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VII.

Wie im Fluge waren wir von den Leseproben zu den wirklichen Proben gelangt, welche gleich in dem für die Aufführung bestimmten Saale abgehalten wurden, und bei denen der Kammerdiener Weißfisch stets zugegen war. Die jungen Damen hatten sich zuerst sehr gegen die Anwesenheit des Mannes gesträubt, aber »der Herr Intendant« war unerbittlich gewesen. Wir müßten uns allmählich an die Oeffentlichkeit gewöhnen, und der Mann repräsentiere das Publikum. Ich hatte mich wohl gehütet, mit einem Wort zu opponieren, da ich wußte, wie große Stücke der Kammerherr auf das Kunsturteil des Mannes hielt. Nicht ohne triftigen Grund. Nickte Weißfisch, so war es sicher gut; schüttelte er den Kopf, so war es eben so sicher schlecht; hob er beschwichtigend die Hand, so waren wir zu schnell geworden; taktierte er mit dem Zeigefinger ein lebhafteres Tempo, so waren wir zu langsam gewesen. Der Kammerherr rieb sich vergnügt die welken Hände, und sein ewiges: Was meinen Sie, Weißfisch? – Ich denke wir machen es so, Weißfisch? – war bei uns schon sprichwörtlich. Denn auch die jungen Damen hatten nun doch begriffen, wieviel man bei dem Manne lernen könne, wenn er, mir gegenüber, freilich dabei blieb, daß sie trotzdem nicht viel lernen würden, nicht bei ihm und bei keinem Lehrer.

Denn, sehen Sie, sagte Weißfisch, das ist und bleibt, wenn's zum Höchsten kommt, angelernter Dilettantenkram. Das Fräulein von Vogtriz kann rein gar nichts, trotz ihres günstigen Exterieur und ihrer angenehmen Stimme. Fräulein von Werin ist etwas besser: sie weiß wenigstens immer, was sie sagt, worauf ich bei der anderen jungen Dame nicht schwören möchte.

Und ich, Herr Weißfisch? fragte ich, eingeschüchtert durch diese herbe Kritik.

Sie? erwiderte der Mann, mich mit den hellen Augen anblinzelnd; Sie haben Schauspielerblut in den Adern und hätten ein guter Schauspieler werden können; aber, ich glaube, es ist zu spät.

Ich bin eben erst siebzehn, Herr Weißfisch! rief ich, mich jetzt meines jugendlichen Alters rühmend, das ich in dieser Zeit so oft verwünscht hatte.

Und ist doch zu spät, entgegnete er; Sie haben schon zu viel gedacht. Denken macht Kopfschmerzen; der Schauspieler aber muß stets einen ganz freien, leichten Kopf haben wie ein Seiltänzer. Denkt der Kerl nur einen Moment an etwas anderes, als wie er das Seil hinauf und wie er wieder hinab kommt, – in den möglichst graziösen Posen selbstverständlich – so fällt er sicher herunter und bricht den Hals.

Ich war überzeugt, daß der Kammerdiener diese Rede wörtlich schon aus dem Munde seines Herrn gehört hatte, den er ebenso kopierte, wie die großen Bühnenkünstler: wunderbar geschickt und wunderbar treu, nur vielleicht alles ein wenig vergröbert und übertrieben.

Dergleichen Unterredungen fanden aber meistens des Abends auf meinem Zimmer statt, wohin ich mich unter dem Vorwande, studieren zu müssen, zurückzog, in Wahrheit: weil ich mich unten in der Gesellschaft unbehaglich und überflüssig fühlte. So brauchte ich mich wenigstens nicht darüber zu grämen, daß im Salon die Theaterprinzessin sofort zur wirklichen Prinzessin wurde, für die der wieder zum armen Tischlersohn degradierte Hofpoet nicht existierte. Und brauchte nicht das greuliche Schauspiel mit anzusehen, wie sie sich von ihren Kavalieren, unter denen Herr Axel von Blewitz den ersten Rang einzunehmen schien, den Hof machen ließ und über junkerliche Scherze lachte, die mir das Blut sieden machten.

Da war ich denn ganz in der Stimmung, Herrn Weißfischs Ansichten über die Welt im allgemeinen und die vornehme im besonderen gewiß nicht immer beizupflichten, aber doch ein willigeres Ohr zu leihen, als es wohl sonst der Fall gewesen wäre. Ich mußte immer wieder an jenes Sonett denken, in welchem Adalbert den Heroenkultus persifliert hatte. Aber für Adalbert blieben die Großen nur zu weit hinter seinem Ideale zurück, und er fand sie deshalb nicht groß genug. Dieser hier hatte keine Ideale und er leugnete das Große kurzweg. Ueber die Großen wußte er desto mehr zu sagen. Kammerdieneransichten, meinte ich bei mir, und die doch auch wieder ihre Berechtigung hatten, wenn nur die Hälfte von dem, was er von jenen erzählte, mit der Wahrheit stimmte. Am glimpflichsten verfuhr er noch mit dem Fürsten, in dessen Diensten er zuletzt als Hoftheater-Friseur gestanden hatte. Der Mann tauge freilich als Mensch nicht viel, als Künstler (der er sich zu sein dünke) wenig, als Regent gar nichts; dennoch ließe sich nicht nur mit ihm auskommen, sondern ganz vergnüglich leben, man müsse ihn nur richtig zu nehmen wissen.

Und das verstand eben die junge Dame nicht, von der Ihnen der Herr Kammerherr erzählt hat; fuhr er fort. Sie wollte immer mit ihrem hübschen Köpfchen durch die Wand, und das geht nirgends gut, am wenigsten in Fürstenschlössern, wo die Wände fürchterlich dick sind. Und wo es am allerwenigsten nötig ist: es sind so viele Thüren da, von denen man, wenn man klug ist, die zu den Hintertreppen bevorzugt. Ich habe es ihr genug gesagt; aber sie war eben nicht klug und wollte nicht hören; da hat sie es denn schwer zu fühlen bekommen. Aber Hoheit war eigentlich nicht schuld; die Herrschaften können beim besten Willen nicht immer, wie sie möchten. Und was Ihnen der Herr Kammerherr von Hoheit erzählt, das brauchen Sie nicht ohne weiteres zu glauben: er ist Hoheit, mit dem er sich überworfen hat, spinnefeind, – eben jener Dame wegen: war er doch selbst bis über die Ohren in sie verliebt und kann mir bis auf den heutigen Tag nicht vergeben, daß ich in der Geschichte auf der Seite von Hoheit stand. Hoheit liebte die Dame wirklich, und ich bin überzeugt, er würde viel darum geben, wenn er sie heute wieder haben könnte, vorausgesetzt, daß sie sich einen tüchtigen Rest von ihrer Schönheit konserviert hätte.

Aber, ich denke, sie ist tot, sagte ich.

Herr Weißfisch blickte mich, jedenfalls in Erinnerung versunken, starr an, ohne zu antworten. Plötzlich sagte er:

Jawohl, sie ist tot; sie und ihr Söhnchen. Er sah seinem Herrn Papa nicht die Spur ähnlich, und das war schade, Hoheit hielten es immer für eine hübsche Aufmerksamkeit, wenn seine Kinder ihm ähnlich waren.

Aber ich denke, die Ehe des Fürsten ist kinderlos? warf ich ein.

Ueber Herrn Weißfischs rasiertes Gesicht flog ein blitzschnelles Zucken, das er ebenfalls von seinem Herrn hatte, nur daß es bei jenem ein satirisches Lächeln, bei ihm ein höhnisches Grinsen war.

Die Ehe, ja; sagte er.

Ich nehme an, daß ich darüber rot geworden bin, denn er fügte schnell hinzu: Sie müssen das bei den hohen Herren nicht so schwer nehmen. Sie sind doch auch nur Menschen, und ich bleibe dabei, unsre Hoheit gehört nicht zu den schlechtesten.

Weil er nicht viel taugt, wie Sie vorhin sagten?

I, das sagt man so. Sie würden ganz gut mit ihm zurechtkommen. Er muß Leute um sich haben, die nicht auf den Kopf gefallen sind.

Danke für das Kompliment, Herr Weißfisch! aber ich gehöre zu den Leuten, die nicht Fürstendiener sein können; rief ich mit Emphase.

Ist bei dem gar nicht nötig; sagte Herr Weißfisch, er ist ein schlimmerer Republikaner, als Sie oder Ihr Vater.

Ich begriff nicht, wie es zuging, aber bei jeder dieser Gelegenheiten kam Herr Weißfisch auf meinen Vater und meine Mutter zu sprechen. Die paar Andeutungen, die ich ihm auf seine wiederholten Fragen zögernd über meine Familienverhältnisse gemacht hatte, berechtigen ihn nicht dazu; ich mußte glauben, daß er ein wirkliches persönliches Interesse an mir nahm. Ich war zu jung und unerfahren, um darin etwas Unbegreifliches zu finden, und ganz gewiß nicht so vornehm, daß mich die Zutraulichkeit des dienenden Mannes hätte beleidigen sollen. Im Gegenteil: ich hielt es für meine republikanische Pflicht, nun gerade gegen den Mann doppelt höflich und freundlich zu sein, im Gegensatz zu Schlagododro, der ihn nicht leiden konnte, eine falsche Katze, einen Fuchsschwanz, einen alten Affen nannte und ihn mit obligater Geringschätzung behandelte. So hatte er denn allmählich so ziemlich alles, was ich überhaupt nach dieser Seite einem Fremden mitteilen durfte, in Erfahrung gebracht. Er schien sich weniger für meine Mutter zu interessieren (von der ich auch verhältnismäßig selten gesprochen hatte), als für meinen Vater, und das, was ich vermutete und er eifrig bestätigte, aus Parteigründen. Er sei auch ein alter Achtundvierziger und Republikaner, vielmehr Sozialdemokrat, wie sich das heutzutage für einen früheren Republikaner schicke. Und wenn er einmal in die Stadt müsse, werde er sicher nicht verfehlen, meinen Vater aufzusuchen. Die Gesinnungsgenossen müßten heutzutage zusammenhalten.

Ich vermochte freilich beim besten Willen nicht in dem vielgewandten Kammerdiener, der an keinem Menschen ein gutes Haar ließ, einen Gesinnungsgenossen des edlen Mannes zu erkennen, aus dessen Munde ich noch nie ein böses Wort selbst über seine Widersacher und Feinde gehört hatte, aber ich konnte ihm doch auch ein kurzes Empfehlungsbriefchen an den Vater nicht abschlagen, um das er mich bat, als er an einem der nächsten Tage in die Stadt fuhr. Unsre Proben waren so weit vorgerückt, daß es nur noch an den Kostümen fehlte, damit wir zur Aufführung schreiten konnten. Weißfisch hatte von seinem Herrn Auftrag, das Nötige in der Stadt zu besorgen.

Sie sollen sehen, wie sich der Mann aus der Affaire zieht, sagte der Kammerherr; er thut immer mehr, als man glaubt und für möglich hält.

So fuhr er denn eines Morgens in aller Frühe ab, und als er am späten Abend noch desselben Tages wiederkam, brachte er mir Grüße von dem Vater, den er in der Werkstatt angetroffen hatte, fleißig, aber älter und stiller und weniger mitteilsam, als er ihn sich vorgestellt. Sodann völlig neue prächtige Kostüme für den Kammerherrn und mich, und für die Damen mannigfachen, reichen Kleiderstoff, der bereits zugeschnitten war, und von der Kammerfrau der Frau von Vogtriz unter seiner Aussicht nur noch zusammengeheftet zu werden brauchte.

Es war wirklich viel mehr, als ich geglaubt, wenn es auch, wie mir Herr Weißfisch im Vertrauen mitteilte, dem Kammerherrn ein »schmähliches Geld« gekostet.

Ich sollte zu spät erfahren, daß der Mann auch in meinen Angelegenheiten und auf meine Kosten viel mehr gethan hatte, als ich geglaubt, oder für möglich gehalten.


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