Friedrich Spielhagen
Quisisana
Friedrich Spielhagen

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XXV.

Bertram hatte gleich im Einsteigen Otto die Stelle im Walde bezeichnet, wo am Ufer des kleinen Sees das Rendezvous sein sollte, und Otto erwidert, daß sie in einer halben Stunde bequem dorthin gelangen könnten, erst auf der Chaussee, dann rechts ab auf Feldwegen, die letzte kürzeste Strecke durch den Wald.

Aber sie waren kaum zum Tore hinaus, als sich ihnen unerwartete Hindernisse entgegenstellten. Die Chaussee, die noch vorhin, als Otto kam, völlig frei gewesen war, wimmelte von den Truppen des siegreich vorgedrungenen Korps, welche die bequeme, in ihrem Besitze verbliebene Straße benutzten, um sich für das Gefecht, das morgen wieder aufgenommen werden sollte, zu rangieren. So berichtete sehr höflich ein höherer Offizier, der an den Wagen herangesprengt kam, während sich Otto vergeblich gegen die Bedienungsmannschaft eines Geschützes ereiferte, das in dem Chausseegraben umgeworfen war, und dessen Bespannung quer über den Weg stand. Die Herren täten besser, einen Umweg zu machen, als die Chaussee zu forcieren, die weiterhin noch stärker besetzt und an einzelnen Stellen für die nächste halbe Stunde vermutlich ganz unpassierbar sei.

Man konnte dem vernünftigen Rate sofort folgen, da sich gerade hier ebenfalls nach rechts ein Feldweg abzweigte.

Er ist freilich ein verteufeltes Teil länger, sagte Otto – wir müssen über Neuenhof und Viehburg, indessen, das ist nun nicht anders, wir kommen immer noch zur rechten Zeit.

Wir haben bereits eine Viertelstunde verloren, sagte Bertram.

Bringen wir reichlich wieder ein, erwiderte Otto; du siehst, der Weg ist gut und ganz frei. Fahr ordentlich zu, Johann! schlanken Trab!

Otto war weit entfernt, den Eifer, den er an den Tag legte, wirklich zu empfinden. Im Gegenteil trug er sich mit der Hoffnung, der Umweg werde sich schließlich als zu lang erweisen. Und dann, wenn sie wirklich noch zur rechten Zeit kamen: das unsinnige Duell konnte unter diesen Umständen unmöglich stattfinden. Damit war die einzige Sorge gehoben, die noch etwa auf sein elastisches Gemüt drückte. Im übrigen hatte sich ja alles in einer vortrefflichen Weise arrangiert. Wie hatte er das vor einer Stunde denken können, als er in heller Verzweiflung zur Stadt fuhr, auf seinem gepreßten Herzen den Alp der schrecklichen Szene mit Hildegard! Was würde sie jetzt sagen? wie würde sie es nehmen? schlecht, natürlich: eine entsetzliche Demütigung! eine schmachvolle Abhängigkeit! Unsinn! es war das einfachste, loyalste Verhältnis von der Welt. Weshalb sollte Bertram, der weder Kind noch Kegel hatte, Erna, die er von jeher so lieb gehabt, nicht zu seiner Universalerbin machen? Daß Erna Bertram Onkel nannte, war Hildegard immer widerwärtig gewesen; in Zukunft würde sie wohl nichts dagegen haben. Und die große Anleihe? gerade die Größe war das Gute daran. Ein Paar tausend Taler hier, ein paar tausend Taler da – wie unwürdig, wie gemein! Aber hunderttausend – das war anständig, dabei vergab er sich nichts, das würde selbst Hildegard einsehen müssen. Und überdies, wenn Erna es doch einmal erben sollte, blieb das Geld, sozusagen, in der Familie. Ob sich Hildegard wohl mit dem Leutnant stellen würde, den sie, den er gestern zum ersten Male gesehen? Nun, schließlich muß man seinen Schwiegersohn immer einmal zum ersten Male sehen. Ein reizender Mensch, allem Anscheine nach! Wäre er nur von Adel! denn das war doch wohl in Hildegards Augen Lotters hauptsächliches Verdienst gewesen. Der arme Kerl! leid konnte er einem schon tun! Wozu ein Mensch in seiner Verlegenheit nicht kommt! Gräßlich! um lumpige dreitausend Taler! wenn er sie ihm nur gestern gegeben oder Lotter sie im Spiele gewonnen hätte, so wäre vielleicht die ganze Geschichte vertuscht und der Mensch nicht wie ein Berserker in der Gesellschaft umhergerannt, um alle Welt zu beleidigen. Er war im Grunde ein gutmütiger Kerl, mit dem es sich leicht leben ließ! Und welcher Satan war nur in Bertram gefahren, der doch sonst allen gesellschaftlichen Reibungen und Konflikten aus dem Wege ging? und, schlimmstenfalls, mit einem Scherz, einer höflichen Wendung klug einzulenken, die bedenklichste Situation im Handumdrehen zu beseitigen wußte? der, selbst als Student, nie ein Duell gehabt, aus seinem Abscheu vor Duellen nie ein Hehl gemacht hatte? Und wo war hier die Nötigung zu einem Duell? Er wußte ja, daß Lotter seine Rolle in Rinstedt ausgespielt, daß Hildegard ihn unwiderruflich hatte fallen lassen! Dem fliehenden Feinde soll man goldene Brücken bauen, anstatt ihm einen Knüttel zwischen die Beine zu werfen! Nun, hoffentlich war wenigstens Lotter mittlerweile zur Einsicht gekommen und hatte das Feld geräumt. Ja, ja, so würde es sein: der geriebene Bursche hatte diese ganze Duellgeschichte nur in Szene gesetzt, um die Verfolger, die hinter ihm her waren, auf eine falsche Fährte zu bringen, und während sie ihn im Walde suchten, war er längst über alle Berge.

Wenn der leichtlebige Mann sich bei diesem tröstlichen Resultat nicht vergnügt die Hände rieb, war es nur aus Rücksicht auf den Gefährten, der so stumm und düster neben ihm saß, als bereite ihm das Nichtzustandekommen des Duells den schwersten Kummer.

So war es in der Tat. Bertram war zumute wie einem Todmüden, der zum vielwillkommenen Schlafe die Decken um sich zieht und jäh durch Feuerlärm aufgeschreckt wird. Er hatte den Tod gewollt, aber freilich von einer ehrlosen Hand konnte er ihn nicht empfangen um seiner selbst willen und der anderen willen, die sich auf einen Handel eingelassen, den sie für ehrenhaft hielten, und der nun unwiederbringlich entehrt war. So sollte er denn weiterleben und durfte niemand merken lassen, daß ihm dies Leben eine Qual – niemand und am wenigsten Erna. Nicht einmal ahnen durfte sie, daß er sich hatte opfern wollen. Wie aber sollte ihr diese Ahnung nicht kommen, wenn sich allmählich der Zusammenhang herausstellte zwischen der Beleidigung Kurts durch Lotter und seiner eigenen Intervention, die an demselben Orte und in der nächsten Minute stattgefunden? Bewies doch die Äußerung des Oberförsters, daß man bereits auf der richtigen Spur war! Hatte er denn gar nicht daran gedacht? oder hatte er's und dabei sich beruhigt, sein Tod werde einen dichten Schleier über den eigentlichen Sachverhalt breiten; und wenn dieser Schleier sich wirklich einmal vor Ernas Augen hob, und sie sich sagen mußte, daß er für sie gestorben, so würde es nur eben ein schwermutsvoller Ton sein, der sich rein auflöste in dem vollen Akkord ihres längst befestigten Glückes. War das so sicher? oder hatte er noch zu guter Letzt doch Komödie gespielt und sich die leichteste und dankbarste Rolle zugeteilt? sich im Sterben heroisch drapiert auf Kosten seines Nebenbuhlers, der hinterher sehen mochte, wie er mit der mißlichen zweiten Rolle zurechtkam? Und jetzt war das Stück nicht zu Ende; er blieb auf der Bühne in der heroischen Attitüde, und Erna würde Zeit haben, Vergleichungen anzustellen, die alle zuungunsten Kurts ausfallen mußten. Und das sollte die stolze Erna ihrem Liebhaber vergeben? und das war das Resultat seiner selbstlosen Hingabe für Ernas Glück?

Der Selbstquäler stöhnte unter der Last der Vorwürfe, die er auf sein Gewissen wälzte. Ja, ja, sagte Otto, das ist nun nicht anders, wenn man so darauflos fährt. Na, jetzt wird es wohl wieder eine Zeitlang dauern.

Sie waren nach rascher, kurzer Fahrt in das erste Dorf gelangt und hier auf die Arrieregarde des sich gegen die Wälder zurückziehenden zweiten Korps gestoßen. In der engen Dorfstraße hatte sich eine kompakte Masse gestaut, die nicht vorwärts konnte, da die Vormarschierenden noch den Ausgang sperrten. Man hatte die Gewehre zusammengesetzt; an der Straßenseite, auf der Straße selbst hockten, lagerten ermüdete Leute, andere drängten sich um die Türen der Häuser, aus denen ihnen mitleidige Hände Wasser in allen möglichen Gefäßen zulangten; vor der Schenke hatte sich die Menge zu einem undurchdringlichen Knäuel zusammengeballt. Der Kutscher war gezwungen, in ein Seitengäßchen zu lenken, aus dem er sich mit Mühe auf das freie Feld herausarbeitete, um endlich über Stoppeläcker weg den Weg zurückzugewinnen, wo es dann, manchmal neben marschierenden, widerwillig Raum gebenden Kolonnen hin, langsam weiterging.

Viel zu langsam für Bertram, dessen fieberhafte Ungeduld mit jeder Minute wuchs, trotzdem er nichts zu erwidern wußte auf Ottos Einwand, daß denn doch gar nichts daran liege, wenn man nun auch wirklich eine Viertelstunde oder so zu spät eintreffe. Und was in diesem Falle überhaupt zu spät heiße? Zu der leidigen Auseinandersetzung mit Lotter komme man immer noch früh genug. Ja, er wolle nur gestehen, er hoffe sehr, Lotter nicht mehr zu finden.

Ich glaube doch, erwiderte Bertram; trotz seiner sittlichen Verwilderung, ein Feigling ist er nicht. Ein Mann mit schwächeren Nerven hätte die Gefahr, entdeckt zu werden, nicht so lange ertragen. Und er muß ja annehmen, daß er bis übermorgen Ruhe hat.

Jedenfalls können wir nicht schneller vorwärts kommen, sagte Otto, mit den breiten Achseln zuckend.

Auch ging es jetzt, nachdem man das zweite Dorf passiert und die marschierenden Truppen hinter sich hatte, im schnellsten Trabe auf glattem Wege bis zu dem nahen Walde. Hier freilich mußte wieder Schritt gefahren werden. In den weichen Boden des alten, schlecht gehaltenen Weges hatten die Räder von Kanonen fußtiefe Furchen gedrückt. Es waren auch sonst Spuren genug, daß hier ein hitziges Gefecht stattgefunden: Patronenhülsen lagen überall zerstreut, Zweige waren abgebrochen; Büsche geknickt; und nun stießen sie auf einen Verhau, den man nicht umfahren konnte, da nach beiden Seiten hochstämmiger Wald den Weg einsäumte.

Die verdammten Kerls, sagte Otto; sie treiben es wie in Feindesland. Wir müssen absteigen und zu Fuß weiter, während Johann das Ding, das glücklicherweise nicht sehr fest scheint, so weit abräumt, daß er durchkommt. Übrigens ist der See nicht hundert Schritte von hier.

In der Tat tat sich der Wald alsbald zu einer mäßig weiten Lichtung auseinander, auf welcher der Weg zwischen dem schilfbewachsenen Ufer des kleinen Sees links und dem Rande des Forstes rechts hinlief. Dieser Wegabschnitt war für das Rendezvous bestimmt. Anfänglich hinderte das hohe Schilf den freien Blick; aber bald hatten die Eilenden die Mitte erreicht, von wo sie den anderen Teil, bis der Wald sich wieder schloß, übersehen konnten. Es war alles leer und still. Als sie kamen, wird es ihnen hier wohl noch zu lebhaft gewesen sein, sagte Otto; verlaß dich darauf, sie sind durch die Schneise gegangen und auf der zweiten Lichtung; komm nur, ich kenne jeden Fußbreit. Siehst du, hier hat ein Wagen gehalten und ist dann in die Schneise eingebogen. Und Hufspuren die schwere Menge – ich weiß nicht, wo die alle herkommen.

Wagen und Hufspuren setzten sich in die Schneise fort; aber kaum hatten sie in ihr ein paar Schritte getan, als Otto meinte, Johann könne, wenn er auf der bezeichneten Stelle niemand finde, den Waldweg weiterfahren, womöglich bis nach Rinstedt. Dumm genug sei der Kerl. Er wolle zurück und ihm Bescheid sagen; Bertram möge nur ruhig weitergehen. Fehlen sei unmöglich.

Otto kehrte um; Bertram eilte vorwärts. Schon bezeichnete eine hellere Stelle die von Otto angekündigte Lichtung, zu der die Schneise allmählich aufstieg, so daß er noch immer keinen Blick auf sie gewinnen konnte, trotzdem er schon ganz nahe sein mußte, denn er vernahm Menschenstimmen und ein einzelnes Pferdewiehern. Und jetzt trat wenigstens ein Teil der Lichtung heraus, auf der zu seiner Verwunderung eine beträchtliche Anzahl Pferde von Reitknechten gehalten wurde. Ein zweiter Blick ließ ihn gewahren, daß mehrere der Tiere Damensättel trugen. Eine jähe Ahnung durchzuckte ihn. Unwillkürlich prallte er zurück und ein paar Schritte seitwärts, wo sich ihm, der nun hinter ein paar dicken Tannenstämmen hart am Rande der Lichtung stand, in seiner unmittelbarsten Nähe eine Szene darbot, die ihn im ersten Moment vor Schreck erstarren machte.

Vier oder fünf Männer – unter ihnen der Oberst und Herr von Busche – hoben eben einen Verwundeten oder Toten auf den niedrigen, mit Stroh ausgepolsterten Leiterwagen, wo er von dem Arzte und seinem Gehilfen in Empfang genommen und im Stroh sorgsam gebettet wurde, so daß das Haupt aufgerichtet blieb. Das Abendlicht fiel hell in das bleiche Antlitz – Kurts! Gott sei gepriesen: des verwundeten, nicht des toten! die Augen waren geöffnet, und jetzt flog ein Lächeln über die bleichen Züge, als von der anderen Seite Erna, die auf den Wagentritt gestiegen war, sich über ihn beugte. Ihr holdes Antlitz, das der Reithut überschattete, war so bleich wie seines; aber auch sie lächelte und beugte sich noch tiefer und schloß die Lippen, die sprechen wollten und nicht sprechen sollten, mit einem Kuß, und sprang hinab, um sich sofort mit Herrn von Busches Hilfe auf das Pferd zu schwingen, das unterdessen herangeführt war. Auch der Oberst war bereits im Sattel; sofort setzte sich der Wagen in Bewegung, auf dem der Gehilfe geblieben war, während der Arzt sich ebenfalls beritten machte und sich dem Zuge anschloß, der in die Fortsetzung der Schneise auf der anderen Seite der Lichtung einbog und alsbald im Walde verschwand. Es blieben auf dem Plane nur Herr von Busche und Alexandra, die Bertram erst sah, als der Wagen fortfuhr; zwei Reitknechte führten die Pferde heran, bei denen sich noch ein lediges befand, das Kurt geritten haben mochte.

Die ganze Szene hatte sich binnen weniger Minuten abgespielt, in welchen Bertram freilich Zeit genug gehabt, das erste lähmende Entsetzen zu überkommen. Was ihn dann festhielt in dem schützenden Dunkel der Bäume, war eine Flut von gemischten Empfindungen, aus denen mit zwingender Kraft die Mahnung auftauchte: tritt nicht noch einmal zwischen sie, die sich gefunden haben für Tod und Leben! laß endlich die plumpe Hand von dem feinen Räderwerke des Schicksals, das deiner Berechnungen also spottet!

Er wäre am liebsten, von niemand gesehen, fortgeschlichen, aber jetzt kam Otto, laut seinen Namen rufend, die Schneise herauf. Alexandra, die im Begriff stand, sich von Herrn von Busche in den Sattel heben zu lassen, stutzte; Herr von Busche antwortete dem Rufenden; Bertram trat unter den Bäumen hervor; Alexandra lief auf ihn zu, ihr langes Reitgewand mit der einen Hand zusammenraffend und ihm die andere entgegenstreckend.

Lieber Freund! Sie! Gott sei Dank! ich überlegte eben, ob ich Sie nicht doch lieber selbst erwarten sollte, anstatt einen der Leute hier zurückzulassen!

Ist Kurt schwer verwundet?

Woher wissen Sie – gleichviel – nein! nicht schwer; das heißt: es wird eine langwierige Kur werden, aber der Doktor verbürgt völlige Heilung, und eine Gefahr für sein Leben sei ausgeschlossen. Er hat die Kugel sofort gefunden; wir waren bereits hier – großer Gott, welch heroisches Geschöpf ist Erna!

Otto war unterdessen herangekommen; es gab hinüber, herüber ein Fragen und Antworten, aus dem sich wenigstens der ungefähre Zusammenhang dessen, was geschehen war, schnell ergab. Herr von Busche war freilich am besten imstande, die gewünschte Auskunft zu erteilen. Er hatte von dem Oberförster, als dieser aus Rinstedt zurückkam, die Szene erfahren, in der Kurt, offenbar ohne sein Wissen, die sonderbare, mit der Offiziersehre unverträgliche, Rolle eines Mannes gespielt, der für eine schwere, angesichts einer großen Gesellschaft ihm zugefügte Beleidigung keine Antwort hat als stummes Ausweichen. Der Oberförster war noch ganz erregt gewesen von dem Streite, den er mit den Damen über den Fall in Rinstedt beim Frühstück gehabt; er hatte hinzugefügt, daß auch andere Herren, die gestern abend zugegen waren, ihm ihr Erstaunen über das Benehmen des jungen Offiziers zu erkennen gegeben hätten.

Ich bin selbst Offizier – in der Reserve – fuhr Herr von Busche fort, und meine Pflicht war mir klar. Ich mußte so schnell wie möglich Ringberg den ehrenrührigen Verdacht mitteilen, der über ihn umlief. Von dem Baron Auskunft zu erbitten, war unmöglich: er hatte bereits seit mehreren Stunden die Oberförsterei verlassen, um, wie er mir sagte, Abschiedsbesuche in der Nachbarschaft zu machen, nebenbei, glaube ich, sich das Pferd zu verschaffen, auf dem er nachher zum Rendezvous gekommen ist. Unsere Verabredung war, daß wir erst hier uns wieder treffen wollten. Hier mußte ich ja auch Leutnant Ringberg finden; aber das wäre zu spät gewesen. Es hätte zwei Ehrenhändel statt eines gegeben, und der Ringbergs mußte offenbar vorangehen. Auch war für Ringberg kein Sekundant da, es hätte denn Herr Doktor Bertram diese Rolle übernehmen müssen, was nicht wohl anging. Mit einem Worte: ich setzte mich auf und ritt das Manöverfeld die Kreuz und Quer, bis ich, nachdem ich die Hoffnung bereits aufgegeben, Ringberg fand in dem Augenblicke, als das Regiment die Gewehre zusammensetzte. Das war um fünf Uhr; halb sechs sollte das Renkontre stattfinden. Ringberg war im Begriff, sich beim Oberst abzumelden, den er schon vorher unter einem anderen Vorwande um Urlaub für zwei Stunden gebeten. Ich sagte ihm, was ich zu sagen hatte. Er ersuchte mich, mit zum Oberst zu kommen, dem er den Fall melden müsse. Sie kennen den Herrn Oberst: Ich bin Ihr Sekundant! rief er; und den Baron wollen wir Mores lehren. Nach wenigen Minuten waren wir – dazu der Stabsarzt und ein Gehilfe – im Sattel und jagten hierher. Wir fanden den bestellten Wagen bereits am See, und in demselben Moment erschien der Baron. Ich muß ihm die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er nicht nur nicht in Abrede stellte, die beleidigende Äußerung getan zu haben, sondern sich auch sofort bereit erklärte, die verlangte Satisfaktion zu erteilen. Wir begaben uns hierher; der Ausgang war leider, wie ich es bei der immensen Fertigkeit des Barons erwarten mußte, oder vielmehr: der Ausgang würde wohl noch betrübender gewesen sein, wenn nicht eben, als die Schüsse fielen, die Damen erschienen waren. Ich bin überzeugt, der Baron, der mit dem Gesicht nach der Schneise stand, hat sie kommen sehen, bevor wir anderen den Hufschlag auf dem weichen Boden hörten, und der unerwartete Anblick ihm die sonstige untrügliche Sicherheit geraubt. Ich finde es auch sehr begreiflich, daß er unter diesen Umständen vorzog, das Feld zu räumen. Vermutlich erwartet er mich auf der Oberförstern, obgleich, offengestanden, meine Sehnsucht, ihn wiederzusehen, nur mäßig groß ist.

Während der junge Mann in seiner lebhaften Weise so erzählte und Otto dann kurz berichtete, infolge welcher Hindernisse er und Bertram eine halbe Stunde zu spät gekommen, hatte die Gesellschaft das Ende der Schneise und den Weg erreicht, wo der Wagen hielt.

Wie klug war es, daß wir schon vorhin beschlossen hatten, uns zu teilen, sagte Herr von Busche. Die Eskorte des Verwundeten wäre wirklich gar zu groß geworden. Ohne einiges Aussehen wird es freilich auch so nicht abgehen, obgleich sie erst kurz vor Rinstedt aus dem Walde herauskommen.

Wenn wir uns nun abermals teilten? sagte Alexandra. Ich fühle mich, offengestanden, denn doch ein wenig angegriffen, und möchte gern die Nachricht über das Befinden des Patienten, dessen Zustand mir nach den positiven Versicherungen des Arztes keine Sorge einflößt, in der Stadt abwarten, wo man mich überdies heute abend bei Hofe erwartet. Ich weiß, lieber Herr Amtsrat, Sie überlassen mir gütigst Ihren Wagen und besteigen dafür das Pferd vom Leutnant Ringberg. Es wird Ihnen daran gelegen sein, möglichst schnell nach Hause zu kommen, obgleich Ihre Frau Gemahlin durch einen Diener, den wir sofort abgeschickt, auf alles vorbereitet ist.

Aber, meine gnädigste Frau, sagte Otto, Sie können doch unmöglich allein –

Ich hoffe, der Herr Doktor erweist mir die Freundlichkeit und begleitet mich.

Alexandra hatte sich bei diesen Worten zu Bertram gewandt, der in Sinnen verloren dastand, wie er auch sonst an den bisherigen Gesprächen kaum Anteil genommen. Jetzt hob er die Augen, und die Blicke der beiden begegneten sich.

Ich wollte eben um die Ehre bitten, sagte er.

Otto schaute verwundert drein, wagte aber keinen Einwand. Ein Achselzucken hinter Alexandras Rücken schien Bertram ausdrücken zu sollen, daß er ihn für das beklagenswerte Opfer einer Damenkaprice halte. Er wies den Kutscher an, auf dem kürzesten Wege die Chaussee zu gewinnen, die mittlerweile sicher wieder frei sei und den Herrschaften ein schnelleres und glatteres Fortkommen gewähre. Die Frau Fürstin möchte, wenn es kühl würde, nicht versäumen, sich der im Wagen liegenden Decken zu bedienen. Alexandra dankte ihm für seine Güte; sie werde sich morgen persönlich überzeugen, wie es in Rinstedt stehe.

Dasselbe nehme ich von dir an, Bertram, sagte Otto.

Bertram nickte.

So will ich die Herrschaften nicht länger aufhalten.

Man reichte einander die Hände; die beiden Herren bestiegen die Pferde und sprengten, gefolgt von den Reitknechten, davon, während sich der Wagen langsamer nach der anderen Seite in Bewegung setzte.


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