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Vierunddreißigstes Kapitel.

Es war vor einer halben Stunde ungefähr gewesen, als der Dietrich durch die Menge schlenderte, welche die Gärten erfüllte, halb seine Meta suchend, die er den ganzen Tag noch nicht gesehen hatte, halb hoffend, daß er ihr nicht begegnen werde. Denn es gab heute Abend so viel hübsche Mädchen, die, wenn der Herr Lakai in seiner schwarzen Schnürjacke und den gelbledernen Beinkleidern, das Käppchen kokett auf dem braunen Krauskopf und die klirrenden Sporen an den Stulpstiefeln vorüberschritt, einander in die Seiten stießen und anfingen zu kichern – weshalb sollte ich die Gelegenheit nicht mitnehmen? fragte sich der Dietrich.

Dietrich war im besten Zuge, die Gelegenheit mitzunehmen und hatte eben mit ein paar besonders drallen Dirnen oben »vom Walde« ein sehr ergötzliches und lächerliches Gespräch begonnen, als er sich plötzlich von hinten am Arm ergriffen fühlte, und, sich umwendend, seinen Vetter, den »dummen« Caspar aus der Rothen Henne dastehen sah. Er wollte den »dummen« Caspar, den er stets verleugnete, auch diesmal mit einem derben Fluche seines Weges schicken, aber der Caspar wollte sich nicht fortschicken lassen.

Er hatte einen Brief für die gnädige Frau, den er der Meta geben solle, aber er habe im Schlosse vergebens nach der Meta gefragt und auch keinen Menschen gefunden, der ihm den Brief, hätte abnehmen wollen – da sei er denn seelenfroh, daß er endlich den Dietrich getroffen.

Und von wem ist der Brief? fragte Dietrich.

Das soll ich Niemandem sagen; erwiederte Caspar

Dann nehme ich Dir den Brief auch nicht ab, sagte Dietrich, welcher den Brief bereits in den Händen hielt.

Er hat es mir streng verboten, sagte Caspar.

Wer? fragte Dietrich.

Je nun, der Herr Doctor, sagte Caspar, sich hinter den Ohren krauend.

Unser Doctor?

Ei freilich; er war eben angekommen mit Extrapost von der Station und gleich weiter nach der Fasanerie gefahren, aber nicht hier vorbei, sondern über den Dachsberg, was ein heidenmäßiger Umweg ist.

Es ist gut, sagte Dietrich, und den Brief werde ich richtig abgeben.

Dietrich ließ den Caspar stehen, ebenso wie die beiden ländlichen Schönen und entfernte sich eilig in der Richtung eines der lampenerhellten Laubengänge, der in diesem Augenblicke zufällig ganz leer war. Hier angekommen, blickte er sich noch einmal scheu um und erbrach dann, ohne sich Zeit zu lassen, das Orakel seiner Jackenknöpfe zu befragen, den Brief.

So, sagte er, nachdem er gelesen, so! Ich habe mich ausschelten lassen müssen von dem Alten hier unten, weil ich nichts herausbringen konnte, und von dem Alten oben, weil ich that, als hätte ich Wunder was herausgebracht; nun habe ich's endlich schwarz auf weiß.

Dietrich hatte sich auf eine Bank geworfen, welche in dem Laubengange stand, um darüber nachzudenken, was er nun mit seinem Raube anzufangen habe. Sollte er das Billet an die gnädige Frau bringen und sagen, das Siegel sei entzwei gewesen und der Dietrich könne reinen Mund halten, wenn – ja wenn! aber ich glaube, sie hat selbst nicht viel übrig; und Meta sagt, die Sache könne so gar nicht mehr lange dauern, und dann habe ich mein Pulver umsonst verschossen. Da ist's doch am Ende viel besser, wenn ich's dem Alten direct gebe.

Der Bursche überlegte noch immer, welcher Weg wohl der beste, das heißt der gewinnbringendste sei, und fragte sich eben, ob man nicht vielleicht die beiden Wege vereinigen könne, indem man den Brief an die richtige Adresse brachte, den etwaigen Lohn einsteckte und hinterher die Sache an den Alten verrieth. Aber der Alte würde den Brief auch haben wollen. Wie oft hatte er nicht gesagt: wenn wir nur was Schriftliches hätten!

Dietrich sah noch einmal in das Billet:

»Ich komme eben in Rothebühl an, fahre sofort über den Dachsstein nach der Fasanerie weiter und werde Sie dort erwarten. Vielleicht, daß Ihnen gerade die Verwirrung des Festes Gelegenheit giebt, für eine Stunde abzukommen. Auf jeden Fall mögen Sie wissen, daß es sich um Tod und Leben handelt.«

Um Tod und Leben! sagte Dietrich. Na, ganz so schlimm wird es wohl nicht sein; die Sorte nimmt immer gleich den Mund voll. Oder sollte sie gar mit ihm weglaufen sollen! Ja, wahrhaftig, das wird es sein; und dann ist keine Minute zu verlieren. Der Alte muß es erfahren; der Alte wird wissen, was da zu thun ist.

Dietrich sprang auf und lief, so eilig er, ohne Aufsehen zu erregen, konnte, durch den Garten dem Schlosse zu. Der nächste Weg war die Treppe im Rothen Thurm hinauf, über die Corridore des Flügels in den Haupttheil des Schlosses bis zu einem kleinen Seitencorridor, aus welchem eine Tapetenthür unmittelbar zu dem Vorzimmer führte, in welchem sein Oheim sich aufzuhalten pflegte.

Als Dietrich eben die linke Treppe im Rothen Thurm hinauf wollte, hörte er, wie von der Treppe rechts Jemand herabkam; und da er ein sehr leises Ohr hatte, unterschied er bald, daß es eine Frau sein müßte oder auch zwei. Es waren zwei und sie standen, als sie den unteren Absatz erreicht hatten, still, nicht drei Schritte von Dietrich, der sich dicht an die Mauer drückte und den Athem anhielt.

Nun nicht weiter, liebes Kind, sagte die Eine von den Beiden, die ohne allen und jeden Zweifel die gnädige Frau war, sonst sähe man uns am Ende doch beisammen; und habe tausend Dank für Deine Treue, die ich Dir nie vergessen werde. Und nicht wahr, Du thust mir die Liebe und hältst Dich ein paar Stunden in dem Zimmer, und nun leb wohl.

Es war eine kleine Pause, in welcher Meta der gnädigen Frau die Hände zu küssen schien, und dann hörte Dietrich, wie die gnädige Frau die Treppe weiter hinabging und die Meta leise vor sich hin schluchzte.

Nun ist die Luft rein, sagte Dietrich bei sich, und, um den Vorsprung der Mauer tretend, faßte er die weinende Meta an beiden Händen. Meta stieß einen Schrei aus und wollte in die Kniee sinken, aber Dietrich riß sie unsanft empor.

Nur keine Dummheiten, Mädel, sagte er; ich habe Alles gehört und weiß auch, wo die Reise hingeht.

Ach, um Gotteswillen, Dietrich, verrathe uns nicht! rief das tödtlich erschrockene Mädchen. Es geht um Tod und Leben.

So! sagte Dietrich. Habt Ihr doch schon einen Brief gehabt?

Ich weiß nicht, was Du meinst, sagte Meta. Sie muß ja fort, wenn sie nicht nach Böhmen will, was freilich viel vernünftiger wäre; aber bei ihr hilft kein Reden, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat. Und so habe ich heute hinauf gemußt und dem Ohm Bescheid gesagt, und nun ist sie eben fort, und Dietrich, um Jesus und Maria willen, verrathe die arme, unglückliche gnädige Frau nicht!

I, wie werde ich denn! sagte Dietrich. Geh' Du nur auf Deine Stube, wenn Du es ihr einmal versprochen hast; ich komme nachher und leiste Dir noch ein bischen Gesellschaft.

Dietrich gab Meta, die nur halb beruhigt war, einen Kuß, war in drei Sprüngen die Treppe hinauf und klopfte nach wenigen Minuten athemlos an die Tapetenthür, aus welcher alsbald der graue Kopf des alten Gleich vorsichtig herausschaute. Ein kurzes Geflüster, ein Papier, welches gegeben und genommen wurde, dann schloß sich die Thür so leise, wie sie sich aufgethan hatte.

Vor der Thür in dem kleinen, halbdunklen Corridor auf einem Schemel kauerte Dietrich, der die Weisung erhalten, auf alle Fälle bis auf Weiteres zu warten, in dem Vorzimmer aber unter der Hängelampe stand Herr Andreas Gleich, das Briefchen, nachdem er es aufmerksam durchgelesen, in der herabhängenden Linken haltend, während der Zeigefinger der Rechten nachdenklich an der langen, spitzen Nase ruhte, auf welcher noch die große Hornbrille saß, deren sich Herr Gleich beim Lesen zu bedienen pflegte.

So blieb er ein paar Minuten unbeweglich, dann war er zu einem Resultat gekommen. Er ging entschlossen auf die Thür zu, die in das Schlafcabinet des Fürsten führte, war er doch heute ein Dutzendmal eingetreten, ohne gerufen zu sein.

Durchlaucht!

Was willst Du? fragte der Fürst.

Er saß vor seinem Arbeitstisch, auf welchem heute die Actenbündel und Briefschaften ebenso sorgfältig aufgeschichtet waren, als sonst, nur daß um jedes Bündel, jedes Packet, ganz schmale Streifen blauen Papiers liefen, die mit einem Siegel verschlossen waren. Aber der Fürst hatte, als er gegen Abend hieher zurückkehrte, nachdem der Herr Rath aus Berlin mit seinem Secretär eine Stunde gearbeitet, keinen Blick für die unterdessen vorgegangenen Veränderungen gehabt. Er war nur an den Tisch geeilt und hatte sich überzeugt, daß das kleine in Diamanten gefaßte Pastellbild noch auf seiner alten Stelle war; und vor diesem Bilde hatte er auch jetzt gesessen und es nur so ein wenig mit dem Rücken der Hand bei Seite geschoben, als er sich plötzlich von Herrn Gleich anrufen hörte.

Durchlaucht, sagte Herr Gleich noch einmal, es hat mir heute Morgen einen großen Stich durch mein altes Herz gegeben, als ich hören mußte, daß ich Durchlaucht einen bösen Dienst geleistet mit den Briefen, obgleich Durchlaucht wissen mögen, daß ich nur dem Befehl der Frau Gräfin Excellenz gefolgt bin, als ich Durchlaucht die Briefe gab. Und nun hat der Herr Graf sie Durchlaucht wieder gebracht, und Durchlaucht hat sie dort in der Tasche auf dem Herzen, obgleich ich es eigentlich nicht sehen soll, und nun meine, wenn Durchlaucht diesen Brief hier noch dazu thut, dann wird das Packet doch zu schwer und dick, und Durchlaucht geben mir's, daß ich die ganze Geschichte in's Feuer werfe.

Bei diesen Worten hatte Herr Gleich den Brief Hermanns ausgebreitet vor dem Fürsten hingelegt. Der Fürst hatte in Hermanns Briefen vergangene Nacht zu viel gelesen, um nicht auf den ersten Blick seiner noch immer jugendlich scharfen Augen zu sehen, daß diese Zeilen von derselben Hand sein mußten.

Und so ist's damit zugegangen, fuhr Herr Gleich fort, indem er mit wenigen Worten berichtete, wie das Billet in seine Hand gekommen; – und was das Schlimmste, oder soll ich sagen, das Beste ist: sie hat es nun doch auf andere Weise erfahren, oder es ist auch eine alte Verabredung gewesen, denn eben ist sie mit der Meta Prachatitz ihrer Hilfe, die nie etwas getaugt hat, davongelaufen, und wenn Durchlaucht nur noch ein bischen auf meinen Rath giebt, so läßt er sie laufen und legt sich schlafen und steht morgen frisch und gesund wieder auf, wo denn für Durchlaucht und seinen getreuen Knecht trotz alledem und nun erst recht noch ein paar gute Jahre kommen sollen, vermeine ich.

Der Fürst hatte, während Herr Gleich so sprach, mit weit geöffneten Augen und starrer blasser Miene dagesessen. Das hatte Herrn Gleich nicht besorgt gemacht, denn er hatte es erwartet; aber er erschrak auf's heftigste, als sein Gebieter jetzt mit einem Satze aufsprang und ohne Aufenthalt durch das weite Gemach in das Vorzimmer eilte. Hier stand er plötzlich wieder still, und so war Herr Gleich im Stande, ihn einzuholen und mit zitternder Stimme zu fragen, was denn Durchlaucht nur eigentlich beabsichtige.

Der Fürst antwortete nicht; er ließ seine wirren Blicke rings durch das Gemach schweifen und Herr Gleich glaubte ganz gewiß, daß sein Gebieter wahnsinnig geworden sein müsse, als derselbe plötzlich nach einem Stuhl deutete, auf welchem Mantel und Mütze des Oberforstmeisters lagen, und nun auf den Stuhl zustürzte, sich den Mantel umhing und die Mütze tief in das Gesicht zog.

Du mußt mich begleiten, sagte er, ich finde sonst den Weg nicht im Dunkeln. Ich gehe durch den Corridor, es wird mich Niemand erkennen; Du folgst in einer Minute, ich warte auf Dich an dem Thor. Wir gehen rechts durch den Moorgrund, da begegnen wir Niemand; der Weg ist hernach sehr steil, aber auch kürzer. In einer Minute!

Herr Gleich traute seinen Augen und Ohren nicht. War das wirklich seine Durchlaucht, er, der eben noch wie ein Greis von achtzig Jahren zusammengekauert dagesessen, und jetzt so straff dastand, wie in seinen besten Jahren und das Alles mit leiser zwar, aber so klarer und sicherer Stimme sagte, als ob es gar nicht anders sein könne?

Zu Befehl, Durchlaucht, sagte Herr Gleich; Durchlaucht kann sich auf mich verlassen.

Er öffnete dem Fürsten die Thür nach dem Hauptcorridor, der jetzt, wo alle Welt nach den Gärten drängte, gänzlich verlassen war, sah, wie Durchlaucht in den Mantel des Herrn Oberforstmeisters gehüllt und wirklich in Gestalt und Haltung und Gang dem Herrn Oberforstmeister täuschend ähnlich, den Corridor hinabging, riß ein Blatt aus seinem Portefeuille, auf das er ein paar Worte schrieb und das er dem Dietrich mit der Weisung einhändigte, es sofort dem Grafen zu bringen, und eilte dann, Mütze und Mantel, die im Corridor immer bereit hingen, ergreifend, mit langen Schritten seinem Gebieter nach.


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