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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Die Forellen hatten vielleicht fünf Minuten zu lange gestanden, aber der Rheinwein hatte die rechte Zeit im Keller gelegen; und bei der zweiten Flasche dieses firnen Weines saßen die Herren noch lange nach dem Abendbrod, so lange, daß die Geduld des Jüngeren auf eine harte Probe gestellt wurde. Aber der Aeltere lachte und sagte:

Da zappeln Sie nun, wie der Fisch an der Angel; zappeln Sie nur noch ein bischen. Unsereiner wird früher oder später doch auf's Altentheil gesetzt, da muß man sein Heu machen, so lange die Sonne scheint, das heißt: so lange man uns braucht. So sagte mein Vater, und hat uns zappeln lassen, mich und meine gute Alte, daß wir schier aus den Heirathsjahren schon heraus waren, als wir uns endlich heirathen durften. Nun, da sei Gott vor, daß ich es mit Euch ebenso machte! aber ein wenig werdet Ihr mich wohl noch brauchen, Sie lieber Zeisel, in erster Linie. Ich muß Sie ja nun – gegen alles göttliche und menschliche Gebot – Ihrem gnädigsten Herrn abspänstig machen; und da sollten Sie doch ohne mich einen schweren Stand haben. Durchlaucht ist Ihnen sehr gewogen, man wird es schlau anfangen müssen, sehr schlau.

Ich weiß nicht, erwiederte Herr von Zeisel, ob Durchlaucht und ich noch lange gut mit einander fertig geworden wären. Unsere Ansichten gingen in neuester Zeit doch schon manchmal recht weit auseinander, und wenn es ja noch zum Krieg kommen sollte, so wäre ohnedies –

Der Cavalier unterbrach sich plötzlich mit einem Blick auf Adele, die mit der Mutter in dem abenddämmerigen Garten auf- und niederwandelte. Er hatte in den letzten Tagen die Möglichkeit des Krieges oft genug in Erwägung gezogen und er hatte keinen Augenblick geschwankt, was ihm in diesem Falle zu thun bleibe; aber er war als der arme Oscar von Zeisel, nach dem, so viel er wußte, im Grunde kein Mensch fragte, in den Krieg gezogen, nicht als der erklärte, anerkannte Bräutigam des liebenswürdigsten Mädchens. Das fiel ihm jetzt schwer auf die Seele und er schluckte die Worte, die ihm in der Kehle stecken blieben, mit ein paar nachdenklichen Zügen aus seinem Römerglase hinunter.

Ja freilich, sagte Herr von Fischbach mit einem scheuen Blicke nach den beiden Frauengestalten, so wäre ja ohnedies abonnement suspendu. Daß Sie mit müssen, ist ja so sicher, wie daß ich Sie zum Schwiegersohn haben will, und wenn es nach mir ginge, könnten Sie mit Ihrem Schwiegervater zusammen aufbrechen. Aber wenn man fünfundfünfzig Jahre und kein Militär von Beruf und ein starker Rheumatiker ist, schickt es sich, daß man erst einmal euch Jüngeren das Feld läßt. Lieber Gott, wer wünschte nicht, daß der Kelch an uns vorüberginge! Ich beneide Keinen, der es nicht wünschte, am wenigsten Ihre Durchlaucht. Er möchte am liebsten die Zeit seit Sechsundsechszig, ja, was sage ich, seit anno Fünfzehn und noch länger ausstreichen, damit ein paar Dutzend staubiger, mottenzerfressener Pergamente doch ja gegen neun Zehntel aller Deutschen Recht behalten. Ich verstehe es nicht, wie ein so guter und sonst so kluger, verständiger Herr in diesem einen Punkte geradezu toll sein kann. Da mußte er freilich dem Grafen gegenüber in eine schiefe, unhaltbare Lage kommen, obgleich ich dessen Standpunkt auch nicht billigen mag. Den Krieg mehr oder weniger um des Krieges willen wollen, ist absolut nicht zu rechtfertigen, denn es heißt, wissentlich oder unwissentlich, die Elemente nähren, aus denen der Krieg erwächst. Und auf diesem Standpunkt steht, so viel ich sehen kann, mit seltenen Ausnahmen, der ganze preußische Militäradel und Alles, was mit demselben zusammenhängt. Diese Tendenz giebt ihm nun in einer Zeit, die mit kriegerischen Elementen so gesättigt ist, wie leider die unsere, ein ungemeines Uebergewicht über alle anderen Stände, gerade wie in einem Krankenzimmer der Doctor der wichtigste Mann ist, zu dem Alles in scheuer Ehrfurcht aufblickt. Aber wenn außerordentliche Verhältnisse einen andern Maßstab für den Werth des Menschen bedingen, so ist das doch nur ein relativer Werth; und dessen sollten unsere Standesgenossen sich bewußt sein, oder sie laufen Gefahr, sich und uns Andere für die Zeiten, die doch kommen werden und müssen, zu discreditiren, ja unmöglich zu machen.

Sie haben mir aus der Seele gesprochen, sagte der Cavalier, über den Tisch herüber dem älteren Herrn die Hand reichend. Jetzt erkläre ich mir auch, weshalb, wenn der Graf und ich vom Kriege sprachen, wir über zwei ganz verschiedene Dinge zu sprechen schienen, und vielleicht auch, weshalb ich eine gewisse Abneigung gegen ihn nicht überwinden kann, trotzdem ich ihn im Grunde genommen bewunderte.

Ja, ja, sagte Herr von Fischbach lachend, so wie der Leopard den Löwen! Stammen wir doch Alle von Raubthieren, wollte sagen von Raubrittern – ich meine wir alten Geschlechter – und da haben denn unsere preußischen Vettern noch ein wenig mehr von der ursprünglichen natürlichen Wildheit behalten, als wir zahm gewordenen Thüringer und Sachsen. Dies Bewußtsein giebt ihnen die stolzere und straffere Haltung und die bewundert wieder die liebe Plebs. So der Eisenbahnschaffner, der neulich, als ich mit Baron Neuhof auf dem Perron gehe, ihm die erste Klasse öffnet und mir ohne weiteres zuruft: »Zweite Klasse weiter hinten!« Ja, ja, lieber Zeisel, die Neuhofs fahren heutzutage erster Klasse; wir sind in die zweite gerathen! Das ist's! Und nun will ich Ihre Ungeduld nicht länger quälen. Kommen Sie! Ich habe noch ein paar Worte mit meiner Frau zu reden und da könnt Ihr junges Volk derweilen im Mondschein schwärmen.

Es war ein sehr glücklicher Abend für Oscar von Zeisel, und die Nacht begann schon herabzusinken, als er sich endlich wieder im Sattel und auf der Chaussée befand. Man hatte ihm ein wenig das Geleit gegeben und der Kuß, den er in Gegenwart der Eltern von dem Munde der Geliebten trinken durfte, schwebte noch auf seinen Lippen. Eine selige Stimmung füllte seine Brust und die rasche Bewegung des muthigen Braunen, der sich von dem scharfen Ritt längst erholt hatte, trug dazu bei, seinen Lebensgeistern einen nie gekannten Schwung zu geben. Alle edlen Empfindungen, die je sein Herz belebt, er glaubte sie auf einmal zu empfinden; alle poetischen Gedanken, die je seine Phantasie begeistert, schienen sich in Wirklichkeit verwandelt zu haben: in die Strahlen des Mondes, die auf den Wassern des Baches glitzerten, in das Säuseln des Nachtwindes durch die Zweige der Bäume, in den Hufschlag seines Pferdes auf der einsamen Chaussée, in den Ruf des Rebhahns aus dem Weizenfelde, in den balsamischen Duft des frisch geschnittenen Heues auf den Wiesen.

O, Glück, o, Wonne! sagte der junge Mann wieder und wieder. Ist es denn möglich? Ist denn nicht Alles ein Traum? Nein, Oscar, vorbei ist es nun mit den Träumen. Jetzt heißt es: wachen, leben, schaffen für sie, für mich, für die Menschen, die von uns abhangen werden und die wir alle glücklich machen müssen, nicht so glücklich wie wir – das würde nicht möglich sein, beim besten Willen – aber doch glücklich, so glücklich, wie ein Mensch sein kann, der nicht so liebt wie ich, der nicht so geliebt wird wie ich!

Und eine Zukunft von Friede und Freude öffnete sich seinem entzückten Blick: das friedliche, freudenreiche Leben des begüterten Landwirths. Er sah sich auf dem Felde zu Pferde inmitten der Schnitter und der Binderinnen; er sah sich auf dem Hofe stehen in Stulpenstiefeln, während die vollen Wagen in das Scheunenthor schwankten; er sah um sich her die jubelnden Paare tanzen in der lustigen Kirmeßzeit.

Und wo er ging und stand, war sie, die Herrin von Buchholz, die Königin seines Herzens, sein holdes schlankes Mädchen, sein Weib, sein Alles! Ihr runder Arm ruhte in seinem Arm mit schüchtern-zärtlichem Druck; ihre zarte, warme Hand lag in seiner Hand; ihre blauen, strahlenden Augen ruhten in seinen Augen. O Glück, o Wonne! ist es denn möglich!

Das Wiehern des Braunen unterbrach die friedlichen Phantasien und zugleich hob das Thier den Kopf und spitzte die Ohren und wieherte abermals in den dunklen Abend hinein, und jetzt hörte auch sein Reiter Hufschlag.

Es mußten mehrere Pferde sein, mindestens zwei, in vollem Jagen, denn der Schall, wenn ihn auch manchmal der Abendwind verwehte, näherte sich sehr schnell.

Und vor diesem dumpfen, näher und näher kommenden Donner erbebte dem sonst so muthigen Cavalier das Herz in der Brust. Eine Ahnung sagte ihm, daß diese Reiter Boten sein müßten, die ein Unglück kündeten. Waren es ein paar von den Leuten, die er ausgesendet, den Fürsten zu suchen? Hatten sie ihn gefunden, todt? Großer Gott, er hatte seit Stunden nicht an das gedacht, weshalb er eigentlich ausgeritten war.

Und näher und näher kamen die Reiter; der Braune, den Herr von Zeisel angehalten hatte, um besser zu hören, scharrte den Boden, als könne er nicht erwarten, an der Jagd theilzunehmen, und stieg endlich gegen seine Gewohnheit, daß der Cavalier ihn gewaltsam herunterdrücken mußte, in dem Augenblick, als die Reiter um die scharfe Biegung des Weges herumkamen und an ihm vorüberschossen. Er gab dem Braunen die Sporen und war im Nu an der Seite der Reiter, in denen er jetzt den Grafen und den Baron Neuhof erkannte.

Guten Abend, meine Herren! Warum die Eile?

Ah, Herr von Zeisel!

Was giebt's, Herr Graf?

Der Krieg ist erklärt!

Unmöglich!

Das wäre schlimm! Glücklicherweise ist die Nachricht ganz sicher. Neuhof war auf der Station, als die Depesche, die heute Abend um sieben Uhr in Berlin angekommen, hier durchging. Ein wahres Glück, daß es mir, als Sie schon fort waren, einfiel, noch einmal hinüber zu jagen.

Ich hätte Dir doch die Nachricht auf jeden Fall gebracht, sagte der Baron.

Oder auch nicht; Du gehörst zu den Leuten, die sich ganz gut allein freuen können.

War Durchlaucht bereits zurück?

Nein; und was haben Sie herausgebracht?

Er war in Erichsthal und Buchholz nicht gewesen; ich hoffe, daß er mittlerweile gekommen ist.

Ich hoffe es sehr!

Dies Alles wurde gesprochen, ohne daß die Reiter den Lauf ihrer Rosse anhielten. Im Gegentheil, die edlen Thiere fanden jetzt erst, da es zu Dreien ging, die rechte Freude am Wettlauf, und da alle drei gleich gute Renner waren, konnte kaum das eine oder das andere einmal um die eigene Länge vorauskommen.

Aber auch in den Reitern zitterte eine nervöse Erregung, die in dem sausenden Ritt durch die Nacht ein Gegengewicht fand – in ihren Ohren klang eine Musik, für welche der Donner der flüchtigen Hufe den rechten Tact schlug: die Musik zur Attaque blasender Trompeten, die Jeder von ihnen mehr als einmal auf dem Schlachtfelde gehört.

So ging es weiter in Carrière durch die stille Nacht, daß Hecken und Bäume und einzelne Häuser vorüberflogen, und jetzt ein Gehöft, in welchem die Hunde laut wurden, und wieder Hecken und Bäume und einzelne Häuser, und jetzt Herrn Körnicke's Fabrik, vor welcher der Besitzer, seine Abendpfeife rauchend, stand:

Halloh! Herr von Zeisel? Gott bewahre mich!

Der Krieg ist erklärt!

Der Cavalier hatte nur eben sein Pferd so weit angehalten, um Herrn Körnicke die Worte verständlich zurufen zu können, und jagte jetzt den Andern nach.

Was gab's?

Ich sagte es dem Körnicke nur.

Was geht's den an?

Da war sie wieder die Kluft zwischen ihm und dem preußischen Grafen.

Was geht's den an! Heiliger Gott, wen geht es nicht an? Wessen Leben, wessen Eigenthum steht jetzt nicht auf dem Spiel! Wie lange werden die guten Leute in Rothebühl, durch dessen enge Gassen jetzt die Hufe der Pferde donnern, behaglich in ihren Stübchen vor den Thoren sitzen und plaudern; werden die Mägde in Frieden Wasser holen können aus dem plätschernden Brunnen? Wie lange wird der nächtliche Himmel nicht von Feuerzeichen brennender Städte und Dörfer geröthet sein? Wie lange noch wird der Fuhrmann bei Nacht so ruhig wie bei Tage neben seinen klingelnden Gäulen, die Pfeife im Munde, einherschreiten? Und ihn, sie Alle soll es nichts angehen!

Und da halten sie auf dem Schloßhof und schwingen sich aus den Sätteln, während die Stallknechte den dampfenden Thieren in die Zügel greifen und aus dem Portale die Diener herauskommen.

Ist Durchlaucht zurück?

Noch immer nicht, Herr Graf.


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