mann, an den sich für mich die Erinnerung entsetzlichster Stunden knüpfte; die andre, der ich mit ganzer Seele ergeben war, meinen hochverehrten Lehrer, dem ich innigsten Dank schuldete auch dafür, daß er sich mir in eben jenen Stunden als liebevoller Berater und väterlicher Freund erwiesen.

Und nun mußte ich hören, daß meine, daß unsre Sache eine grundschlechte, frivole, unpatriotische, ja gottlose sei; ihr Vertreter ein Oppositionsmann um der Opposition willen, ein Rabulist, ein Hans-Dampf in allen Gassen, dem man gehörig auf die allzu geschäftigen Finger klopfen und klar machen wolle, daß er, als ein Schuster, der er sei, bei seinem Leisten zu bleiben habe.

Es ist wahr, dergleichen Reden wurden von dem Major nicht nur nie geführt, sondern offen gemißbilligt; Herr von Vogtriz that das letztere zwar nicht, aber er stimmte doch nur in einer Weise zu, die mich weniger verletzte und nicht selten mit seinen Anschauungen fast aussöhnte. Er fand diese Verquickung der alten echten Loyalität und des Pfaffentums bedenklich. Freilich müsse sich das Königtum von Gottes Gnaden, wie er und jeder echte Preuße und Patriot es wolle, auf die Kirche stützen; aber wohlgemerkt: auf die Kirche und nicht auf die Pfaffen. Einer nur könne Herr im Staate sein; und es sei eine alte Geschichte, daß der Pfaffe noch immer habe Herr sein wollen, sobald sich ihm die Gelegenheit dazu zu bieten schien. Die Hilfe der Pfaffen sei im besten Falle ein zweischneidiges Schwert; und wenn er Graf Bismarck wäre, so würde er mit diesem Schwerte etwas vorsichtiger umgehen. Ueberhaupt sei es ein Kreuz und ein Elend, daß man bei jedem Schritt auf Bismarck stoße und immer erst fragen müsse, wie Bismarck sich zu der Sache gestellt habe. Das sei in der guten alten Zeit nicht so gewesen. Da habe man einfach gefragt, was will der König? und damit basta! Diese Einrichtung, daß ein verantwortlicher Minister zwischen dem König und seinem Volke stehe, sei auch nur wieder eine Erfindung von 1848, von der er hoffe, sie werde über kurz oder lang, das heiße: heute lieber als morgen zum Teufel gehen, bei dem wir uns für sie bedanken möchten. Und wenn nun gar der betreffende Minister ein Bismarck sei, so könne einem Loyalen von altem Schrot und Korn vollends die ganze konstitutionelle Bescherung verleidet werden. Denn, man möge sagen, was man wolle, und Bismarcks Verdienste so hoch stellen, wie man wolle, – das Ende vom Liede sei, daß selbst der gemeine Mann mehr von seinem Bismarck als von seinem König spreche; und er für sein Teil halte das für ein großes Unglück, ja fast für ein größeres als den verdammten Liberalitätsschwindel. Mit dem werde man schon fertig: gegen Demokraten hülfen heute wie 48 immer noch Soldaten; wer aber setzte den Leuten die Köpfe zurecht, wenn sie sich daran gewöhnt hätten, nicht zuerst und zuletzt auf ihren König zu blicken, sondern die Hälse verdrehten nach einem andern, er sei auch, wer er sei?

Wenn Herr von Vogtriz so sprach, pflegte er dabei seinen Sohn anzusehen, der, sich schier die Lippen wund beißend, mit rollenden Augen dasaß – mir insofern ein erfreulicher Anblick, als er dem Vater gegenüber doch nicht seine Lieblingsdrohung vorbringen konnte, mit der er mich andonnerte, sobald ich ein Wort gegen seinen Abgott zu äußern wagte. Dafür hatte denn der Vater kaum geendet, als auch er bereits zu reden begann: pro Bismarck, wie jener contra; und da beide, wenn sie in Zorn geraten waren, sehr laut und nicht selten zu gleicher Zeit sprachen, mochte die übrige Gesellschaft nur so lange schweigen, vorausgesetzt, daß der eine zu hören wünschte, was der andere sagte.

Ich bekam davon doch noch mehr zu hören, als mir lieb war, denn die Gesellschaft, welche außer den Familienmitgliedern die fortwährend aus- und eingehenden Nachbarn bildete, war groß, vergrößerte sich mit jedem Tage, und, mochte sie nun beisammen sein, oder in Gruppen sich sondern, – immer und überall wurde von der Wahl, von Pastor Renner, dem würdigen Manne, und seinem unwürdigen Gegenkandidaten gesprochen in jenen Ausdrücken, die es mir oft fast unmöglich machten, mit meiner Gesinnung zurückzuhalten und eine Scene zu veranlassen, nach der ich nicht eine Stunde länger in diesem Hause bleiben durfte.

Aber war es nicht Ehrensache für mich, auch so zu gehen? Ich fragte es mich jeden Abend, und blieb am andern Morgen aus Gründen, von denen ich meinte, daß sie ein dritter Unparteiischer würde anerkennen müssen.

Zuerst, ich hatte keinen plausiblen Vorwand, zu gehen. Ich hatte mich für die ganze Zeit der Ferien gebunden; mein grundloses Fortgehen würde eine schwere Kränkung für Schlagododro gewesen sein, und seine Eltern hatten es wahrlich nicht verdient, daß ich ihnen zum Dank für ihre Gastfreundschaft so vagabundenmäßig davonlief. Beide hatten mich, der ich in ihren Augen doch zweifellos der Tischlersohn blieb und sicher kein anderes Verdienst hatte, als der Schützling ihres Sohnes zu sein, mit stets gleicher freundlich-rücksichtsvoller Höflichkeit behandelt. Und wenn Frau von Vogtriz, die ein instinktives Gefühl dafür haben mußte, daß es mit meinem Seelenheil mißlich stehe, mir auch mit endlosen erbaulichen Reden und Vermahnungen fürchterlich zusetzte, so meinte sie es offenbar ehrlich; und hatte ich das Recht, mich bei diesen Rettungsversuchen zu langweilen, so hatte ich doch keines, mich denselben durch die Flucht zu entziehen.

Hatte der junge Mensch aber keinen Grund, zu gehen, so hatte er einen Grund für tausend, um zu bleiben. Er liebte – liebte zum erstenmale, wie ihm der Leser dieser wahrhaftigen Geschichte zur Not bestätigen kann; und wenn er auch glücklos liebte, und seine glücklose Liebe ihm tausend heiße Thränen kostete, so konnte ihn das in seiner göttlichen Seligkeit nicht stören, so war diese damit nicht zu teuer bezahlt. Ja, er fand, obgleich er es, wie alles, was sein großes Geheimnis betraf, im tiefsten Herzen verschließen mußte, des Freundes glückliche Liebe unsäglich prosaisch im Vergleich zu der seinigen.

Und nun sollte auch noch das Einzige gehoben werden, wovor er sich wahrhaft fürchtete: daß das Uebermaß seiner Empfindungen ihm die verschlossene Brust sprengen würde. Er durfte sagen, was er litt, und durfte es durch den Mund des Dichters, der wohl wußte, warum er wiederum jenes Wort einem anderen Dichter, der auch glücklos liebte, in den Mund legte.

Der Kammerherr hatte seine Idee keineswegs aufgegeben; aber Iphigenie war ihm durch die Weigerung Schlagododros, an dem er sich (wahrscheinlich der rollenden Augen und der ewig sich sträubenden Mähne wegen) einen prächtigen Orestes versprochen hatte, völlig verleidet. Jetzt sollte es Tasso s5ein: der erste Akt bis zum Auftreten Antonios in der vierten Scene. Daß ich den Tasso darzustellen habe, war nur selbstverständlich; den Herzog wollte niemand Geringeres übernehmen, als der Kammerherr in Person. Er befand sich seit einigen Tagen ausnahmsweise wohl; hatte wiederholt, auf Weißfischs Arm gestützt, kleine Promenaden im Park gemacht und hoffte, das Viertelstündchen zur Not stehen zu können, besonders, wenn er sich dabei auf eine Herme oder dergleichen lehne. Aber welcher von den beiden jungen Damen sollte er die Prinzessin, welcher die Sanvitale anvertrauen?

Ich hatte mir natürlich Ellinor zur Prinzessin gewünscht, aber der Kammerherr kam endlich zu dem Entschluß, mit dem er, vermute ich, nur zurückgehalten hatte, um mit unsrer Spannung sein Spiel zu treiben.

Sehen Sie, junger Freund, sagte er, Goethe, der alte Pfiffikus in Weibersachen, hat die beiden Weiberchen genau so geknetet, wie er sie für seine Zwecke brauchte. Die Prinzessin darf Tasso nicht lieben – par amour, wie der Franzose sagt – denn sonst würde die Sache sofort eine andre Wendung nehmen; und da der Tasso zweifellos ein appetitliches Kerlchen ist, dem jedes ordentliche Mädchen gleich um den Hals fallen müßte, darf sie eben kein ordentliches Mädchen sein – verstehen Sie recht! – sondern ein zu ordentliches, vor dem einen ehrlichen Jungen der Himmel in Gnaden bewahren möge: eine, die nur mit dem Kopfe liebt, jedes Jahr ein paar Wochen in ein Stahlbad müßte, faute de mieux den Plato studiert – kurz eine Dame, die nur noch gerade so viel von der Leiblichkeit hat, daß sie blaue Strümpfe tragen kann, in deren Kleidern aber sonst absolut nichts steckt als die schönste prüde Seele. Nun, und für die Interpretantin dieser himmelblauen Abstraktion ist Fräulein von Werin wie geschaffen: mit ihrer überschlanken Gestalt, ihrer beängstigend klaren Stirn und ihren kategorisch imperativen Augen. Du siehst mich lächelnd an, Eleonore! Ja, beim Zeus, ich glaube, das Mädchen kann gar nicht lachen; ich habe es wenigstens noch nicht ein einziges Mal gesehen.

Ich hütete mich selbstverständlich, den grausamen Spötter über diesen zarten Punkt aufzuklären, und er fuhr fort, indem er sich eine frische Zigarre anzündete:

Dagegen die Sanvitale! Nun, da weiß man freilich, wo und wie. Ich möchte sie Ihnen nicht zur Frau empfehlen, aber zur Geliebten à la bonne heure! und Sie werden manche gute Stunde mit ihr haben. Nein, die muß Fräulein Ellinor bekommen. Der hat sie Goethe auf den Leib geschrieben, ohne sie zu kennen. Aber freilich, der Glückliche hat mehr als eine Ellinor gekannt!

Mehr als eine Ellinor!

Ich hätte den alten Cyniker morden mögen, wie er da vor mir saß, in den Fauteuil zurückgelehnt, eingehüllt in den violettsamtnen Schlafrock, mit den schwarzen Faunenaugen zwinkernd und den Rauch seiner Zigarre in dünnen grauen Streifen aus den verwelkten Lippen blasend!

Aber wo wären dann die köstlichen Leseproben geblieben, in denen ich unter dem holden Mantel der gemeinschaftlichen künstlerischen Aufgabe mich ihr ungestraft nähern, ihr kecklich gegenüber sitzen, meine Seele an ihrem Anblick, an dem Ton ihrer Stimme weiden, meiner hoffnungslosen Liebe unerschöpfliches Glück in vollen Zügen trinken durfte!

Und in diesen Proben war der blasphemierende Faun die Dezenz und höfische Artigkeit selbst. Und wie wußte er uns Neulinge so leicht und doch so sicher die verschlungenen Pfade zum Tempel der Kunst zu deuten! Wie klüglich uns anzuleiten vom einfach richtigen zum ausdrucksvollen Lesen, von diesem zum Sprechen, vom Sprechen zur leidenschaftlich bewegten Rede! Wie uns hier die unvergleichliche Schönheit der Verse zu Gemüt zu führen, dort den tiefen psychologischen Gehalt einer dunklen Stelle zu entschleiern! Dann vergab ich dem Manne alle seine Sünden; ja es konnte geschehen, daß ich über dem geistvollen Lehrer die angebetete Schülerin vergaß, nur noch an seinen welken Lippen hing, und mir mehr als die bloße Ahnung aufging von seligen Gefilden, bestrahlt von einer Sonne, vor deren stetigem Glanz das wechselnde Gestirn verbleicht, zu dem sie beten in der Liebe Zaubergärten.


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