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XII.
Ludwig Fuldas »Der Talisman«.

Kleiderlos, kopflos rast durch das Stück dieser närrische König,
Und ihn umjubelt das Volk! – Das nenn ich mir loyal!

Daß man mit dem neuen Kurs des phantastisch-satirischen Dramas, in welchen unter uns wohl Wildenbruch zuerst mit seinem »Das heilige Lachen« energisch eingelenkt ist, nicht sobald zu »Wolken« und »Vögeln« gelangen werde, darüber mache ich mir keine Illusionen. Die Aristophanes sind zu allen Zeiten verzweifelt dünn gesät, und was hülfe es uns, wenn einer unter uns erstände? Die heilige Hermandad und die Staatsanwaltschaft würden sine ira – die ihnen fern liegt, – aber mit desto größerem studio – welches ihre Pflicht ist – dafür sorgen, daß das Bäumchen nicht in den Himmel jener Poesie wachse, die sich ihrer Souveränetät bewußt ist und von ihr unumschränkten Gebrauch macht.

Aber ich meine, es ließe sich auf diesem Wege manches erreichen und vermeiden, das auf dem landläufigen unerreichbar und unvermeidlich zu sein scheint. Erreichen unter anderm, daß die Phantasie – auf die ich große Stücke halte – einmal wieder, wie die gefangene Jungfrau von Orleans, die Centnerfesseln brechen könne, mit der ihre zarten Glieder jetzt belastet sind; und der Dichter mit Hilfe und unter dem Schutz der entfesselten Phantasie eine Menge satirischer Pfeile abschießen dürfe, die der Prosaist wohlweislich in 264 seinem Köcher behält, weil er sie freilich nicht abschießen kann, ohne daß schwarzes Blut fließt, während die Wunden, die jener schlägt, nur von hellem Ichor tropfen. Vermeiden unter anderm, daß unsre, durch die ewige Wiederholung ermüdeten Lustspielmotive nicht vollends zu Tode gehetzt und die Masken des kommerzienrätlichen Geldprotzen, des offizierlichen Schwerenöters, des verbummelten Künstlers, des litterarischen Habenichts und Weißalles, der blaustrümpfigen, aber heiratslustigen Tante, der naiven, aber verliebten Tochter oder Nichte nicht noch stereotyper und insipider werden, als die Pierrots und Colombinen der italienischen Volkskomödie. Oder gar, wie sie es nur zu gern thun, den Platz jenen fraglichen Gestalten räumen, welche unter dem Vorwand, Possen zu treiben, so freche Angriffe auf unsere Lachmuskeln machen, daß wir es tausendmal lieber mit klappernden Lemuren zu thun hätten.

Und sicher wäre bereits Wildenbruch auf dem mit so viel Einsicht, Mut und Talent von ihm betretenen Wege ein gut Teil weiter gekommen, hätte er seine Dichtung in der Märchenregion frei schwebend gehalten, anstatt sie in der Gestalt des Pessimus zu der Wirklichkeit des Tages herabzuzwingen. Ich vermute, er hat damit das Publikum unterschätzt. Es hätte seine Meinung sehr wohl verstanden, wäre der Pessimus in der Sphäre des Phantastischen geblieben, wie der auch darin klügere Optimus; so fühlte es die Absicht zu deutlich und ward verstimmt. Im Leben und in der Kunst hängt eben die Wirkung dessen, was man sagt, so innig von der Weise ab, in der man es sagt.

Ich möchte glauben, daß Ludwig Fulda, als er an die Dichtung seines »Talisman« ging, in seinem Nachdenken über das Thema und die Form, in die er es bringen wollte, zu denselben Resultaten gekommen ist. Jeden 265falls ist er der Gefahr, die auf dem Wege lag, und die sein Vorgänger nicht zu vermeiden wußte, glücklich ausgebogen, wobei dann freilich nicht verschwiegen werden soll, daß ihm, die Stimme der Mutter der Weisheit zu hören, leichter war, als jenem. Für den Dichter des »Heiligen Lachens« lag die Versuchung zu nahe, die Schlacht, die er dem alle Welt beleckenden Pessimismus bot, auf ein Gebiet hinüberzuspielen, das ihm besonders teuer war, und in welchem nur leider Leute wohnen, die für das: »Steh auf, damit ich mich setze!« seltsam taube Ohren haben, auch wenn es ihnen mit nicht mißzuverstehender Deutlichkeit zugerufen wird.

Ludwig Fulda mußte sein Thema so behandeln, wie er es behandelt hat: völlig märchenhaft und phantastisch, oder es als ein Noli me tangere beiseite liegen lassen.

Und hier möchte ich mir die Bemerkung verstatten: ich wünschte, er wäre in der Anwendung und Entfaltung des Märchenhaften und Phantastischen weniger bescheiden oder zaghaft gewesen. Ich wünschte, es wäre noch etwas bunter, meinetwegen toller hergegangen in der Weise, welche der Hofkoch mit seinen vier Unterköchen im 2. Auftritt des 1. Aktes so köstlich intoniert. Nicht, als ob es sonst an übermütigen Schwänken fehlte und zum Beispiel in der prächtigen Gestalt des alten Korbflechters ein dankbares, nicht ganz neues Motiv auf die wirksamste und ergötzlichste Weise variiert wäre – der Leser weiß, was ich meine, und der Dichter versteht mich sicher. Aber er dürfte mir – und am Ende mit Recht – jenes Lessingsche Wort entgegnen, »daß, Gold auf Gold zu brodieren, einen schlechten Geschmack verrate«, und er nur das Gold seines Märchenthemas in das rechte Licht zu setzen brauchte, um der Mühe nach der von mir angedeuteten Seite überhoben zu sein.

266 Seines alten, uralten Märchenthemas.

Ich will hier nicht mit fremder Gelehrsamkeit prunken und den Leser mit der Geschichte der Metamorphosen behelligen, welche das Thema durchgemacht hat, bis es von seiner indischen Heimat in Ludwig Fuldas Hände gelangte. Es ist ihm ergangen, wie jenem weltberühmten von den drei Ringen, auch insofern, als es das Glück hatte, auf seiner langen Wanderschaft endlich zu einem zu kommen, der den Wert des Kleinods voll zu schätzen wußte und die meisterliche Kunst besaß, ihm eine seines Wertes würdige Fassung zu geben. Dieser Ruhm wird Ludwig Fulda bleiben, und er ist wahrlich kein geringer.

Denn von jenen Variationen des Stoffes abgesehen, die auf ein Schelmenstück hinauslaufen, das, so oder so, von pfiffigen Gesellen an anmaßlichen Leuten verübt wird, – worauf es schließlich auch bei Andersen hinausläuft, – bleibt auch die, wenigstens soweit mir bekannt, geistreichste an psychologischer Vertiefung weit hinter Fuldas Auffassung zurück. Ich meine jene, in welcher der König die Stelle, daß uns der Herr vor Hochmut bewahren möge, aus dem Gebote ausstreicht und dafür die himmlische Strafe erleidet, indem ihm, während er im Bade ist, ein Engel die Kleider wegnimmt und sich in ihnen auf den Thron setzt, vor dem dann der König angesichts seines Hofgesindes sich nackt prostituieren muß. Sie hat von allen am meisten Ähnlichkeit mit Fuldas Version, aber verhält sich zu ihr doch nur wie eine Skizze zu einem ausgeführten, farbenprächtigen, stimmungs- und gedankenvollen Gemälde. Fulda, als der erste, hat den Geist und den Mut gehabt, den König zu nehmen als das, wofür er durch den Märchenstoff prädestiniert war, und als was ihn das moderne Bewußtsein zu sehen verlangt: als das lebensgroße und lebensgetreue Bild des Despotismus, 267 der sich aufgeklärt, ja allsehend dünkt, und doch nichts weiter als starblind ist. Nur daß er, – was ich ihm zu weiterem Verdienste anrechne –, den gewöhnlichen Verlauf des Prozesses umkehrend, den königlichen Thoren nicht mit knabenhaften Anmaßlichkeiten beginnen und im Cäsarenwahnwitz enden, sondern mit dem Wahnwitz einsetzen läßt, um ihn durch die Kraft des Talismans ad absurdum und zur Reue, Buße und hoffentlichen Besserung zu führen.

Es liegt auf der Hand, daß ein so komplizierter Vorwurf nicht zu erledigen war, ohne die verschiedensten Entwickelungsphasen durchgemacht zu haben und, um diese Phasen klar zu differenzieren und dramatisch auszugestalten, es eines ganzen Künstlers bedurfte.

Als solcher hat sich der Dichter des »Talismans« bewährt.

Mit welcher Feinheit weiß er uns bereits in der Exposition auf seinen Helden vorzubereiten, dem die Schmeichler eingeredet haben:

Man sehe nachts auf seinem heiligen Haupte
Ganz deutlich einen hellen Glorienschein,

und der den Treuesten der Treuen, wie der wutschäumende Lear seinen ehrlichen Kent, in Verbannung schickt, weil er die Offenherzigkeit hat, zu sagen, daß er von dem famosen Schein nichts sehe! Da überrascht es uns denn nicht, wenn in der Scene mit der schönen Maddalena der girrende Täuber im Handumdrehen sich in einen Geier verwandelt, der die Beute, die ihm zu entfliehen droht, mit grimmigen Fängen und wütendem Schnabel zerfleischt; ein andermal den braven Diener, der sich mannhaft seiner Tochter annimmt, ohne Besinnen zum Bettler erniedrigt.

Dann ist es wieder ein vortrefflicher Zug, daß der Dichter den Tausendkünstler Omar in diesem Augenblick 268 erscheinen läßt, wo den Tyrannen denn doch angesichts seiner Frevelthat ein gewisses Gefühl des Bangens ob seiner Gottähnlichkeit angewandelt hat:

Mich täuschte niemand; ward ich doch betrogen,
So ward ich's, weil ich selbst den Trug gewollt.
Und doch – und doch – wer mir ein Mittel kündet,
Wie man der Herzen tiefsten Schacht ergründet –

Das wäre ein in der verblendeten Seele unmöglicher Widerspruch, der so durch das eben Geschehene auf die feinste Weise gelöst wird. Hier ist auch ein anderes zu beobachten, weil es die endliche Demütigung des Königs vor Maddalena vorausahnen läßt: daß er dem Zauberer sicher sein Ohr nicht so willig geliehen hätte, hoffte er nicht, es werde sich nun die Anbetung seines Volkes um so herrlicher offenbaren, auch vor den Augen der, welche es gewagt hatte, ihn zu verschmähen:

O süße Rache, wenn der Haß der Einen
In diesem Meer von Liebe scheitern muß.

Nun durchzieht die emporgeschleuderte Rakete des Wahnwitzes ihre unheimliche Bahn, bis sie, auf ihrer höchsten Höhe angelangt, vor dem Hauch eines Kindermundes zerplatzt. In dem Steigen der wahnwitzigen Rakete ist eine, ich möchte sagen: mathematische Folgerichtigkeit, die uns Bewunderung abnötigt. Er, der sich für allwissend hält, der sich vermißt, zu sagen:

Dann zeige mir zuvorderst einen Blinden,
Den ich, der Fürst, jemals für sehend hielt,

sieht sich vor die Alternative gestellt, die sich in sich selbst aufhebt:

Wenn jene nichts gesehn, dann bin ich blind,
Und sahen sie ein Kleid, dann bin ichs wieder; –

Und vor die andere, wo möglich noch schlimmere: dumm oder schlecht zu sein, und in der er sich, da sie sich 269 nicht aufhebt, mit Tyrannenlogik für das letztere dahin entscheidet:

                                            Das zieh ich vor;
Ja, meine Schlechtheit steigert meine Größe.

Vielleicht, daß die Peripetie seiner Wahnvorstellungen zur endlichen besseren Einsicht, wie trefflich sie auch durch die Geschehnisse motiviert ist, und welch mächtigen Vorschub ihr Omars gewaltige Bußpredigt leistet, aus dem Munde des Königs selbst noch eine tiefere Erklärung und ebenso sein Entschluß zur Umkehr einen beredteren Ausdruck hätte finden können. Indessen das soll kein Tadel für den Dichter sein. Er darf verlangen, daß, wenn er seine Prämissen richtig gestellt hat, sich der verständige Zuhörer die Konsequenzen selber ziehe. Und sollte er die Spitze seines Weihnachtsbaumes so hell erleuchten, wie bliebe ihm die Zeit, die vielen Lichter anzuzünden, mit denen er ihn von unten her bis in die obersten Zweige hinauf geschmückt hat?

Ja, es ist ein schmuckhafter Baum, Ludwig Fuldas Talisman, und an dem jeder seine helle Freude haben muß, dem der Ritt in das alte romantische Land nicht ein Sport scheint, welchen sich nur noch Knaben verstatten dürfen. Wie liebenswürdig sind die Scenen, in denen der alte gemütliche Korbflechter und sein herziges Kind die Oberstimmen haben! Wie scheinbar nur drollig und im Grunde wie fürchterlich wahr und getränkt mit bitterster Satire die, in welchen sich das Hofgeschmeiß vor dem Kleidergestell, an dem nichts zu sehen ist, prostituiert – einer wie der andere ein betrogener Betrüger! Zu welcher sittlichen Größe ist die Gestalt des Omar gesteigert, dem das alte Märchen nur die Rolle des pfiffigen Schelmen zuteilt! Wie voll dramatisch-schwunghaften Lebens die Konfrontation des einzig wahrhaft Blinden mit seinem Volke, dem ein Kind den Mut eingeflößt 270 hat, von der Gottesgabe, zu sehen, »was ist«, den entsprechenden Gebrauch zu machen!

Und wie hat der Dichter es verstanden, uns in die Märchenstimmung, die auch das Absurdeste gläubig hinnimmt, zu erhalten! Ich habe nicht gesehen, daß auch nur einer unter den Zuschauern gelächelt hätte, als die doch gewiß lächerliche Figur des Königs in Unterkleidern unter dem seidenen Baldachin pomphaft dahergeschritten kam; und kein Mund verzog sich bei dem doch recht drastischen Wort, mit dem die kleine tapfere Rita den mystischen Schleier zerreißt. Das waren gefährliche Klippen und Schlünde, über die uns nur der Hippogryph im Schwunge wegträgt.

Aber freilich der Sinn in all dem scheinbaren Unsinn war so klar, daß die politischste aller politischen Komödien ihn nicht schärfer, greifbarer hätte herausstellen können. Und es ist sehr die Frage, ob sie es hätte wagen dürfen Leuten gegenüber, welche die leidige Gewohnheit haben, aus dienstlichem Übereifer alles, hätte es auch ganz offenbar eine völlig allgemeine, hic et ubique und zu allen Zeiten geltende Wahrheit, auf sich, respektive die aktuellen Verhältnisse zu beziehen, in denen sie zufälligerweise leben.

Deshalb mein caeterum censeo: es ist erfreulich für das Publikum und ersprießlich für die deutsche dramatische Dichtung, speciell für das Lustspiel, daß zur Abwechslung von Zeit zu Zeit dramatische Märchen geschrieben werden in wohllautenden, schwunghaften Versen, welche unsre Sprache wieder zu der gebührenden Ehre bringen.

Besonders von solchen geschrieben werden, denen man nicht nachsagen kann, daß sie den Leuten nicht zu genügen vermögen, welche ein für allemal zum Ziele einer deutschen Schaubühne, wie sie die Gegenwart verlangt, auf einem andern Wege gelangen wollen. Der Dichter vom »Ver 271lorenen Paradies« und der »Sklavin« braucht den Vorwurf nicht zu fürchten, er thue das eine, weil er das andere nicht könne, und suche im Märchenwalde süße, phantastische Erdbeeren, weil ihm die Trauben am realistischen Spalier zu hoch hängen.

Seien wir doch froh, daß es unter uns noch Söhne Apolls giebt, welche zwei Sehnen an ihrem Bogen haben!

Die Hauptsache ist und bleibt, daß der gefiederte Pfeil ins Centrum trifft.

Und ich war immer der Meinung, ein Kernschuß ist ein Kernschuß, mag er nun das Centrum einer realistischen oder einer idealistischen Scheibe getroffen haben.

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