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XVII.
»Florian Geyer«.

Hole der Geier den Geyer! Nun will ich einmal einen Helden –
Siehe! da läßt mich der Held trotz meiner Mühen im Stich!

Es bedurfte keines Prophetenblickes, um vorauszusehen, daß Hauptmann nach den »Webern« früher oder später den Bauernkrieg als Stoff zu einem Drama wählen müsse. Noch viel fester stand: es werde der Versuch mißlingen, wenn er nach der in den »Webern« befolgten Methode in Angriff genommen würde. Hier wurde freilich die Hinfälligkeit der naturalistischen Gepflogenheit: ohne Helden und ohne eigentlich so zu nennende Handlung ein Drama aufbauen zu wollen, vor dem Auge der Unkundigen wenigstens, verdeckt durch eine Reihe dem Dichter äußerst günstiger Umstände. Das Thema, wie er es sich zurechtgelegt, war verhältnismäßig einfach: die durch rücksichtslos-ausbeuterische Fabrikanten hervorgerufene grenzenlose materielle Not und geistige Versumpfung einer, wie die Schafe in der Hürde, so in wenigen Gebirgsdörfern zusammengedrängten Arbeiterbevölkerung. Er brauchte nur Elend auf Elend zu häufen, um seiner Wirkung sicher zu sein auf ein Publikum, das, dem demokratischen Zug der Zeit folgend, sofort für die Mißhandelten Partei nahm und aus der Beobachtung, wenn nicht der identischen, so doch analoger Zustände sich ohne Schwierigkeit in ihre Lage versetzen konnte. Zur völligen Klärung der Situation war eine drastische Gegenüberstellung der 303 Gequälten und ihrer Peiniger unschwer zu bewirken. Ein letztes der aneinandergereihten Bilder, das die brutale Niederwerfung der endlich ausbrechenden Revolte zeigte, gab der Serie einen effektvollen Abschluß und den Anschein eines regelrechten Dramas.

Der Dichter, als er sich den Bauernkrieg zum dramatischen Vorwurf nahm, sah sich vor eine unendlich viel schwierigere Aufgabe gestellt. Auf die Verständnisinnigkeit des Publikums der »Weber« durfte er nicht rechnen. Der Stoff gehörte nicht der Zeitgeschichte an – er lag um fast vier Jahrhunderte zurück. Einfach war er gewiß nicht. Schon daß die Bauernrevolution nicht, wie die Episode der Weberrevolte, lokalisiert war, sondern sich über weite Gebiete Deutschlands verbreitete, in Franken und Thüringen zugleich aufflammte, war ein böses Kreuz für den Dichter, das noch schwer genug auf ihn drückte, wenn er sich auf ein Lokal beschränkte. Ich glaube, Thüringen wäre das bequemere gewesen. Er entschied sich für Franken, wo ihm ein ausgedehnteres Terrain dramatisch zu beherrschen blieb. Das beweisen schon die verschiedenen Ortsangaben, die in dem Stücke vorkommen. Das Vorspiel hat als Lokal das Schloß »Unserer Frauen Berg« bei Würzburg; der I. Akt bringt uns nach Würzburg selbst; der II. versetzt uns nach Rothenburg; der III. nach Schweinfurt; der IV. wieder nach Rothenburg; der V. nach Rimpar, das Schloß Wilhelms von Grumbach. Das ist eine Unbequemlichkeit; ein ernsthaftes Hindernis ist es nicht: in andern historischen Dramen wechselt das Lokal noch viel öfter, wird der Phantasie des Zuschauers nach dieser Seite viel Schwierigeres zugemutet. Sehr viel schlimmer steht es mit den Geschehnissen, die, weil für die Entschlüsse, das Handeln, das Schicksal der auftretenden Personen von eminenter Bedeutung, durchaus be 304rücksichtigt sein wollen, und doch so mannigfaltig, so verschiedenartig sind: eine Burgbelagerung hier, ein gewonnenes Treffen dort, eine verloren gegangene Schlacht an einer dritten Stelle, eine Bürgerbewegung im günstigen, oder ungünstigen Sinne an einer vierten – der Dichter kann nicht daran denken, sie uns in Wirklichkeit vorzuführen; er muß sie referieren lassen. Das nun ist ein dramatischer Notbehelf, der freilich kaum jemals völlig zu vermeiden sein wird, aber, wo er sich öfter und oft als unabweislich aufdrängt, das Drama unweigerlich aus den Fugen bringt.

Und doch sind das alles Kleinigkeiten im Verhältnis zu der Schwierigkeit, die sich riesengroß auftürmt, wenn der Dichter an die Klarlegung der Motive kommt, welche in der gewaltigen Bewegung die treibenden und ausschlaggebenden waren. Der Streit der Gelehrten soll ihn nicht kümmern. Er soll die ungeheure Not, in der sich die große Masse des Volkes auf dem platten Lande befand, als eine nicht anzuzweifelnde Thatsache und als das Hauptagens der Revolution nehmen. Nur daß die kirchlich-reformatorischen, antikatholischen Strebungen, der humanistische Aufschwung der Geister aus den Banden mittelalterlicher Scholastik sich überall mit den materiell-praktischen Tendenzen unlösbar verquicken, kann ihm nicht verborgen bleiben, und darf er deshalb nicht verschweigen. Aber wie dem Zuschauer das alles ad oculos demonstrieren? Durch handelnd auftretende Personen, da er doch ein anderes legitimes Mittel nicht hat? Ein ganzes, bis in seine tiefsten Tiefen aufgeregtes Volk in seinem berechtigten Handeln, seinen unverzeihlichen Ausschreitungen, seiner Vernunft, seinem Aberwitz, seinem Opfermut, seiner Erbärmlichkeit, seiner Tugend, seiner Schande so vorführen, daß ein übersichtliches, auch dem Laienauge faßliches Bild daraus wird? Auch dem ungelehrten Zuschauer, der die 305 Sache nur von Hörensagen kennt, klar wird, um was es sich handelt; wofür diese Menschen sich begeistern; wofür sie solche Leiden auf sich nehmen; weshalb sie ihre Mitmenschen mit solchen Leiden heimsuchen?

Das – übrigens bei der Berliner Aufführung weggelassene – »Vorspiel« macht den löblichen Versuch, uns in die tausend Schwierigkeiten der Frage einzuweihen. Ohne Erfolg. Bei dem Hin- und Widerreden der Ritter, in deren Kreise die Bauernartikel diskutiert werden, entgeht dem Zuhörer so manches. Überdies, wer sagt uns, daß die Behauptung der Majorität der Herren: die Forderungen der Bauern seien unsinnig und unannehmbar, aus der Luft gegriffen sei? Da hat der erste Akt der »Weber«, in welchem die hilflosen Arbeiter von ihren Arbeitgebern vor unsern Augen auf das schnödeste gehudelt werden, ganz andere Beweiskraft.

Eine weitere Schwierigkeit, die nebensächlich scheint, es aber keineswegs ist.

Die »Weber« sprechen ihren schlesischen Dialekt. Er befremdet anfangs den Nicht-Schlesier; aber das leisere Ohr gewöhnt sich bald daran; und der Zuhörer scheut die geringe Mühe nicht, weil er sich sagt: wir sind eben in Schlesien; und da der Dichter selbst ein Schlesier ist, wird es wohl mit der Sprache, die er seine Leute sprechen läßt, die wünschenswerte Richtigkeit haben.

Wie soll der Dichter eines Dramas aus dem Bauernkriege seine Menschen reden lassen? Selbst wenn sie eine einheitliche Sprache gesprochen hätten, er müßte sie uns vermitteln: die uns befremdlichen Redewendungen, die längst außer Kurs gesetzten Ausdrücke in uns geläufige, mindestens verständliche umwandeln. Da das Richtige zu treffen, erfordert eine nicht geringe Sprachgelehrsamkeit, ein ganz 306 besonderes Geschick, einen exquisiten Takt. Das Wahrscheinliche wird sein, daß er, je ernster er es mit seiner Arbeit meint, je tiefer er selbst sich in sein Material hineinstudiert hat, seinen Hörern zu viel zumutet, und durch die Häufung von Worten, die sie sich erst übersetzen müssen, nachdem sie den Sinn glücklich erraten, ihnen das Verständnis erschwert. Die Sprachgelehrten wird er darum doch nicht befriedigen. Sie werden trotz alledem über Vermischung der Dialekte, Anachronismen und worüber nicht noch klagen.

Daß unser Dichter, als er den Plan zu seiner Arbeit faßte, und während der langwierigen Vorstudien sich alle diese Hemmnisse einer glücklichen Lösung klar zu machen gesucht hat, wer möchte daran zweifeln? Er ist ein zu denkender, grübelnder Kopf, um das nicht zu thun; und leichtfertig ist er nun schon gar nicht. Aber andre vor ihm hatten bei anderen Stoffen mit nicht minder großen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt und sie glücklich überwunden. Der dreißigjährige Krieg, der Aufstand der Niederländer gegen die spanische Herrschaft, der Schweizer gegen Österreich sind auch keine Stoffe, die den Dichtern bequem lagen und doch der Mutterboden herrlicher dramatischer Früchte wurden. Freilich mit Hilfe jedesmal eines Helden, als des Krystallisationspunktes so diskrepanter Elemente. Und der Dichter sagte sich, daß, wenn schon ein andermal, diesmal es ohne einen Helden nicht gehe. Seine Wahl fiel auf Florian Geyer.

Es fragt sich, ob sie eine glückliche war. Florian Geyer von Geyersberg ist zweifellos eine der interessantesten Gestalten des Bauernkrieges und sicher die, welche unserm modernen Empfinden am nächsten steht. Ohne daß er, wie Hutten, ein Gelehrter gewesen wäre, hat er doch eine humanistische Ader. Die Vorurteile seines Standes beschränken 307 ihn nicht; dessen Prärogativen entsagt er. Er macht mit den Unterdrückten gemeinschaftliche Sache unter offenbarer Hintansetzung seiner weltlichen Interessen und Vorteile. Von den wüsten Grausamkeiten, mit denen hinüber und herüber gefrevelt wurde, ist er frei; die Scheußlichkeiten von Weinsberg, die Plünderung von Heilbronn hat er wohl nicht verhindern können. Er schlägt sich nicht nur mit großer Bravour, wo immer er in den Kampf gerät; er ist auch – wenigstens auf der Seite der Bauern – der einzige, der von der Kriegskunst etwas versteht und in seinen schwarzen Haufen Disciplin zu bringen weiß.

Das alles sind Qualitäten, die ihn uns liebenswürdig und verehrenswert machen; aber von da bis zum dramatischen Helden ist noch ein weiter Schritt; nun gar zu dem eines Dramas aus dem Bauernkriege! Florian Geyer ist kein Geistlicher, wie Thomas Münzer, oder Karlstadt; kein gemeiner Mann, wie Kohl, Metzler, Link. So steht er nicht von Haus aus in der Bewegung; er wirft sich erst in sie hinein; ist nicht erfüllt mit dem Pathos des religiösen Fanatikers, des bäuerlichen Kommunisten. Aber gerade das urwüchsige Pathos ist es, das den dramatischen Helden macht und ihm die Sympathie des Zuschauers erwirbt.

Nun ist längst nicht jede historische Person, die der Dichter nachträglich zu seinen dramatischen Zwecken verwandt hat, zu diesen Zwecken vorzüglich geeignet und muß sich, um es zu sein, oft sehr wesentliche Veränderungen gefallen lassen. Don Carlos, Egmont, Maria Stuart, Jeanne d'Arc haben ein anderes Aussehen in der Wirklichkeit der Geschichte, ein anderes im Drama; auch der Wallenstein in Schillers Relation des dreißigjährigen Krieges und der seiner Tragödie sind wesentlich verschiedene Gestalten. Aber noch niemand hat dem Dramatiker das Recht abgesprochen, sich 308 die historischen Menschen so zu modeln, wie er sie für seine poetischen Zwecke braucht. Niemand würde es Hauptmann verdacht haben, hätte er von dieser Freiheit den ausgiebigsten Gebrauch gemacht.

Er hat es nicht, oder doch in viel zu zaghafter Weise gethan. Warum? Die einen werden sagen: aus Mangel an Verständnis für das, was zum dramatischen Helden gehört; die andern: aus Doktrinarismus, aus Befangenheit in seinen naturalistischen Prinzipien. Vielleicht, daß er sich von beiden Seiten gehemmt fühlte. Dann aber wohl von der letzteren am stärksten. Die Überzeugung der Schule von der Allmacht des Milieu, von dem Unfug des Heroenkultus, dem zweifelhaften Wert selbst der representative men mochte ihm trotz des besten Willens, Florian zum Helden des Stückes zu machen, sein Concept immer wieder stören.

Wie dem auch sei: Florian Geyer ist unter seinen Händen kein dramatischer Held geworden, es müßte denn auch solche geben, die zu dem Ehrensitz nur mit Hilfe der Krücken »Wenn« und »Aber« gelangen. Er hätte sich zum Führer der Bewegung (und damit zum Helden des Dramas) aufschwingen können, wenn er dem Rat des »Schultheiß« gefolgt wäre und in Würzburg »den Kohl und den Wertheim, den Götz und den Henneberger hätte türmen und pflöcken lassen«. Die Katastrophe bei der Berennung des Würzburger Schlosses hätte nicht stattgefunden, wäre er zugegen gewesen; aber er hatte sich »zum Postenreiter machen und nach Rothenburg verschicken lassen« (s. S. 174). Da hatte denn das Unglück seinen Lauf.

Und so geht es durch das ganze Stück. Wo Florian hätte sein sollen, ist er kaum je. Und wenn er, wie im ersten Akt, zur rechten Zeit am rechten Ort ist, handelt er nicht, sondern hält Programmreden. Im zweiten Akt (S. 141) 309 zu Heilbronn »zum Fenster hinaus«. Programmreden mit den prächtigsten pragmatischen Maximen: »Das Reich muß reorganisiert werden. Von Franken aus muß es geschehen u. s. w.« Oder er wettert auf die schlimmen Gesellen ein, in deren Händen »die edelste Sache, die heiligste Sache u. s. w. gewest ist, wie ein Saustall« (Akt II, S. 193). Wenn wir ihn das Schwert ziehen sehen, ist es in der Kneipe gegen eben diese elenden Gesellen (Akt II, S. 193). Sonst hören wir nur von seinen Thaten und welch braver, tapferer, ritterlicher Mann er sei; und wie er alles in schönste Ordnung gebracht haben würde, wenn – jene abscheulichen Wenn und Aber nicht wären. Dafür, als die Nachricht von dem Würzburger Unglück in Rothenburg eintrifft (Akt II, S. 153), will er verzagen, »in die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben treten, Bibeln abschreiben und deutsche Bibeln herumtragen«. Kann er sich da wundern, wenn der verständige Schultheiß ihm zuruft: »Bruder, du haselierst!«? Und der Dichter, wenn wir ihm einen Haselanten nicht als Helden abnehmen mögen; sondern meinen: er hat uns eine Flasche vorgesetzt mit einer prächtigen Etikette, der aber der Inhalt keineswegs entspricht?

Aber, Held hin, Held her! »Die Weber« haben auch keinen. Weshalb sind sie trotzdem ein höchst wirksames Stück, und weshalb ist »Florian Geyer« keines?

Die Antwort habe ich in der Hauptsache bereits oben gegeben: das negative Resultat hat wesentlich seinen Grund in der Wucht und dem Reichtum des Stoffes, die durch Genrebilder, und wären sie noch so trefflich komponiert und mit dem sorgsamsten Fleiß ausgeführt, nicht zu erschöpfen sind, wie umgekehrt in den »Webern« die Vorführung immer derselben Not in kaum bemerkbaren Variationen mit der unwiderstehlichen Kraft einer Schraube wirkt. Vielleicht ist 310 es auch ein Übelstand und folglich ein Fehler, daß das Stück in einem Moment einsetzt, wo die revolutionäre Bewegung ihren Höhepunkt überschritten hat, im starken Niedergehen ist, ja, ihrem Ende entgegeneilt. Uns einer früheren glücklicheren Phase beiwohnen zu lassen, hätte freilich seine Schwierigkeit gehabt, da die halkyonischen Tage, wie die Weinsberger Affäre, durch entsetzliche Greuel befleckt waren; aber der Dichter durfte sich dieser Aufgabe nicht entziehen. Indem wir immer nur von der Uneinigkeit hören, die in der Bauernpartei herrscht; von den Niederlagen, die sie erleiden; von den Greueln, mit denen gegen sie gewütet wird; sie immer nur in Hader und Zwietracht sehen, entsteht ein falsches Bild des Ganzen; bekommen wir keine adäquate Vorstellung von der Wucht und Gewalt dieser furchtbarsten aller Revolutionen, welche die deutsche Geschichte kennt; und deren Repräsentanten die Handvoll elender, entwaffneter, um Gnade bettelnder, von den Rittern mit Hetzpeitschen traktierter Jammergestalten, die uns der letzte Akt vorführt, am allerwenigsten sind.

Trotzdem wirkt dieser Akt, obgleich vom poetischen Standpunkt gesehen, vielleicht der schwächste, auf der Bühne entschieden am besten, weil er der weitaus übersichtlichste, verständlichste ist. Auf Kosten freilich der historischen Wahrheit und des Helden, der »im freien Feld, auf grüner Heid'« ritterlich kämpfend fiel und nicht die Dummheit beging, seinem verräterischen Schwager ins Schloß zu laufen, um sich dort, wie ein von den Rüden verbellter Hirsch, vor den Augen der betrunkenen Edelleute von einem gemeinen Knecht abthun zu lassen. So schauderhaft aber auch die Vorgänge sind, es geht doch etwas vor; man weiß doch wo und wie, und tappt nicht im Dunkeln, was bei den langausgesponnenen Genrescenen der früheren Akte nur zu oft der leidige Fall 311 ist. Jenen Scenen, in denen die Leute endlose Reden führen, die, wie charakteristisch immer für das Zuständliche, die Handlung um keinen Schritt weiter führen. Und in der Fülle dieser Leute, die schließlich nur Staffage sind, drohen die paar Personen, welche man noch ungefähr aktiv nennen könnte, alle Augenblicke zu verschwinden. Selbst bei der Aufführung, wo sie doch leibhaftig vor uns umherwandeln. Wollte es mir doch im ersten Akte trotz aller Mühe längere Zeit nicht gelingen, Götz von Berlichingen (der überhaupt in dem Stücke erbärmlich wegkommt – fast noch erbärmlicher als Luther) aus der Masse der ihn Umgebenden, um ihn Herumwirrenden herauszufinden! Ich habe von sehr aufmerksamen Zuschauern ähnliche Klagen gehört.

Alles in allem: Florian Geyer ist ein Fehlschlag. Insofern ein Gewinn für die dichterische Sache, als es den Beweis liefert, daß es mit der naturalistischen Methode: die Idee ohne den tragenden Helden für sich selber sorgen zu lassen, während man alle Kraft und Kunst auf die Herausarbeitung des Milieu verwendet, wenigstens in dem Drama höheren Stils schlechterdings nicht geht.

In jeder andern Beziehung kann man nur innigstes Bedauern empfinden. Ein echter Dichtergenius, der sich mit ungeheurem Fleiße einer herrlichen Aufgabe widmet, in den Einzelheiten seines Werkes Bewunderungswürdiges leistet, um schließlich doch nur ein mißgestaltetes Ganzes hervorzubringen – das ist in meinen Augen ein tief tragisches Schauspiel.

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