Friedrich Spielhagen
Quisisana
Friedrich Spielhagen

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X.

Haben Sie die Gelegenheit benutzt, um mit Erna zu sprechen? fragte Hildegard, sobald sie sich mit Bertram allein befand.

Bertram hatte die Frage erwartet und Zeit gesucht und gefunden, sich auf die Antwort vorzubereiten. Seine erste Regung war gewesen, den Triumph voll auszukosten und Hildegard der Wahrheit gemäß zu versichern, daß der Baron nun und niemals daran denken dürfe, Ernas Neigung zu gewinnen. Dann aber kam die Erwägung, wie eine so brüske Erklärung unzweifelhaft einen Sturm des Unwillens bei der stolzen Frau hervorrufen und Erna in eine widerwärtige Lage bringen, vielleicht in unliebsamste Szenen verwickeln würde. An dem schwachen Vater hätte sie keinen Rückhalt gehabt – im Gegenteil! er wünschte ja dringend eine Entscheidung soweit wie möglich hinausgerückt. Und zuletzt, es war ihm jetzt völlig klar, daß Hildegards dringende Einladung zu einem längeren Besuch den ganz bestimmten Zweck gehabt hatte, sich an ihm, dem einflußreichen Freunde, einen Bundesgenossen in der Ausführung ihrer Pläne zu sichern. Nun war seine diplomatische Mission gescheitert; man würde ihm das Vertrauensamt nicht offen abnehmen, ihn aber auch ebenso gewiß nicht mehr zu Rate ziehen. Was dann geschah, spielte sich hinter seinem Rücken ab, und je früher er den Rücken wandte, desto besser. Und jetzt sollte er gehen? es war ihm, als ob er ebensowohl vom Licht der Sonne Abschied nehmen könnte.

So war seine Antwort nichts als ein geschicktes Ausweichen. Er habe es an nichts fehlen lassen und auch von Ernas Seite das herzlichste, vertrauensvollste Entgegenkommen gefunden. Gerade aber deshalb halte er sich für berechtigt, zu konstatieren, daß von einer entschiedenen Neigung für den Baron bei Erna vorläufig nicht die Rede sei, und er nur den Rat geben könne, sich in Geduld zu fassen, klüglich abzuwarten und von der allmählichen, aber um so sichereren Einwirkung täglichen Beisammenseins das Beste zu hoffen.

Die scheinbare Treuherzigkeit, mit der dies alles vorgebracht wurde, täuschte die schöne Frau vollständig. Ihre Annahme, daß Erna sich für den Baron interessiere, hatte sich vor allem auf Lydies Aussagen gestützt, die immer Heiratsprojekte spann, in ihrer Überschwenglichkeit aus einem Nichts alles machte und in diesem Falle, nur um sich bei Hildegard in Gunst zu setzen und in Gunst zu erhalten, vollauf bestätigte und versicherte, was Hildegard hören wollte. Nun, da diese für den Moment durch des Freundes klarere und, wie sie glaubte, unbefangene Augen sah, mußte sie die Richtigkeit seiner Beobachtungen gelten lassen: es war in Ernas Betragen dem Baron gegenüber wirklich von wärmerer Empfindung recht wenig zu entdecken, so wenig, daß die Ungleichmäßigkeit, mit der sie ihn behandelte, sogar noch als ein Trost erschien. Bertram fragte sich, weshalb Hildegard auf ein augenscheinlich ziemlich aussichtsloses Projekt nicht verzichtete, da doch Erna bei ihrer Jugend und Schönheit wahrlich keinen Mangel an Freiern haben würde; sie ihrerseits von der mißlichen finanziellen Lage ihres Gatten keine Ahnung hatte, mithin bei ihren Heiratsplänen für Erna auch die Anziehungskraft des Reichtums in Rechnung bringen mußte und sogar sehr stark in Rechnung brachte. Es schien ein Widerspruch, mindestens eine starke Wunderlichkeit, für die er aber bei reiflicherem Nachdenken die Erklärung gefunden zu haben glaubte. Die schöne Frau selbst war durch die stattliche Erscheinung, das sichere Auftreten des Barons aufs angenehmste berührt, durch seine Huldigung ihrer Schönheit, ihrer Klugheit, ihrer Güte, der er sogar in der Gesellschaft einen sehr verständlichen und in den häufigen Tête-à-têtes sicher den überschwenglichsten Ausdruck gab, aufs höchste geschmeichelt. Und der Umstand, aus welchem nebenbei der Baron gar kein Hehl machte, daß er – nach seinem eigenen Ausdruck – so arm sei wie eine Kirchenmaus, gereichte ihm in ihren Augen zur allerbesten Empfehlung. – Ich sehe darin die Fügung eines gerechten, ausgleichenden Schicksals, sagte sie zu Bertram. Ich weiß, lieber Freund, Sie sind zu aufgeklärt, mir meine aristokratische Schrulle nicht zu verzeihen: es sei und bleibe das beste, wenn der Adel unter sich heiratet, und das Bürgertum, das ich ja achte und ehre, ebenfalls. Nun habe ich, das arme Freifräulein, die erste in meiner Familie, deren Traditionen doch nach Jahrhunderten rechnen, eine bürgerliche Ehe schließen müssen; ich beklage mein Los nicht – es war eben mein Los; aber ich habe Gott stets gebeten, daß er meinem einzigen Kinde ein anderes bescheiden möge. Und wird dadurch einer Familie, die noch älter ist als die der Unkerode, wieder zu der Stellung in der Welt verholfen, die ihr gebührt, so wüßte ich wahrlich nicht, was ich mir Lieberes wünschen sollte, vorausgesetzt, daß Erna, wie es hier doch unzweifelhaft der Fall sein würde, einen Gatten erhält, der sie liebt, und der, von seinen kleinen Kavalierfaibles abgesehen – über die eine kluge Frau gern die Augen zudrückt, weil sie weiß, daß dergleichen sich von selbst gibt – ihrer Liebe durchaus würdig ist.

Und den ich ebenso vollständig unter mein Kommando zu bringen hoffe, wie ich meinen Gatten beherrsche – fügte Bertram im stillen hinzu.

Er war überzeugt, daß dieser Gedanke in der Kalkulation der selbstsüchtigen Frau der bestimmende war, trotz der Sorgfalt, mit der sie auch den leisesten Anschein jeder eigennützigen Absicht zu vermeiden suchte. Wie sie ihr Leben als eine Kette von Opfern darzustellen liebte, welche sie für andere gebracht habe, so war sie auch jetzt bereit, um Ernas willen auf ihr eigenes Behagen zu verzichten. Man werde das Kind selbstverständlich nicht in der Stadt unter fremden, gleichgültigen Menschen allein lassen können und sich entschließen müssen, fortan den Winter dort zuzubringen. Das mache freilich die Akquisition eines eigenen Hauses notwendig; aber der Kostenpunkt dürfe nicht in Frage kommen, wenn es sich um das Glück des Kindes handele, und zufällig stehe eine neu erbaute Villa höchst preiswürdig zum Verkauf – in der unmittelbaren Nähe des Parkes, umgeben von einem hübschen Garten, und groß genug, um Eltern und Kindern ein bequemes Beisammensein zu gewähren; mit geringen Kosten werde sich sogar ein Atelier für den Baron anbauen lassen. Ob Bertram nicht heute noch mit Otto hineinfahren wolle? Otto könne – wie gewöhnlich – zu keinem Entschlusse kommen, trotzdem die Villa eine ausgezeichnete Kapitalanlage sei, selbst für den Fall – der nicht eintreten werde, trotz der augenblicklich scheinbar so wenig günstigen Aspekten.

Denn auch darin werden Sie mir beistimmen, lieber Freund, schloß Hildegard ihre Auseinandersetzung, je sorgfältiger wir alles Nötige vorbereiten und so dem Kinde gleichsam ein Bild des sicheren, rings umfriedeten Glückes zeigen, das ihrer harrt, um so schneller und lieber wird sich ihre Phantasie mit diesem Bilde beschäftigen, und von dem schönen Bilde zur schöneren Wirklichkeit – il n'y a qu'un pas. Vorläufig bringen wir die Angelegenheit mit der Villa in Ordnung; es wird nicht schwer halten, wenn Sie mit Otto ein ernstes Wort reden.

Ich verspreche Ihnen, daß ich das tun werde, erwiderte Bertram.

Der Zwischenfall kam ihm sehr gelegen. Hier drohte für Otto, der sich so schon von allen Seiten bedrängt sah, eine neue große Ausgabe, vor der seine unselige Nachgiebigkeit, als vor einem unüberwindlichen Hindernis, endlich haltmachen mußte. Die Konsequenzen ergaben sich dann von selbst. Es konnte bei der bloßen Weigerung nicht sein Bewenden haben; es mußte zwischen den Gatten zur Aussprache kommen; es würde ein furchtbares Gewitter geben, das aber notwendig war, die schwüle Atmosphäre zu reinigen, die gespannte Situation zu lösen. Hildegards frivoler Plan zerplatzte wie eine Seifenblase, Erna war mit einem Schlage von dem lästigen Bewerber, ihr Vater aus einer unwürdigen und unerträglichen Lage befreit. Er war gestern schon entschlossen gewesen, treu zum Freunde zu stehen durch alle Widerwärtigkeiten, Bedrängnisse und Gefahren, die ja nicht ausbleiben konnten. Heute klopfte sein Herz diesen Gefahren ungeduldig entgegen, denn mit jeder, die er aus dem Wege räumte und siegreich überwand, legte er eine Trophäe ihr zu Füßen, für die er sein Herzblut gegeben haben würde, Tropfen um Tropfen.

Wie erschrocken, wie empört war er nun, als er auf dem Wege nach der Stadt Otto weiter als je von einem mannhaften Entschlusse entfernt fand. – Der Ankauf der Villa, lieber Himmel, wenn Hildegard nun einmal so großen Wert darauf legte – es war doch schließlich im Vergleich mit seinen übrigen Sorgen eine reine Bagatelle! – Und was ich dir gestern hinsichtlich meiner Lage mitgeteilt, nun, mein Gott, du kennst mich nicht seit gestern! Ich bin eben ein Mann des Augenblicks; da sehe ich dann, je nachdem, alles schwarz oder weiß, und gestern hatte ich so einen allerschwärzesten Moment. Meine Fabriken rentieren nicht, freilich, geben auch wohl einmal eine starke Unterbilanz; dafür steht meine Ackerwirtschaft, wie du mir zugeben wirst, im prächtigsten Flor, und ich kann schon noch ein gutes Ende daraufhin sündigen, zumal die Ernteberichte aus Rußland und Ungarn ganz miserabel lauten, und wir ein Heidengeld machen müssen. Und da! lies mal hier die Notiz in unserer Zeitung über den Stand der Eisenbahnfrage! Sie ist noch dazu unzweifelhaft aus der Feder unseres Landstandspräsidenten, der nebenbei mein langjähriger Anwalt und guter Freund ist. Was sagst du nun?

Daß die Sache genau so liegt, wie du sie mir gestern geschildert hast. Dein Freund vertritt offenbar nur seine, meinetwegen eure Ansichten, eure Wünsche; will nebenbei natürlich eine Pression auf die Regierung ausüben, indem er es als eine Unmöglichkeit hinstellt, sie könne sich anders entscheiden, als ihr eben wünscht und hofft.

Aber die Regierung, und das heißt bei uns der Hof, ist schon mehr als halb gewonnen. Lotter versichert –

Laß mir um Himmels willen den Mann aus dem Spiele!

Freilich, wenn du so gegen ihn eingenommen bist, daß du ihm selbst die einfache Glaubwürdigkeit absprichst, die du jedem sonst gewährst!

Hier ist von Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit keine Rede, rief Bertram entrüstet, sondern nur davon, daß du deine Illusionen und Hoffnungen für Wirklichkeiten und Tatsachen nimmst; daß du dich wissentlich verblendest, um den Abgrund nicht zu sehen, in den du hineinrennst. Und bedenke doch nur dies: durch dein unseliges Zaudern beschleunigst du den Moment, den du fürchtest, ja machst ihn um so furchtbarer. Heute kannst du noch vor deine Frau hintreten und sagen: ich habe Verluste gehabt, starke Verluste, wir müssen uns einschränken – so und so; willst du es dahin kommen lassen, daß du gestehen mußt: wir haben nichts mehr zu verlieren? Ich beschwöre dich: wirf den Ballast über Bord, mit dem dein Schiff bis zum Untersinken belastet ist! Du wärst Manns genug, es zu tun, handelte es sich um dich allein; und du kannst es nicht, wo du Weib und Kind an Bord hast, die du mit ins Verderben ziehst, wenn du es nicht tust!

Otto sagte nicht ja und nicht nein, und Bertram schwieg verzweifelt. Was sollte daraus werden?

Man gelangte in die Stadt, ohne kaum noch ein Wort gewechselt zu haben; auch bei Besichtigung der Villa tauschte man nur eine und die andere gleichgültige Bemerkung. Aber Bertram sah recht gut, daß die Verdrossenheit, die der Freund zur Schau trug, im Grunde wieder eine Maske war, seine Unentschlossenheit zu verbergen. – Ich weiß schon, sagte dieser endlich mürrisch, wir beide kommen nicht zusammen; es wäre wirklich das beste, wir machten einen gemeinschaftlichen Besuch bei meinem Rechtsanwalt und hörten, was er zu der Geschichte meint. Er ist überdies dein politischer Parteigenosse und wird sich sehr freuen, dich kennen zu lernen. – Bertram ergriff mit Freuden einen so vernünftigen Vorschlag, aber, bereits vor der Tür des Anwalts, besann sich Otto, daß er noch einige Aufträge Hildegards zu besorgen habe: wegen der Einquartierung, weißt du; sie kann nicht Vorräte genug anschaffen – na, das ist einmal so ihre Art.

Und deine, alles halb zu tun, sprach Bertram bei sich, der breiten Gestalt nachschauend, welche die einsame, sonnige Straße hinabschritt; es wäre denn, daß du die Verantwortung ganz auf meine Schultern wälzen könntest.

Das war denn auch des Rechtsanwalts Ansicht.

Glauben Sie mir, sagte dieser, als man nach herzlicher Begrüßung schnell vertraulich geworden war, er wünscht dringend, daß wir uns gegenseitig offen über seine Angelegenheiten aussprechen, und er hat nur nicht dabei sein wollen, um all das Mißliebige nicht zu hören, was ihm dann freilich nicht erspart werden könnte, und hinterher jedem einzelnen von uns unter vier Augen einen Widerstand entgegenzusetzen, zu dem er, wenn wir gemeinschaftlich gegen ihn Front machen, nicht den Mut fände. So halte ich es für keine Indiskretion, sondern glaube im Sinne und jedenfalls im Interesse unseres Freundes zu handeln, wenn ich zu allem, was Sie bereits wissen, einige Erläuterungen hinzufüge, die Sie vollständig au courant setzen werden.

Der Rechtsanwalt schilderte nun eingehend Ottos Lage, und Bertram fand zu seiner Verwunderung seine Auffassung durchweg bestätigt. Selbst das Bild von dem Ballast, der über Bord geworfen werden müsse, um das Schiff wieder flott zu machen, figurierte in der Auseinandersetzung. Freilich erfuhr er jetzt erst, wie schwer dieser Ballast war. So hatte Otto nie mit einer Silbe des Umstandes Erwähnung getan, daß die Schwester Hildegards, die verwitwete Geheimrätin von Palm, nebst ihrer ganzen Familie gänzlich aus Ottos Tasche lebte. – Und das ist ein furchtbares Item, sagte der Rechtsanwalt. Die Dame ist in jeder Beziehung die Schwester der Frau Amtsrätin. Sie meint sterben zu müssen, wenn sie nicht auf einem großen Fuße leben kann. So ist denn ihr Haus in Erfurt der Sammelpunkt von allem, was auf die Ehre, dort zu erscheinen, Anspruch machen kann: der pensionierten Generäle, Obersten, von denen die Stadt wimmelt, sämtlicher aktiven Offiziere der Garnison und so in infinitum. Die Töchter sind wie die Mutter, mit Ausnahme eines lieben, verständigen, freilich auch nicht eben hübschen Mädchens, das Sie, wie ich höre, demnächst in Rinstedt kennen lernen werden. Und treiben es die Töchter arg, so tun die beiden Söhne, Offiziere, wie Sie wissen, als ob in der Kasse des Onkels kein Grund zu finden wäre. Drei- oder viermal hat er bereits die Schulden der Herrchen bezahlt, die er nebenbei nicht ausstehen kann – alles in majorem gloriam Hildegardis, seiner geliebten Gattin, geborenen Freifräuleins von Unkerode, deren Neffen selbstverständlich mit einem anderen Maßstabe zu messen sind als andere gewöhnliche Sterbliche.

Und sehen Sie keinen Ausweg aus dem verderblichen Zirkel, in dem unser Freund umherirrt? fragte Bertram.

Es ist derselbe, auf den Sie ihn bereits gewiesen haben, erwiderte der Rechtsanwalt. Aber wie ist jemand zu helfen, der sich nicht raten lassen will, oder vielmehr jeden Rat annimmt, ohne ein einziges Mal zu folgen? Auch darin haben Sie durchaus richtig gesehen: es ist noch keineswegs zu spät. Gibt er die unseligen Fabriken auf, die niemals rentieren werden, auch wenn, worauf er seine ganze Hoffnung setzt, die Eisenbahn durch seine Güter gelegt wird; tritt er seiner Gnädigen mit einem Sic volo, sic jubeo! entgegen und trennt mit einem Schnitt die unsinnig kostbare Schleppe von dem Kleide, das dann immer noch ein ganz anständiges bleibt, so kann er seine übrigen Verbindlichkeiten nach und nach ablösen, oder mit einem Male, wenn ihm jemand zu einem soliden Zinsfuß ein größeres Kapital vorstreckte, was allerdings bei den schlechten Zeiten schwer halten wird, zumal wenn es sich herumspricht, daß er in Verlegenheit ist.

Wie groß, meinen Sie, daß dieses Kapital sein müßte?

Ich glaube, ich würde mit hunderttausend Talern alles arrangieren können, ohne daß es zu einem Akkord, ja nur zu einer freiwilligen Subhastation käme.

Dann stelle ich Ihnen eventuell die genannte Summe zur Verfügung.

Der Anwalt blickte erstaunt auf.

Ich wußte nicht, daß Sie so reich seien, sagte er.

Es ist noch nicht einmal die Hälfte meines Vermögens. Überdies, ich riskiere ja im Grunde nichts.

Gewiß nicht, erwiderte der Anwalt; ich würde das Geld vollständig sicherstellen können – zu einem sehr niedrigen Zinsfuß, wie ich bereits bemerkte. Aber ich sage zum voraus, daß Ihr großmütiges Anerbieten zurückgewiesen werden wird. Ich kenne unseren Freund. Er würde lieber von dem blutigsten Halsabschneider Geld borgen, als von Ihnen, vor dem er, wie ich weiß und durchaus begreife, den tiefsten Respekt hat. Denn, wie befreundet Sie immer sein mögen – Sie sind nicht sein Bruder, sein Vetter, nicht verwandt, nicht verschwägert mit ihm. Wenn Sie sagen könnten: du bist es unserer Familie schuldig – einen solchen Appell an die Familienehre, die er überaus hochhält, würde er schon eher verstehen. So wird sich gerade sein Stolz, seine Eitelkeit – denn Eitelkeit ist die ruling passion seiner Seele – verletzt fühlen; er wird Ihnen scheinbar überaus dankbar sein, sagen, daß Sie sein Retter sind, und – keinen Heller von Ihnen nehmen, solange er noch einen anderen Ausweg sieht oder zu sehen glaubt. Vielleicht, daß er zur Vernunft kommt, wenn seine letzte Hoffnung, die Eisenbahn, sich als illusorisch erweist, und ich fürchte – denn ich selbst bin, wenn auch aus anderen Gründen, der eifrigste Befürworter des Projekts – es wird das bereits in den allernächsten Tagen geschehen. Inzwischen versuchen Sie immerhin Ihr Heil – oder sein Heil, was richtiger wäre. Ich wiederhole aber: Sie werden mit dem bloßen Freundschaftstitel nicht reüssieren. Bertram stellte auf der Heimfahrt, zu welcher er den Freund von einem vorausbestimmten Orte abholte, diesen Versuch an. Die Prophezeiung des Anwalts ging buchstäblich in Erfüllung. Otto floß über von Dankesversicherungen für ein Anerbieten, das ganz im Geiste seines großmütigen Freundes sei, und das er – um der alten Freundschaft willen – unbedingt annehmen würde, wenn die Notwendigkeit vorläge. Das sei denn aber, Gott sei Dank, nicht der Fall.

Und nun kam das alte leidige Lied, das Bertram bereits auswendig kannte, und dem er doch jetzt nicht wie auf der Hinfahrt mit Widerwillen, sondern mit einer seltsam bangen Beklommenheit lauschte. Es war ja klar: der Freundschaftstitel genügte nicht; es mußte ein anderer sein, der ein Recht gab, zu fordern, um was er so vergeblich bat. Sollte er das Wort wagen, das ihm auf den Lippen zitterte und immer wieder feig zum bebenden Herzen zurückschlich? Feig? Nein! Feigheit, elende Feigheit wär's gewesen, hätte er es gesprochen; Feigheit, die sich die Tore einer Festung, welche dem Mute und der Tapferkeit unbezwinglich ist, mit schnödem Golde öffnen will; Feigheit – und Verrat an der Heiligkeit einer Liebe, die bis jetzt selbstlos gewesen und rein wie das Herz der Wasser. Wenn es so weit kam, wenn es galt, das geliebte Kind vor der gemeinen Sorge des Lebens zu schützen, die der schwache, verblendete Vater nicht mehr von dem teuren Haupte abzuwehren vermochte – nun, sie würde groß genug denken; sie würde die Hilfe, die Hand des Freundes, des Beschützers nicht zurückweisen. Aber wehe ihm, wenn diese Hand nicht makellos war! wenn auf diese Hand nur der Schatten des Verdachtes schnöder Selbstsucht fiel!

Und während sie so in den dunkeln Abend hinein heimwärts fuhren, hatte er den Blick aufwärts gerichtet zu den himmlischen Lichtern, die immer zahlreicher und glänzender aus dem Äther hervortraten; und er wiederholte sich andachtsvoll das hehre Wort des Dichters von den Sternen, deren Pracht der Mensch sich freuen solle, ohne ihrer zu begehren.


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