Friedrich Spielhagen
Quisisana
Friedrich Spielhagen

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XVIII.

Auch zu Bertram war der kriegerische Ton gedrungen. Er lehnte sich in dem Schreibsessel zurück und lauschte mit angehaltenem Atem.

Wie mag nun erst ihr das Herz klopfen, sprach er vor sich hin.

Er erhob sich und trat an das offene Fenster. Von seinem höheren Standpunkte konnte er ein größeres Stück der Chaussee überblicken und deutlicher das Blinken der Bajonette sehen durch die Staubwolke, die ein lebhafterer Wind auf Momente auseinandertrieb, so daß Bruchstücke der marschierenden Kolonnen hervortraten.

Unten im Dorf wurden die Böller gelöst; von den Bergen drüben rollte das Echo.

Und wie mag das durch ihr Herz dröhnen!

Aus dem Schlafzimmer nebenan, wo er für die morgen bevorstehende Abreise die Sachen zusammenzulegen angefangen hatte, kam eilfertig Konski; ob sich der Herr Doktor noch nicht anziehen wolle? es sei die höchste Zeit.

Ich habe keine Eile, bedeutete ihn Bertram.

Es ist nur, sagte Konski, weil die Frau Amtsrätin so dringend wünscht, Sie möchten bei dem Empfange der Herren Offiziere zugegen sein. Die Aurora ist schon zweimal deshalb an der Tür gewesen.

Konski deutete nach dem Schlafzimmer und lächelte.

Ich will nicht bei dem Empfange zugegen sein, sagte Bertram; aber ich kann mich immerhin zurechtmachen.

Er war Konski in das Schlafzimmer gefolgt.

Wie stehen Sie mit dem Mädchen? fragte er, während Konski ihn bediente. Sie werden sich beeilen müssen, wenn Sie noch mit ihr ins reine kommen wollen.

Ist bereits alles in schönster Ordnung, erwiderte Konski, – seit gestern abend. Bei uns geht so was immer fix, wissen Herr Doktor, und da habe ich denn noch gleich eine recht große Bitte. Die Aurora – kurioser Name, nicht wahr, Herr Doktor? und die anderen, die sie hat, sind auch nicht besser: Amanda, Rolline – ich danke! na, dafür kann sie nicht; ich werde sie in Berlin ein bißchen umtaufen; aber, was ich sagen wollte, Herr Doktor: sie besteht partout darauf, daß wir schon Anfang Oktober heiraten, weil Ende Oktober die Hochzeit von der Christine und dem Peter Weißenborn sein soll, und sie die Christine damit ärgern will – sagt sie; ich glaube aber eher, den Weißenborn, der ihr höllisch die Kur geschnitten und ihr auch wohl die Ehe versprochen hat. Und wenn der Herr Doktor nun doch erst später und vielleicht in diesem Jahre gar nicht mehr nach Italien geht, so dachten wir –

Sie wissen, wie ungern ich Sie verliere, sagte Bertram; aber ich will Ihrem Glücke nicht im Wege sein.

Mein größtes Glück wäre es, Zeit meines Lebens bei Ihnen bleiben zu dürfen, Herr Doktor, sagte Konski; und es gäbe ja eine Möglichkeit, meint die Aurora –

Nun?

Konski zögerte etwas mit der Antwort, faßte sich dann ein Herz und sagte, verlegen schmunzelnd:

Wenn Sie die große Gütigkeit hätten und auch heirateten, Herr Doktor!

Da müßt ihr schon auf einen anderen Ausweg denken.

Bertram hatte sich abgewandt; Konski entfernte nachdenklich ein paar Stäubchen von der schwarzen Weste, die er in der Hand hielt, und sagte:

Sie müssen mir nicht bös sein, Herr Doktor. Das Weibsvolk kann's nicht lassen, sich so was in seinem Kopf zurecht zu denken, und die Aurora hat einen sehr anschlägigen Kopf. Sie meint, es wäre doch gar zu pläsierlich, wenn ich Bedienter bei dem Herrn Doktor bliebe und sie Kammerjungfer bei der jungen gnädigen Frau würde; dann können die Herrschaften nach Italien gehen oder wohin sie wollten – wir vier wären doch immer schön beieinander.

Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen, sagte Bertram; geben Sie mir meine Weste.

Dann bitte ich um Entschuldigung, fuhr Konski fort, indem er dem Herrn das verlangte Kleidungsstück reichte und den Frack zur Hand nahm. – Aber sie läßt mir keine Ruhe und sagt, mit dem Baron das sei ganz aus; und was sie so gehört habe, wie die Frau Amtsrätin noch heute morgen mit dem Herrn Amtsrat über den Herrn Doktor gesprochen, so könne der Herr Doktor man dreist fordern und er kriegte sechse, bloß daß Sie man eine haben; – und was die eine, das junge gnädige Fräulein, ist, na, das weiß ich doch besser als alle, wieviel die von dem Herrn Doktor hält.

Der gute Mensch konnte zu seinem Leidwesen nicht wahrnehmen, welchen Eindruck diese Rede auf den Herrn gemacht, denn der hatte sich wieder von ihm abgewandt; und nun kam ein eiliger, schwerer Schritt durchs Arbeitszimmer; es klopfte, und der Amtsrat steckte den Kopf zur Tür herein, ob er einen Augenblick stören dürfe? Bertram bat, näher zu treten, und winkte Konski, das Schlafzimmer zu verlassen.

Ich wollte heute schon zehnmal zu dir, sagte Otto; Hildegard ist in der größten Sorge, du möchtest abreisen – und, weiß es Gott – du hast gepackt!

Für morgen, erwiderte Bertram, länger kann ich auf keinen Fall bleiben. Für heute, siehst du, bin ich bereits wie du in Gesellschaftstoilette. Nur müßt ihr freilich entschuldigen, wenn ich erst zum Diner erscheine; ich bin mit meinen Briefen noch nicht fertig; und, offengestanden, ich möchte mich gern um die Empfangsszene drücken.

Ich mich auch, wenn ich dürfte, sagte Otto: sie kommen in höchstens zehn Minuten; ich habe keinen Augenblick zu verlieren – keinen Augenblick.

Aber er rührte sich nicht aus dem Stuhle, auf den er sich hatte fallen lassen. Seine Miene war die eines Zerstreuten, ja mit seinen Gedanken völlig Abwesenden.

Wenn der Landtag sich gegen die Eisenbahn entschieden hat, murmelte er.

Wir müssen darauf gefaßt sein, erwiderte Bertram.

Es ist jetzt halb fünf; die Sitzung ist jedenfalls schon beendet.

Du erfährst das Resultat morgen noch früh genug.

Ich denke, Lotter, der in der Stadt ist, wird so lange gewartet haben – ich hatte ihn darum gebeten. Er wollte zum Diner zurück sein. Ich habe übrigens kein Vertrauen mehr zu Lotters Einfluß.

Desto besser.

Die Freunde sprachen mit dumpfer Stimme, als ob ein schwerer Druck gleichmäßig auf ihnen laste; Bertram, der, die Arme auf dem Rücken verschränkt, dastand, starrte vor sich nieder, Ottos Blicke irrten im Gemache umher, er fingerierte mit beiden Händen auf den Lehnen des Sessels, die er nun plötzlich krampfhaft umfaßte.

Ich muß hinunter, sagte er.

Er hatte sich jäh aufgerichtet und ein paar Schritte nach der Tür gemacht.

Otto!

Du kommst mit?

Nein. Ich habe dich um eine kleine Gefälligkeit zu bitten, die du mir nicht abschlagen wirst.

Bertram war auf den Freund zugetreten mit ausgestreckter Hand, in die jener mechanisch die seine legte.

Ich wollte dich bitten, über mich zu verfügen, im Falle du, was ich bei dem Wirrwarr, in dem du jetzt lebst, sehr begreiflich fände, für die morgen fällige Hypothek noch nicht anderweitig für Deckung gesorgt hast. Ich habe deswegen noch nicht einmal nach Berlin zu schreiben brauchen. Aus meiner italienischen Reise wird nichts, und ich hatte mich, wie du weißt, auf lange Zeit eingerichtet Mein Kreditbrief lautet auch auf deinen Bankier in der Stadt; ich wollte dort die erste größere Summe entnehmen; ich kann – unter irgend einem Vorwande – das Geld auf einmal flüssig machen. Es reicht gerade.

Das hatte ja alles bis morgen Zeit, murmelte Otto; indessen ich danke dir – für deine gute Absicht. Ich fahre vielleicht morgen, wenn du durchaus fort willst, mit hinein – wir werden ja dann sehen.

Seine Wangen brannten; die Hand, welche Bertram noch immer hielt, zitterte wie die eines Menschen, der einen großen physischen Schmerz erduldet. Bertram bemerkte es wohl.

Es tut mir herzlich leid, daß ich dich so quälen muß, sagte er; aber du hast mir die Wahl des Augenblicks nicht gelassen. Ich spreche dich ganz sicher heute nicht mehr, und wer weiß, ob morgen. Also kurz und bündig: ich habe außerdem alle Vorbereitungen getroffen, um von meinem Vermögen so viel in kürzester Zeit flüssig zu machen, wie du zum Arrangement deiner Angelegenheiten brauchst. Du erinnerst dich unserer Unterredung, als wir vergangenen Sonnabend aus der Stadt zurückfuhren. Bedingungen stelle ich heute sowenig wie damals; denn daß du das Arrangement unter Mitwirkung des Rechtsfreundes vornimmst, daß du ihm in den Bestimmungen über die Fabriken möglichst freie Hand läßt, und endlich, daß deine Frau vollständig eingeweiht wird – sind nicht sowohl Bedingungen als Notwendigkeiten. Die letzte und dir jedenfalls peinlichste will ich dir auch abnehmen, wenn du willst.

Aus Ottos Wangen war die Röte bis in die Stirn gestiegen.

Es ist unmöglich, stieß er heraus; ich kann es nicht annehmen.

Wenn ich dir das Geld schenken wollte! das will ich doch nicht.

Das Geld – das Geld – aber Hildegard! Der Glanz heute – die Fürstin – all die Offiziere – die große Gesellschaft – an die hundert Kuverts und morgen die Misere – es ist unmöglich! und selbst wenn du wirklich den Mut – wenn du mit ihr sprechen wolltest, meine ich – ihr steht jetzt wieder so gut, sie wollte selbst zu dir kommen – und ich hatte schon gedacht – aber das – das würde sie dir nie vergeben – nie!

Ich bin darauf vorbereitet, erwiderte Bertram; – offengestanden: an deinem Wohle liegt mir mehr als an der Gnade deiner Frau. Otto, hier ist keine Zeit zu langem Parlamentieren; ein einfaches Ja von dir, und die Sache ist abgemacht – jetzt oder nie – hörst du!

Vom Schloßweg herauf erschallte volltönige Militärmusik; auf dem Hofe wurde es laut von durcheinander rufenden Stimmen. Otto stand noch immer unentschlossen.

Es geht nicht, murmelte er wieder; ich kann es nicht.

Und dann, plötzlich auch Bertrams andere Hand ergreifend:

So heirate wenigstens Erna! Hildegard wird sich darein finden, wenn sie alles weiß. Erna ist dir gut – laß mich mit ihr reden!

Ein Wort von dir, und – ich werde meinen Entschluß nicht ändern – er steht ein für allemal fest; aber du und ich, wir sehen uns niemals wieder.

Bertram hatte sich heftig losgerissen und ein Paar schnelle Schritte gemacht; jetzt kam er zu Otto zurück, der in gänzlicher Ratlosigkeit dastand, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte:

Otto, denke daran, was wir uns geschworen haben in den lieben Bonner Tagen: Freunde zu sein und zu bleiben in Freud' und Leid, in Not und Tod. Ich meine, das reicht aus; und so bitte ich dich, sprechen wir von Erna nicht, oder bringen wir sie wenigstens nicht mit der Angelegenheit in eine Verbindung, die für mich beleidigend ist, weil sie die Reinheit meiner Motive verdächtigt. Ich kann dir noch mehr sagen, worüber ich mir bis auf weiteres deine Verschwiegenheit erbitte. Ich habe triftigen Grund, anzunehmen, daß Erna über ihr Herz bereits entschieden hat, was denn gewisse Sonderbarkeiten in ihrem Betragen, die euch und auch mir aufgefallen sind, erklären mag. Ich glaube, daß ich bald erfahren werde, wie es damit steht. Ich habe dir und deiner Frau, indem ich euch vor Lotter warnte, einen Beweis meiner scharfen Beobachtung und meiner treuen Freundschaft gegeben. Traut mir ferner; ihr werdet es nicht bereuen. Und nun, alter Junge, geh mit leichterem Herzen, als du gekommen bist, und empfange deine Gäste; oder die große Hauptaktion geht ohne dich in Szene, und das wäre etwas, das Hildegard mit Recht nie verzeihen würde.

Er drängte den Zaudernden, Fassungslosen zur Tür, als diese von Konski aufgerissen wurde: Herr Amtsrat, Herr Amtsrat! die gnädige Frau ist außer sich; sie kommen eben auf den Hof!

Otto war davongeeilt; Bertram stand noch in der Nähe der Tür, auf die sein starrer Blick gerichtet blieb.

Das war der erste Schritt, murmelte er; nach allem, was ich schon erlitten, hätte ich nicht geglaubt, daß er mir so schwer werden würde; aber er mußte getan werden.

Er ging langsam hin und her und blieb wieder stehen.

Mußte er getan werden? und so? Ware es nicht besser gewesen, ich hätte nicht völlig geleugnet? ich habe doch nicht in jedem Falle entsagt; nur in dem, daß alles sich so verhält, wie ich fürchte? Wenn es sich nun nicht so verhält? wenn der junge Mann, der durch die Schule einer Fürstin Volinzow gegangen, nicht der ist, den eine Erna lieben darf und lieben kann? wenn die schöne Dame sich über diesen ganzen Teil der Geschichte getäuscht hat oder von ihm, der seine guten Gründe dazu haben mochte, getäuscht worden ist, wenn alles im besten Falle auf eine Tändelei hinausläuft, über die Erna sich längst beruhigt hat? und ich fachte die fast erloschene Flamme durch meine Diplomatenkünste von neuem an, triebe sie, die ich von mir stoße, in seine Arme, die sich willig genug öffnen werden?

Er streckte die Hände wie zur Abwehr von sich. Drangen sie doch alle wieder auf ihn ein im hellen Lichte des Tages, jene Grauengestalten, mit denen er gekämpft im fürchterlichen Dunkel der Nacht. Da hatte er sie besiegt; jetzt sollte er unterliegen? war seine Kraft erschöpft?

Nein, nein! das Schlimmste stand noch bevor. Hatte er sich auch eingeredet, es sei einfache Billigkeit und Schicklichkeit, wenn er nicht Zeuge ihrer ersten Wiederbegegnung war – er würde sie ja doch beisammen sehen, mit dem ersten Blicke vielleicht erfahren, daß sie sich bereits wiedergefunden und das große Opfer, das die schöne Fürstin ihrem Liebling brachte, völlig unnötig gewesen. Desto besser! so war die Qual der Ungewißheit desto schneller vorüber! so brauchte er wenigstens nicht die Donquichotterie der Großmut auf die Spitze zu treiben und den aufdringlichen Mittler zu spielen, der alle Hindernisse aus dem Wege räumt und schließlich die Hände der Liebenden ineinanderlegt.

Er hatte sich an den Schreibtisch gesetzt, das Programm zu beenden, das er seinen Wählern vorlegen wollte. Aber er konnte nicht schreiben, nicht denken. Die Feder in der Hand haltend, saß er da, auf jeden der verworrenen Töne hörend, die vom Hofe, aus dem Garten, aus dem Schlosse zu ihm herauf-, herüberdrangen. Die Musik, die ein paar Minuten geschwiegen, setzte wieder ein in langgezogenen, schmetternden Fanfaren – wohl der Gruß, den das Regiment dem Hause brachte, das jetzt seine Fahne barg, und dessen schöner Herrin, wie sie auf der Schwelle erscheint, der stattliche Oberst, seinen Offizieren vorauseilend, galant die Hand küßt. Und nun tritt aus dem Kreise der Damen, welche die Herrin umgeben, eine hervor, bei deren Anblick der tapfere Mann bis ins Herz erschrickt. Sie aber lächelt und winkt mit den beweglichen Wimpern: Ruhig! mein Freund! ruhig! ich werde dir in der ersten Minute, wo wir allein sind, alles erklären, oder – da das nicht meine Gewohnheit ist – so viel, wie du zu wissen brauchst. Es handelt sich natürlich um jene dort! – Und sie deutet seitwärts nach einem anderen Paare, das sich neigt und verbeugt und – eine flüchtige Bekanntschaft erneuert: Ich weiß nicht, mein gnädiges Fräulein, ob ich noch die Ehre habe –

Ach, der Komödie!

Und ach, der Tragödie, deren verschwiegener Schauplatz sein Herz war – des Verlassenen, Einsamen!

So, in trübem Brüten, dumpfem Träumen saß er – er wußte nicht wie lange. Draußen war es still geworden. Sollte man ihn vergessen haben? hätte man es doch! und er durfte sich still wegschleichen aus dem Hause – aus der Komödie – aus dem Leben!

Aber man würde nicht so barmherzig sein! Da, das war Konskis eiliger Schritt!

Ich bitte um Verzeihung! aber die gnädige Frau läßt so sehr dringend bitten! Es soll zur Tafel gegangen werden; man wartet nur noch auf den Herrn Doktor!


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