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VII.

Nun, sagte Schlagododro, als einige Tage vergangen waren, ohne daß er mich zur gewohnten Stunde zu Hause gefunden hätte, wenn er mich zu besuchen oder zu einem Spaziergang abzuholen kam: es ist also, wie ich voraussah: der Storch hat meinen Frosch übergeschluckt.

Ich wurde rot und murmelte etwas von Nichtzeitgehabthaben; und als er das nicht gelten lassen wollte und ich, um mein Unrecht gegen ihn zu beschönigen, nun meinerseits den Beleidigten spielte, sagte er: Laß gut sein, Kind! Niemand kann zween Herren dienen. Ich habe nie den Herrn gegen Dich spielen, sondern Dein Freund sein wollen. Der andre aber spielt den Freund, während er doch nur Dein Herr sein will. Wohl bekomm's! Uebrigens müßte ich Dich schlecht kennen, wenn Du die Sache nicht bald satt kriegen und wieder kommen solltest. Ich kann warten – ich habe einen breiten Rücken. Und dann zu Michaelis mußt Du ja so wie so zu uns nach Nonnendorf. Das hast Du versprochen, und Du bist ein viel zu ehrlicher Kerl, Dein gegebenes Wort nicht zu halten.

Ich fühlte mich im Grunde der Seele tief beschämt von Schlagododros Großmut, (in der doch freilich auch, was ich freilich damals nicht begriff, ein gut Teil Klugheit steckte;) aber ich hütete mich wohl nach Jünglingsart, ihn meine Gefühle merken zu lassen. Hatte ich nicht das Recht, mir zum Freunde zu wählen, wen ich wollte!

Als ob ich in diesem Falle gewählt hätte! als ob ich noch zurückgekonnt hätte, auch wenn es mein Wille gewesen wäre!

Aber schon war ich ganz in dem Zauberbann dieser Familie, durch die mir ein Stück Welt erschlossen wurde, das mir völlig neu und dann wieder ganz vertraut schien; das mir hier aufs herzlichste sympathisch war und mich dort eben so kräftig abstieß, aber immer reizte; und in das ich mich deshalb mit der ganzen Leidenschaftlichkeit meines Temperaments und meiner Jahre versenkte.

Freilich gilt, was ich hier von der Familie gesagt habe, im Grunde nur für Adalbert, in dessen Wesen alle Familieneigenschaften konzentriert und potenziert erschienen, und der ganz gewiß für sich allein ein Stück Welt war und welch ein merkwürdiges! Ich bin im Leben seinesgleichen nicht wieder begegnet, kaum jemand, der ihm ähnlich gewesen wäre; was mich denn allerdings in jener Maienzeit unsrer Freundschaft nicht abhielt, mich fortwährend mit ihm zu vergleichen und alle Tage eine neue Aehnlichkeit zu entdecken. Nur daß bei ihm alles bereits völlig ausgeprägt war, was bei mir noch nach Form und Gestalt tastete; ja, ich hatte bei ihm beständig den Eindruck, als sei bei ihm nichts geworden, sondern von Anfang an gewesen; als sei er, sozusagen, fertig auf die Welt gekommen.

Ich habe auch manchmal diese seltsame Empfindung, erwiderte er, als ich gelegentlich auf einem der Spaziergänge, die ich jetzt mit ihm, wie früher mit Schlagododro, unternahm, darauf zu sprechen kam; aber ich kann Dich versichern, daß sie nichts weniger als angenehm ist. Ich meine, es schmeckt einem nur, und man hat eine wirkliche Freude nur an dem, was man sich ehrlich erarbeitet und errungen hat. Wenn Du mir gestehst, welche große Stücke Du früher von den Juden gehalten hast, so hatte ich leider niemals diese humane Naivität. Wenn Du mir erzählst, wie Du Dich mit dem sogenannten Glauben gequält hast, so begreife ich das Wohlbehagen, mit dem Du jetzt über die leidigen Skrupel und Zweifel hinaus bist. Höre ich von Dir, wie oft Dir Dein gutes Herz: Brutus, auch Du! zugerufen hat, wenn Du wieder ein purpurbekleidetes Wahnbild umbringen mußtest, das zwischen Dir und der Freiheit stand, so beneide ich Dich um Deinen so schwer errungenen Republikanismus. Ich habe dieses holde Grausen des Steigens vorüber an Klüften und Abgründen nie gekannt, ich bin schwindelfrei von Haus aus.

Ja, ja, fuhr er nach einer Pause fort; es muß so sein, wenn ich auch einräume, daß – um in dem Bilde zu bleiben – wir, Maria und ich, hoch oben auf den Bergen geboren sind, und zweifellos uns Arm und Beine und den Hals gebrochen haben würden, hätten wir den Schwindel nicht beizeiten abgethan. Der Vater war streng bis zur Grausamkeit und heftig bis zum Wahnsinn, rechtlich bis zum Fanatismus und bei dem allen – und wäre das alles sonst gewesen? – nichts weniger als ein umfassender, oder auch nur klarer Kopf. Da war es denn schwer, ihm zu Danke zu leben, am schwersten unsrer Mutter, die ihm nicht ausweichen konnte, wie wir Kinder; die ihn tausendmal übersah und dennoch grenzenlos liebte. Ich habe gelesen, daß das genialen Frauen unbedeutenden Männern gegenüber oft passieren soll. Wir aber waren viel zu klug, um nicht zu sehen, was es mit der unbedingten Unterwürfigkeit, zu der die Mutter uns anhielt, und mit dem ausnahmslosen Autoritätsglauben, den wir bekennen mußten, für eine Bewandtnis hatte, und so wurde uns die fable convenue von obrigkeitlicher Allwissenheit und beschränktem Unterthanenverstande für unsre scharfen jungen Augen frühzeitig gründlichst demonstriert. Für diesen Zwang, den sie sich und uns anthun zu müssen glaubte, entschädigte sich dann die Mutter, indem sie uns auf ihren genialen Flügen in alle Regionen des Denkens und Wissens mitnahm, als uns noch kaum die Schwungfedern sproßten. Ich habe von Faust und dem Weltgeist sprechen hören, als ich mit dem Lautieren noch nicht ganz im reinen war. Faust war das Lieblingsbuch der Mutter. War sie doch auch mit all ihrer Genialität in das dumpfe Mauerloch einer elenden kleinen Garnisonstadt eingebannt und mußte Geister beschwören, wenn sie sich geistreich unterhalten wollte. Nun haben ein trauriges Geschick und schwere Krankheit, was früher nur ein wildes Spiel der Phantasie war, für sie zu einem fürchterlichen Ernst gemacht. Sie glaubt, daß sie Geister beschwören kann, aber nicht in dem gewöhnlichen Sinne. Es ist unmöglich, einem anderen klar zu machen, was einem selbst, vielmehr, was in sich selbst nicht klar ist; denn Du mußt nicht glauben, daß meine Mutter nun ihren Wahn in ein lückenloses System gebracht hätte. Sie folgt auch jetzt in ihrer Krankheit ihren genialen Eingebungen, nur daß sie sich noch weniger als sonst an die Risse und Sprünge kehrt. Was ich mir aber davon im Laufe der Zeit nach langem und eifrigem Nachdenken habe zusammenreimen können, ist folgendes:

Ich sagte Dir schon, mein Vater war ein strengrechtlicher Mann, und seine Rechtlichkeit hat ihn ins Unglück gestürzt; denn weil er recht hatte und nur das Rechte wollte, war ihm die Form gleichgültig; und in einer Sphäre, wo die Form so oft für die Sache eintreten muß, konnte man das nicht vertragen. Seinen Zivilposten hat er dann verwaltet, so gut er es verstand, und wenn er es nicht besser verstand, so war es nicht seine Schuld: er war eben Soldat. Warum ließ man ihn nicht, was er war, und machte ihn zu etwas, wollte ihn zu etwas machen, was er nicht war und nicht sein konnte? Man führte ihn in das Amt hinein und ließ ihn schuldig werden – das ist das A und O der erbaulichen Geschichte; und er war nicht der Mann, sich seine Schuldbekenntnisse in Verse zu bringen und aus Mansardenfenstern den Spatzen auf dem Dache vorzuharfen. Er starb, wie er gelebt, als Soldat und brav; und meine unglückliche Mutter hatte in dem Delirium ihres Gehirnfiebers nur das eine fürchterliche Wort: die Gerechtigkeit ist tot auf Erden; mein Mann hat sie erschossen. Darin wurde sie bestärkt, als sie, von ihrer Krankheit so weit genesen, wie zu genesen ihr überhaupt beschieden war, in den Kampf um das Recht zog, das dem Vater im Leben vorenthalten war, und das sie nun für den Toten zurückerobern wollte. Die Anstrengungen, die sie sich dabei zumutete, hätten das gesündeste Gehirn zerrütten müssen, so ist es denn nur zu begreiflich, daß ihre Krankheit immer seltsamere Wahngebilde erzeugte. Von der letzten Form derselben, die übrigens auch für Maria bis vor kurzem ein Geheimnis war, hast Du neulich einen Abdruck gesehen. Nachdem sie nämlich bei allen Autoritäten und Instanzen des Reichs vergeblich um Revision des Prozesses meines Vaters und seine nachträgliche Rehabilitation petitioniert, ist sie zu der Wahnvorstellung ihrer wirklichen Krankheit zurückgekehrt, nur mit der Modifikation, daß die Gerechtigkeit, welche der Vater tötete, in ihr, als der Erbin seines Unglücks und der berufenen Rächerin des Unrechts, so ihm geschehen, wieder aufgelebt ist, und sie die Mission hat, dieselbe in die nun völlig dunkle und heillose Welt zurückzuführen. Und hier ist es, wo die Dämonologie, die sie aus ihrem Faust gelernt, in ihr System eingreift. Sie sagt sich, daß sie das große Werk ohne geschickte Werkzeuge nicht ausführen kann. Diese Werkzeuge aber sind ihr die Geister einer Reihe einflußreicher und mächtiger Menschen, unter denen wieder eine gewisse Rangordnung herrscht, so daß sie, um die ganze Legion zu lenken, nur den obersten unter ihnen zu lenken braucht, der dann ihr verantwortlich ist, wie sie dem Dämon. Der oberste nun ist ihr Graf Bismarck – natürlich! denn sie hat bald herausgefunden, daß der Mann an Geist und noch mehr an Willenskraft alle anderen überragt, wie ein Riese gewöhnliche Sterbliche, die dem Riesen nun wohl oder übel Heerfolge leisten müssen. Was aber für uns mit sehr natürlichen Dingen zugeht, und darin besteht, daß endlich einmal wieder ein Kraftmensch erstanden ist unter Millionen von Schwächlingen, hat für sie einen ganz anderen Zusammenhang. Die Begabung hat der Mann wohl, aber daß er sie richtig, will sagen: im Sinne und Interesse der Gerechtigkeit, welcher zum schließlichen Siege verholfen werden soll, anwende, dafür liegt eben ihr die Sorge ob. Und das ist eine schwere Sache, welche die arme Mutter oft zur Verzweiflung bringt. Denn der Mann ist, als ein Sohn des mächtigen Erdgeistes, wohl ein Titan, aber auch mit titanischen Rücken und Tücken, die unversehens und wo man, das heißt meine Mutter, es am wenigsten erwartet, hervorbrechen und ihr das Konzept verderben. Wörtlich gesprochen. Wenn sie auch nämlich für gewöhnlich, als Dämon zu Dämon, in einem direkten geistigen Rapport mit ihm steht, so kommen doch Momente, wo er, sei es infolge widriger Einflüsse tückischer Gegendämonen, unter denen der Kaiser Napoleon der schlimmste ist, sei es eben wegen seiner gewaltthätigen, schwer kontrollierbaren Natur, sie nicht versteht, ihr nicht zu Willen ist, das Gegenteil von dem thut, was sie will, und dann ist sie gezwungen, zur Feder zu greifen und ihm durch das Menschenwort klar zu machen, was ihm auf dem Wege des rein geistigen Rapports dunkel zu bleiben droht. Wir sind immer sehr glücklich, wenn sie wieder einmal eine solche Instruktion zu schreiben hat, da ihr, ohne daß sie es weiß, oder sich vor uns merken läßt, die Sache ein wirkliches Vergnügen gewährt, sie überdies gezwungen ist, ihre tausendfältigen Gedanken zu ordnen und zu formen, und infolgedessen nicht so wie sonst in sich hineinwühlen kann. Gerade, als Du zum erstenmale kamst, war sie wieder mitten in einer solchen Arbeit, die dann doch nicht abzugehen brauchte – der Graf, scheint es, hatte noch zur rechten Zeit Vernunft angenommen.

Und sonst gehen sie ab? fragte ich.

Ein spöttisches Lächeln zuckte um Adalberts feine Lippen.

Lieber Freund, das kannst doch auch Du nur fragen. Ich glaube nicht, daß der Mann den traurigen Humor von der Sache haben würde, und das könnte dann für meine arme Mutter übel ablaufen. Nein, die Instruktionen werden konvertiert und versiegelt mit unserm großen Familienpetschaft, aber in den Briefkasten stecke ich sie nicht.

Ich mochte nicht fragen, wo er mit ihnen bliebe. Die Täuschung, die er so, wenn auch gezwungen, gegen seine Mutter übte, war mir peinlich.

Es ist schade, sagte ich; es stehen gewiß viel herrliche Sachen darin. Deine Mutter ist trotz alledem eine so bewunderungswürdig kluge Frau.

Das ist sie, sagte er; und daß es schade um die schönen Instruktionen ist, meine ich auch. Ein Trost ist: er würde sie entweder doch nicht lesen, oder, wenn er sie läse, nichts daraus lernen.

Du hältst ihn nicht für einen großen Mann?

Gewiß – cum grano salis.

Und was verstehst Du darunter?

Ich sage es Dir vielleicht später einmal.

Das muß ich so oft von Dir hören. Bin ich Dir zu dumm? oder traust Du mir nicht?

Im Gegenteil: ich habe allen Respekt vor Deinem Geist und Deinem Wissen. Würde ich sonst um Deine Freundschaft buhlen, wie ich es doch offenbar gethan habe und thue? Aber mit Euch Idealisten muß man sich in Acht nehmen. Ich fürchte Eure heilige Lohe.

Was meinst Du nun wieder damit?

Daß ich ein gutes Kind bin, und daß wir nach Haus gehen wollen. Dieses Schauspiel des Sonnenuntergangs, an dem Du Dich nicht satt sehen zu können scheinst, macht mich seltsam traurig.

Wir kehrten in der That um. Auf dem kurzen Heimwege in die Stadt wurde kaum ein Wort zwischen uns gewechselt. Wir schieden vor meiner Wohnung, ohne uns die Hand zu reichen, wie das unsre seltsame Gewohnheit war, nachdem er einmal gesagt, daß ihm dergleichen Ceremonien sinnlos und lächerlich erschienen.

Am folgenden Tage fand ich nach der Zwischenviertelstunde in meiner großen Ausgabe des Homer einen mit dem Familienpetschaft der Werins versiegelten, an mich adressierten Brief, der folgende drei Sonette enthielt mit der Ueberschrift: »Einige Instruktionen, die nicht verbrannt sind«:

Cum grano salis.

Du meinst, noch niemals ward der Held geboren,
Den Jean, sein Kammerdiener, anerkannte,
Vielmehr nicht heimlich seinesgleichen nannte,
So oft er ihn rasieret und geschoren.
Gewiß! Vergebens geigt man tauben Ohren
Oktave, Terze, Quart und Dominante;
Auch wer auf Mohrenwäsche sie verwandte,
Hat Zeit und Mühe immer noch verloren.
Gewiß! Doch, teurer Held, auf deinem Wagen,
Dem goldnen, den sie selbst kutschiert, Fortuna:
O, sieh das Volk, das dich umdrängt mit Schreien!
Betracht' es recht, und seufzend wirst du sagen:
Ein Held, gewiß! doch nur, weil es sub luna
Von Kammerdienern wimmelt und Lakaien.

Das gute Kind.

Ich bin ein gutes Kind. Mir liegt es fern,
Daß ich den Weltenmeister d'rum verhöhne,
Weil seiner Schöpfung vielgepries'ne Schöne
Nicht recht gedeihen will auf diesem Stern:
Die ekle Made nagt am süßen Kern,
Ein Mißton gellt in frömmste Sphärentöne,
Auch haben klügste Väter dümmste Söhne, –
Ich fass' es nicht; jedoch ich duld' es gern.
Damit es mir nicht gehe wie Mephisten,
Den Doktor Faustus eifrigst sich erbeten
Und flugs mit heilger Lohe schier verbrannte;
Wie recht und billig jedem Pessimisten,
Der sich auf dem Verbrechen ließ betreten,
Daß er das Kind beim rechten Namen nannte.

Nach Haus.

Du staunst der Welt im Abendsonnenstrahl:
Wie wunderbar die dunklen Purpurgluten
Von Wolkenthronen hochher niederfluten
Auf Wald und Feld, auf Berg und Wiesenthal!
O Glanz und Pracht im hehren Schöpfungssaal! –
Ich aber, denke ich der Braven, Guten,
Die auf des Lebens Schlachtfeld sich verbluten
Zur selbgen Stund' in tausendfacher Qual:
Zu grausem Lug verkehrt sich mir der Schimmer,
Zu schnödem Trug das stolze Purpurleuchten,
Die goldne Abendwelt zum nächt'gen Sumpf,
Gespenstisch überhuscht von fahlem Glimmer,
Der tückisch tanzet auf dem Moor, dem feuchten,
Und höhnisch glitzert vom verfaulten Stumpf.


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