Friedrich Spielhagen
Quisisana
Friedrich Spielhagen

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XIX.

Es war ein fürstliches Mahl, das Hildegard ihren Gästen in dem Speisesaale des einstmals herrschaftlichen Schlosses angerichtet hatte. In dem Scheine der zahllosen Kerzen auf den drei großen Kronleuchtern, auf den Wandkandelabern hatte der ungeheure, vom Beginn durch die geschlossenen Vorhänge verdunkelte Raum in Tageshelle gestrahlt; die von Silber und Kristall funkelnde, mit den prächtigsten Blumen geschmückte, schier endlose, von einer so glänzenden Gesellschaft umgebene Tafel – fünfundzwanzig Offiziere hatte Hildegard gezählt – bot einen zauberhaften Anblick. Alles ging nach der Herrin Wunsch, ja, über ihre Erwartung gut. Die aus der Stadt beorderten, in Livree gesteckten Diener konnte sie selbst von den eigenen Dienern kaum unterscheiden; die Kapelle des Regiments spielte im Nebensaale, – Oberst von Waldor hatte darauf bestanden, daß die Gnädige dem Regiment diese Ehre gewähren müsse, wenn er auch höre, daß sie eine Kapelle aus der Stadt in Bereitschaft habe. Die Toaste, vor denen sie so sehr gebangt, wurden zu Glanzpunkten. Otto war in dem ersten, der selbstverständlich Sr. Majestät dem Kaiser galt, nicht steckengeblieben; dann hatte Bertram, den sie, als man bereits bei Tische saß, durch einen Zettel darum gebeten, als ältester Freund des Hauses im Namen des Hausherrn die Gäste bewillkommnet und ein Hoch auf das Regiment ausgebracht. Oberst von Waldor antwortete in längerer, überaus gewandter, von übermütiger Laune und guten Einfällen sprudelnder Rede. Er nannte den glänzenden Empfang, der dem Regiment zuteil geworden, eine posthume Feier der Taten, die es in der Kampagne verrichtet, und eine kolossale Abschlagszahlung auf die, welche es in Kampagnen der Zukunft dereinst noch verrichten werde. Indem er dann diesen Empfang in seinen Einzelheiten schilderte, bezeichnete er unter all den Überraschungen als die ihm köstlichste den Umstand, daß er in dem Vorredner, der mit so herzlichen Worten das Regiment in diesem gastfreundlichen Hause willkommen geheißen, seinerseits einen alten, überaus werten und lieben Freund nach langen Jahren der Trennung habe begrüßen dürfen; und endlich, mit geschickter Wendung, von dem Vertreter des Hausherrn auf diesen selbst übergehend, ließ er »den übermilden Wirt und die schöne, die gütige, gnadenreiche Herrin des Hauses, an deren Seite er zu sitzen das hohe Glück habe«, leben.

Und die übrigen vierundzwanzig Offiziere waren aufgesprungen wie ein Mann und hatten in wunderbar scharf bemessenen Pausen ein dreimaliges Hoch gerufen, welches das Hoch der übrigen Gäste, wie Kanonendonner das Kleingewehrfeuer, überdröhnte, und die Musik hatte dreimal Tusch geblasen; und alles hatte sich mit erhobenen Champagnergläsern um Hildegard gedrängt; Hildegard sah, diese Huldigungen entgegennehmend, strahlend schön aus, und der Oberst sagte es ihr, und daß sie die Schönste an ihrer Tafel sei, und küßte, indem sie sich wieder niederließen, feurig ihre Hand,

Hildegard dankte dem bezaubernden Oberst mit huldvollem Lächeln für seine Schmeichelei und mit warmen Worten für den wundervollen Toast, an dem sie nur eines vermißt: eine geistreiche Anspielung, eine feine Hindeutung auf ihren schönen Gast, die Fürstin, die von ihrem Ehrenplatze aus neben Otto an der entgegengesetzten Seite der Tafel dem Redner mit größter Aufmerksamkeit gefolgt sei und etwas dergleichen augenscheinlich erwartet habe.

Der Oberst zuckte lächelnd mit den Achseln: Ich habe auch daran gedacht, meine gnädige Frau, aber es ging auf Ehre nicht.

Weshalb?

Ich sagte der gnädigen Frau bereits, daß ich im vorigen Herbste mit der Fürstin ein paar Wochen zusammen in Teplitz war. Da mir die gnädige Frau nun – wofür ich mich ihr nachträglich zu Füßen lege – gestern abend wiederholt die Ehre erwiesen, meines Namens gegen die Dame zu erwähnen, ohne, wie es scheint, eine Erinnerung in ihr wachzurufen, durfte ich meinerseits doch wahrlich nicht in Erinnerungen schwelgen. Das verbot mir peremptorisch die gekränkte Eitelkeit. Und übrigens datiert die Kränkung schon von jener Zeit. Es ist für einen etwas verwöhnten Oberst kein Spaß, wenn ihm ein junger Offizier, noch dazu von seinem eigenen Regiment, vorgezogen wird, und das war damals unzweifelhaft der Fall. Der Herr, der wie ich an den Folgen einer schweren, in der Kampagne erhaltenen Verwundung laborierte, hatte mich nämlich nach Teplitz begleitet und war mein unzertrennlicher Gefährte, so daß er in der Geschichte als klassischer Zeuge gelten darf. Die Reminiszenz jener Demütigung meiner Eitelkeit ist in diesem Augenblicke um so lebhafter, als der Betreffende sich hier am Tische befindet.

Und der Oberst deutete auf einen jungen, schlanken, dunkelhaarigen und dunkeläugigen Offizier, der zwischen Agathe und Auguste saß und sich eben lebhaft mit der ersteren unterhielt, während die schöne und kokette Auguste sehr gelangweilt dreinblickte.

Auf Hildegard hatte die Erscheinung des jungen Mannes bereits bei der Vorstellung einen so angenehmen Eindruck gemacht, daß sie sogar seinen Namen und Rang behalten hatte: Premierleutnant Ringberg, Regimentsadjutant. Sie glaubte aber klüglich zu handeln, wenn sie jetzt an dem Aussehen des Herrn »nichts Besonderes fand«. Zu ihrem Erstaunen nahm der Oberst das fast übel: Ringberg sei wirklich in jeder Hinsicht ein besonderer Mensch, sein kenntnisreichster und zugleich schneidigster Offizier, ein vortrefflicher Charakter, der liebenswürdigste Kamerad, an dem er mit einer Art von Vaterliebe hänge, wie er denn auch an ihm, dem früh verwaisten Sohne eines lieben Freundes, Vaterstelle vertreten habe, und dem er jedes Glück der Erde gönne, auch daß er die schöne Russin mit allen ihren Millionen heimführe.

Dazu scheint aber wenig Aussicht, unterbrach Hildegard lächelnd den Listigen; soviel ich habe bemerken können, ist Ihr Protegé für meine schöne Freundin gar nicht vorhanden.

Wenn das keine ihrer Masken ist, erwiderte der Oberst; ich glaube, die Dame hat einen ganzen Laden voll davon.

Das dürfen Sie mir nicht sagen; ich bete Alexandra an.

Aber, gnädige Frau, das tue ich ja ebenfalls; würde ich sonst so schlecht von ihr sprechen!

Auch das verbiete ich Ihnen.

So will ich darauf schwören, daß sie gar nicht weiß, was eine Maske ist, und will es gegen eine ganze Welt verfechten, rief der Oberst lachend, und Hildegard lachte ebenfalls und warf Alexandra über den Tisch hinüber eine Kußhand zu, die von der Russin enthusiastisch erwidert wurde.

Hildegard fühlte sich an der Seite ihres brillanten Kavaliers so glücklich, daß sie sich kaum entschließen konnte, die Tafel aufzuheben. Endlich mußte es doch geschehen, nachdem sie mit dem Forstkandidaten, der hinter ihren Stuhl geschlichen war, ein paar Worte gewechselt. In dem Augenblicke, als sie dann – ein paar Minuten später – ihren Stuhl rückte, flogen die Vorhänge von den Fenstern und Türen des Saales, die Türen taten sich auf, und vor den erstaunten Blicken der Gesellschaft lag der Garten in feenhafter Beleuchtung. Farbige Ballons zogen sich in Girlanden die Terrassen entlang, die Terrassen hinab, und jeder hervorragende Punkt, deren es nicht wenige gab, war zu einem bedeutenden Effekt benutzt: zu einer Sternenpyramide, einem Lichterkranz, einer Strahlenkrone. Und kaum hatten sich die von den Tischen herbeieilenden Gäste auf der Veranda vollzählig versammelt, als sie sich von dem blendenden Scheine einer bengalischen Flamme überstrahlt sahen, in deren Purpurglut die wundervolle Fassade des Schlosses herrlich in die Nacht hineinwuchs, während eine tiefgrüne Flamme ihr fünftes Licht die Terrassen hinaufsandte und auf dem großen Rasenplatze vor der Veranda mit dem roten Lichte zu einer magischen Dämmerung zusammenfloß. Und noch waren die Gluten nicht erloschen und die bewundernden Rufe der Überraschten nicht verhallt, als ein Böllerschuß dröhnte und von dem weiten Anger unterhalb der Terrassen eine Rakete ihre glänzende Bahn aufwärts nahm, der alsbald andere folgten, so schnell, daß die in höchster Höhe zerplatzenden Feuerkörper den dunkeln Himmel mit leuchtenden Sternen zu füllen schienen, während in der Tiefe Schwärmer zischten, Frösche sprudelten und Feuerräder prasselten.

Nun aber war die Jugend nicht länger zu halten. Vergebens, daß besorgte Mütter zur Geduld mahnten und nach Schals und Tüchern riefen; die Mädchen hatten keine Zeit zu warten, und glücklicherweise durfte man in der lauen, windstillen Nacht der schützenden Umhüllung wohl entraten; die Herren Offiziere mußten sowieso barhaupt bleiben, wenn sie nicht zu den Helmen greifen wollten, mit denen sie zum Diner erschienen waren. So hüpfte und sprang denn alles die Treppen hinab; schon in den nächsten Minuten hatte sich das muntere Völkchen über die Terrassen zerstreut, und von überallher ertönte Lachen und Rufen der einander Suchenden, sich unerwartet an einer Wendung des Gartenlabyrinths Begegnenden, auch wohl voreinander Fliehenden – ein lustiges Spiel, in dem die jungen Damen des Hauses und der Nachbarschaft, als mit der Örtlichkeit völlig vertraut, gern die Führerschaft übernahmen oder ihre bessere Kenntnis zu ihrem Vorteil geschickt ausbeuteten.

Unterdessen hatte sich der größere Teil der übrigen Gesellschaft allmählich in die beide Seiten des großen Speisesaales flankierenden Räume zurückgezogen, die Damen in die Musik- und Teezimmer links, die Herren rechts in das Billardzimmer, woran sich Rauch- und Spielzimmer reihten. Zwar ging man noch zu den Türen, die sich sämtlich auf die Veranda öffneten, aus und ein; aber auf der Veranda selbst war es verhältnismäßig leer geworden, so daß Bertram nur ein oder das andere Mal den Oberst ermahnen mußte, die sonore Stimme ein wenig zu mäßigen. Die beiden Freunde schritten, Arm in Arm, auf und ab; an Waldors Uniformrock waren nur noch wenige Knöpfe geschlossen; er dampfte mächtig aus seiner Zigarre, das schöne martialische Gesicht glühte in der Nachwirkung des Champagners und in der Aufregung, in die er sich mit jedem Worte mehr hineinsprach.

Glauben Sie mir, lieber Freund, rief er, wenn etwas meine Anbetung für die einzige Frau noch hätte steigern können, so wäre es die Bravour, mit der sie für Ringberg ins Feuer gegangen ist. Aber leider decken sich bei den holden Geschöpfen Absicht und Ausführung nie. Eine meisterhafte Überflügelung des Gegners, ein Flankenangriff comme il faut; aber nun gleich der kolossale Reinfall! Ich möchte mich totlachen! Keine Ahnung, daß Sie mir ein so lieber Freund sind! und Ihnen unsere ganze Geschichte haarklein erzählen wie einem Wildfremden, der die Geschichte nicht, wenigstens nicht in den Details, aus dem Französischen ins Deutsche zurückübersetzen kann, weil ihm die Kenntnis der wahren Persönlichkeiten fehlt. Und diese ungeheure Unvorsichtigkeit – weshalb? um Sie abzuschrecken! wovon? daß Sie sich nicht in das kleine Dämchen verlieben oder, wenn Sie es bereits getan, sofort gefälligst Retraite blasen sollen! Als ob unsereiner, die wir den Rummel kennen, sich durch eine Rekognoszierung der Art, und wenn sie noch so forciert ist, gleich ins Bockshorn jagen ließe! Danken Sie Ihrem Schöpfer, habe ich zu ihr gesagt, daß der Mann bessere Dinge in den Kopf zu nehmen hat als die Kindereien, die Sie ihm imputieren! Sie schwört freilich, davon sei sie schon gestern abend überzeugt gewesen, denn Sie seien vollkommen ruhig geblieben, und das Gegenteil wäre ihr gewiß nicht entgangen, denn sie hätte jede Ihrer Mienen auf das sorgfältigste beobachtet; aber ihre eigene Miene, als sie mir das sagte, bewies, wie erleichtert sie sich fühlte, daß alles so glücklich abgelaufen.

Und was haben Sie nun in Ringbergs Angelegenheit beschlossen? fragte Bertram. Wollen Sie sich nicht wenigstens Erna und dann wohl auch selbstverständlich den Eltern entdecken?

Den Teufel will ich das! rief Waldor. Ich würde mich wahrhaftig nicht besinnen, Ringberg aus einem verlorenen Posten herauszuhauen, es koste, was es wolle; aber hier handelt es sich nicht um ein Opfer, das ich zu bringen habe, sondern um eines, das Alexandra bringen muß und nicht bringen kann, wenn sie nicht ihr halbes Vermögen opfern will, das zum Kuckuck geht, sobald man von unserer Verlobung Wind bekommt. Ich brauche aber das ganze Vermögen und nicht das halbe. Ich habe mir schon als Leutnant geschworen, daß ich als Feldmarschall sterben und bis dahin wie ein Fürst leben will. Sie können doch nicht verlangen, daß ich mein Wort breche – noch dazu mir selbst?

Bertram hielt es nicht für geraten, den Freund auf die Widersprüche hinzuweisen, die er sich in einem Atemzuge zuschulden kommen ließ. Er sagte:

Ich meine, das Opfer wäre zu umgehen, wenn man die Betreffenden zur Verschwiegenheit verpflichtete; es würde sich unzweifelhaft jeder dazu verstehen, diese Verpflichtung zu übernehmen.

In solchen Sachen darf man sich auf keines Menschen Verschwiegenheit verlassen, erwiderte der Oberst; würde doch jetzt schon alles verraten sein, wenn Alexandra mit ihren Indiskretionen einen anderen als Sie beehrt hätte.

Aber wenn die Fürstin jenes Opfer absolut bringen will?

So werde ich es nicht minder absolut verbieten. Die Dienste, die uns Kurt geleistet, sind groß, ich gebe es zu; aber sie gelten doch in erster Linie mir; wie kann ich von ihr verlangen, ja wie kommt sie dazu, so die Übergroßmütige zu spielen! Mehr würde man, mehr könnte man nicht für einen Geliebten tun! Und soviel ich weiß, liebt sie mich und nicht Ringberg!

Der Oberst schleuderte die erloschene Zigarre fort und nahm eine neue, die er an einem der auf der Veranda brennenden Windlichter anzündete. So sah er das Lächeln nicht, das Bertram, wie wenig sein Gemüt auch zur Heiterkeit gestimmt war, bei den letzten Worten des selbstbewußten Freundes nicht hatte unterdrücken können.

Dann müßte freilich die Fürstin mit Domingo sagen: »wir sind vergebens hier gewesen«, begann er von neuem, als Waldor sich wieder zu ihm wandte.

Allerdings, entgegnete dieser; und ich habe sie auf das dringendste gebeten, morgen wieder abzureisen. Hier, im Kreise meiner Offiziere, von denen einer und der andere ganz gewiß schon mehr weiß, als mir lieb ist, sind wir keinen Augenblick vor einer eklatanten Enthüllung sicher. Ich glaube so gute Nerven zu haben wie irgend wer, aber die Situation auf einem Pulverfaß, wenn es ringsum brennt, ist denn doch für den Tapfersten verzweifelt unbehaglich.

Was ist unbehaglich, mein Herr Oberst? fragte Alexandras Stimme hinter ihnen.

Der Oberst wandte sich auf den Hacken und schloß ein paar Knöpfe an der Uniform.

Ah! meine gnädige Fürstin.

Nennen wir uns vor unserem Freunde bei unseren Namen, sagte Alexandra. Geben Sie mir Ihren Arm, lieber Herr Bertram! und Sie, mein Freund, kommen Sie an meine andere Seite. So können wir vertraulich plaudern.

Darf ich rauchen?

Ich täte es gern selbst, wenn ich dürfte; aber nun schnell zur Sache! Was haben Sie beschlossen?

Das ist genau dieselbe Frage, die ich soeben Waldor vorlegte, erwiderte Bertram. Ich habe beschlossen, daß die jungen Leute sehen müssen, wie sie zurechtkommen, sagte Waldor.

Das ist ein abscheulicher Entschluß! rief Alexandra.

Aber ein notwendiger.

Nicht für mich; ich werde mit der jungen Dame sprechen.

Sie werden es nicht tun, wenn Sie nur das mindeste auf meinen Rat geben. Überdies, wenn Sie Ihrer Sache so sicher waren, warum haben Sie es nicht gestern bereits getan?

Weil ich Ihrer Mitwirkung bedarf.

Die nun eben ausbleibt.

Es war ein erregter, fast heftiger Ton, in dem die beiden diese Wechselrede im schnellsten Tempo führten. Eine Pause folgte, die auch für Bertram unbehaglich war, obgleich er sich sagte, daß die Uneinigkeit des Paares ihm ja nur willkommen sein könne. Er hatte Erna und Ringberg scharf beobachtet: es war zwischen ihnen während der Tafel, an der sie sich schräg gegenüber gesessen hatten, kein Wort gewechselt worden; und während Erna vorhin den anderen jungen Damen in den Garten folgte, war Ringberg auf der Veranda geblieben und dann in den Billardsaal getreten. Eine Annäherung der Getrennten schien, in Anbetracht von Ernas stolzem Charakter, schwierig, fast unmöglich ohne eine wohlwollende und gewandte Vermittlung, zu der denn doch so wenig Zeit und Gelegenheit blieb. Morgen schon ging die Einquartierung zu Ende; sie waren wieder auf lange Zeit getrennt – auf immer, wenn er den Einfluß, welchen er doch unzweifelhaft bei Erna besaß, geltend machen wollte und nur ein Etwas von dem robusten Egoismus aufbieten konnte, mit dem sich der ordengeschmückte Soldat an seiner Seite den Weg zu höchstem Rang und ungemessenem Reichtum ebnete.

So weiß ich nur noch ein Mittel, das zum Ziele führen kann, begann Alexandra mit gepreßter Stimme.

Ich wußte, daß Sie etwas der Art finden würden, rief Waldor; aber worin besteht es?

Es besteht darin, daß –

Alexandra brach ab, denn als sie sich jetzt, am Ende der Veranda angelangt, alle zugleich wandten, kam der, mit dem sich ihre Gedanken beschäftigten, auf sie zu und war nur noch wenige Schritte entfernt.

Sie wollen etwas von mir, lieber Ringberg? rief der Oberst.

Zu Befehl, Herr Oberst; eine Stafette vom Kommandierenden.

Hole ihn der – zischte der Oberst durch die Zähne. Er trat an den jungen Offizier heran, der seine Meldung mit leiser Stimme abstattete, während Alexandra und Bertram in der Nähe stehenblieben. Sie sahen, wie Waldor ärgerlich seine Zigarre auf den Boden warf und sich den Uniformrock vollends zuknüpfte.

Ich danke Ihnen, lieber Ringberg; Sie können hier bleiben; es ist genug, daß einem von uns der Spaß versalzen wird. Keine Widerrede, Herr! eine Ordonnanz soll mit, und den Fuchswallach satteln, wenn Sie die Güte haben wollen, es im Vorübergehen zu sagen.

Zu Befehl, Herr Oberst!

Ringberg war gegangen, Waldor wandte sich.

Da haben sie drüben, scheint es, eine etwas andere Aufstellung genommen, als Exzellenz erwartet hatten, und nun trommelt er uns Regimentskommandeure zusammen, um die Omelette mit möglichst viel Geräusch zu backen. Über den alten Faselanten! Das sollte im Kriege sein, ich wollte ihm Bescheid sagen, wenn er mich zu einer solchen Stunde eine halbe Meile weit von einem Posten wegrufen wollte, wo ich jeden Augenblick alarmiert werden kann. Indessen, das hilft nun nicht. Ich werde Almansor nicht schonen, aber ich fürchte, ich bin vor ein Uhr nicht zurück, und Punkt zwölf müssen meine Herren Offiziere im Quartier sein; da wird denn auch wohl die übrige Gesellschaft verduften. Ich nehme an, daß wir zwischen zwei und drei Uhr angegriffen werden. Wenn ich Sie also nicht wiedersehe, teure Alexandra, bleibt's bei der Verabredung: Sie fahren morgen in die Stadt und bleiben dort, bis ich übermorgen hoffentlich auf einen Augenblick vorsprechen kann oder Nachricht sende. Adieu, Teuerste! Sie, lieber Freund, sind wohl noch auf, wenn ich zurückkomme; ich besuche Sie auf Ihrem Zimmer und höre, was die liebenswürdigste und geistreichste der Frauen im Interesse unserer Schützlinge ausgedacht hat.

Der Oberst hatte Alexandra noch einmal die Hand geküßt und eilte davon. Alexandra schaute ihm, die Arme unter dem Busen gekreuzt, düsteren Blickes nach, bis er in der Tür des Billardsaales, wo ihm ein paar der höheren Offiziere entgegentraten, verschwunden war. Dann wandte sie sich mit leidenschaftlicher Bewegung zu Bertram.

Er irrt sich; Alexandra Volinzow läßt sich nicht kommandieren wie ein Haufe Rekruten; ich reise morgen nicht; ich gehe nicht eher von hier fort, als bis ich mein Ziel erreicht habe; und Sie, Sie müssen es mir erreichen helfen!

Sie hatte heftig den Zipfel ihres Schals über die Schulter geschlagen und hing sich an Bertrams Arm, ihn von der Veranda in den Garten ziehend, aus welchem die Jugend eben paarweise oder in größeren Trupps lachend und scherzend eilfertig die Treppen heraufkam, angelockt von den Klängen der Kapelle, die in dem mittlerweile ausgeräumten großen Saale zur Polka aufspielte. Und worin soll meine Hilfe bestehen? fragte Bertram.

Sie müssen mit Erna sprechen, Sie müssen ihr alles erklären. Ich bin machtlos ohne Waldors Mitwirkung; und Sie haben gehört, daß er uns im Stiche läßt. Mehr noch: er hat, wie ich vorhin von Hildegard herausgebracht, sein Verhältnis mit mir geflissentlich in Abrede gestellt und, da er mich nicht ganz verleugnen konnte, alles auf eine oberflächliche Badebekanntschaft zurückgeführt; ja, die Perfidie so weit getrieben, den alten Verdacht eines Verhältnisses zwischen mir und Kurt wieder wachzurufen; mit einem Wort: das Äußerste getan, meine Glaubwürdigkeit den Eltern gegenüber, Erna gegenüber zu erschüttern, mein Eingreifen, wollte ich es wagen, zu einer lächerlichen, häßlichen Farce zu machen. Sie sind der intime Freund der Eltern; Sie sind Ernas ganz eigentlichster Beschützer, Vormund, – sind ihr mehr als der eigene Vater. Die törichte Furcht der Mutter, daß Sie das holde Kind in einer anderen Weise liebten, habe ich gründlich zerstört; von allen Seiten wird man Ihnen Vertrauen entgegenbringen; und sollten noch Zweifel obwalten, Bedenken erhoben werden – Sie sind so klug, so fein, so beredt – Sie werden jeden Einwand mit Leichtigkeit hinwegräumen, mit sicherer Hand alles zum guten Ende führen, der Retter, der Erlöser jener beiden armen lieben Seelen sein aus der Höllenpein der Eifersucht, des Zweifels, der Verzweiflung. Daß es an mir nicht fehlen wird, daß ich alles, was Sie sagen, bestätigen, mit meiner Person voll und ganz eintreten werde – das versteht sich von selbst. Es ist mein fester Entschluß; es ist meine einfache Pflicht; ich werde sie erfüllen, mag Waldor es nehmen, wie er will.

Alexandra hatte das alles mit fliegendem Atem gesprochen; Bertram fühlte das ungestüme Wogen des Busens, gegen den die Leidenschaftliche seinen Arm drückte. Seine Erregung war nicht geringer, dennoch gelang es ihm, in ruhigem Tone zu erwidern:

Sie fordern viel von mir, gnädige Frau. Sie nennen mich Ernas Vormund, Ernas zweiten Vater. Ich akzeptiere das; versetzen Sie sich, wenn es Ihnen möglich ist, in die Lage eines Vormundes, eines Vaters in einem solchen Falle! Sie haben mir in der Geschichte Claudinens Ihre eigene Geschichte erzählt, ich zweifle keinen Augenblick: mit dem vollsten Bestreben der Wahrhaftigkeit, in der Sie, dem Unbekannten gegenüber, keine Gefahr sahen, und zu der Sie überdies Ihr lebhaftes Temperament und die leidenschaftliche Teilnahme gleicherweise trieben. Aber nun: hatte Ihre Wahrhaftigkeit auch die Wahrheit zutage gebracht? nicht die Wahrheit von gestern und von heute, sondern die von morgen? die Wahrheit, das wahrhaftige Bild der Zukunft, in der Sie den einst so heiß Geliebten in Ihrer fortwährenden nächsten Nähe sehen werden an der Seite einer Frau, die nicht viel jünger ist als Sie, die nicht so schön ist wie Sie, nicht so geistreich wie Sie; die, wie anmutig immer, jenes namenlosen Zaubers entbehrt, der von einer schönen, geistreichen Dame der vornehmen Welt ausstrahlt und die Herzen der Männer umstrickt – können Sie – ich spreche jetzt nur von Ihnen, gnädige Frau, – nur von dem, was in Ihrer Macht steht, können Sie für Ihr Teil, für Ihr eigenes Herz die Verantwortung dieser Zukunft übernehmen? Ich beschwöre Sie bei allem, was Ihnen heilig ist: können Sie mit gutem Gewissen dem Vormund, dem Vater diese Versicherung geben?

Bei allem, was mir heilig ist, ja, erwiderte Alexandra; und daß ich lieber sterben will, als meinen Schwur brechen.

Sie hatte sich plötzlich herabgebeugt und wollte Bertrams Hand an ihre Lippen ziehen; er wehrte mit sanfter Gewalt ab.

Wir dürfen einander nicht erweichen, sagte er mit bebender Stimme, dürfen nicht durch Tränen der Rührung die Klarheit unseres Blickes trüben. Ich nehme Ihren Schwur an. Jetzt bitte ich vom Schicksal die Gnade, mir einen Blick, einen tiefen Blick in das Herz des jungen Mannes zu vergönnen, und – in Ernas Herz!

Er hatte die letzten Worte nur noch eben durch die zitternden Lippen gemurmelt; auch Alexandra war zu bewegt, um sprechen zu können. So waren sie schweigend die Stufen zur Veranda wieder hinaufgestiegen, absichtslos auf die weit offene Tür zu, welche in das Spielzimmer führte. Alexandra blieb mit einem leisen Rufe stehen.

Was haben Sie, gnädige Frau?

Sie antwortete nicht, zog rasch ihren Arm aus dem seinen und eilte von ihm fort in das Spielzimmer. Bertram folgte ihr nicht; verwundert und verletzt, daß sie ihn so plötzlich verlassen»konnte, angelockt, wie es schien, durch den großen ovalen Tisch, den eine ziemlich dichte Schar Herren umstand, entweder selbst pointierend oder den Chancen des Spiels folgend, das wohl jedenfalls ein Hasardspiel war, bei welchem Baron Lotter die Bank übernommen hatte. Wenigstens sah Bertram den Verhaßten an der schmalen Seite des Tisches sitzen und die Karten austeilen. Und jetzt hörte er auch die laute, ihm so widerwärtige Stimme rufen: Faites votre jeu, messieurs! Alexandra war bis unmittelbar an den Tisch herangetreten, als ob sie sich an dem Spiele beteiligen wolle; Bertram wandte sich unmutig ab. Wie konnte er beim besten Willen volles Vertrauen zu einem Wesen haben, das jeder Regung des beweglichen Herzens, jeder Lockung der leichtbeschwingten Phantasie zu folgen gewohnt war? Nein, nein! wenn er entsagen sollte, so mußte Ernas Glück auf einem sicheren Grunde befestigt sein!

Er lehnte gegen die Tür des Saales, wo sich die Paare eben zu einem Kontertanz ordneten. Erna stand mit ihrem Partner, einem jungen Offizier, wenige Schritte von ihm. Sie unterhielt sich in ihrer gemessenen Weise; er konnte jede leise Bewegung der lieben Lippen sehen, wenn sie sprach oder ein Scherzwort ihres Tänzers mit einem flüchtigen Lächeln erwiderte. Das reine Profil wurde manchmal ein wenig von der zarten Wangenlinie überschnitten; er meinte jeden Moment, sie müsse sich vollends wenden und ihn erblicken. – Ich fühlte, daß mich jemand ansah, hatte sie an jenem Morgen gesagt, als er sie schreibend unter der Platane fand; jetzt fühlte sie es nicht. Was hatte die Magie seines Blickes gebrochen? daß seine Liebe nicht mehr selbstlos war? daß ihn ein wütendes Verlangen ergriff, die schlanke weiße Gestalt in seine Arme zu pressen, den süßen Mund mit wilden Küssen zu bedecken? Nein, nein! das war es nicht! Es war, daß ihr Herz nichts mehr wußte von ihm; es war, daß neue junge Götter in den Tempel eingezogen waren, und die alten mochten ruhmlos von dannen weichen und in dem Dunkel der Nacht ihre Schmach verbergen!

Die Musik setzte ein, Erna reichte ihrem Partner die Hand und schwebte nach der anderen Seite des Saales; er stürzte davon, die Verandatreppe hinab, in den Garten.

Dort irrte er ziellos umher, wilde Worte ausstoßend, die Hände ringend, verzweifelt. Der verlassene Garten mit den im Nachtwinde schaukelnden, erloschenen und verlöschenden Laternen erschien ihm als das Bild seines verödeten, verwüsteten Lebens, während die von dem lichterfüllten Schlosse herabrauschende Musik und das Johlen und Singen unten von dem Dorfe herauf den einsamen Selbstquäler verhöhnte. Er fühlte, so konnte es nicht bleiben, wenn er nicht wahnsinnig werden wollte; er fragte sich, die Hände in die pochenden Schläfen drückend, ob er es nicht bereits sei? das unselige Opfer, das die Furien der Eifersucht vor sich her hetzen, bis es zusammenbricht, es löse sich denn von ihnen durch freiwillige Entsagung? Aber entsagen kann man doch nur dem, was einem gehört, was man zur Not behaupten, dessen Besitz man wenigstens dem Gegner bis zum letzten Atemzuge streitig machen würde. Die Verzweiflung entsagt nicht; sie läßt nur fahren, was sie nicht festzuhalten vermag. Oder was hatte er denn getan, um Erna zu halten? was tat er in diesem Augenblicke, als wiederum das Feld dem Gegner räumen, für den auch ohnedies Sonne und Wind – die Jugend und das Vorrecht einer ersten Neigung stritten? Er war es wert, besiegt zu werden, er, der weder die Kraft hatte, sich selbst zu besiegen, noch den Mut, sich mit dem Nebenbuhler zu messen. Mochte es sich denn entscheiden!


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