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XV.
»Der Biberpelz«.

Ist es genug? – Nein, Meister! – So noch ein Fell und ein Fellchen!
Siehst du, mein Junge, vielleicht wird es zuletzt doch ein Pelz.

Den Mut seiner Meinung haben, gilt allerwege für ein gutes Ding, das nicht nur ehrenwert für die betreffende Person ist, sondern – worauf vielleicht noch mehr Gewicht zu legen – der Sache, um die es sich handelt, zu statten kommt. Das letztere allerdings in einem höheren Sinne, als dem der Partei, die – wäre sie sonst Partei? – Iliacos intra oder extra muros kämpft, auf deutsch: mit ihren individuellen Fehlern und Sünden behaftet ist, und der es daher leicht begegnen kann, daß sie gerade in der Person ihres Vorkämpfers: des meinungsmutigen Mannes, der sich am nachdrücklichsten zu ihrer Farbe bekennt und diese Farbe am deutlichsten affichiert, am schwersten getroffen wird. Das mag für die Partei sehr schmerzlich sein; aber dem Streitobjekt gereicht es zum Vorteil: jeder Kampf um seinen Besitz trägt zu seiner Klärung bei, erhöht seine Kostbarkeit, oder deckt seinen Minderwert auf. Und schließlich wird auch der meinungsmutige, aber diesmal nicht glückliche Vorkämpfer im Interesse seiner Partei gehandelt haben, die vielleicht gerade der verfehlte Angriff belehrt, daß es entweder auf diesem Wege überall nicht geht, oder sie doch den Weg mit größerer Vorsicht und Umsicht weiter schreiten muß, wenn er zu dem erwünschten Ziele führen soll.

288 Man mag gegen Gerhart Hauptmanns »Biberpelz« alles mögliche einzuwenden haben; daß der Verfasser nicht den Mut seiner Meinung gehabt, darf niemand behaupten. Seine Meinung aber ist, daß ein Drama – oder muß ich sagen: Theaterstück? – keinen erkennbaren Mittelpunkt zu haben braucht; daß es bei Aufführung eines solchen Gebäudes genügt, einen Stein an den andern zu reihen, ein Stockwerk auf das andere zu setzen, ohne sich um den Grundriß den Kopf zu zerbrechen, oder sich um die Fassade graue Haare wachsen zu lassen. Hat er es fertig gebracht, uns ein Lebensfragment vorzuführen, für welches er in jedem Punkte den Beweis der Naturwahrheit antreten kann, verschlägt es ihm nicht im mindesten, ob der Zuschauer den Zusammenhang des Fragments mit dem Ganzen des Menschengetriebes, seine Zugehörigkeit zu diesem Ganzen, seine Bedingtheit durch dieses Ganze herausfindet, oder nicht. Mag er zusehen, wie er mit der Aufgabe fertig wird! Sind sein Denkvermögen, seine Welt- und Menschen- und Gesellschaftskenntnis, seine Phantasie ihr nicht gewachsen – um so schlimmer für ihn!

Es sind das nebenbei dieselben Prinzipien, nach denen ein Maler bei seinen Naturstudien operiert. Ob dieser Weg hier, am Rande des Blattes, in einen Abgrund sich zu verlieren scheint, ob der Bach da infolge der wunderlichen Durchschneidung der Linien bergauf zu laufen scheint – diese und andere Kuriosa und scheinbaren Absurditäten, was kümmern sie den eifrigen Mann? Er ist zufrieden, wenn sein gieriges Auge jede Zufälligkeit des Vorwurfs mit seinem unentwirrbaren Zickzack der Linien, seinen sich einander anschreienden Farbentönen kraftvoll erfaßt, seine rapide Hand das alles auf die Leinwand gebracht hat. Mag ein anderer daraus nicht klug werden – er hat für 289 keinen anderen, er hat für sich gearbeitet. Es fällt ihm nicht ein, die Skizze, wie sie da ist, in einen kostbaranspruchsvollen Rahmen zu fassen und auf die Ausstellung zu schicken. Was er später dahin schickt, ist die Skizze, und ist sie auch wieder nicht: ein Etwas, das seine Herstammung weder verleugnet, noch verleugnen will, aber dem kostbaren Rahmen ein- und angepaßt wurde, so daß innerhalb dessen nichts Unverständliches, Unausgegorenes, Unausgetragenes zurückblieb, vielmehr alles – Linien und Farben – harmonisch ineinanderklingt; mit einem Worte, hervortritt, was man ein Kunstwerk nennt und nennen darf.

Gerhart Hauptmann kann diese Parallele nicht bis zu Ende gelten lassen. Er wird dafür halten, daß, was anderen Studie scheint, ihm das Kunstwerk und was jene Kunstwerk nennen, in seinen Augen nichts als die durch Künstelei verzwickte, durch Hineintragen von Willkürlichkeiten ballhornisierte, um Wert und Würde gebrachte erste und einzig wahre und bedeutsame Äußerung des künstlerischen Ingeniums.

Um diesen streitigen Punkt dreht sich, wenn man alles in allem nimmt, der Kampf der Alten und Jungen.

Nun hat es freilich Gerhart Hauptmann auch bei seinen früheren dramatischen Leistungen an dem Mut seiner Meinung nicht gebrochen. Aber mir will doch scheinen, als ob er in »Vor Sonnenaufgang«, dem »Friedensfest« und den »Einsamen Menschen«, trotz der neuerungsfreudigen Wahl widerhaarigster Stoffe, der gewissenhaften Akribie in der Darstellung peinlichster Situationen, der liebevollen Ausmalung von Personen, denen man im gewöhnlichen Leben möglichst weit aus dem Wege geht (und früher in der Kunst aus dem Wege ging), doch mit den alten dramatischen Herkömmlichkeiten gewissermaßen paktiert. Man kann hier 290 doch noch von einer mehr oder weniger geschlossenen Handlung mit ihrem Zubehör reden. Sehr wesentlich anders stellt sich die Sache bereits in den »Webern« und im »Kollegen Crampton«. Dennoch glaube ich mit Fug darauf hingewiesen zu haben, wie auch in den »Webern« die immanente Tendenz des Dramas nach harmonischer Gliederung und befriedigender Abrundung, ob mit, ob wider Willen des Verfassers, bis auf einen allerdings recht fühlbaren Bruch zu ihrem Rechte kommt. Wiederum macht »Kollege Crampton« die Konzession an das Hergebrachte, eine Person in den Vordergrund zu stellen und um diese eine Person die anderen so zu gruppieren, daß für den Zuschauer, trotzdem von einer Handlung im strengeren Sinn nicht die Rede ist, das wohlthuende Gefühl einer gewissen Einheitlichkeit und Zusammengehörigkeit der diversen ihm vorgeführten Scenen nicht völlig verloren geht.

Von dergleichen Anbequemungen und Zugeständnissen weiß »der Biberpelz« nichts, es müßte denn etwa der Titel selbst sein, der – ich will nicht sagen: sich den Anschein giebt, aber doch den Anschein hat, die Würde und Bedeutung eines gewissen zerbrochenen Kruges zu arrogieren, was dem Dichter sicher nicht im Traume beigekommen ist, der zweifellos sein Stück ebensogern »Zwei Meter Holz«, oder »der Rehbock« und vielleicht am liebsten gar nicht benannt hätte außer mit dem jetzigen Zusatztitel: »Eine Diebskomödie« – das letztere freilich auch mit der reservatio mentalis, daß er sich unter Komödie das Seine denken darf, und es nur mit den Dieben seine zweifellose, jeder Weise der Auffassung genehme Richtigkeit hat.

Ebenso wie mit dem »Ort des Geschehens irgendwo um Berlin« – eine Notiz, die im Grunde recht überflüssig ist, da Rixdorf und die Spree wiederholt in dem 291 Stücke erwähnt werden, während unerfindlich bleibt, was der »Septennatskampf«, welcher als »Zeit« der Vorgänge ausdrücklich genannt wird, mit diesen zu schaffen hat. Wenn es sich um die schlesischen Weberunruhen handelte! – da hat der direkte Hinweis auf die vierziger Jahre seine historische Berechtigung. Aber hier! Das moralische und ökonomische Milieu, in welchem sich die Menschen des Stückes bewegen, ist vor und nach dem Septennat so genau dasselbe gewesen, wie ein Biberpelz vor und nachher ein Biberpelz war; und wird so bleiben, bis die Sonne der Socialdemokratie nicht bloß aufgegangen ist, sondern Zeit gehabt hat, den feudalmanchesterlich-kapitalistischen Sumpf unsrer heutigen Zustände bis auf den Grund auszutrocknen und jedem verkommenen Rixdorfer ein Sonntagshuhn in den Topf zu schaffen, ohne daß er es zu mausen braucht.

Aber vermutlich haben dem Dichter dergleichen nationalökonomische Erwägungen ganz fern gelegen, und das Septennat, als Zeitbestimmung, ist weiter nichts als eine – man verzeihe das Wort! – Schrulle der modernen Schule, die nun einmal von dem »Milieu« alles Heil erwartet und eine Sünde gegen dessen heiligen Geist begangen zu haben glaubt, wenn sie anzugeben vergißt, daß der »mit der Lehne an das Bett gestellte Stuhl« – wie in der Anordnung der Scenerie des ersten Aktes unsers Stückes ausdrücklich bemerkt wird – »aus weichem Holz« ist Möglich, daß dies nur eine provinzielle Bezeichnung für Tannenholz, oder dergl. Die Übertreibung der Genauigkeit in Angabe ganz irrelevanter Nebendinge bleibt dieselbe. Ich rechne zu solchen auch die »billigen Photographien in noch billigeren Rahmen« und die »Öldruckköpfe in Visitenkartenformat«, welche – nach Angabe des Dichters – in dem »zweiten Raum« hängen, wo sie zu entdecken auch dem schärfsten Opernglase unmöglich sein dürfte. – A. d. V..

Dafür ist denn freilich dieselbe wissenschaftliche Achtung 292 vor dem scheinbar Kleinsten und Unbedeutendsten auch da zu spüren, wo sie am Platze: in der mikroskopischen Beobachtung und Herausarbeitung der Charaktere. Hier darf und muß man dem Dichter ein volles Lob spenden und bekennen, daß er der Theorie seiner Schule: der Natur so nahe wie möglich auf den Leib zu rücken, eine in ihrer kühnen Konsequenz verblüffende praktische Folge gegeben hat. Näher geht es eben nicht. Die vergriffene Wendung: »aus dem Spiegel gestohlen« kommt einem unwillkürlich in die Feder. Die Menschen, um die es sich handelt, stehen auf der gesellschaftlichen Stufenleiter recht tief und auf der geistigen nicht höher, aber es sind volle, runde, ganze Menschen, charakteristisch in jeder Einzelheit ihres Thuns und Lassens, jeder Regung ihres Gemüts, jeder Wendung ihrer Rede. Ich müßte, das zu erhärten, das ganze Stück Akt für Akt, Scene für Scene durchgehen; ich müßte das ganze Buch ausschreiben. Nur bei der Figur des Amtsvorstehers könnte einen nach dieser Seite ein leiser Zweifel beschleichen. Indessen, wie ungeheuer borniert der Mann auch erscheint, der Beweis, daß es weder zur »Zeit des Septennatskampfes«, noch vorher, oder nachher seinesgleichen nicht gegeben habe, möchte schwer zu erbringen sein. Mit einem Worte: diese kleine Diebswelt uns in greifbarer Wahrheit vorzuführen, ist dem Dichter aufs herrlichste gelungen, und so hat er den ersten Teil seines Versprechens voll eingelöst. Wie aber steht es mit dem zweiten? Wie steht es mit der verheißenen Komödie?

Daß in dem Stück eine reiche Fülle komödienhafter Ingredienzien steckt, ist auf den ersten Blick klar. In den Scenen, in welchen der polizeilichen und amtsvorsteherlichen Weisheit von den schlauen Dieben die längsten Nasen gedreht werden, sonnt sich behaglich der köstlichste Humor, 293 von welchem auf die beiden Figuren der »Wolffen« und des »Amtsvorstehers« der Löwenanteil in so gleichem Maße fällt, daß man nicht weiß, wem der Preis gebührt. Jede ist in ihrer Weise unübertrefflich; aber auch alle andern – mit Ausnahme etwa des »Doktor Fleischer«, der vom Dichter ein wenig stiefväterlich bedacht ist – sind Gestalten, wie sie nur der echte Komödiengenius erfinden und bilden kann. Und über dem ganzen Stück blaut der reinste heiterste Komödienhimmel. Es sind ja recht böse Streiche, welche »die Wolffen« da vor unsern sehenden Augen plant und ausführt; aber wer kann dem verschmitzten, schlagfertigen Weibe böse sein? Wer ihr nicht aufs Wort glauben, wenn sie versichert, es werde ihr nie in den Sinn kommen, arme Leute zu bestehlen, sondern nur die, die es übrig haben und deren Eigentum in ihren Augen eben wieder Diebstahl ist? Daß das Ding auch seine sehr ernste Seite hat, zu der Betrachtung läßt uns der Dichter in seinem Übermut gar nicht kommen.

Und gerade hier, wo er den Gipfel komödienhafter Heiterkeit erstiegen zu haben scheint, glaube ich, daß er gestrauchelt ist; gerade dieser sein Übermut, deucht mir, hat es zu verantworten, wenn sein in so vieler Beziehung ausgezeichnetes, mit so reichen komödienhaften Requisiten erfülltes Stück doch keine echte und rechte Komödie geworden ist, und das Publikum das herausgefunden und mit seinem Beifall gekargt hat, blieb ihm auch, wie das so zu sein pflegt, der tiefere Grund seines Mißfallens und Unbefriedigtseins verborgen. Das Publikum hat gewiß nicht, um den Wert des Werkes zu bestimmen, es an dem Maßstab von Aristophanes' »Vögeln« gemessen; aber es hat das instinktive Gefühl gehabt, daß es mit einer Aneinanderreihung drolliger und ergötzlicher Scenen, mit dem Vorführen diverser aufs schärfste beobachteter komischer Charaktere nicht gethan sei, 294 vielmehr dies vorgeführte Fragment in das Ganze des Menschengetriebes irgendwie eingeordnet sein müsse, wenn es das volle ästhetische Wohlgefallen hervorrufen soll. Man möge sich wohl hüten, dies Gefühl, wie dunkel es auch sei, mit dem philiströsen Wunsch nach einem fabula docet, oder auch nur der banalen Neugier, ob sie sich kriegen, in unserm Falle: ob sie (die Wolffen) nicht doch endlich gekriegt wird, zu verwechseln! Die Sache liegt viel tiefer; liegt da, wo die Mütter hausen, aus deren geheimnisvollem Schoße die Kunst geboren wurde, und die sich nicht spotten lassen, wenn man ihnen auch noch so keck ihre Fürchterlichkeit abspricht und sie für lächerliche Scheuchen erklärt, welche nur junge lebensfreudige Vögel von dem Genuß der süßen Kirschen wahrhaftiger Poesie abhalten wollen.

Ich schreibe diese Sätze nieder auf die Gefahr hin, daß sie von einer Reihe derer, die ich mir gerade zu Lesern wünsche, für ödes Phrasengeklingel erklärt werden. Die Gefahr läuft jeder, der zu überhitzten Gemütern ruhig spricht, und sie ist heute bei weitem nicht mehr so groß als vor einiger Zeit, die ich nicht bemessen will und kann. Immerhin ist inzwischen eine Beruhigung der Geister eingetreten; man hat auf seiten der Konservativen die Verdienste, welche sich die Neuerer um die gemeinschaftliche Sache erworben haben, schätzen gelernt, in erster Linie die von ihnen bewirkte Erweiterung des Stoffgebietes in jeder Kunstsphäre und die durch ihr Drängen und ihr Beispiel bereicherte Technik. Wiederum haben diese Zeit gehabt, die Trümpfe auszuspielen, die sie für ihre besten hielten, und zu ihrer Verwunderung erfahren müssen, daß deren vorausgesetzte Stechkraft versagte und das Spiel verloren ging. Gerhart Hauptmanns, ihres radikalsten dramatischen Vorkämpfers »Biberpelz« ist ein schlagender Beweis dafür. Wieviel ist 295 an dem Stücke nicht zu loben! Wie schön zeigt sich an ihm seines Autors intime Menschenkenntnis, die in Herz und Nieren dringt; innige Nächstenliebe, die den Ärmsten im Vermögen und Elendesten im Geist noch wohl will; köstlicher Humor, der in der verschlagenen Diebin das Herz entdeckt, welches bei dem Anblick unschuldsvoller Kindheit sich weit öffnet! Und daß man einem solchen Werke doch den ersten Preis nicht zuerkennen kann!

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