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XIII.
Byrons »Kain«.

Frei übertragen und für die Bühne eingerichtet von Adolph L'Arronge. (Aufgeführt auf dem Deutschen Theater.)

»Muß ich nicht sterben?« – Es bringt den stolzen Titanen zum rasen:
Weil ihm die Gottheit nicht ward, möcht' er zertrümmern die Welt.

Du gleichst dem Geist, den du begreifst, nicht mir.« Dies »Donnerwort«, das der Goethesche Erdgeist dem Beschwörer Faust entgegenschleudert, liegt als bleischwere Decke auf allen sogenannten oder so zu nennenden Mysterien, sie mögen nun einen Titel führen, welchen sie wollen: Göttliche Komödie, Verlorenes Paradies, Messiade, Kain, Himmel und Erde. Ich nehme von diesem Verhängnis jene aus, die aus dem Schoße der Kirche selbst hervorgingen, und, in welch ernsthaften oder humoristischen Exkursen sie sich auch gefielen, im Grunde nichts waren und sein wollten als Periphrasen des göttlichen Wortes. Aber auf den andern lastet der Fluch, mit saurem Schweiß sagen zu sollen, was sie nicht wissen und – nicht wissen können. Immer der qualvoll-aussichtslose Kampf des Schmetterlings gegen die Nadel, das verzweifelte Suchen nach einer vierten Dimension, die krampfhafte Anstrengung, Geisterstimmen ertönen zu lassen, die, wenn man recht hinhört, doch nur Menschenstimmen sind, menschliche Gedanken und Empfindungen in wenn auch noch so phantastische, noch so aufge 273bauschte Menschenworte kleidend. Es ist und bleibt der Versuch, den Zirkel zu quadrieren.

Wer sich am besten von den großen Dichtern mit der unlösbaren Aufgabe abgefunden, ist der größte und klügste unter ihnen: Goethe. Er hütet sich, den Mund übervoll zu nehmen; er verspricht nicht mehr, als er zu halten vermag. »Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,« sagt Mephisto zum Herrn, von dem er überzeugt ist, daß ihn »sein Pathos gewiß zum Lachen brächte«. Natürlich! denn: »Von Sonn' und Welten weiß ich nichts zu sagen. Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen.« Das ist es. Der kluge Dichter spielt den Kampf hinüber auf das Terrain, wo er seiner Sache sicher ist und besser Bescheid weiß als irgend einer der oberen und unteren Götter: auf die Erde, aus der seine Freuden quillen und deren Sonne seine Leiden scheint. Das spukhafte Brimborium der Hexenküche u. s. w. zeugt nicht vom Gegenteil: es ist durchsichtige Allegorie oder augenscheinliches poetisch-dramatisches Vehikel; die einzige Stimme aus dem Geisterreich, die ernsthaft genommen sein will, die des Erdgeistes, verstummt alsobald wieder; die Pforte, die sich so für einmal aufgethan, schließt sich für allemal hinter dem »schrecklichen Gesicht.« Und Mephisto – nun er, der es gar hübsch von dem lieben Gott findet, so menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen, er wird nicht so geschmacklos sein, mit dem Menschen teuflisch reden zu wollen. Er denkt nicht daran; er ist »ein Kavalier wie andere Kavaliere«; seine Zauberkunststücke sind ihm durch die Sage vorgeschrieben und erheben sich meistens nicht über das Niveau der landläufigen Schnellsingerei. Seinem Schüler aber die Offenbarung transcendentaler Geheimnisse zu verheißen, verbietet ihm die angewohnte Bescheidenheit, die sich nur ein einziges Mal zu dem Worte versteigt, daß er zwar 274 nicht allwissend, ihm aber viel bewußt sei. Und welcher Professor, der auch nicht einen Tropfen Teufelsblut in den Adern hat, würde ihm das nicht, ohne mit den Wimpern zu zucken, nachsprechen? Von dem aber, was ihm bewußt, was bekommt Faust, bekommen wir zu hören? Nichts, schlechterdings nichts, als was der Dichter und Brausekopf Wolfgang Goethe, wenn er wieder einmal über den Strang geschlagen hatte, oder schlagen wollte, von seinem alter ego, dem klaren, klugen, skeptischen Johann Goethe, späteren Wirklichen Geheimrat, Excellenz, allezeit zu hören bekam: daß man am Ende bleibe, was man sei; das Beste, was man wisse, den Buben doch nicht sagen dürfe und andere goldene Wahrheiten, die ein besorgter väterlicher Polonius getrost seinem in die Fremde ziehenden Laertes ins Stammbuch schreiben kann.

Und gerade so, gerade durch diese weise Mäßigung, diesen Respekt vor der bleischweren Decke, die der Mensch nicht heben, an der er sich nur den Schädel einrennen kann, ist der Faust geworden, was er ist: kein Myster, sondern die weltliche Bibel, in der für alles, was durch das Hirn des Menschen zuckt oder durch das Labyrinth der Brust in der Nacht wandelt, der rechte Spruch an der rechten Stelle sich findet.

Wer wäre von dieser weltumfassenden Weisheit ferner gewesen als der Dichter des Kain? Er, der die Welt nur zwischen den Scheuklappen seiner verhärteten Selbstvergötterung sah? Der, als Dichter, nichts schaffen konnte, auf das nicht Zolas sonst nach allen Seiten zu verklausulierende Erklärung eines Kunstwerkes buchstäblich paßte? Welches Temperament freilich, dies! Das des Wassersturzes, der von Fels zu Fels braust, begierig nach dem Abgrund wütend! Seine epischen Gedichte: Mazeppa, der Giaur und 275 wie sie heißen; seine Dramen: Sardanapal, Manfred und die andern – sind sie nicht alle solche abgrundwütigen Wasserstürze? Und der Don Juan gar! Der freilich besser einem Meere gleicht, das toll geworden ist, weil seine übermütigen Flutwellen überall an felsenstirnigen Ufern zerschellen und zerschäumen und, weil ihre donnernden Klagen machtlos verhallen, in gellendem Hohngelächter durcheinander kreischen!

Byron schrieb den Kain während seines Aufenthalts in Ravenna (1820-22) ebenso wie fast in ganze Serie seiner anderen Dramen: Marino Falieri, Sardanapal, die beiden Foscari, Himmel und Erde, einen Teil wenigstens von Werner und dem Umgestalteten Mißgestalteten – alles, wie sich schon aus der sich überstürzenden Hast schließen läßt, Variationen über das eine Thema seines individuellen Schmerzgefühls, das sein Stolz zu einem Weltschmerz anschwellen möchte; und für dessen Ausdruck er doch auf der Dichterharfe nur die eine lyrische Saite hatte, wenn er auch scheinbar die Komposition mit dem dramatischen oder epischen Schlüssel bezeichnete. War dies Schmerzgefühl gerade jetzt quälender als je zuvor, wer würde das bei dem Stolzesten der Stolzen nicht verstehen, den sein Vaterland verdammt und verbannt hatte, ohne ihn zu hören, auf gräßliche, aberwitzige Beschuldigungen hin, gegen die er sich schon darum nicht verteidigen konnte, weil sie im Dunkeln krochen, nur von Mund zum Ohr getuschelt wurden. Nun konnte er sie nicht einmal Lügner heißen, die lichtscheuen, raunenden Gespenster. Und sie zusammenschmeißen! Ach wie das wohlgethan hätte – sie und die ganze Welt!

Und da man Gespenster nicht an der Gurgel packen kann – her mit der ganzen, morschen, aus den Fugen schlotternden Welt! Ich, der Titan, vollends in Trümmer will ich sie schlagen! Und glaubt nicht, daß, wenn ihr Geister die Trümmer 276 ins Nichts hinübertragt, ich über die verlorene Schöne klagen werde! Mögt ihr es, die ihr, als Gottes Knechte, freilich zufrieden sein müßt mit dem, was er euch beschieden! ihr, die ihr in alle Ewigkeit euch in seinem Glanze badet! Ich bin nicht sein Diener, nicht sein Knecht und – »muß ich nicht sterben«?

Was hilft dem Menschen das bißchen Erdenglück, das höchste Erdenglück: der Kuß der Geliebten, das Lächeln seiner Kinder, wenn er doch sterben muß?

Es ist die Angel, um die sich im Kain alles dreht. »Muß ich nicht sterben?« ist seine Antwort auf des Vaters Frage: »Lebst du nicht?« Die grause Notwendigkeit des Todes ist das Thema, um das es sich schließlich in seinen Disputationen mit Lucifer allein handelt. Und zuletzt muß er selbst, indem er den Bruder erschlägt, das grause Rätsel lösen, soweit es sich von Menschen lösen läßt.

Übrigens ist ›in seinen Disputationen mit Lucifer‹ ein falscher Ausdruck. Faust disputiert mit Mephisto und kann mit ihm disputieren, denn sie sind die Repräsentanten der zwei, nicht in Fausts, wohl aber in Goethes Brust lebenden Seelen: der idealistischen und der realistischen. Kain und Lucifer sind ein Herz und eine Seele, singen dasselbe Lied, bei dem nur Lucifer die obere, Kain die untere Stimme hat. Meinungsdifferenzen zwischen ihnen kommen nicht vor; und wenn Lucifer von Kain verlangt, er solle vor ihm niederfallen und ihn anbeten, so hätte Kain das in Gottes Namen thun können, ohne sich mehr zu vergeben als Lord Byron, wenn er vor Lord Byron auf den Knien lag, was er stets that selbst in den Momenten, in welchen Lord Byron die ganze Welt inklusive Lord Byron verfluchte.

Und man kann nicht einmal behaupten, daß Kain von 277 seiner Fahrt mit Lucifer durch den Weltenraum und die Hölle wesentlich wissender zurückkommt, als er gegangen ist. »What do they know?« – die Sterblichen nämlich, fragt Kain einmal vor der Fahrt und beantwortet sich selbst die Frage: »That they are miserable. What need of snakes and fruits to teach us that?« Ein anderes aber lehrte ihn Himmel und Hölle auch nicht. Höchstens daß er im Anblick ihres herrlichen Glanzes und ihrer finstern Majestät den Erdenwurm, der er ist, noch tiefer verachten, seine Abhängigkeit von dem da droben noch grimmiger hassen lernt, was denn immerhin eine dramatische Steigerung wäre, die allerdings sehr notwendig ist, um den dann folgenden Totschlag Abels zu motivieren. Denn er haßt ja den Bruder nicht; und nicht ihm gilt der Keulenschlag, sondern dem Gott, vor dem jener anbetet, und den er zerschmettern möchte, um zu erfahren, daß nihil et nemo contra deum nisi deus ipse.

Oder hat der Dichter überhaupt da hinausgewollt? Und den Zwiespalt, den er in sich selbst nie auch nur für einen Moment überwinden konnte, in Gott hinein projizieren, der ebenso mit Lucifer durch alle Ewigkeiten ringen muß, ohne des Gegners jemals Herr werden zu können?

Wer möchte es mit Sicherheit aus einem Gedichte herauslesen, in dem es auch ohne das von unergründlichen Dunkelheiten und klaffenden Widersprüchen wimmelt! Oder wie könnte man Lucifers Zusicherung: »Thou canst not all die – there is what must survive« vereinigen mit dem Wort des biblischen Herrn: »Nun aber, daß er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baume des Lebens, und esse, und lebe ewiglich,« das doch im Verein mit dem Wissen von gut und böse, der Folge des Essens vom Baume der Erkenntnis, die magna charta, sozusagen, des Verhält 278nisses des primitiven Gottes zu den primitiven Menschen und vice versa und zugleich auch die Basis ist, auf der sich das Drama Kain aufbaut? Oder den seltsamen Umstand erklären, daß Kain durchaus nicht weiß, was der Tod ist und den erschlagenen Abel schlafen glaubt, den er doch eben noch erst das Lamm für das Brandopfer hat abwürgen sehen? –

Ist nun aber der Kain, wie alle »Mysterien«, notwendigerweise ein Versuch der Quadratur des Zirkels, so kann der, ein Gedicht auf die Bühne zu bringen, das nichts anderes ist als der drei Akte lange Schrei eines überstolzen, in der Qual seiner Ohnmacht zuckenden Herzens nicht besser ausfallen. Engel, die mit Menschenzungen reden; Geister, die sich vermessen, die Pforte der Hölle aufzureißen, oder den Schleier der Isis zu heben und uns nichts zeigen und sagen können, als was wir alle wissen – damit ist es ein böses Ding, wenn man es liest. Und wird wahrlich nicht besser, eher schlimmer, wenn man es hört und sieht. Mag der Schauspieler sein Gesicht in noch so feierliche Falten legen, noch so lange Fittiche an seine Schultern heften, seiner Stimme einen noch so geheimnisvollen Klang geben – wir sind ja nun einmal leider keine Kinder mehr und glauben nicht daran. Nun erst recht nicht. Und alle Phantasmagorie der Dekoration mit ihren Sonnenauf- und Untergängen und gestirnten Himmeln hilft uns nicht darüber weg.

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