Friedrich Spielhagen
Quisisana
Friedrich Spielhagen

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VIII.

Um Ernas willen! wie oft im Laufe des Tages wiederholte er sich die Worte! Er wollte ja nichts für sich. Was hätte er für sich auch wollen können! Nicht mehr als jemand, der ein unbedachtes Kind auf der Straße im Gedränge der Wagen erblickt und hinzuspringt und das Kind herausträgt zur sicheren Stelle; nicht mehr als ein Reisender, der den Mitwanderer einen Weg einschlagen sieht, dessen Unsicherheit ihm von früher bekannt ist, und der den Sorglosen vor diesem Wege warnt, ihm rät, lieber einen anderen zu wählen. Man tut dergleichen, weil es Menschenpflicht ist; man tut's, weil einen das Herz dazu treibt, weil man nicht anders kann.

Ja, man handelt und spricht in solchen Lagen, wie man um seiner selbst willen kaum handeln und sprechen würde. Man ist mutiger oder ängstlicher, als man wäre, wenn das eigene Wohl und Wehe in Frage stände. Man wächst über sich selbst hinaus oder – sinkt unter sein moralisches Alltagsniveau.

Und das letztere ist vorderhand mein Fall, sagte sich Bertram, während er mit allem Eifer und, wie er zu bemerken glaubte, mit bestem Erfolge seine Rolle spielte. Die Rolle brachte es mit sich, daß er Hildegard nachträglich eine kleine Strafpredigt hielt, weil sie ihn nicht bereits gestern ins Vertrauen gezogen; daß er mit dem Freunde verstohlene Blicke des vollen Einverständnisses wechselte; gegen Lydie – zu deren augenscheinlichem Entzücken – einen halb melancholischen, halb scherzhaften Ton anschlug, der eine tiefere Empfindung halb ausdrücken und halb verbergen zu wollen schien; und in Gesellschaft des Barons die kühle Reserve, die er gestern beobachtet, durchaus fallen ließ. Wie sollte er sonst ein Urteil über den Mann gewinnen? und wie konnte er Erna ein treuer Berater sein ohne dieses Urteil?

So durchblätterte er denn mit geduldiger Aufmerksamkeit des Barons Skizzenmappe, während dieser die Blätter umwandte und erklärte. Die Mappe wäre ein unermeßlicher Schatz gewesen, hätte die Qualität der Quantität entsprochen. Es fanden sich Skizzen aus fast allen Ländern Europas; auch die Nordküste Afrikas – Algier, Tunis – war reichlich illustriert. Und dabei verbreitete sich das Talent des Künstlers über alle Genres: Landschaft. Architektur, Stilleben, Porträt – nichts war dem unermüdlichen Pinsel entgangen, nichts ihm zu schwer erschienen. Im Gegenteil: die extravagantesten Beleuchtungen, die bizarrsten Szenerien, die gewagtesten Standpunkte, welche die tollsten Überschneidungen und halsbrecherische Verkürzungen notwendig machten – in solchen Vorwürfen schien der tollkühne Skizzist förmlich zu schwelgen. Und dabei mußte sich Bertram gestehen, daß hier ein nicht unbedeutendes Talent, das bei sorgfältiger Schulung schöne Früchte getragen haben möchte, leichtsinnig vergeudet war, wie er denn auch sonst Leichtsinn als den bestimmenden Charakterzug des Mannes zu erkennen glaubte. Wenigstens entsprach der wortreiche Text, womit er seine Bilder begleitete, völlig der saloppen Malerei. Überall schlechte und gute, nicht selten originelle Einfälle in dieselbe flüchtige, leichtfertige, oft barocke Form gekleidet; ein rascher, niemals tiefer Blick in die Verhältnisse der Gesellschaft, die Einrichtungen, Sitten der Völker; große und doch sporadische Belesenheit, ausgebreitete und doch unzusammenhängende Kenntnisse. Der Mann sprach, wie er malte, und er malte, wie er musizierte; und so, meinte Bertram: leichtsinnig, oberflächlich, flackerhaft, wie sein Tun und Reden, wird seine Liebe, muß seine Liebe sein.

Konnte eine derartige Liebe Erna auf die Dauer genügen? Es schien unmöglich; aber gibt es in der Wunderwelt des menschlichen Herzens eine Unmöglichkeit? Werden tief sittliche Frauennaturen nicht oft heimgesucht von einer unwiderstehlichen und unausrottbaren Leidenschaft für schwankende, haltlose, ja moralisch unwürdige Männer? Scheint es nicht fast die Ständigkeit eines Naturgesetzes zu haben, daß völlig entgegengesetzte Charaktere trotz des inneren Widerstrebens sich zueinander hingezogen, voneinander festgehalten fühlen?

War bei Erna dieser verhängnisvolle Zug erkennbar?

Bertram hielt seine Aufmerksamkeit unverwandt auf den entscheidenden Punkt gerichtet, aber ohne zu einem bestimmten Resultate gelangen zu können, wobei er sich freilich gestehen durfte, daß auch ein schärferer Beobachter an dieser Aufgabe sich vergeblich abgemüht haben würde. Erna nahm heute an den gemeinschaftlichen Gesprächen fast noch weniger direkten Anteil als gestern; ja, er glaubte zu bemerken, was gestern nicht der Fall gewesen oder ihm doch entgangen war, daß ihr sonst so fester Blick manchmal ins Leere starrte, dann wieder ganz nach innen gekehrt schien, jedenfalls nicht auf ihrer Umgebung weilte – ein Symptom, das dem Beobachter gar nicht gefallen wollte, da man aus ihm doch wohl auf eine tiefere, das seelische Leben absorbierende Empfindung schließen durfte. Und diese Empfindung war schwerlich Abneigung gegen den Baron, mit dem sie sich vielmehr noch am meisten in ihrer ruhigen Weise unterhielt, wiederholt im Laufe des Tages musizierte und nach dem Abendbrot in ihrer aufmerksamen, ernsthaften Weise Schach spielte. Bertram mußte sich zum Überfluß diese Einzelheiten von Hildegard deuten lassen. – Glauben Sie mir, sagte sie, ich kenne Erna. Denken Sie an meine Worte von heute morgen! Es mag lange währen, bis sie einem Manne ihre Neigung gesteht; aber wen sie nicht leiden kann, der würde es bald genug erfahren.

Ich fürchte, ich erfahre etwas der Art, erwiderte Bertram.

Wieso?

Haben Sie nicht bemerkt, daß sie den ganzen Abend nicht drei Worte mit mir gesprochen hat?

Sie Unersättlicher! genügt Ihnen Lydie nicht, die alle ihre Register, eines nach dem anderen, aufzieht? es soll Ihnen wohl die ganze Frauenwelt zu Füßen liegen! Ich werde Lotter vor Ihnen warnen als seinem schlimmsten Rivalen.

Zerstören Sie unsere junge Freundschaft nicht! Aber, Scherz beiseite, kann er keinen Nebenbuhler haben?

Wo denken Sie hin! wäre es der Fall, wüßte ich es unbedingt von Lydie, die wie alle älteren Mädchen nach dieser Seite eher zu viel als zu wenig sieht. Auch haben wir, Lydie und ich, das Kind niemals aus dem Auge gelassen, und in Erfurt, wo sie freilich während der letzten Jahre ein paarmal allein gewesen ist, war sie wieder in beständiger Gesellschaft meiner Schwester und ihrer sechs Mädchen – und nie ein Wort, eine Andeutung! Übrigens kommt Agathe – die dritte, Ernas liebste Freundin – in diesen Tagen – ein gutes, bescheidenes, verständiges, wenn auch leider wenig hübsches Mädchen. Aber Sie kennen Agathe von früher! Ich werde sie noch ein bißchen ausfragen, aber ich weiß im voraus, daß sie nichts wird zu erzählen haben. Sie müssen also Ihre Eifersucht auf den einen Lotter konzentrieren.

Hildegard mußte sich sehr sicher fühlen, sie wäre sonst nicht gegen ihre Gewohnheit so scherzhaft gewesen. Bertram ging auf den Ton ein und war bei der Partie Whist, zu der er sich dann mit Otto und den beiden älteren Damen niedersetzte, überaus heiter und gesprächig.

Desto düsterer und einsilbiger fand ihn zwei Stunden später Konski, und so zerstreut, daß er den Gutenachtwunsch des Getreuen nicht einmal erwiderte. Es ist die Alte, die ihm den Kopf warm macht, monologisierte Konski, als er in seinem Zimmerchen nachdenklich die Stiefel des Herrn putzte. – Lieber Herr Konski hier – bester Herr Konski da; das kennen wir: den Sack schlägt man, und den Esel meint man. Einen ganzen Taler! na, sie hat keinen übrig, das sieht man ihr an trotz des Geflinkers und der Bammelage. Und die sollte das Regiment bei uns führen? Prost Neujahr! Nun heiraten wir beide erst recht; aber ein Paar ganz schmucke, junge; und der Teufel hole alle alten Weiber!


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