Friedrich Spielhagen
Quisisana
Friedrich Spielhagen

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XXI.

Die Festlust hatte ihren Höhepunkt erreicht. Um zwölf Uhr mußten, nach der Order des Chefs, die Herren Offiziere – auch die in die Oberförsterei, in das Haus des Schulzen und andere ansehnliche Häuser des Dorfes gewiesenen – in ihren Quartieren sein, und es war bereits über elf. So galt es, aus dem Becher der Freuden, die das gastliche Haus schier im Übermaße bot, die letzten vollen Züge zu schlürfen. – Vivat Champagner! rief Kamerad von Saldern, das volle Spitzglas von dem Teller des repräsentierenden Dieners nehmend. – Und schöne Mädchen! rief Kamerad von Köppingen zurück, indem er das mit einem Zuge geleerte auf den Teller setzte und sich auf den Hacken wandte, um zu Auguste von Palm zu eilen, mit der er den Rheinländer tanzen sollte, dessen erste Takte eben vom Orchester herabrauschten. – Wo haben Sie denn gesteckt, Ringberg? fragte Kamerad von Mollwitz, ein bißchen gejeut? – Sie wissen, ich spiele nicht, erwiderte Kurt, der in der Saaltür lehnte. – Und tanzen auch nicht? na, Sie sind, wie immer, der Vernünftige. Mir sind die Beine wie gerädert, auf Ehre; und dabei bin ich zum Rheinländer mit der Ballkönigin engagiert. Ich suche sie überall; haben Sie sie nicht gesehen? ah! da ist sie!

Von Mollwitz flog quer durch den Saal auf Erna zu, die eben aus dem Teezimmer hereintrat. Eine Minute später wirbelte das Paar an Kurt vorüber; von Mollwitz mit glückstrahlendem, glühendem Gesichte, selbst wahrend des Tanzes schwatzend; Erna still und bleich, die dunkeln Wimpern tief gesenkt.

Kurt blickte ihnen mit düsteren Blicken nach; dann wandte er sich nach der Veranda, auf der er ein paarmal hin und her schritt. Wieder einmal an dem einen Ende angelangt, sah er, umkehrend, an dem anderen Ende einen Herrn die Stufen heraufsteigen, in dem er, sobald er in das hellere Licht trat, Bertram erkannte. Der junge Mann machte ein Paar schnelle Schritte und blieb dann zaudernd stehen. – Weshalb das noch? murmelte er; es ist ja doch nun alles vergebens.

Bertram, der an eines der Fenster des Ballsaals getreten war, kam langsam die Veranda herauf. Es war Kurt peinlich, dem Manne zu begegnen, an den er sich noch vor wenigen Minuten als Bittender hatte wenden wollen. So schlüpfte er in das Spielzimmer, vor dessen Tür er sich gerade befand.

Er weicht mir aus, dachte Bertram; da muß denn freilich der Berg zum Propheten kommen.

Im Begriff, Kurt im Spielzimmer aufzusuchen, sah er, an den Türen des Ballsaals vorüberstreichend, Lydie, die dort mit einem der älteren Offiziere in ihrer gewohnten Weise unter vielen Bewegungen und lebhaftem Fächerschwingen konversierte. Er näherte sich ihr, die nur wenige Schritte entfernt stand; und sie, deren Blicke immer überall umherfuhren, hatte ihn, wie er gehofft, alsbald entdeckt. Ein Winken mit den Augen genügte der Vielerfahrenen. Sie rief dem Major noch lachend ein Scherzwort zu und tänzelte zu Bertram.

Sie haben mir etwas mitzuteilen, lieber Freund?

Wenn Sie mir eine Minute schenken wollen.

Eine Minute? Ihnen?

Sie sah Bertram mit einem schmachtenden Blicke an und erschrak.

Großer Gott, rief sie, Sie sind krank! wir sollen nach dem Arzte

– aber hier ist ja einer – zwei sogar – ich bitte, lassen Sie mich –

Und ich bitte, bleiben Sie, sagte Bertram, sie, die bereits fort wollte, an der Hand ergreifend. Ich fühle mich allerdings etwas angegriffen – Folge der Unruhe und des Lärmens, an die ich nicht gewöhnt bin – aber sonst vollkommen wohl. Bitte, setzen wir uns dort!

Er deutete auf einen Diwan in der Nähe und ging voran; Lydie folgte mit wankenden Knien, am ganzen Körper zitternd, während ihr das Herz bis in die Kehle schlug. Die ganz ungewöhnliche Annäherung des sonst so Zurückhaltenden, seine Blässe, seine Feierlichkeit – es konnte ja nur einen Grund, eine Bedeutung haben – was sollte sie erwidern? die Überraschte, Erschrockene spielen –jedenfalls! aber nicht zu lange, nur ein paar Momente halber Ohnmacht – mit an die Wand zurückgelehntem Kopfe und nach dem Kronleuchter gerichteten verzückten Augen.

Liebe Freundin – denn ich muß an Ihre Freundschaft appellieren – an Ihre Liebe –

Großer Gott! murmelte Lydie.

An die Liebe, mit der Sie doch unzweifelhaft an Erna hängen, und die Sie auch, nehme ich an, zu dem letzten, allerdings recht bedenklichen Schritt verleitet hat.

Großer Gott, murmelte Lydie abermals, aber diesmal mit dem Ausdrucke tiefsten Schreckens, wie jemand, dem der Boden plötzlich unter den Füßen versinkt.

Ich will Ihnen keine Vorwürfe machen, fuhr Bertram fort, zu denen ich kein Recht habe. Im Gegenteil: ich selbst empfinde es als ein Unrecht, daß ich Ihnen in Ernas Angelegenheit nicht das nötige Vertrauen schenkte, mich in Schweigen und Geheimnis hüllte und Sie dadurch fast zwang, allein und selbständig vorzugehen, um unserem lieben Kinde zu seinem, hoffen wir, dauernden Glücke zu verhelfen. Aber das von Ihnen angewandte Mittel kam zu plötzlich, war zu stark; es hat nicht gut gewirkt, wenigstens nicht für den Moment, wo die Sache vielmehr ein verzweifeltes Aussehen angenommen hat. Fragen Sie mich nicht, wie ich das erfahren. Ich sage es Ihnen wohl später, wo Sie mir dann vielleicht auch mitteilen, auf welchem Wege Sie hinter das von den beiden sorgfältig gehütete Geheimnis gekommen sind. Das alles ist vorderhand gleichgültig; aber von der äußersten Wichtigkeit ist – und eben darum möchte ich Sie herzlich bitten: wir müssen von jetzt an gemeinschaftliche Sache machen, niemand ins Vertrauen ziehen, von dem wir nicht überzeugt sein können, daß er dasselbe will, was wir wollen: Ernas Glück; und ich glaube, Sie tun am besten, wenn Sie das Urteil darüber, ob dies der Fall ist, mir überlassen. Sind Sie einverstanden?

Lydie befand sich in bitterer Verlegenheit. Für die schreckliche Enttäuschung war es immer ein Entgelt, daß Bertram doch offenbar keine Absichten auf Erna hatte, daß er ihr seine Bundesgenossenschaft, seine Freundschaft antrug. Wie gern hätte sie eingeschlagen! wie gern zu allem ja gesagt, und daß er nur zu befehlen brauche, und sie werde blindlings gehorchen! Und nun hatte sie neben der ersten Unvorsichtigkeit, die er so gütig verziehen, bereits eine zweite begangen, die er schwerlich verzeihen würde!

Ich komme zu spät, sagte Bertram, den der verstörte Ausdruck ihrer beweglichen Miene nicht entgangen war; Sie haben bereits Hildegard von allem unterrichtet!

Nein, nein – nicht Hildegard – schlimmer! viel schlimmer! murmelte Lydie mit niedergeschlagenen Augen und gefalteten Händen; – in meiner Angst, meiner – großer Gott, ja, ich kann mich nicht anders entschuldigen – meiner zärtlichen Angst um Sie – Sie – der Baron –

Sprechen Sie deutlich, sagte Bertram, seinen Zorn zurückdrängend; ich muß alles wissen. Der Baron –

Er war so wütend auf Sie, seitdem der unselige Brief – mein Gott, ich kann Ihnen das nicht sagen – ich schäme mich zu sehr; aber Erna hat mir schon verziehen, und Sie werden es auch. Wir hatten alle den Kopf verloren. Er behauptete, Sie allein wären schuld, daß er nicht bei Erna reüssiert. Und wenn Otto ihm nicht das Geld gegeben – eine horrende Summe – dreitausend Taler – so ständen Sie wieder dahinter. Schon heute morgen, als er wegfuhr, schwur er Ihnen in meiner Gegenwart die fürchterlichste Rache, und über Tisch – er saß ja neben mir – hat er so gräßliche Reden geführt und so viel Champagner getrunken – und ich wußte, ich glaubte zu wissen, zu sehen, daß Erna und Ringberg – Erna hatte ihn doch ganz verleugnet, und von den Mädchen – Auguste und Luise – erfuhr ich: er hat so viel in dem Hause verkehrt, und als das Regiment kam, war Erna so aufgeregt, und –

Weiter, weiter! rief Bertram.

Und Sie sollten nun dafür büßen! und ich sollte es zugeben, die ich selbst vielleicht dazu beigetragen, daß der Baron gegen Sie –

Und da haben Sie dem Baron alles gesagt?

Lydie saß mit starren, tränenerfüllten Augen da und fuhr entsetzt mit in die Höhe, als Bertram sich schnell erhob.

Was haben Sie vor?

Versuchen, ob ich das einigermaßen wieder reparieren kann.

Lassen Sie mich! ich beschwöre Sie; ich will dem Baron sagen –

Und ich will, daß Sie ihm nichts sagen, daß Sie hier bleiben und möglichst unbefangen tun gegen alle Welt; vor allem Erna, wenn sie zu Ihnen kommt – ich glaube freilich nicht, daß sie es tun wird – kein Wort von dem, was wir hier gesprochen haben, verraten. Versprechen Sie mir das?

Alles, alles – was Sie wollen!

Sie verpflichten sich keinem Undankbaren!

Lydie blickte dem Enteilenden mit schwimmenden Augen nach: Sie verpflichten sich keinem Undankbaren – und dabei hatte er ihr die Hand gedrückt – zum ersten Male wahrend dieser ganzen Zeit! wenn es sich nun doch noch erfüllte!

Der Major von Keberstein trat wieder zu ihr und rief lachend:

Das war ja eine lange, intime Unterhaltung mit dem Herrn, der Sie mir in so ungalanter Weise entfuhrt hat! Dabei soll nun ein alter Hagestolz, wie ich, nicht eifersüchtig werden!

Ich will mein möglichstes tun, es wieder gutzumachen.

Da müssen Sie sich dazuhalten, mein gnädiges Fräulein; noch zehn Minuten, und dann: marsch, marsch! in die Quartiere!

Legen Sie noch eine halbe Stunde zu!

Nicht um eine Welt! rief der Major, die Uhr wieder einsteckend; ich habe strenge Order.

Dann bitte ich wenigstens um die zehn Minuten!

Wären es doch zehn Jahre! rief der korpulente Herr, indem er sich mit sauersüßer Miene neben sie, die ihre Robe zusammenraffte, in den Diwan sinken ließ.

Auch im Spielzimmer suchte man die letzte Feststunde nach Möglichkeit auszubeuten, indem man die bereits allzu hohen Einsätze verdoppelte und verdreifachte. Die Spielenden waren jetzt ausschließlich Herren vom Zivil: Gutsbesitzer aus der Nachbarschaft, substantielle Leute, die den Verlust von ein Paar hundert Talern verschmerzen konnten. Von den Offizieren hatten sich allerdings ein paar an dem Spiele beteiligt, aber nur im Anfange und mit ganz kleinen Einsätzen, wie um zu zeigen, daß es sich für sie höchstens um einen unschuldigen gesellschaftlichen Scherz handle. Auch hatten sie sofort aufgehört, als größere Summen zu roulieren begannen, und sich dann einer nach dem anderen entfernt; der Oberförster, der ebenfalls nur zuschaute, wollte wissen, auf einen Wink, der vom Kommandierenden selbst ausgegangen war in dem Augenblicke, als er, im Begriff fortzureiten, durch das Spielzimmer kam. – Desto besser, hatte der Baron ironisch gemeint, so bleiben wir gemütlich unter uns; faites votre jeu, messieurs! Der Baron hatte allerdings, nach der Ansicht der Herren, alle Ursache, die Situation gemütlich zu finden. Er gewann fast unaufhörlich; die neben ihm ausgebreitete Masse der Goldstücke und Billetts war in beständigem Zunehmen; unter den Billetts fanden sich bereits nicht wenige Zettel, auf welche der Betreffende die Höhe seines Einsatzes und seinen Namen verzeichnet hatte; man taxierte seinen Gewinn allgemein auf mehrere tausend Taler. Er behauptete, es sei nicht annähernd so viel, und erbot sich wiederholt, die Bank, die er von Anfang an gehalten, abzugeben; aber es fand sich keiner, der sie übernehmen wollte; so durften die Verlierenden denn freilich nicht murren, obgleich sie fast ohne Ausnahme schon seit geraumer Zeit nur noch, wie einer unter ihnen es bezeichnete: ihrem eigenen Gelde nachliefen. Sie mußten sich sehr beeilen, wenn sie das immer fliehende einholen wollten. Man hatte – auf den Antrag des Barons – ausgemacht, daß das Spiel pünktlich um ein halb zwölf – dem Moment, für den auch das Ende des Balles angekündigt war – aufhören solle, und es war beinahe ein viertel. Der Baron sah bereits bei den kolossalen Einsätzen, die man riskierte, da die Karten mehr als je für ihn schlugen, seinen Gewinn verdoppelt; eine tolle Lustigkeit gab Zeugnis von der Aufregung, in der er sich befand; er begleitete jede Karte, die er austeilte, jeden Gewinn, den er einstrich, mit einem übermütigen Worte, wahrend seine Augen glühten und die geschäftigen Hände zuckten. Plötzlich wandte sich das Blatt. Einer der Spieler hatte seinen ganzen bisherigen Verlust auf einmal gesetzt, und gewonnen; das geglückte Wagnis reizte die anderen, und alle Karten schlugen wie durch Zauberei gegen den Bankier; im Nu war die Masse auf die Hälfte zusammengeschrumpft; es war ersichtlich, daß, wenn die Bank während der restierenden fünfzehn Minuten von ebensolchem Unglück verfolgt würde, sie mit einem namhaften Defizit enden mußte. Die Scherzreden des Barons nahmen einen immer bittereren Beigeschmack an; dann pfiff er nur noch durch die Zähne oder murmelte Verwünschungen; große Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn; seine unruhig umherschweifenden Blicke schienen wiederholt jemand in der Gesellschaft zu fixieren. Plötzlich hielt er mitten im Austeilen der Karten inne und rief mit einem halblauten Fluche:

Sie bringen mir Unglück, mein Herr! Sie genieren mich, mein Herr!

Diese im heftigsten Tone herausgestoßenen Worte waren mit einem abermaligen wütenden Blicke auf Kurt begleitet, welcher, seitdem er vor wenigen Minuten, Bertram auszuweichen, in das Zimmer getreten war, mit untergeschlagenen Armen zwischen den Zuschauern gestanden hatte, die, von dem rasenden Spiele angelockt und festgehalten, sich mit jedem Moment dichter um den grünen Tisch scharten. Für ihn hatte die Szene keine Anziehungskraft gehabt; er hatte so mechanisch hingestarrt, ohne etwas zu sehen; er hatte auch die Worte des Barons nicht vernommen; er empfand es nur als etwas Unbehagliches, daß er die Augen mehrerer Herren in seiner unmittelbaren Nähe auf sich geheftet sah. Einer glaubte ihm flüsternd mitteilen zu müssen, daß der Baron »ihn gemeint habe«. Kurt, der nicht anders glaubte, als daß Lotter eine Aufforderung an ihn gerichtet, sich am Spiele zu beteiligen, erwiderte, da er es nicht laut sagen wollte, dem Herrn, der ihm zugeflüstert, in leisem, höflichem Tone: Ich bedauere, ich spiele nie, und begleitete diese Worte mit einem entschuldigenden Achselzucken nach dem Baron, worauf er sich wandte und, sobald er aus dem ihn umgebenden Knäuel heraus war, auch schon die Tür nach der Veranda erreicht hatte, wo er hoffen durfte, sich selbst und seinen traurigen Gedanken überlassen zu sein.

Der Baron war, als Kurt sich zum Gehen anschickte, in ein heiseres, höhnisches Gelächter ausgebrochen, während er mit zitternden Händen die Karten weiter verteilte. Plötzlich sprang er auf die Füße.

Ich muß denn doch den Herrn fragen, wie ich sein Achselzucken zu verstehen habe. Entschuldigen Sie!

Er hatte den Rest der Karten auf den Tisch geschleudert und stürzte durch die Erstaunten, Erschrockenen, die er rücksichtslos auf die Seite schob, wenn sie ihm nicht schnell genug Raum gaben, nach der Tür. Aber er hatte dieselbe noch nicht erreicht, als ihm Bertram den Weg vertrat.

Was wollen Sie? knirschte der Baron durch die Zähne.

Ich wollte Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie der Gast dieses Hauses sind, und daß Sie im Begriff stehen, die Ihnen gebotene Gastfreundschaft in schnöder Weise zu verletzen.

Bertram hatte in festem Tone, aber so leise gesprochen, daß ihn allein der Baron verstehen konnte. Dabei war seine Miene vollkommen ruhig, selbst die zunächst Befindlichen, die nur ihm ins Gesicht blickten, während ihnen der Baron den breiten Rücken wandte, mußten glauben, es handle sich um eine indifferente Mitteilung.

Den Baron hatte der Zorn sprachlos gemacht; Bertram ließ ihm keine Zeit, auszubrechen; er fuhr in demselben leisen, eindringlichen Tone fort:

Ich sehe, Sie haben mich vollkommen begriffen; übrigens brauche ich wohl kaum hinzuzufügen, daß ich jederzeit zu Ihren Diensten stehe, falls Sie trotzdem noch eines Kommentars zu der Lektion zu bedürfen glauben.

Sie werden von mir hören! und das sofort!

Je früher, desto besser.

Er verbeugte sich leicht und sagte, die Stimme erhebend, indem er sich zu den übrigen wandte:

Ich bitte dringend um Verzeihung; aber ich hatte von unserem liebenswürdigen Wirte den Auftrag, daran zu erinnern, daß die Herren vom Militär sich leider schon zurückziehen müssen und sich Ihnen werden empfehlen wollen.

Wie zur Bestätigung von Bertrams Worten schwieg in diesem Moment nebenan im Ballsaale die Musik, zugleich sprang die Tür auf, und ein Schwarm von Offizieren drang in das Zimmer. Von einer Wiederaufnahme des Spiels, auch wenn man dazu geneigt gewesen wäre, was aber durchaus nicht der Fall schien, konnte nicht mehr die Rede sein. Bereits waren ein Paar ältere Damen eingetreten, die ihre Gatten suchten; es folgten andere, auch von den jungen; das Zimmer war förmlich überschwemmt; die Spieler hatten Mühe, wieder an den Tisch zu gelangen und ihre Gelder einzustecken. Nicht wenige hatten noch mit dem Baron ihr Konto zu regeln; sie umdrängten ihn, der den Rest seiner Kasse – Gold, Billetts, Bons – alles durcheinander, in die Taschen schob, mit mürrischer Miene und kurzen Worten die mancherlei an ihn gerichteten Fragen mehr zurückweisend als beantwortend: man möge sich morgen melden; heute in dem Wirrwarr möge der Teufel Bescheid wissen oder geben.

Bertram hatte in der Nähe der Tür nach der Veranda die Szene aufmerksam beobachtet. Er überzeugte sich, daß der Baron vorläufig durchaus in Anspruch genommen war und nicht daran denken konnte, Kurt aufzusuchen und etwa eine neue Veranlassung zum Streite, da die erste Gelegenheit erfolglos vorübergegangen, vom Zaune zu brechen. Unter allen Umständen hatte der Mann sich erst mit ihm abzufinden; und da sah er, wie er, sich aus dem Knäuel der ihn Umdrängenden freimachend, dem Forstkandidaten, der eben erhitzt aus dem Ballsaale trat, entgegeneilte. Die beiden Herren standen, soviel Bertram wußte, als Jagdgenossen wenn auf keinem freundschaftlichen, so doch auf einem guten Fuße; jedenfalls konnte kein Zweifel darüber sein, was sie jetzt miteinander in der fernsten Ecke des Zimmers verhandelten, der Baron mit vielen heftigen Gestikulationen, Herr von Busche eifrig zuhörend, zuweilen den Kopf schüttelnd, zuletzt aber mehr höflich als beifällig nickend. Es war hohe Zeit für Bertram, daß er sich ebenfalls nach einem Sekundanten umsah.

Er entdeckte den, welchen er suchte, auf der jetzt ebenfalls von den Gästen überschwemmten Veranda in einer kleinen Gruppe von Offizieren, die, bereits behelmt und in Paletots, von ihm Abschied nahmen. Es waren die im Dorfe einquartierten Kameraden; sie hatten es sehr eilig; auch standen schon zwei Diener mit Laternen bereit, den Herren den kürzeren Weg die Terrassen hinabzuleuchten; die vorsichtige Hildegard hatte eben für alles gesorgt. Bertram paßte den Moment ab, wo jene den Rücken wandten, und trat dann rasch auf Kurt zu.

Können Sie mir eine Minute gönnen, Herr Leutnant Ringberg?

Kurt war augenscheinlich sehr überrascht; aber er verbeugte sich sofort zustimmend.

Freilich wird es mit einer Minute nicht abgetan sein, wenn Sie mir meine Bitte gewähren, wie ich hoffe.

Die braunen Wangen des jungen Mannes färbten sich noch tiefer:

Ich bitte, sprechen Sie; und seien Sie von vornherein überzeugt, daß es mir ein Vergnügen und eine Ehre sein wird, Ihnen auf irgend eine Weise dienen zu können.

Dann haben Sie die Güte, mir Ihren Arm zu geben und mich in den Garten zu begleiten, damit ich Ihnen ungestört mitteilen kann, um was es sich handelt. – Die Sache ist in aller Kürze die: der Baron Lotter – ich weiß nicht, ob Sie das zweifelhafte Vergnügen seiner Bekanntschaft bereits gemacht haben – ein Freund des Hauses nebenbei, mit dem ich die letzten acht Tage hier zusammen gewesen bin – fühlt sich von mir beleidigt und hat auch – nach den landläufigen Begriffen und nach meiner eigenen Überzeugung, gegründete Ursache dazu. Es ist eine alte Fehde – hervorgegangen aus einer gewissen gegenseitigen Rivalität hinsichtlich des respektiven Ansehens und Einflusses, auf welche der Herr und ich hier in diesem Hause Anspruch machen, oder glauben, machen zu dürfen – die endlich zum Austrage gebracht wird, so daß die aktuelle Veranlassung eben nur eine Gelegenheitsursache und als solche völlig irrelevant. Ich bemerke das ausdrücklich, um die Bitte daran zu knüpfen, daß Sie in den folgenden Verhandlungen – angenommen, daß Sie – gut, gut! – ich danke Ihnen herzlich – also daß Sie auf jene Veranlassung absolut kein Gewicht legen, ja es vermeiden, sie auch nur zu berühren. Die Bedingungen des Renkontre akzeptieren Sie, wenn ich bitten darf, wie dieselben von der Gegenpartei beliebt werden; ich habe spezielle Gründe, in dieser Beziehung kulant zu sein. Nur macht mir die Anberaumung des Ortes und der Stunde einige Sorge. Hier kann das Duell selbstverständlich nicht stattfinden; ich schlage deshalb einen Platz in der Nähe der Stadt vor. Das würde mir um so mehr passen, als ich meine Abreise von hier für morgen angekündigt habe und also dort ohne Aufsehen solange bleiben kann, während andererseits auch der Baron morgen abreisen wollte, und mithin, da er ebenfalls durch die Stadt muß, der verursachte Aufenthalt für ihn von möglichst kurzer Dauer ist. Es fragt sich nun freilich, ob Sie und wann Sie sich selbst losmachen zu können glauben?

Vor morgen nachmittag keinesfalls, erwiderte Kurt; dann aber zweifellos, da ich, auch wenn die Verhältnisse weniger günstig lägen, vom Obersten, ohne übrigens selbstverständlich die Veranlassung zu melden, Urlaub erhalten würde. Die Verhältnisse liegen aber sehr günstig insofern, als, wenn unsere Voraussetzungen irgend eintreffen, das Regiment nach Abbruch des Gefechtes morgen um die Nachmittagszeit zwischen hier und der Stadt zu stehen kommen, respektive zur Nacht biwakieren wird. Unter allen Umständen werde ich die vereinbarte Stunde pünktlich einhalten können.

Vortrefflich, sagte Bertram, so wären wir auch dieser Sorge überhoben, und das wäre wohl alles, über was wir beide uns vorläufig zu verständigen hätten. Nun dürfte es das beste sein, wenn Sie sich alsbald mit dem Forstkandidaten, Herrn von Busche, in Verbindung setzten. Ich zweifle nicht, daß er dem Baron sekundieren wird; eine Frage von Ihnen, ob er etwa Aufträge für mich hat, würde Sie eventuell darüber ins klare bringen.

Sie hatten sich der Veranda wieder genähert, als eben der Forstkandidat aus dem Spielzimmer trat und sich suchend umzublicken schien. Sie gingen schneller auf ihn zu, und er seinerseits hatte Bertram kaum erblickt, als er sich lebhaft zu ihm wandte.

Ich bin glücklich, Sie endlich getroffen zu haben, Herr Doktor, sagte er, da ich mir die Ehre geben wollte, einen Auftrag an Sie auszurichten, der einigermaßen eilig ist. Ich suchte Sie bereits vergeblich in allen Zimmern.

Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, erwiderte Bertram; inzwischen bin ich in der betreffenden Angelegenheit nicht müßig gewesen und erlaube mir, Ihnen hier in der Person des Herrn Premierleutnant Ringberg –

Hatte bereits die Ehre, sagte der Forstkandidat, sich verbeugend.

Desto besser. So will ich die Herren nicht länger stören. Sie treffen mich auf meinem Zimmer. Auf Wiedersehen also.

Er schüttelte Kurt die Hand, verneigte sich vor Herrn von Busche und ging, während jene beiden in das Halbdunkel der Bosketts zurücktraten, an der Veranda und dem Seitengebäude hin bis zu einer Tür, die eine Treppe abschloß, auf der er unmittelbar aus dem Garten zu seinen Zimmern gelangte.


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