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Neununddreißigstes Kapitel.

Und so lag er heute Morgen wieder. Es sollte der letzte Morgen sein.

Auf heute war ein Sanitätszug angesagt, der aus Deutschland kam und noch am Abend von hier in die Heimath zurückkehrte, mit einer Auswahl transportabler Verwundeter, zu denen auch er, Dank der ausgezeichneten Pflege und seiner kraftvollen Natur, gehörte.

Zurück! entsetzlicher Gedanke! Heim! – sein Heim war das Schlachtfeld! Und sie zum letztenmal zu sehen, ach! ganz gewiß zum letztenmal!

Die Thür ging auf, sie trat herein. Der Dämmerschein der Nachtlampen und des ersten matten Tagesschimmers fiel in ihr jetzt so blasses, von dem schwarzen Flortuch eingerahmtes holdes Gesicht.

Es war ihm nie so hold erschienen; eine Wehmuth, wie er sie nie zuvor empfunden, füllte seine Brust, wenn er dachte, daß sie morgen so wiederkommen, wieder von Bett zu Bett gehen, auch an das Bett treten würde, in welchem er nicht mehr lag, in welchem ein Anderer lag, für den sie dieselbe Sorgfalt, dieselbe weiche Hand, dieselbe leise Stimme hatte.

Es gilt ja nicht dir, sagte er bei sich, es gilt ja dem Kranken; dein einziges Anrecht an sie war ja nur, daß du krank warst. Von all der Liebe nichts geblieben, als nur ein wenig Mitleid.

Er konnte es nicht ausdenken; ein rasendes Schmerzgefühl raubte ihm schier die Besinnung, er sah die geliebte Gestalt nicht mehr vor den Thränen, die seine Augen füllten.

Heinrich, sagte eine leise Stimme, ob seinem Haupte, und eine Hand legte sich sanft auf seine Rechte, die auf der Decke ausgestreckt lag.

Er führte die Hand an seine heißen Lippen, an seine Stirn.

Lassen Sie uns in Frieden scheiden, fuhr die sanfte Stimme fort, und möge nie, wenn Sie an mich zurückdenken, ein bitteres Gefühl die Erinnerung trüben; und so soll es sein, wenn ich an Sie denke. Wir haben schon einmal mit einander abzurechnen gesucht – als Sie mir das Leben gerettet vor dem wüthenden Hirsch – es war noch zu früh, zu viel Persönliches trübte unsern Blick. Jetzt, da Sie das Vaterland gerettet haben, haben retten helfen vor dem wüthenden Feinde, jetzt, da der Einzelne freudig sich dem Ganzen unterordnet und opfert, sehe ich Sie doch deutlicher, klarer, als je vorher; vielleicht, daß unsere Rechnung jetzt besser stimmt.

Und wie stände unsere Rechnung jetzt? fragte Fürst Heinrich mit trübem Lächeln.

Fragen Sie unseren Feind, erwiederte Hedwig; fragen Sie das Entsetzen, mit welchem er zusammen sich gegenüberstehen, zusammen und unwiderstehlich sich auf ihn werfen sieht, was er für ewig getrennt hielt.

Fürst Heinrich schüttelte leise den Kopf.

Das ist wohl Ihre rechte Antwort nicht, sagte er. Sie können sich nicht wie ein blöder Schwärmer durch diesen Schein einer Einigkeit täuschen lassen, die nur die Noth des Augenblicks hervorgebracht. Wie wir jetzt stehen, das sehe ich wohl; wie werden wir stehen, wenn die Gefahr vorüber ist? Werden wir nicht immer noch die alten Gegner sein?

Die gelernt haben, daß sie gelegentlich zusammenstehen müssen und zusammenstehen können, erwiederte Hedwig, und das ist schon viel, viel mehr, als die Heißsporne auf beiden Seiten je gedacht haben. Im Uebrigen freilich wird es wohl bei der Gegnerschaft bleiben, und doch wird auch die jetzt einen andern Charakter annehmen.

Und welchen?

Aus den Gegnern werden Nebenbuhler werden, Nebenbuhler um Deutschlands Größe und Glück; Nebenbuhler, die einander weniger ihre Schwächen als ihre Tugenden ablauern, um alle womöglich in sich zu vereinigen.

So wollen Sie das Bürgerthum kriegerisch und den Adel gelehrt machen?

Hedwig deutete auf eines der Betten im Vordergrunde des Saales.

Dort, sagte sie, liegt ein junger Mann von dreiundzwanzig Jahren; er phantasirt in allen Sprachen, die ich kenne, und noch in vielen, die ich nicht kenne; – wie mir die Aerzte sagen, eines Schuhmachers Sohn, jetzt Docent an einer Universität. Er hat sich – der Letzte der ganzen Mannschaft – bei Mars la Tour auf einer Kanone zusammenhauen lassen, die er nicht verlassen wollte und die nur deshalb nicht in die Hände der Franzosen fiel; sein König hat ihn mit demselben Kreuz geehrt, das hier auf Ihrem Nachttisch liegt und –

Hedwig schwieg.

Fürst Heinrich sagte mit schmerzlichem Lächeln: Fahren Sie doch fort! Sie wollen sagen: und hier liegen Sie, der Sie um nichts tapferer – und nur um so viel unwissender sind.

Sie deuten meine Gedanken schlecht, erwiederte Hedwig; ich wollte sagen: und so müssen Sie, wie ich es vorhin ausdrückte, die Tugenden Ihrer Gegner verschmelzen mit Ihren angeborenen und anerzogenen Vorzügen.

Fürst Heinrich wies auf seinen Arm, der in der Schiene lag.

War denn Ihr starker Arm Ihre einzige Tugend? sagte Hedwig. Dann hätte es wahrlich immer schlimm um das Wort gestanden, das Sie sich zum Leitstern Ihres Lebens erwählt: Allzeit voran! Aber Sie sind ungerecht gegen sich. Sie vergessen den Muth, den vielerprobten, das starke Selbstgefühl, das Ihnen die feste Haltung giebt, die frühe Gewohnheit zu befehlen, den sichern Blick für die realen Verhältnisse – unschätzbare Vorzüge, die Sie sämmtlich in der neuen Lage, in welche das Schicksal Sie gebracht hat, auf das herrlichste verwerthen können.

Es ist vielleicht ein wenig unpolitisch, seinen Gegner über die Vortheile seiner Stellung aufzuklären, fuhr Hedwig nach einer kurzen Pause fort, in welcher Fürst Heinrich, nachdenklich vor sich hinblickend, still dagelegen hatte, aber es ist ja das letztemal, daß wir uns hier gegenüber finden – der Kranke und die barmherzige Schwester. So lassen Sie mich, wenn nicht barmherzig, doch Ihre Schwester sein – für diese wenigen Augenblicke.

Und dies nun ist mein schwesterlicher Rath und Wunsch, daß Heinrich von Roda die köstlichen Gaben, welche ihm eine gütige Natur in die Wiege legte, nun, da ihn das Schicksal auf sich selbst angewiesen, verwerthen möge für den unendlichen Kreis, den das Glück ihm erschlossen. Ja, unendlichen Kreis! Wenigstens vermögen meine Blicke nicht zu ermessen, was ein Fürst von Roda – der Besitzer eines solchen Vermögens, der natürliche Beschützer, Lenker, Leiter so vieler Menschen – zu leisten vermag, bis zu welchem Umfang er seine Sphäre erweitern kann, wenn er die Zeichen seiner Zeit versteht. Und, Heinrich, Sie sind der Mann, diese Zeichen zu verstehen und was Ihr scharfer Verstand erfaßt und Ihr starkes Herz aufgenommen hat, mit eisernem Willen in's Werk zu setzen. Sie sind hier unendlich besser gestellt, als unser verstorbener, unglücklicher, edler Freund. Er war zu alt geworden, um neu zu lernen, und was er einst gelernt, war das Fürstenthum von Gottes Gnaden in den Händen eines weichen Gemüthsmenschen, der in seinen Träumereien eine Welt hat, die ihm die wirkliche für immer verdeckt. Sie werden nicht träumen, Sie werden wachen, handeln, Sie werden so glücklich sein, wie ein Mensch auf dieser Erde glücklich sein kann.

Mit Ihnen als Gefährtin meines Lebens.

Wer weiß! Sie hätten, wie Sie waren, wollten Sie die Harmonie Ihres Lebens nicht zerstören, nie eine Andere als eine Aristokratin zu Ihrem Weibe machen können; und ich weiß nicht, ob ich, wäre ich als Aristokratin geboren, die wäre, die ich bin, und das besäße, was Sie an mir halb hassen und halb lieben.

Da mußte denn freilich Stephanie mein Weib werden, sagte Fürst Heinrich.

Auf jeden Fall ist sie es, das muß für Sie, den Mann der Thatsachen, genug sein. Und dann, vergessen Sie nicht: wir Frauen ertragen von Euch unsäglich viel, fast Alles – nur vernachlässigt zu werden, ertragen wir nicht.

Der Fürst lag still da, in das Morgenlicht schauend, das immer heller durch das hohe Fenster, seinem Lager gegenüber, hereinblickte.

Ich habe Sie oft im Zorn meinen bösen Dämon genannt, sagte er.

Ich glaube nicht an Dämonen und Engel, sagte Hedwig lächelnd; ich glaube nur an Menschen und daß, wo ihre Tugenden liegen, auch ihre Schwächen sind.

Wenn ich diesen Satz auf Sie anwende, sagte Fürst Heinrich, so hüten Sie sich vor ihrem Edelmuthe, der die Menschen stets höher schätzt, als sie in Wirklichkeit sind. Sie haben darunter schon viel gelitten; ich fürchte, Sie werden noch viel darunter leiden.

So ginge es mir nur, wie dem Volk, aus dem ich stamme, sagte Hedwig; es hat von jeher seine Großen für größer geachtet, als sie waren, von jeher an seinen Idealen gläubig festgehalten und mit der traurigen Wirklichkeit vorlieb genommen.

Und glauben Sie auch an diese Ideale? rief der Fürst, sich auf seinem gesunden Arm im Bette aufrichtend, glauben Sie an diese Ideale?

Ich glaube daran, sagte Hedwig ernst.

Aber Sie glauben nicht an das Volk, und daß es diese Ideale je verwirklichen wird, sagte der Fürst, auf das Kissen zurücksinkend.

Sprechen wir nicht von mir, sagte Hedwig.

Sprechen wir von Ihnen, sagte Fürst Heinrich; meinen Sie, ich könne ruhig von hier gehen, für immer von Ihnen scheiden, ohne eine Ahnung, wie Ihre Zukunft sich gestalten wird? Hedwig, es ist für mich ein unerträglicher Gedanke, Sie in das Getriebe des Alltagslebens geschleudert zu sehen. Täuschen Sie sich nicht über sich selbst. Dies hier ist ein Leben voll Grauen und Schrecken der furchtbarsten Art; aber eben deshalb, und weil es im Dienste einer großen Idee steht, hoch erhaben über der gemeinen Wirklichkeit. Und Sie sind nach dieser Seite verwöhnt, mehr vielleicht als Sie wissen. Hedwig, Sie haben dem einst Geliebten, der zu Ihrem Feinde geworden war, abgeschlagen, was er in eines Anderen Namen Ihnen bot; können, wollen Sie es nicht von dem Freunde, nicht von dem Bruder nehmen?

Auch als das Weib des Doctor Horst?

Hedwigs Augen ruhten mit einem sonderbar wehmüthig lächelnden Ausdruck auf dem Gesicht des jungen Fürsten, der bei ihrer Frage zusammengezuckt war, als hätte ihm Jemand rauh den zerschossenen Arm berührt.

Sie wissen recht wohl, daß der Heinrich, der jetzt hier liegt, nicht derselbe ist, der er vor vier Wochen war und daß er ebensowenig mit Ihnen marktet wie rechtet. Und weiter: Sie werden nie jenes Mannes Gattin werden, wozu also die nutzlose Grausamkeit dieser Frage? Ich habe es von Zeisel, der Sie hier sah, als er mich am ersten Tage besuchte und den Sie zur Verschwiegenheit verpflichteten – Horst war in Ihrer unmittelbaren Nähe; Sie gaben ihm keine Nachricht.

Ich gab ihm keine Nachricht, erwiederte Hedwig; dennoch – da ist er und – Stephanie!

Sie waren eben in den Saal getreten. Hermann war am Eingange stehen geblieben, im Gespräch mit dem Arzte, der sie hereingeführt hatte; Stephanie näherte sich, von einer Wärterin geleitet, rasch der Stelle an dem letzten Fenster, wo Fürst Heinrich lag.

Bleiben Sie, sagte der Fürst, als Hedwig sich entfernen wollte; Stephanie muß wissen, wer so lange ihre Stelle eingenommen.

Er hielt ihre Hand noch fest, als Stephanie bereits an seinem Bette kniete.

Man hat es mir ja verschwiegen, Heinrich, schluchzte sie; sie haben es mir ja erst vor drei Tagen gesagt. Ich bin Tag und Nacht gefahren, und doch, ich wäre wohl kaum hiehergekommen ohne Doctor Horst, der mich mit in den Sanitätszug nahm; da war ich denn freilich geborgen. Ach, mein armer, armer Heinrich!

Gutes Kind, sagte der Fürst, mit seiner Rechten das blonde Haar der Knieenden streichelnd, gutes Kind, willst Du nicht Hedwig begrüßen?

Stephanie hatte in ihrer Verwirrung noch, keinen Blick auf die schwarzgekleidete Dame an ihres Gatten Seite geworfen; jetzt hob sie ihre Augen und, Hedwig erkennend, streckte sie, ohne sich von den Knieen zu erheben, ihre Arme nach ihr empor.

Ich danke Dir für Alles, was Du an ihm, an uns gethan hast, sagte sie, und vergieb mir, Hedwig, vergieb mir!

Sie bedeckte unter strömenden Thränen Hedwigs beide Hände mit Küssen; sie war außer sich.

Ich habe nicht mehr zu vergeben, als mir vergeben werden mag, sagte Hedwig, die Knieende sanft aufrichtend, und sich zu Hermann wendend, der, um den Fürsten zu begrüßen, langsam herangekommen war, und nun, plötzlich stehen bleibend, Hedwig wie eine Geistererscheinung starren Auges anblickte.

Sie spottet unserer Vermuthungen und Berechnungen, sagte Fürst Heinrich, indem er Hermann lächelnd die Hand entgegen streckte.

Ich hätte es mir denken können, murmelte Hermann.


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