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Sechsunddreißigstes Kapitel.

Der Graf, der jetzt Fürst war, stand am Fenster und schaute gedankenvoll in den Hof hinab, über welchen eben die Equipage langsam herangerollt kam, die ihn nach der Station bringen sollte. Auf den Zinnen der Thürme lag der erste schwache Frühschein, röthliche Wolken schwammen hoch oben in dem lichtgrünen Himmel; die kurze Sommernacht war zu Ende.

Die kurze Sommernacht – wenige Stunden nur, aber wie viel hatten diese wenigen Stunden gebracht! Sie hatten ihn zum Fürsten von Roda gemacht; sie hatten ihm den seit Jahren heiß ersehnten, in heimlichen Gebeten vom Himmel erflehten Erben endlich geschenkt.

Als er, dem langsamer folgenden Wagen, der die Leiche des Fürsten trug, vorausfahrend, um die nöthigen Anordnungen treffen zu können, im Schlosse anlangte, hatte man ihm bereits die Nachricht entgegengebracht, daß die Stunde der Gräfin gekommen sei. Er war sofort in ihr Zimmer geeilt und hatte sie selbst in Krämpfen, die Generalin, die sonst nichts auf der Welt außer Fassung brachte, sehr besorgt, und den Geheimrath, wie es schien, vollkommen rathlos gefunden. Die Stunde sei viel zu früh gekommen – um mehrere Wochen – Folge der übergroßen physischen Anstrengungen dieses Tages und nun zuletzt der seelischen Erschütterung bei der Nachricht von der Flucht Seiner Durchlaucht – dazu die schwache Constitution der Patientin und gewisse bedenkliche Symptome –

Glauben Sie für den Ausgang stehen zu können? fragte der Graf.

Ich bitte Sie, Herr Graf, sagte der Geheimrath, ohne Frage; das heißt: wenn gewisse Möglichkeiten, die ich nicht gerade für wahrscheinlich – der Gang der Natur ist schwer im voraus zu fixiren; sie hat so manche Mittel und Wege – freilich, wenn wir in Berlin wären, ich würde selbst bitten, einen meiner geschätzten Collegen –

Nun wohl, sagte der Graf, der die Ueberzeugung erlangt hatte, daß der Mann der Lage nicht gewachsen war, ich werde Ihnen einen Collegen schaffen, mit dem ich Sie ersuche, sich zu vernehmen.

Es war ein schwerer Entschluß für den Grafen gewesen, aber er hatte sich gesagt, daß seine Maxime, sich, wenn es die Erreichung eines Zieles galt, nicht durch Empfindelei beeinflussen zu lassen, ganz gewiß zur Anwendung kommen müsse, jetzt, wo vielleicht – wer konnte es wissen – die Fortexistenz seines uralten Stammes auf dem Spiele stand. So hatte er sich denn zu Hermann begeben und denselben von der Leiche des Fürsten, die man unterdessen in dem Schlafcabinet niedergelegt, an das Schmerzenslager seiner Gattin geholt. Die Generalin war sehr bestürzt, der Geheimrath außer sich gewesen; aber der Graf war in gewissen Momenten absolut untraitabel, wie die Generalin es ausdrückte, und dies war unzweifelhaft einer von den gefürchteten Momenten. Er erklärte der Generalin, daß, wenn sie nicht mit seinen Anordnungen einverstanden sei, sie vielleicht zur Vermeidung von Mißverständnissen besser thue, sich auf ihr Zimmer zurückzuziehen, und dem Geheimrath, daß, im Falle die Herren sich nicht verständigen könnten, er sich verpflichtet fühle, die Verantwortung dem zu übergeben, welcher, wie der Doctor Horst, sich bereit erklärt habe, dieselbe zu übernehmen.

Bei dieser Entscheidung war er geblieben, trotzdem über Stephanie's schmerzdurchwühltes Gesicht, als er ihr dieselbe mittheilte, ein fast seliges Lächeln gezogen war und sie sofort erklärt hatte, nun keine Angst mehr zu empfinden und Alles gern ertragen zu wollen.

Zwei Stunden später, um ein Uhr Morgens, hatte ein schwacher Schrei den Kammerfrauen im Vorzimmer verkündet, daß der Erbe von Roda geboren sei. Aus dem Vorzimmer hatte die große Kunde über die Corridore schnell den Weg gefunden bis zu denen, welche trotz der späten Stunde nach immer unten in der großen Halle, ja selbst auf dem Schloßhofe die seltsamen Ereignisse dieser Nacht besprachen und derjenigen, die noch kommen sollten, harrten. Einige hatten die frohe Botschaft mit einem solennen Hurrah oder mit einem patriotischen Liede begrüßen wollen, das man unter den Fenstern des Grafen absingen sollte; aber Andere hatten gemeint, in einer Stunde, wo der alte Herr todt auf dem Bette liege, könne man nicht wohl etwas Anderes singen, als: »Jesus meine Zuversicht,« und das Beste sei jedenfalls, daß man vorläufig einmal still nach Hause gehe. Das hatte den Anderen eingeleuchtet, und so war es denn in dem Schlosse und auf dem Schloßhof nach beinahe vierundzwanzig Stunden still geworden.

So still, daß der Wagen, der eben jetzt aus dem zweiten Hofe langsam herangerollt kam, ein lautes Geräusch verursachte.

Der offene Wagen hielt vor dem Portale; der Kammerdiener Philipp trug die Sachen des Herrn heraus – wenige nur – was der Herr eben zur Reise brauchte – das Andere sollte nachkommen; er legte den Mantel des Herrn in der Ecke zurecht, aber der Herr stand noch immer oben am Fenster, ohne sich zu regen, in Gedanken verloren.

Sie waren nicht alle erfreulich, diese Gedanken: es waren sogar recht schmerzliche darunter, die den Grafen, der jetzt Fürst war, die Lippen zusammenpressen und die Stirne senken machten.

Es war nicht erfreulich, daß der Mann, in dessen geschickten Händen eben die Zukunft seines Hauses gelegen und der, wenn nicht Alles trog, diesen kostbaren Schatz über den Abgrund des Todes hinübergerettet hatte in das sichere Leben, ohne den Dank abzuwarten, der ihm gebührte, ohne den Lohn, der ihm zukam, ohne Abschied, leise, heimlich das Schloß verlassen hatte, und jetzt bereits wieder auf dem Wege nach der Welfenstadt war, aus welcher er herbeigeeilt, den zu warnen, zu retten, für den jede Warnung zu spät kam, der nicht mehr gerettet werden konnte und wohl nicht mehr gerettet werden wollte.

Und unerfreulich war die Unterredung gewesen, die er eben mit Herrn von Zeisel gehabt, den er gebeten, während seiner Abwesenheit für Alles Sorge zu tragen, und der ihm mit höflichen Worten für ein so großes Vertrauen gedankt und dann hinzugefügt, daß er leider nur bis zum Begräbniß seines gnädigen Herrn eine so verantwortliche Stelle übernehmen könne, da er dann unverzüglich nach Dresden müsse, um seinen Wiedereintritt in die Armee persönlich zu betreiben.

Und unerfreulich war's, daß der alte Oberforstmeister von Kesselbusch, als derselbe ihm vorhin zu der Geburt des Sohnes und Erben gratulirte, die Bitte hinzugefügt, ihn von dem Posten, den er so lange, viel zu lange, innegehabt, zu entbinden und ihm zu vergönnen, daß er den kurzen Rest seines Lebens in stiller Trauer um den verewigten Herrn und Freund verbringe.

Wollten sie und der alte Gleich selbst, der jetzt, halb todt vor Kummer und Gram, neben dem Todten saß und der Amtmann von Erichsthal, der bereits um seine Entlassung gebeten, und wer sonst noch kommen und ihm den Dienst und die Gefolgschaft kündigen würde – wollten sie ihm sagen, daß er nicht würdig sei, hier Herr zu sein an der Stelle des Gestorbenen?

Das Gesicht des Mannes am Fenster war immer düsterer geworden; aber plötzlich raffte er sich mit einer gewaltsamen Anstrengung empor.

Pah, sagte er, was hilft es ihnen, daß sie seine Verdienste aufzählen und ihre eigenen zusammenrechnen, und nun herausbringen, daß ich doch im Vergleich dazu so gar nichts werth sei! Was haben sie mit all ihrem Ameisenfleiß, ihrer Bienenemsigkeit fertig gebracht, als einen kunstvollen Bau, den der Tritt des ersten Besten, welcher des Weges daherkommt, niederwirft und zertrümmert? Ist jene Menge, die hier den Platz so lange gefüllt hat, sind sie Alle, wie sie da sind, viel Anderes, als mein Pferd, ohne das ich freilich wenig vermag, das aber doch nur erst von dem Augenblicke werthvoll wird, wo ich mich in den Sattel schwinge und es hiehin lenke und dorthin und es zwinge, mir den Sieg erringen zu helfen? Wer von diesen Menschen allen hätte die freche Herausforderung zu beantworten gewagt, die jetzt von drüben her an uns ergangen ist? Wer hätte nicht den Kopf geduckt und die Schmach eingesteckt und den Verlust, und Gott gedankt, daß er für sein Theil doch noch das liebe Leben habe?

So ist's, trotz ihr, der Stolzen, Unzähmbaren, die für das Volk zu schwärmen vorgiebt, sich womöglich selbst für den Genius des Volkes hält. Ja, wenn das Volk ihr gliche! Sie thut ihm wahrlich zu viel Ehre an. Ich habe das Volk nie gehaßt, und ich hasse sie grenzenlos, wie ich sie einst grenzenlos geliebt habe.

Vorwärts! rief sie, als ich heute Nacht ihren Pferden in die Zügel fiel, vorwärts! und der wahnsinnige Böhme peitschte auf die Pferde und sie hätte mich mitleidlos in den Sand treten und von ihren Rädern zermalmen lassen.

Vorwärts! Nun wohlan, vorwärts und voran! Allzeit voran! Es war das Wort des armen Steinburger Grafen, der nichts hatte, als seinen Gott, sein Pferd und sein Schwert; es soll das Wort Heinrichs von Roda sein; in seinen Sporen soll es klirren, wenn er stolz wegreitet über die Köpfe der stumpfen Menge; auf seiner Klinge soll es funkeln, wenn er seinen Schwadronen voranjagt in den Sieg, in den Tod. Allzeit voran!


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