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Achtunddreißigstes Kapitel.

Es war acht Tage nach der Schlacht. In einem der großen Säle des zum Lazarett eingerichteten Jesuiten-Seminars von Pont-à-Mousson dämmerten die Nachtlichter dem Morgen entgegen. Trotzdem der obere Theil der hohen Fenster weit geöffnet war, herrschte in dem Raume eine schwüle, drückende Atmosphäre und jener eigenthümliche Dunst, der dem Kundigen sofort sagte, daß hier Schwerverwundete lagen.

Und hier nun, wohin man ihn in dem ersten Augenblick grenzenloser Verwirrung gebracht, hatte seit acht Tagen der Major Fürst Heinrich Roda-Steinburg gelegen. Prinzen und Fürsten waren gekommen, um ihre Theilnahme zu beweisen; der König hatte ihm durch einen seiner Adjutanten das Eiserne Kreuz mit den schmeichelhaftesten Ausdrücken seiner besonderen Huld und gnädigen Gesinnung überreichen und sein Bedauern aussprechen lassen, daß die Zeit ihm nicht erlaube, sich nach dem Befinden eines seiner tapfersten Officiere persönlich zu erkundigen; es hatte an Aufmerksamkeiten keiner Art gefehlt, auch war der Zustand der Wunden über alles Erwarten gut: die Kugel in der Schulter war gefunden und wenn der Arm gleich für immer gelähmt bleiben würde, hatte man doch nicht zu einer Amputation zu schreiten brauchen – dennoch hatte den Verwundeten eine trübe düstere Stimmung nicht verlassen wollen, ja dieselbe schien mit jedem Tage und in demselben Maße zuzunehmen, in welchem die Besserung vorwärts ging.

Er hatte auf das bestimmteste und, als man weiter in ihn drang, in fast leidenschaftlicher Weise abgelehnt, aus diesem Saal, welchen er mit ein paar Dutzend Leidensgefährten theilte, von denen über die Hälfte gemeine Soldaten und Unterofficiere waren, in ein ruhigeres Gemach gebracht zu werden.

Ich habe in der Schlacht vor dem Feinde keine besseren Chancen gesucht als meine Leute, sagte er; ich will auch nach der Schlacht keine besseren haben.

Man hatte das an der Tafel des Höchstcommandirenden als Grille und Eigensinn ausgelegt, aber ein wegen seiner losen Zunge bekannter General sagte:

Ich glaube seit heute mit Bestimmtheit zu wissen, weshalb er nicht aus dem Saale will.

Nun?

Weil das schönste der Mädchen dort als Krankenwärterin functionirt. Wer ist es?

Der General zuckte die Achseln:

Braucht die Schönheit einen Namen, königliche Hoheit? Und doch, ich habe sie im Vorübergehen von einem der Kranken, deren Abgott sie zu sein scheint, Fräulein Hedwig rufen hören.

In den Acten des Centralcomités mochte wohl ihr voller Name stehen, aber hier nannte sie Niemand unter einem anderen. Es hatte auch Niemand in diesen Tagen Zeit und Lust, sich um Dinge zu bekümmern, die nicht zur Sache gehörten; es kam so ganz nur darauf an, daß Jeder seinen Posten ausfüllte, und Fräulein Hedwig füllte ihren Posten aus. Die Aerzte wußten es und legten demzufolge für sie eine Achtung an den Tag, die an Ehrfurcht grenzte; die Krankenwärter und Lazarethbediensteten wußten es und räumten ihr, als ob es sich von selbst verstände, eine unbestrittene Autorität über sich ein; aber am besten wußten es die Kranken. Sie wußten, daß, wenn sie riefen, mochte es Tag sein oder Nacht, Fräulein Hedwig an ihrer Seite war; ja, es bedurfte meistens der Bitte gar nicht; das schöne Mädchen schien mit ihren dunklen ernsten Augen in der Seele des Kranken zu lesen; und während sie so vorüberging, strichen ihre weißen Hände, denen man es nicht ansah, daß sie zu arbeiten gelernt hatten, eine Falte glatt, rückten eine Decke höher, als ob Alles eine Sprache spräche, die ihr Herz ohne weiteres verstand.

Und so zog denn über das schmerzenreichste Gesicht ein freundlicher Schimmer, sobald sie herantrat; mehr als eine erkaltende Hand hatte ihre Hände im letzten Druck festgehalten; mehr als ein im Tode erbleichender Mund hatte seine letzte Bitte, seine letzte Beichte in ihr Ohr geflüstert.

Und nur Einer hatte nie gelächelt, wenn sie unhörbaren Schrittes durch den Saal ging, hatte ihre anmuthigen Bewegungen nicht mit Lust verfolgt; nur Einer hatte ihren Namen nie über die schweigsamen Lippen gebracht.

Nicht daß sie für diesen Einen geringere Sorge getragen hätte, als für die Anderen; sie reichte ihm die Erfrischungen, ehe seine heißen Lippen noch darum baten; sie erneuerte die Eisumschläge keine Minute zu spät; sie vergalt auch seine Schweigsamkeit nicht mit Schweigen, hatte im Gegentheil immer ein freundliches Wort, wie es nun eben der Dienst, den sie gerade leistete, mit sich brachte, und nur die Frage, die sie oft genug an die armen Soldaten richtete: ob sie Angehörige zu Hause hätten, denen sie Nachricht zu geben wünschten? ob sie einen Brief für sie schreiben solle? diese und ähnliche Fragen hatte sie nie an ihn gethan.

Es war das freilich auch nicht nöthig gewesen und sie hatte durch diese Unterlassung keine Pflicht der Krankenwärterin versäumt.

War doch kein Tag vergangen, ohne daß von dem Höchstcommandirenden Anfrage geschah, wie Seine Durchlaucht die Nacht zugebracht? wie Durchlaucht sich heute befände? Hatte der Höchstcommandirende doch, trotz der Arbeit, die in diesen Tagen auf seinen Schultern lag, zwei- oder dreimal Zeit gefunden, sich persönlich nach dem Freunde umzusehen und eine Viertelstunde an seinem Bette zu sitzen; kamen doch jeden Tag Cameraden, ihre Dienste anzubieten; stand doch im Nothfalle selbst der Telegraph für Seine Durchlaucht zur Verfügung, und hatte wirklich bereits am ersten Tage die Kunde von seiner Verwundung und was sonst für die Seinen zu wissen nothwendig oder wünschenswerth war, in das Kriegsministerium nach Berlin und von dort nach Roda getragen.

Nein, für Seine Durchlaucht den Fürsten Heinrich Roda-Steinburg schien nach allen Seiten gesorgt; er mochte der besonderen Hilfe, des tröstenden Zuspruchs einer einfachen Krankenwärterin wohl entbehren; und dennoch fühlte sich vielleicht von allen diesen Unglücklichen, deren Seufzer bei Tag und Nacht den Raum erfüllten, keiner so hilflos, keiner so trostlos als dieser Mann, über dessen stolze Lippen nie eine Klage kam; war vielleicht das Lager keines dieser Aermsten so dornenvoll als sein Lager; wünschte keiner sich so ehrlich den Tod, der ihn von einem Leben erlösen sollte, das fürder keinen Reiz und keinen Werth mehr zu haben schien.

Was blieb von Heinrich von Roda, wenn er von diesem Lager erstand, als sein Schatten?

Er hatte immer nur mit dem Tode gerechnet, niemals mit dem Umstand, daß der Tod an ihm vorübergehen und ihm nur sein Mal aufdrücken würde, daß Heinrich von Roda zum Krüppel werden könne.

Er warf sich jetzt mit bittersten Worten die Thorheit vor, eine so nahe liegende Möglichkeit nie in's Auge gefaßt zu haben – aber er hatte es doch nun einmal nicht gethan, und jetzt war das nie Gedachte zur schauderhaften greifbaren Wirklichkeit geworden. Nie mehr würde Heinrich von Roda eine linke Hand haben, die stark genug war, das stärkste Pferd im rasendsten Laufe zu pariren; nie mehr würde er, den Pallasch schwingend, seinen Schwadronen voraus, in den Feind jagen können. Allzeit voran! Das war jetzt vorbei für immer!

Für immer! Er biß die Zähne aufeinander vor grimmem Weh, wenn er's dachte. Dieser Krieg, er hatte ihn herbeigewünscht, herangezürnt; dieser Krieg mit Frankreich war der eigentliche Inhalt seines Lebens gewesen, seine wahre Aufgabe, im Vergleich zu welcher alles Andere nur als Vorbereitung gelten konnte. Und jetzt sollte er die Erfüllung dieser Aufgabe Anderen überlassen, jetzt sollte er von seinem Schmerzenslager das Wirbeln der Trommeln, das Schmettern der Trompeten, das Rasseln der Kanonen, den dumpfen Tritt der Colonnen hören, die weiter gegen den Feind marschirten; jetzt sollte er im Geist ihren Siegeslauf verfolgen, sollte nicht theilnehmen an dem großen Schlage, der vorbereitet wurde und von dem ihm seine Freunde aus dem Generalstab mit Begeisterung erzählten, sollte nicht den Fuß des Siegers auf die in den Staub geworfene Hauptstadt des Feindes setzen!

Und was blieb, wenn ihm das genommen war? Wenn er von dem Felde weggedrängt wurde, wo er zu Hause war, wo seine Kraft lag, wo er es bis dahin kühn mit Jedem hatte aufnehmen können?

Was blieb?

Die Landwirthschaft im großen Maßstabe – was wußte er von der Landwirthschaft im Großen oder Kleinen? Die Verwaltung eines fürstlichen Vermögens – war das so leicht wie Schuldenmachen? Die Muße eines großen Herrn auf seinen Schlössern, in der Residenz, auf Reisen – sie mußte zur öden Qual der Langeweile werden für Jemanden, der keine andere Wissenschaft kannte als die des Krieges, keine andere Kunst als etwa die der Belagerung. Hatte er doch jenes plebejische Können, jenes demokratische Wissen von jeher gern Denen überlassen, die ihre Geburt dafür bestimmte: Bürgerlichen oder herabgekommenen Adeligen: den Horst, den Zeisel. Sollte er mit den Horst, den Zeisel concurriren?

Und nun mußte er sie wiederfinden, hier, zu dieser Stunde, die einst so heiß, ach, noch immer so heiß Geliebte!

Es hatte einen furchtbaren Eindruck auf ihn gemacht, als er sie – in einer frühen Morgenstunde der ersten Nacht – in den Saal treten sah – in demselben schwarzen, vollkommen einfachen Kleide, das die junge Gesellschafterin im Hause der Generalin getragen – von Bett zu Bett gehend, hier sich verweilend, dort leise vorüberhuschend, bis sie an sein Bett kam – einen Moment stutzte und nun herantrat, ihm schweigend von dem Trank reichte, der vor ihm auf dem Tischchen stand, die Hand für einen Moment ganz leise auf seine Stirn legte und dann weiter ging zu den anderen Betten, während er den Kopf in die Kissen drückte und weinte wie ein Kind.

So war sie jeden Morgen um dieselbe Stunde in den Saal getreten, um dann den Tag bis in den späten Abend zu bleiben, kommend, gehend, wieder kommend – unermüdlich, unhörbar, Schmerzen lindernd, Trost sprechend, wo ihr Anblick, ihre Gegenwart schon als Labsal und Trost empfunden wurde.

Und jeden Morgen um dieselbe Stunde hatte er wach gelegen, unverwandten Auges auf die Thür blickend, durch die sie einzutreten pflegte, ungeduldig des Augenblicks harrend, da sie eintreten würde.


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