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Fünftes Kapitel.

Die jungen Herrschaften, wie die Rothebühler sagten, waren bereits drei Tage auf dem Schloß, und noch immer hatte sich die Aufregung, welche das große Ereigniß in dem Städtchen hervorgerufen, nicht gelegt. Nie hatten die Gevatterinnen den Tag über ihre Arbeit so oft unterbrochen und über die Zäune herüber, welche die Gärtchen trennten, im eifrigsten Gespräch die Köpfe zusammengesteckt; nie waren die Kaffeegesellschaften in der großen Laube vor der Apotheke zum Schwan am kleinen Marktplatz so häufig gewesen; nie hatte Frau Büchsenschmied Findelmann, Frau Kaufmann Zeller, Frau Fabrik-Inspector Körnicke der guten Frau Apotheker Hippe ihre Freundschaft mit der Frau Kanzleirath so neidlos gegönnt; nie war die Eintracht der Damen so groß gewesen; nie hatten sie die Gewohnheit der Frau Kanzleirath, immer und immer von ihrem Elischen zu reden, so lächerlich und unpassend gefunden als eben jetzt.

Frau Kanzleirath war natürlich mit Elischen auf dem Schlosse gewesen, um sich den Herrschaften zu präsentiren. Sie durfte ohne Uebertreibung sagen, daß der Empfang ihre Erwartung übertroffen habe. Sie für ihr Theil mache keine Ansprüche; sie sei eine alte Frau und es komme ihr nicht weiter darauf an, ob man sie auszeichne oder nicht, wenn man ihr nur die nöthige Achtung erweise; und an der habe man es weder jemals vorher, noch auch bei dieser Gelegenheit auf dem Schlosse fehlen lassen. Aber Elischen! Die Damen mögen es nun glauben oder nicht, Elischen sei von der jungen Frau Gräfin empfangen worden wie eine Schwester; und da sehe man wieder, was sie freilich immer gesagt, daß die echte Liebenswürdigkeit und wahre Humanität sich nur bei der echten, der wahren Aristokratie finde. Die Frau Gräfin sei nach den ersten vier Minuten mit ihrem Elischen so vertraut gewesen, wie ihr Elischen mit der gnädigen Frau – hier schob Frau Iffler ihr Haubenband energisch unter das Kinn – in allen diesen vier Jahren nicht geworden. Die Frau Gräfin habe sogleich bemerkt, wie rein das Blau in Elischens Augen und wie zart Elischens Teint und wie geschmackvoll sich das Kind zu kleiden wisse; und das sei umsomehr anzuerkennen, als die Frau Gräfin selbst die schönsten blauen Augen und den lieblichsten Teint und die wundervollsten blonden Haare habe, von ihrer Garderobe gar nicht zu sprechen, die natürlich bei einer so vornehmen, jungen, schönen Dame, die eben aus Berlin komme, nicht anders als über alle Erwartung geschmackvoll und reizend sein könne, und, wie sie wohl nicht zu sagen brauche, dem Zustand, in welchem sich die junge Frau befinde, in der delicatesten Weise angepaßt.

Hier richteten sich die Blicke sämmtlicher anwesenden Damen durch die Thür der Laube nach dem Schloß, welches über die Dächer des Städtchens herüber und gleichsam in die Laube hoch hineinschaute, und ein gemeinschaftlicher, energischer Versuch wurde gemacht, Frau Kanzleirath an einem so hochwichtigen interessanten Punkt festzuhalten.

Aber Frau Kanzleirath konnte oder wollte den Inhalt des Gespräches, welches sie mit der Frau Gräfin über dies Thema allerdings gehabt, nicht mittheilen; überdies habe die Unterredung nicht lange gedauert, denn die Frau Gräfin habe eigentlich nur Auge und Ohr für Elischen gehabt. Elischen habe singen und spielen müssen und die Frau Gräfin habe sich nicht wenig gewundert, daß Elischen die Gnadenarie aus Robert der Teufel mit französischem Text vorgetragen habe, und habe Elischen gefragt, ob sie lange in Paris gewesen, worauf das Kind ganz roth geworden sei und geantwortet habe, daß sie eigentlich noch nie aus Rothebühl herausgekommen. Aber der Herr Graf – nebenbei der schönste Mann, den man sehen könne – groß und schlank und mit einem Vollbart – sei nicht weniger höflich zu Elischen gewesen, und – was sie doch auch erwähnen müsse – Durchlaucht habe sich sichtlich über die Bewunderung, die Elischen erregt, sehr gefreut und gesagt:

Ja, ja, wir Kleinstädter haben noch Lust und Zeit, uns mit nützlichen Dingen zu beschäftigen; wir sind nicht die Huronen, für die Ihr Berliner uns haltet.

Was ist Huronen? fragte Frau Körnicke.

Frau Kanzleirath hatte eben nur noch Zeit, einen Blick unsäglichen Mitleids auf die Fragerin zu werfen. Es sei die höchste Wahrscheinlichkeit, daß die Frau Gräfin heute Nachmittag den Besuch erwiedere; Elischen sei deshalb zu Hause geblieben und sie selbst sei auch nur einen Augenblick gekommen, um den Damen den Beweis zu liefern, daß sie für ihr Theil nicht zu Denen gehöre, welche über neuen und vornehmen Bekanntschaften die alten Freunde vergessen.

Ich glaube, die gute Frau schnappt noch einmal über, sagte Frau Fabrik-Inspector Körnicke, als die Haubenbänder der Frau Kanzleirath kaum zur Gartenlaube hinausgeflattert waren.

Das ist ein hartes Wort, liebe Körnicke, sagte die sanfte Frau Apotheker Hippe.

Ich sehe auch nicht viel Gutes, was aus dem Allem für uns herauskommen wird, sagte Frau Kaufmann Zeller. Wir haben uns bisher wohl genug befunden, auch ohne die Berliner Herrschaften.

Das sprechen Sie Ihrem Manne nach, sagte Frau Büchsenschmied Findelmann. Er ist schon 1866 für Oesterreich gegen Preußen gewesen.

Und Sie, sagte Frau Zeller, sind seit gestern erst für Preußen und – so viel ich sehen kann – blos deshalb, weil der Herr Graf bereits in Ihrem Laden gewesen ist.

Aber, liebe Freundinnen, wollen wir die Politik nicht den Männern überlassen? sagte Frau Hippe beschwichtigend.

Unser Geschäft ist glücklicherweise nicht davon abhängig, ob sie oben auf dem Schlosse preußisch oder österreichisch sind; unser Porcellan geht, Gott sei Dank, bis Holland und Amerika, sagte Frau Fabrik-Inspector Körnicke.

Während so die weiblichen Honoratioren von Rothebühl es schwer fanden, dem großen Ereignisse gegenüber die friedliche Stimmung zu bewahren, welche für gewöhnlich um den Kaffeetisch in der Laube der Apotheke schwebte, waren ihre Männer auf der Kegelbahn in dem Garten des Gasthauses zu den drei Forellen geradezu in einen hitzigen Streit gerathen.

Und ich behaupte noch einmal: er sieht dem Kronprinzen ähnlich, sagte Herr Findelmann.

Und ich: dem Herrn von Bismarck, sagte der Kaufmann Zeller, indem er dabei höhnisch lachte.

Er kann ja Beiden ähnlich sehen, sagte der Apotheker Hippe beschwichtigend.

Meinetwegen dem Teufel, wenn wir nur weiter spielen wollten, sagte der Fabrik-Inspector Körnicke.

Die Sache ist, daß Gevatter Zeller, weil er seine Strumpfwaaren aus Chemnitz bezieht und sein Backobst aus Böhmen, sächsisch-österreichisch gesinnt sein zu müssen glaubt, sagte Herr Findelmann.

Und Gevatter Findelmann preußisch, weil der Herr Graf sich gestern in seinem Laden ein Paar Pistolen zu kaufen geruht hat.

Aber schließlich sind wir doch seit 1815 Alle Preußen, wie wir vorher Sachsen waren, sagte Herr Hippe.

Preußen oder Sachsen oder Oesterreicher, das ist für mich ganz gleich; in ein paar Jahren sind wir doch alle Republikaner, sagte Herr Körnicke.

Das lassen Sie unseren Herrn Kanzleirath nicht hören! sagte Herr Hippe ängstlich, als man jetzt den Genannten durch den Garten auf die Kegelbahn zukommen sah.

Wahrhaftig, Herr Kanzleirath – die große Ehre – wer hätte das gedacht! riefen die Herren durcheinander.

Sehr obligirt, sehr obligirt! sagte der Kanzleirath, den Anwesenden mit huldvoller Miene die Hand reichend. Aber ich konnte heute wirklich nicht früher kommen. Meine Frau erwartete den Gegenbesuch der Berliner Herrschaften und da durfte ich doch nicht fehlen. Nun, sie sind nicht gekommen, aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Und was die drei letzten Tage angeht – großer Gott, ich weiß noch heute nicht, wo mir der Kopf steht; eine Welt voll Geschäfte, eine Welt! die Begrüßung der Herrschaften, lange Conferenzen des Morgens mit Durchlaucht, mit Durchlaucht allein in gewohnter Weise, oder mit Durchlaucht und dem Herrn Grafen bezüglich der Tyrklitzer Erbschaft; Galavisite meiner Damen auf dem Schlosse, Mittagstafel, Abendtafel –

Verderben Sie sich nur nicht den Magen, sagte Herr Körnicke.

Wie steht es denn oben? fragte Herr Hippe, um der üblen Wirkung von Herrn Körnicke's schlechtem Scherz zuvorzukommen.

Gut, sehr gut, sagte der Kanzleirath, ich darf wohl sagen, über meine kühnsten Erwartungen gut. Die Herren wissen, ich hatte bereits 1866 im Herbste die Ehre, dem Herrn Grafen in Wiesbaden aufwarten zu dürfen und ein Zeuge, ein intimer Zeuge der wichtigen Ereignisse jener denkwürdigen Tage zu sein. Jetzt darf ich es sagen, das Wesen des Herrn Grafen war mir damals schon ausnehmend sympathisch und ich bedauerte im Herzen, daß zwischen ihm und der Herrschaft noch die Tyrklitzer Linie stand, und wahrhaftig, einen leutseligeren, liebenswürdigeren, charmanteren Herrn –

Und dem Kronprinzen sieht er ähnlich, sagte Herr Zeller mit bitterem Spott.

Und ich kenne Leute, denen ich weniger gern ähnlich sähe, sagte Herr, Findelmann.

Aber wir sind doch hier nicht beisammen, um zu politisiren, sagte Herr Hippe ängstlich.

Ganz, was Durchlaucht heute Mittag sagten, rief der Kanzleirath eifrig; wahrhaftig, beinahe dieselben Worte: wir sind nicht beisammen, um zu politisiren! Unter uns: die Unterhaltung hatte eine etwas peinliche Wendung genommen. Die gnädige Frau ist, trotzdem sie ja geborene Preußin, ja die Tochter eines preußischen Soldaten ist – hier lächelte der Kanzleirath ein ganz klein wenig – und in dem Hause, ja in der Familie eines preußischen Generals erzogen wurde, sehr antipreußisch, und das trat denn auch heute bei der Tafel ein wenig schärfer hervor, als im Interesse unserer gnädigen jungen Herrschaften wünschenswerth war. Man muß es dem Herrn Grafen lassen, daß er sehr ruhig und höflich blieb, trotzdem die gnädige Frau so weit ging, zu sagen, daß Preußen sich nicht eher zufrieden geben werde, als bis es sich mit sämmtlichen Mächten Europas der Reihe nach gemessen.

Das haben Sie selbst in Ihrem Buch gesagt, Herr Kanzleirath, rief der Kaufmann Zeller, und hier auf dieser selben Stelle haben Sie es hundertmal wiederholt. Geben Sie Acht! – haben Sie gesagt – dieses Preußen wird noch ganz Deutschland mit Stumpf und Stiel aufessen, haben Sie gesagt.

Und das wäre auch nur ganz in der Ordnung! rief der Büchsenmacher Findelmann, auf den Tisch schlagend.

Der Friede ist ein gutes Ding, Gevatter Findelmann, aber auch im Kriege giebt es zu verdienen, Gevatter Zeller, sagte Herr Hippe.

Und schließlich arbeitet Ihr doch nur Alle für die Republik, sagte Herr Körnicke.

Aber ich muß denn doch sehr bitten – sagte der Kanzleirath.

Die Herren vom Kegelclub erfuhren nicht, um was der würdige Mann so sehr bitten zu müssen glaubte, denn in diesem Augenblick ertönte das Geräusch von ein paar Wagen, welche schnell vom Schlosse her die Chaussée herabkamen, die kurz vor den drei Forellen in zwei Arme sich theilte: der eine zur Fasanerie und höher hinauf in die Berge, der andere nach Rothebühl und weiter hinab in das Thal.

Die Herren drängten sich an das Fensterchen des Kegelhauses, von welchem man die Straße überblicken konnte; selbst Herr Körnicke verschmähte es nicht, sich auf die Fußspitzen zu stellen und den Anderen über die Köpfe zu schauen.

Durchlaucht und der Graf mit den beiden Damen in dem ersten Wagen!

Und Herr von Zeisel und der Doctor in dem zweiten!

Und Sie nicht dabei, Herr Kanzleirath?

An unserem Kegelabend! sagte der Kanzleirath, der keine Einladung erhalten hatte, mit sanftem Vorwurf.

Sie fahren gewiß nach der Maierei!

Oder nach der Fasanerie!

Oder über die Maierei nach der Fasanerie!

Sie biegen links ab – nach der Fasanerie, sagte der Kanzleirath im Tone der Entscheidung.

Meinetwegen können sie auf den Blocksberg fahren, sagte Herr Körnicke.


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