Friedrich Spielhagen
Quisisana
Friedrich Spielhagen

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IV.

Das lange Ausbleiben des Herrn hatte nachgerade angefangen, den treuen Konski ernstlich zu beunruhigen. Zwar wußte er aus zehnjähriger Erfahrung, daß er auf Befehle, die der Herr in solcher Erregung gab, nicht viel Gewicht zu legen brauchte; und je später es wurde, desto unwahrscheinlicher wurde ja auch die angekündigte Abreise; aber wenn ihm nun unterwegs etwas zugestoßen war? Der Doktor hatte ihm auf die Seele gebunden, ernstlich darauf zu achten, daß der Herr sich wenigstens in den nächsten Wochen vor allen Strapazen sorgsam hüte, und er war die Terrassentreppen hinabgesprungen wie toll! Dies vertrackte Fräulein, das nicht kommen durfte, wenn sie hier waren! weshalb hatte er nicht reinen Mund gehalten? weshalb dem Herrn die große Neuigkeit brühwarm zutragen müssen?

Er wäre ihm am liebsten in das Dorf nachgeeilt; aber er wagte nicht, seinen Posten zu verlassen. Und nun kam auch der Amtsrat und fragte nach dem Herrn und schien sehr betreten, als er, um seine eigene Sorge zu beschwichtigen, andeutete, der Herr habe die Nachricht, daß noch andere Gäste erwartet würden, nicht eben gut aufgenommen, und nur so als seine Vermutung hinzufügte, er sei wohl ausgegangen, um nicht beim Empfange zugegen zu sein. Dann ließ ihn die Frau Amtsrätin, die eben heimgekehrt war, rufen, und er mußte der Gnädigen, vor der er einen heillosen Respekt hatte, wiederholen, was er dem Herrn Amtsrat gesagt; und die Gnädige hatte ihn mit ihren großen braunen Augen so durchbohrend angesehen, daß er heilfroh war, als er wieder auf seinem Beobachtungsposten am Flurfenster stand, von dem er den ganzen Hof überblicken konnte, und da fuhr auch schon die offene Equipage in den Hof; es saßen nur zwei darin: ein Herr und eine Dame – Gott sei Dank! Konski hatte in der Dämmerung Züge und Gestalt der Dame nicht mehr zu erkennen vermocht; aber wer sollte es denn sein, als Fräulein Erna? Und vor der lief der Herr sicher nicht weg! nun war alles gut, wenn er selbst nur erst wieder zurück wäre!

Unten ging die Tür; Konski hörte den Schritt des Herrn auf der Treppe. Er lief ihm entgegen und berichtete freudig seine Beobachtungen; vielleicht wüßte der Herr schon, daß nur Fräulein Erna angekommen sei?

Der Herr hatte sich in dem Wohnzimmer, wo Konski die Lichter bereits angezündet, in einen Lehnstuhl geworfen und starrte so vor sich hin, strich sich wiederholt über Stirn und Augen, richtete sich dann plötzlich auf und fragte: Was sagten Sie?

Konski hatte während der letzten Minute gar nichts gesagt, fragte nun aber, ob der Herr sich nicht für die Abendtafel umkleiden wolle? Er glaube, es sei die höchste Zeit.

Bertram erhob sich und ging in das Schlafzimmer, wo Konski einen Anzug, den er für die Gelegenheit passend erachtet, zurechtgelegt hatte. Er leistete die nötige Hilfe, nicht wenig verwundert, daß der Herr nicht das kleinste Wörtchen sprach, während er gerade beim Anziehen am meisten mit ihm zu plaudern pflegte. Merkwürdig war auch, daß er sich, was er sonst nie tat, wiederholt sehr aufmerksam im Spiegel betrachtete und sogar, was Konski sich nie gesehen zu haben erinnerte, an dem Schnurrbart zupfte und drehte. Indessen, da er dabei wohl eine sehr ernste, aber keineswegs verdrießliche oder zornige Miene machte, war es Konski zufrieden. Mit der Abreise heute abend hatte es unter allen Umständen gute Wege.

Man pochte an die Tür; es war der Amtsrat, der so eilfertig eintrat, als es seine Korpulenz immer gestattete.

Gott sei Dank, daß du hier bist! rief er, dem Freunde wie einem sehnlich Erwarteten, eben Angekommenen, beide Hände wieder und wieder schüttelnd. Hast du uns Angst und Sorge gemacht! Hildegard war so bös, daß ich dich allein gelassen! ich sagte: er ist ja doch kein Kind mehr, dem man überall aufpassen muß. Das heißt: ich habe es nicht gesagt, sondern nur gedacht; Hildegard ist heute so nervös; ich hatte ihr gleich –

Der Übereifrige bemerkte jetzt erst die Gegenwart des Dieners und brach verlegen ab; Bertram war mit seiner Toilette fertig; die beiden Herren verließen das Zimmer. Während sie über den langen Korridor nach dem Haupthause schritten, legte der Amtsrat seinem schlanken Freunde den Arm um die Hüfte und sagte mit vorsichtig leiser Stimme:

Ich hatte es Hildegard gleich gesagt, daß du es übelnehmen würdest, oder es ihr doch wenigstens angedeutet, denn du weißt, sie verträgt Widerspruch nicht gut; und es war ja auch zwischen den Weibern beschlossene Sache, wie ich bald merkte. Nun sagt mir Erna – ist es nicht ein liebes Kind, wie? ein bißchen sehr eigen, sehr apart, aber immer gut gegen mich – wie hübsch, daß ihr euch getroffen habt! – ja, sie sagt mir, du wärst nicht weiter bös, daß Lydie mitgekommen ist. Das heißt: Erna weiß nichts von den alten Geschichten oder hat die Glocken nur läuten hören, daß ihr euch nicht leiden könnt, oder du Lydie nicht – na, das ist ja nun ganz gleich. Sag mir nur, daß du nicht weiter bös bist.

Ich war es im ersten Augenblick, aber bin es nicht mehr.

Das ist alles, was ich verlange. Und im Grunde, alter Kerl, na – Mißverständnisse und so weiter, und so weiter! Aber die Schuld liegt doch gewiß auf deiner Seite, oder doch zum größten Teil; liegt ja immer auf unserer Seite – das weiß ich als alter Eheknüppel – wie?

Der Amtsrat lachte; Bertram, um der Antwort auszuweichen, fragte, wo die Gesellschaft sei.

Die Damen sind auf der Veranda – der Baron war noch auf seinem Zimmer.

Wer ist denn eigentlich dieser Baron? fragte Bertram; ihr habt über Tisch öfter von ihm gesprochen, aber ich gestehe, ich habe nicht recht hingehört.

Lotter! sagte der Amtsrat. – Du, höre, das ist ein famoser Kerl, der dir sehr gefallen wird; höllisch gescheit, hat alles gelesen, spielt Klavier, malt – prachtvoll, sage ich dir: Porträt, Landschaft – was du willst. Ist eigentlich wegen der Malerei hierher gekommen – Schüler unserer Akademie, weißt du. Und geht natürlich bei Hofe aus und ein –

Aus eurer Gegend?

Gott bewahre; aus Württemberg, uralte Familie: Lotter-Vippach; Vater war General, glaube ich, Onkel Minister – kurz, in den höchsten Würden. Selbst Offizier gewesen, Kampagne von 1870 mitgemacht; aber ein bißchen unruhiges Blut – fabelhaft in der Welt herumgewesen: Algier, Südamerika – was weiß ich. Habe ihn dringend gebeten, während des Manövers hier zu bleiben, ein bißchen die Honneurs zu machen – war selbst nie Soldat, weißt du. Freut sich riesig darauf, dich kennen zu lernen, hat alles von dir gelesen – wo sind denn unsere Damen? werde mal nachsehen, bleib hier – du hast keinen Hut auf.

Das letzte war bereits in dem Gartensaal gesprochen, in welchem die großen Fenstertüren nach der Veranda offen standen. Der Amtsrat war davongeeilt, die Damen zu suchen; Bertram schritt auf und nieder in dem weiten, halb dunkeln Raum. Hatte er sich Ernas Befehl nicht doch zu willig gefügt? Wenn ihm das Gehorchen leicht, wenn es ihm nur möglich sein sollte, durfte sie ihn wenigstens nicht verlassen. Und jetzt war selbst ihr Bild vor seinem inneren Auge entschwunden, und das der einst so heiß Geliebten stand da, als wären nicht zwanzig Jahre hingegangen, seit er sie zum letztenmal gesehen; als ob sie nur eben mit der schönen Freundin in den Garten gegangen, um alsbald unter irgend einem Verwand zurückzukommen, in seine Arme zu fliegen, ihn mit Küssen zu überschauern – hier, hier – wie oft, wie oft – in diesem Saale, in dem noch der Duft des Veilchenparfüms zu schweben schien, das sie so liebte und das ihm, fern von ihr, stets ein Talisman holdester Erinnerung gewesen war!

Er befand sich in der Tiefe des Saales, mit dem Rücken nach der Veranda; ein leises Rauschen kam die Stufen herauf; er wandte sich. In dem Rahmen einer der Türen, auf dem lichteren Hintergründe des abendlichen Himmels, war die Silhouette einer Dame, die auf der Schwelle ein paar Momente zögerte und dann auf ihn, der in banger Starrheit regungslos stand, mit erhobenen Armen zueilte.

Sie war, ehe er es verhindern konnte, vor ihm in die Knie gesunken, hatte seine Hände, die er, sie emporzuheben, niederstreckte, ergriffen und an ihren Busen, an ihre Lippen gedrückt. Eine dichte Wolke von Veilchenduft wallte zu ihm auf:

Gnade, Karl, Gnade!

Ich bitte Sie – gnädiges Fräulein – um Himmels willen –

Er hatte es nur so stammeln können, denn in seinem Herzen schnitt und bohrte es wie von Dolchstößen; kalter Schweiß bedeckte seine Stirn, und eiskalt waren die Hände, die Lydie noch immer festgehalten und jetzt erschrocken losließ, indem sie sich zugleich von dem Boden aufrichtete.

Gnädiges Fräulein! – murmelte sie – gnädiges Fräulein – ich wußte es ja!

Der Krampf an seinem Herzen war vorüber; es schlug nur noch dumpf und schwer, und so hatte sich der zornige Schmerz in sanfte Trauer aufgelöst.

Lassen wir das Vergangene vergangen sein, sagte er.

Wenn das möglich wäre, flüsterte Lydie.

Es muß möglich sein.

Sie hörte an dem leisen und doch festen Ton, daß sie für den Augenblick nicht weitergehen dürfe; und wenn sie sich auch sagen mußte, daß sie sich in der Hoffnung, mit einem ersten großen Ansturm sein Herz zurückzugewinnen, betrogen habe, so schien doch gesichert, was in zweiter Linie wünschenswert und notwendig war: ein leidliches Verhältnis der Gesellschaft gegenüber.

Die liebe Stimme! flüsterte sie; – die alte, liebe, sanfte Stimme! und die harten, grausamen Worte! Aber ich habe kein Recht, mich zu beklagen, und ich will nicht klagen: es muß ja möglich sein!

Bertram wurde zu seiner großen Erleichterung einer Antwort überhoben, denn jetzt kamen der Amtsrat, seine Frau und Erna, zu denen sich mittlerweile Baron Lotter gesellt hatte, aus dem Garten herein; in demselben Augenblicke öffnete der Diener die Flügeltür zu dem Speisezimmer; die beiden Herren wurden einander vorgestellt, der Baron bot der Frau vom Hause den Arm, Lydie hatte sich an den Amtsrat gehängt, so fiel Erna Bertram zu. Sie waren ein wenig hinter den anderen zurückgeblieben.

Wie gut du bist! flüsterte Erna.

Und ich komme mir recht erbärmlich vor, erwiderte Bertram.


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