Friedrich Spielhagen
Quisisana
Friedrich Spielhagen

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XXVI.

Eine Zeitlang saßen Alexandra und Bertram stumm nebeneinander; dann sagte Alexandra:

Wir sind uns in der Überzeugung begegnet, daß es im Interesse unserer Schützlinge ist, wenn wir jetzt den Platz räumen?

Durchaus, entgegnete Bertram; ich leide nur schon zu schmerzlich unter der Erkenntnis des Frevels, den der Mensch begeht, der für andere die Vorsehung spielen will.

Dann hätte ich mich desselben Frevels schuldig gemacht, sagte Alexandra; aber ich bin keineswegs mit mir unzufrieden; im Gegenteil, ich glaube, es ist gut, daß es so gekommen ist; es war notwendig. Und Sie werden mir recht geben, wenn Sie alles wissen. Sie müssen es wissen, um der Zukunft willen, die noch große Anforderungen an uns stellt; also hören Sie geduldig zu.

Ich habe mich streng an Ihre Instruktion gehalten. Ich kündigte heute morgen meine Abreise für die Mittagsstunde an; bereits gegen zehn fuhr die Kammerfrau mit dem Gepäck voraus; der Amtsrat wollte es sich nicht nehmen lassen, mich persönlich in die Stadt zu geleiten. Dann ließ ich mich bei Erna melden. Wir hatten eine merkwürdige Unterredung, die ich in ihren Einzelheiten nicht wiedergeben kann, deren Resultat aber dieses war: Erna zweifelte nicht mehr an meinem aufrichtigen Wunsche für ihr Glück; aber ihr Stolz sträubte sich, dies Glück aus meiner Hand zu empfangen, oder, wenn das zuviel gesagt ist, sie hatte das peinliche Gefühl, daß dieses ihr Glück nur auf Kosten meines Glückes zustandekomme, mit anderen Worten, daß ich Kurt noch immer liebe und meine Verheiratung mit Herrn von Waldor, die ich ihr als demnächst bevorstehend ankündigte, ein Akt der Resignation, wenn nicht der Verzweiflung sei. Sie sprach das natürlich nicht aus; sie deutete es nicht einmal an; so etwas fühlt man eben nur. Und nun ein Zweites, das sich zwischen sie und die Aussicht auf ein ruhiges Glück an Kurts Seite stellte. Lieber Freund, leugnen Sie es nicht länger – mir nicht länger, wenn auch sonst aller Welt: Sie lieben Erna! – Ich danke Ihnen für diesen Händedruck. Er verrät mir kein Geheimnis, und doch danke ich Ihnen von ganzem Herzen. Sie waren mir für Claudinens Geschichte diese Genugtuung schuldig, und wie Claudinens Geschichte in Ihrem Busen begraben ist, so wird es die Geschichte des edelsten der Herzen in dem meinigen sein.

Alexandra zog ihre Hand mit freundlichem Druck aus Bertrams Hand zurück. Beide waren zu bewegt, um für eine Zeitlang sprechen zu können. Endlich sagte Bertram:

Und Erna glaubt sich von mir geliebt nach allem, was ich getan, sie davon abzubringen?

Ich möchte nicht behaupten, daß ihr Glaube nicht erschüttert gewesen wäre, erwiderte Alexandra; aber sie stand doch noch unter der Herrschaft jenes instinktiven Gefühls, das uns Frauen ja fast immer richtig leitet und sich bei ihr in hundert Wendungen verriet, die alle Ihr künftiges Wohlergehen, Ihr Glück zum Gegenstande hatten. Und nun, lieber Freund, hatten Sie zu guter Letzt das direkte Gegenteil von dem getan, was Sie tun mußten, um Erna zu beruhigen und ihre Zukunft aufzuhellen. Danken Sie Gott, daß Erna das eigentliche Motiv, das Sie geleitet hat, nicht ahnt; daß sie zwischen den beiden Duellen mehr, ich möchte sagen, einen mechanischen Zusammenhang der Zeit und des Ortes sieht, als den wirklichen seelischen. Aber trotzdem: wären Sie in dem Duell gefallen, nun und nimmer hätte Erna in eine Verbindung mit Kurt gewilligt, nun und nimmer hätte sie es ihm auch nur im Herzen vergeben, daß er nicht der Erste auf dem Wahlplatze war. Ob es ihm möglich gewesen wäre, Ihnen zuvorzukommen, danach fragt ein weibliches Herz nicht. Der Geliebte muß nicht nur der Beste, der Edelste, der Tapferste – er muß auch der Klügste sein; wie er es anfängt, das ist seine Sache. Ich freilich, in deren nächster Umgebung Dutzende von Duellen ausgefochten sind, deren direkte Veranlassung ich leider manchmal selbst war, ich durchschaute den Zusammenhang – als der geschwätzige Herr Oberförster beim Frühstück den Vorfall erzählte, und ich dann von Ihrem Diener, den ich examinierte, Ihre lange Unterredung mit Kurt erfuhr, der wiederum Verhandlungen zwischen Kurt und Herrn von Busche vorausgegangen waren, und mir schließlich auch noch Fräulein von Aschhof, die tolle Person, die greulichen Indiskretionen gegen den Baron beichtete und Ihre Äußerung, lieber Freund, Sie wollten versuchen, das zu redressieren – ich durchschaute den Zusammenhang, sage ich, als hätte sich alles vor meinen Augen abgespielt. Damit wußte ich denn auch, was ich zu tun hatte. Ich begab mich zum zweiten Male zu Erna und sagte ihr, wie Ihr Leben, wie Kurts Ehre auf dem Spiele stehe, wobei ich natürlich Sorge trug, die Sache so darzustellen, daß der Gedanke, Sie hätten sich direkt für Kurt opfern wollen, bei ihr nicht wohl aufkommen konnte. Sie wies die Möglichkeit, Kurt habe sich nur den Anschein gegeben, die Beleidigung des Barons zu überhören, mit Verachtung zurück; ich brauchte ihr nicht erst zu sagen, daß Kurt auf der Stelle alles erfahren müsse. Ich bin überzeugt, sie fühlte, daß sich jetzt ihr Geschick entschied; überzeugt, daß sie sich jetzt wieder ihrer Liebe zu Kurt voll und ganz bewußt wurde. Die große, willensstarke Natur des herrlichen Mädchens trat hervor in leuchtender Klarheit; ich hätte vor ihr niederfallen und sie anbeten mögen. Ich darf sagen, ich vergaß mich völlig; und daß ich ihn, für den diese Leidenschaft himmelhoch aufflammte, selbst bis zur Raserei geliebt. Ich ging so weit, zu verschweigen, was ich wußte: daß der Baron, in dem ich gestern abend, als ich ihn am Spieltische sah, bestimmt den Mann wiedererkannte, der meine Mama einst, ebenfalls am Spieltische, um hunderttausend Franks betrogen – daß der Baron, sage ich, nicht satisfaktionsfähig sei. Ich fürchtete, durch diesen Einwand zu zerstören, was ich jetzt so prächtig sich aufbauen sah. Wie wir nun über das Manöverfeld geirrt, das Regiment endlich fanden, unmittelbar, nachdem die Herren fortgeritten; ein Gehilfe, den sie zurückgeschickt, vergessenes Verbandzeug zu holen, uns auf die rechte Spur brachte; wir im schnellsten Rosseslaufe auf dieser Spur nachjagten, ans Ziel gelangten, um Kurt stürzen zu sehen, während der elende Gegner die Pistole auf den Boden schleuderte und vor meiner Gegenwart die Flucht ergriff – Sie wissen das alles oder mögen sich alles leicht vorstellen und ausmalen. Ich aber male mir aus, wie Erna jetzt den Geliebten in ihr elterliches Haus führt, um ihn da ganz zu eigen zu haben – denn was ist mehr, was wird mehr das Eigen einer Frau als der geliebte Mann, den sie pflegen, um dessen Besitz sie mit dem Tode ringen muß; und wie sie jetzt erst schaudernd erkennt, welchen unermeßlichen Schatz sie um ein Weniges eingebüßt hätte durch zu weit getriebenen Stolz und Eigenwillen, und welche Paradiesesseligkeit auf die beiden herabschauert! – Und wenn ich dann uns beide hier sehe, wie wir, die wir ihnen denn doch ihr Paradies erschlossen, zwei Ausgestoßenen und Vertriebenen gleich, in den dunkeln Abend hineinfahren – sagen Sie, mein Freund, hätten wir wirklich Ursache, uns der Rolle, die wir gespielt, zu schämen? oder nicht vielmehr Fug und Recht, uns unseres Erfolges zu freuen und stolz auf unseren Erfolg zu sein? Ja, mein Freund, wir müssen uns freuen, wir müssen stolz sein. Woher sollen wir sonst die Kraft nehmen, zu gesunden, die wir krank sind, todkrank? und doch nicht sterben dürfen, sondern leben und glücklich leben müssen, um jenen beiden zu beweisen, daß sie glücklich sein dürfen um unseretwillen? Ich, lieber Freund, ich will leben; ich will gesunden, und ich werde es. Ich werde heute abend bei Hofe erscheinen und womöglich schön und geistreich, und auf alle Fälle munter und in bester Laune sein. Und wie heute, so morgen und alle Tage, gar an Waldors Seite, der die Fürstin Alexandra wahrlich nicht heiratet, um eine Kopfhängerin zur Frau zu haben. Irgend ein heimlich stiller Winkel, wo man sich einmal ordentlich ausweinen und die Wunde ausbluten lassen kann, findet sich schon. Und Sie, lieber Freund, was werden Sie beginnen? was werden Sie tun, um zu gesunden? Ich hätte keine ruhige Stunde, müßte ich denken, Sie könnten es nicht. Geben Sie mir Ihr Wort, daß Sie gesunden werden, geben Sie mir Ihre Hand darauf!

Bertrams Antwort kam nicht sogleich. Er hob die Augen und sah rings von den Bergen herab durch die weite Ebene hin die Wachtfeuer lodern. Sein Ohr vernahm den Ruf der Ronden, Pferdewiehern, das Sprechen und Lachen der Lagernden, dumpfes Getös marschierender Kolonnen. Es war ein Bild des Krieges nur, aber es mahnte ihn wundersam an ein sehr wirkliches Streiten, an einen sehr ernsthaften Kampf, zu dem er jetzt berufen war, einzutreten als ein Soldat in Reih' und Glied, seine Pflicht zu tun, solange seine Kraft vorhielt – es mochte nun Jahre währen oder Tage.

Und er reichte Alexandra die Hand und sagte: Ob ich gesunde – ich weiß es nicht. Aber ich schwöre Ihnen, daß ich's versuchen will!


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