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III.

Am nächsten Morgen in der Frühe – eine schwache Helle dämmerte erst durch die heruntergelassenen Vorhänge – wurde ich aus einem wunderlichen Traum, in welchem ich vergeblich nach Ellinor suchte, die bald hier, bald da aus dichtem Gebüsch: hier bin ich! rief und, wie eifrig ich durch das Gezweig drang, nur immer ein verflatterndes helles Gewand blieb, auf eine schauerliche Weise geweckt. Stöhnende, wimmernde Klagelaute, die ich bereits im Traum vernommen, – da war es aber mein eigenes Weinen um die Unerreichbare gewesen – kamen jetzt deutlich an mein waches Ohr; schwiegen dann eine kurze Zeit, um sich von neuem herzzerreißender als zuvor vernehmen zu lassen. Ich weckte Schlagododro.

Was gibt's, fragte er, sein Löwenhaupt vom Kissen aufrichtend.

Hör' doch! es muß jemand schwer krank sein – ganz in der Nähe!

Schlagododro horchte mit schlaftrunkenen rollenden Augen.

Es ist der Kammerherr, sagte er gleichmütig: er logiert unter uns; er wird gleich anfangen zu singen.

Das Löwenhaupt sank in die Kissen zurück, und ruhig tiefe Atemzüge sagten mir, daß der liebe Kerl bereits wieder schlief.

Ich aber konnte nicht sobald wieder einschlafen, sondern saß, den Ellbogen aufgestemmt, im Bett, den grausigen Tönen lauschend, die noch immer, jetzt aber seltner und leiser, von unten herausdrangen, voll Mitleid mit dem Manne, dem die Lebenslust aus den dunklen Augen sprühte, der gestern abend die ganze Tischgesellschaft mit seiner muntern Laune und seinen drolligen Geschichten in Atem und Lachen erhalten hatte, und nun, ein Raub gewiß gräßlicher Schmerzen, hilflos dalag. Sollte ich ausstehen und versuchen, zu ihm zu gelangen – was ja doch am Ende nicht schwer halten konnte – und ihm meine Hilfe anbieten? Aber sein Faktotum Weißfisch war sicher in seiner Nähe, und es konnte kein außergewöhnlicher Zustand sein, sonst hätte Schlagododro nicht so ruhig davon sprechen können. Was mochte er mit dem Singen gemeint haben?

Ich hatte es kaum, gedacht, als jetzt wirklich unter mir eine gebrochene Stimme zu singen anhob. Das war aber noch unheimlicher als das Stöhnen und Aechzen. Ich hatte nie Musik getrieben, aber ich hatte, wohl als Erbteil meiner Mutter, ein leises, feines Ohr; und die Stimme, die da unten sang, meinte ich, mußte einst sehr schön gewesen sein; und, wie sie jetzt auch zitterten und wie sie zweifellos aus einer von Klagelauten erschöpften Brust kamen – die Töne waren immer rein und vornehm, wie die Trümmer eines gebrochenen griechischen Tempels doch von Marmor sind. Und wenn das Schauerliche dieses Singens in der Morgenfrühe nach einer Nacht voll Qualen vermehrt werden konnte, so war es durch die Lieder selbst: »Treibt der Champagner« – und: »Ueber'm Garten durch die Lüfte« –

Großer Gott! gestern abend hatte ich gesehen, wie er den perlenden Wein, von dem ihm Herr von Vogtriz ein Glas aufnötigen wollte: nur ein Glas, lieber Freund! – standhaft zurückwies, um bei seinem Selterwasser zu bleiben. Da draußen in dem Park, durch dessen majestätische Wipfel die hellen balsamischen Morgenlüfte strichen, waren jetzt die Vögel wach geworden, zwitschernd die aufgehende Sonne begrüßend, und – »mir ist, als sollt' ich weinen!« – Ich konnte es nicht länger ertragen; ich vergrub meinen Kopf in die Kissen und weinte still und leidenschaftlich. Weinte um was? Ganz gewiß um den unglücklichen Mann, aber: – »mir ist, als könnt's nicht sein!« Nein: es konnte nimmer sein – nimmer! nimmer würde ich sagen können: »sie ist meine! sie ist mein!«

Ich war in jenem glücklichen Alter, in welchem man sich noch in den Schlaf weinen kann. Das hatte ich denn gethan, wie ich zu meiner Beschämung bemerkte, als ich, nun wieder erwachend, Schlagododro bereits angezogen vor meinem Bette sah.

Du armer Kerl, rief er. Das war wohl eine schlechte Nacht für Dich! Ich hätte auch wohl früher daran denken können; aber wir prosaische Kerls vergessen ja immer, wie zart besaitet so eine Dichterseele ist. Uebrigens habe ich schon das Nötige angeordnet: wir quartieren noch heute um. Keinen Widerspruch! Es ist Platz genug in dem alten Kasten. Und nun mache, daß Du in die Kleider kommst, damit ich Dir den alten Kasten zeigen kann!

Ich hatte Schlagododro bereits gestern abend gebeten, mich heute morgen in Haus und Hof herumzuführen. Herr von Vogtriz war mit dem Major und Ellinor ausgeritten; Frau von Vogtriz machte mit Maria und Fräulein Drechsler ihre Morgenpromenade; wir konnten unbehelligt durch alle Zimmer und Säle schweifen. Hatte mir gestern die äußere Ausdehnung des Schlosses mächtig imponiert, so wuchs heute mein Erstaunen über die Fülle der Räume, welche die dicken Mauern einschlossen. Wahrlich: es war Platz genug in dem alten Kasten! Hunderte von Menschen hätten in demselben mit größter Bequemlichkeit wohnen können! Auch stand der bei weitem größte Teil unbenutzt, oft notdürftig mit ausgedienten Möbeln versehen; nicht wenige Gemächer waren völlig leer. Aber auch nur der bewohnte oder doch benutzte und völlig möblierte Teil – welcher Raumluxus und welche Pracht der Ausstattung! Da waren Säle mit breiten Spiegeln bis an die Stuckdecke und niedrigen Divans, die rings um die Wände liefen; da waren Zimmer, deren Plafonds große farbenprächtige Bilder schmückten, mit nur rot-, andere mit nur blau-, andere mit nur gelbseidenen Möbeln. Wieder andre, in denen jedes Möbel aus dunklem Eichenholz, reich geschnitzt und, wie mir Schlagododro sagte, keines unter dreihundert Jahre alt; wieder andre mit Schränken, Kommoden, Tischen, sämtlich in hellerem Holz mit kunstvoller Täfelung und großen blinkenden Messingbeschlägen.

Und wie wir so von Raum zu Raum wanderten, deren Zahl geradezu endlos schien, mußte ich an das kleine Häuschen in der Hafengasse denken mit seinen drei oder vier Zimmerchen, der engen knarrenden Treppe, dem dumpfen Hof und dem Kämmerchen neben des Vaters Werkstatt, das kein anderes Licht hatte, als welches durch die Fensterluke in der schrägen Decke fiel. Ich würde mir selbst bitter Unrecht thun, wollte ich sagen, daß es Neid gewesen wäre, das peinliche Gefühl, welches mich, wie ich so dieser Vergleichung nachdachte, in immer stärkerem Grade überkam. Dazu war ich des bedürfnislosen, neidlosen Vaters zu treuer Schüler. Es war gewiß nur, daß sich mir der ungeheure Gegensatz der Verhältnisse und Bedingungen, unter denen die verschiedenen Klassen leben, aufdrängte; und wahrscheinlich ging mein Denken noch nicht einmal so weit. Vielleicht war es nur die krasse Differenz zwischen Schlagododros und meinen Glücksumständen, und wie es möglich sein sollte, daß wir, trotz dieser Differenz, auf die Dauer Freundschaft halten sollten.

Hatte meine Miene gezeigt, was in mir vorging, diktierte es Schlagododro das eigne brave Herz, er kam plötzlich auf seine engeren Familienverhältnisse zu sprechen, die keineswegs so glänzend seien, als es wohl den Anschein habe. Einmal kämen Nonnendorf und die beiden andern Güter Semmlitz und Brandshagen nicht vom Vater, der, wie seine Brüder, von Haus aus nur ein sehr bescheidenes Vermögen habe – vielmehr gehabt habe, denn es sei längst verbraucht – sondern von der Mutter, einer geborenen Gräfin Gransewitz, die dem Vater außer diesem noch zwei Güter mitbrachte, welche man bereits habe aufgeben müssen. Um den allerdings noch sehr stattlichen Rest zu retten oder zu sichern, habe die Familie der Mutter auf Errichtung eines Majorats gedrungen, das dann auch, nach einigem Sträuben von seiten des Vaters, vor vier Jahren hergestellt worden, und dessen Inhaber derzeitig – nach den getroffenen Familienarrangements – der Vater sei; nach ihm auf Astolf, als den älteren Bruder, übergehen werde, während für ihn – Schlagododro – nichts bliebe, als was der Vater während seiner Majoratsschaft etwa »auf die hohe Kante« lege.

Na, sagte Schlagododro, und die schöne Kunst versteht der Papa, glaube ich, nicht besser, als mein Großonkel hier, der Onkel aus Amerika, weißt Du, der niemals kommen wird, sintemalen er bereits vor fünfunddreißig Jahren oder so die lange Reihe seiner Thorheiten damit schloß, daß er sich, als er eben die Millionärin geheiratet hatte, hinlegte und starb.

Wir standen in einem großen schönen Salon, der selten benutzt zu werden schien, – es war eine abgestandene Luft in dem Raume mit den geschlossenen Fenstern und den herabgelassenen hellen Vorhängen – vor einem der Portraits, deren viele an den Wänden hingen. Mir schien es eine besonders schöne Arbeit, und stellte einen jungen Menschen von etwa zwanzig Jahren dar in der Tracht eines Jägers mit Flinte und Jagdtasche, neben ihm der Hund, der, die Mütze seines Herrn im Maul, auf den Hinterbeinen sitzend, zu diesem aufblinzelte. Der Herr mochte sie ihm eben gegeben haben, um sich die braunen Locken aus der nassen Stirn zu streichen, und blickte nun so mit den großen dunkelblauen Augen erwartungs- oder sehnsuchtsvoll in die Ferne.

Was sagst Du dazu? fragte Schlagododro.

Wozu? erwiderte ich. Dazu, daß der Herr zu so unpassender Zeit starb?

Nein, zu dem Bilde! sagte Schlagododro lachend; zu ihm selbst! Gefällt Dir der Mann?

Sehr!

Nicht wahr, er ist schön?

Sehr schön!

Natürlich!

Wieso: natürlich?

Ich meinte nur so, erwiderte Schlagododro trocken; aber findest Du keine Aehnlichkeit?

Ich betrachtete das Bild genauer. Es hatte etwas, das mich an meine Mutter erinnerte, nicht, wie sie jetzt war, sondern, wie sie das Medaillonbild darstellte. Aber das meinte Schlagododro gewiß nicht: er hatte meine Mutter nur einmal, und auch das sehr flüchtig und im Halbdunkel auf der Treppe gesehen. Unzweifelhaft sollte es eine Vogtrizsche Familienähnlichkeit sein. Und plötzlich kam mir die Erinnerung an Ernst von Vogtriz, den Sohn des Majors, der damals starb, als er in Ober- und ich in Unterquinta saß. Ja freilich, das waren die weichen braunen Locken und die großen glänzenden blauen Augen, die ich wohl im Gedächtnis behalten, wenn ich auch sonst das Gesicht des Knaben vergessen hatte. Ich sagte es Schlagododro.

Richtig, rief er. Und sonst findest Du keine Aehnlichkeit? besinne Dich doch: natürlich mit einem ebenfalls sehr schönen jungen Herrn.

Deinem Bruder?

Keine Spur! Mit Dir selber, Du Narr!

Mit mir? rief ich erstaunt.

Schlagododro, der während dieses Examens seinen Ernst, wie es schien, nur mit Mühe behauptet hatte, brach in ein tolles Gelächter aus.

Aber diese Aehnlichkeit ist ja seit gestern das Gespräch der ganzen Familie, rief er. Onkel Egbert hat sie entdeckt; will sie schon vor sechs Jahren entdeckt haben, als er Dich zum erstenmal gesehen hat; das heißt, damals solltest Du dem armen kleinen Vetter ähnlich sein, der eben gestorben war; und nun neuerdings dem Großonkel Jägersmann. Thu doch nur nicht so erstaunt! als ob Du nicht schon längst wüßtest, daß Du ein bildhübscher Junge bist!

Auf Ehre! rief ich, während ich fühlte, daß mir eine brennende Röte im Gesicht ausschlug. Erstens finde ich keine Spur von Aehnlichkeit mit mir, und zweitens –

Bist Du häßlich wie die Nacht – rief Schlagododro, mir herzlich den Arm um die Schulter legend. Frage nur die Mädchen, sie werden es Dir bestätigen! Und nun komm, Du Nachtvogel, und laß uns frühstücken! Ich falle fast um vor Hunger.

Ein respektvolles Räuspern machte uns beide umblicken. Hinter uns stand Weißfisch und verbeugte sich; ich hatte das Gefühl, daß er schon länger da gestanden habe.

Nun? sagte Schlagododro, der dasselbe denken mochte, ärgerlich.

Ich bitte um Verzeihung, sagte Weißfisch; ich habe die Herren überall gesucht. Der Herr Kammerherr läßt den Herrn Lorenz (hier verbeugte er sich wieder vor mir) um die Ehre seines Besuches bitten.

Mich nicht? fragte Schlagododro.

Der Herr Kammerherr würde sich gewiß sehr freuen; erwiderte Weißfisch mit dem leisesten Ansatz eines Lächelns; mein diesmaliger Auftrag lautet indessen nur an den Herrn Lorenz.

Schön, sagte Schlagododro, Herr Lorenz wird sich nach dem Frühstück die Ehre geben.

Ich erlaube mir die Mittheilung, sagte Weißfisch, daß die ausgerittenen Herrschaften noch immer nicht zurück sind, und die gnädige Frau das Frühstück um eine halbe Stunde hinauszuschieben befohlen haben. Diese halbe Stunde würde gerade ausreichen. Der Herr Kammerherr frühstücken bekanntermaßen allein und würden nach einer besonders schlechten Nacht für ein kleines Plauderstündchen sehr dankbar sein.

Meinetwegen; sagte Schlagododro.


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