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Elftes Kapitel.

Dem Regensturm der Nacht war ein wonniger Morgen gefolgt. Um die grauen Zinnen des alten Fürstenschlosses fluthete das goldene Julilicht so heiß, daß man die feuchten blauen Schatten in den tiefen Höfen bereits als eine Wohlthat empfand. Von den Terrassen, wo die Gärtner mit ihren Gehilfen eifrig beschäftigt waren, die Schäden der letzten Tage zu beseitigen und zu ersetzen, stieg ein warmer Duft aus unzähligen Blumen und Blüthen. In dem frisch glänzenden Laub der Bäume zwitscherten und sangen und schwirrten die Vögel; aus den schimmernden Wiesen unten im Wildpark wallten leichte Nebelstreifen durch die Schluchten hinauf in die Wälder, während die höheren Partien der Berge bereits in vollem Glanze strahlten.

Hermann stand an dem Fenster seines Schlafzimmers und betrachtete lange das reizende Schauspiel.

Wer hätte das gestern denken können, sprach er bei sich; gestern schien es, als wollte die Natur den dunkeln Trauermantel, in den sie sich gehüllt, nimmer wieder ablegen, und heute lacht sie und strahlt sie wie eine glückliche Braut. Könnte man es dem Unglücklichen als Schwäche anrechnen, wenn er nicht ungerührt bleibt von diesem milden Zuspruch, wenn er der holden Botschaft, die Himmel und Erde zu verkünden scheinen, freudig lauscht, wenn in den verdüsterten Sinn der fromme Glaube wiederkehren will, daß noch Alles, Alles sich wenden kann? Aber ich bin zu bitter enttäuscht worden und die Qual des gestrigen Tages war zu groß. Es bedurfte dieses Zeichens nicht.

Er stützte die Stirn in die Hand, die nach der Fiebernacht noch immer schmerzte, und starrte wieder in die Landschaft, lange Zeit, und dann schüttelte er wehmüthig den Kopf und machte eine Bewegung, wie wenn man ein Buch leise zumacht. Was sollte ihm das jetzt! Es würde noch manche Stunde kommen, wo er in diesem Buche blättern konnte nach Herzenslust und Herzensschmerz.

Denn nun sollte geschieden sein. Schwach, wie er sich fühlte, er hatte jetzt die Kraft; und er war dankbar, daß er die Kraft hatte und doch sein Herz nicht mehr raste und tobte wie die Tage vorher; nein, wenn auch ein wenig dumpf, doch ruhig und gemessen schlug, wie das Herz eines Menschen wohl schlagen kann, der scheiden muß, aber gern in Frieden scheiden möchte.

In Frieden – in Frieden mit Allem und Allen, damit ich Frieden habe in mir selbst, den Frieden, der mein Herz erfüllte, bevor mir das Schicksal diese Prüfung brachte, die ich so schlecht bestanden habe. Ich glaubte, ein Eingeweihter zu sein und ein Meister des großen Geheimnisses und das Wort aus dem Grunde zu verstehen, welches das trübe Räthsel dieser Welt löst, das große feierliche Wort: Entsagung. Ich sehe jetzt, wie sehr ich Anfänger war, wie viel ich noch zu lernen hatte. Gleichviel, die Prüfung liegt hinter mir; ich lebe, ich athme noch, und so kann ich sühnen, was ich gefrevelt habe gegen den heiligen Geist der Freiheit und der Wahrheit. Ich habe in Ketten gelegen, die ich mir selbst geschmiedet; so kann ich mich auch selbst befreien. Ich spotte dieser Ketten nicht, sie haben mir die Glieder allzu wund gedrückt, aber fallen sollen sie von meinen Händen, wie sie von meiner Seele bereits gefallen sind. Ein paar Federstriche, und ich bin äußerlich so frei, wie ich im Herzen meines Herzens bin.

Er ging in sein Zimmer und setzte sich, um an den Fürsten zu schreiben. Es war im Grunde nur eine Schwierigkeit zu beseitigen, aber Hermann fand bald, daß sie nicht so leicht zu beseitigen war. Er hatte dem Fürsten versprochen, ihn nicht durch ein allzu plötzliches Scheiden seinen Gästen gegenüber in Verlegenheit zu bringen; er hatte der Gräfin selbst zugesagt, nicht von Roda fortzugehen, bis ein Ersatz für ihn vorhanden sei. Es waren zu diesem Zweck bisher keine Schritte geschehen; und daß man seinem Rothebühler Collegen, der vor einer halben Stunde von ihm gegangen, keinen einigermaßen schwierigen Fall anvertrauen könne, wußte er nur zu gut. Es war eine lästige Verpflichtung; aber lästig oder nicht, er war nicht gewohnt, es mit einer Pflicht leicht zu nehmen.

So ließ er denn seine Studiengenossen von der Universität her Musterung passiren, ob nicht Einer unter ihnen sei, der sein Nachfolger werden möchte. Sie befanden sich Alle in auskömmlichen, zum Theil angesehenen Stellungen. Es war nicht anzunehmen, daß irgend Einer von ihnen das schon Erreichte mit einem Posten vertauschen werde, der für einen strebsamen oder gar ehrgeizigen Mann wenig Anziehungskraft haben konnte.

Hermann fühlte wieder einmal tief, daß er hinter dem großen Heereszuge zurückgeblieben war, ein Nachzügler, der in der Oede seinen Weg verloren. Und doch mußte Rath geschafft werden. Aber war denn das seine Sache? oder seine Sache allein? Das Einfachste schien, sich direct an den Grafen selber, an den zumeist Betheiligten, zu wenden und ihn aufzufordern, seinerseits die Angelegenheit zu betreiben. Es konnte dem vornehmen Herrn ja nicht allzu schwer fallen, sich einen Arzt zu schaffen; man brauchte sich doch sonst keinen Wunsch zu versagen.

So legte er denn den angefangenen Brief an den Fürsten beiseite, um dem Grafen in wenigen Zeilen seine Bitte vorzutragen, und er hatte eben das Billet unterzeichnet, als der Diener anfragte, ob der Herr Graf sich persönlich nach dem Befinden des Herrn Doctors erkundigen könne.

Hermann erhob sich, dem Grafen entgegenzugehen, der alsbald in das Zimmer trat.

Der Tausend, sagte der Graf lachend, das hätte ich gestern Abend nicht erwartet, als die Nachricht von Ihrem Unfall wie eine Bombe in unsere Gesellschaft fiel und eine fürchterliche Verwirrung anrichtete. Man muß an die Hilfskraft und Heilkraft eines Arztes glauben, der sich selbst so schnell helfen und heilen kann. Und doch scheint nach Allem, was ich gehört, der Fall ein sehr ernster gewesen zu sein. Wie haben Sie denn das nur angestellt?

Ich wollte mich gegen den Regen schützen, erwiederte Hermann, und vergaß dabei, daß der Sturz mit einem schlecht geführten Pferde noch empfindlicher werden kann, als der stärkste Regen.

Also ganz wie ich dachte, sagte der Graf. Nun, ich kann mir lebhaft vorstellen, wie Ihnen in dem Augenblick zu Muthe gewesen ist. Aber Sie werden mir zugeben, daß Ihre Patienten Ihnen Ehre machen und ich freue mich jetzt, wo Sie selber Patient sind, doppelt, daß ich heute Morgen endlich im Stande war, die leidige Binde abzulegen.

Ich wünsche, daß es nicht zu früh geschehen sei, sagte Hermann. Wollen wir noch einmal nachsehen?

Ich möchte Sie nicht gerne derangiren, sagte der Graf.

Wie Sie meinen, sagte Hermann. Doch würde ich rathen, sich noch für die nächsten Tage einiger Vorsicht zu befleißigen, wenn Sie bald wieder in den vollen Gebrauch Ihres Armes kommen wollen.

Ob ich will; sagte der Graf. Gewiß will ich das. Mein Urlaub ist freilich erst am sechszehnten zu Ende, aber die Rolle eines Einarmigen würde mir auch bis dahin zu lange dauern. Und wer weiß denn, wie bald wir nicht beide Arme brauchen werden. Ich habe heute Morgen Briefe aus Berlin erhalten. Man beruft sich darin auf ein bedeutendes Ereigniß, das gestern stattgefunden haben soll; als ob uns hier die Zeitungen in's Haus gebracht würden, wie in der Behrenstraße; als ob wir hier nicht immer einen oder zwei Tage hinter der Weltgeschichte zurück wären! Ich habe keine Ahnung, was sich ereignet haben kann, wenn der König im Bade und Graf Bismarck in Varzin ist; und doch muß die Sache bedeutend sein, da mein Korrespondent, sonst ein klarer, nüchterner Kopf, ganz vergißt zu sagen, was es ist. Nur so viel geht aus Allem hervor, daß es sich um eine Differenz mit Frankreich handelt – ein Gewitter, das schon seit lange in der Luft steht und früher oder später – und meinetwegen lieber früher als später – doch einmal losbrechen mußte. Wir bekommen ja heut französischen Besuch; vielleicht kann man da etwas Näheres erfahren. Aber nun will ich Sie auch nicht mehr langweilen. Sie waren beschäftigt, wie ich sehe.

Der Graf war aufgestanden und hatte Mütze und Handschuhe ergriffen, die er vor sich auf den Tisch gelegt.

Ja so, sagte er, da wäre es mir bald gegangen wie den Leuten, auf die ich noch eben gescholten. Meine Frau, die sich Ihnen nebenbei bestens empfehlen läßt, hatte ebenfalls heute Morgen einen Brief aus Berlin, von ihrer Mutter erhalten. Die Gräfin wollte, wie Sie wissen, erst im nächsten Monat zur Entbindung meiner Frau kommen, frühestens zum Geburtstage des Fürsten am sechszehnten; sie hat sich nun aber doch besonnen, sagen wir: besinnen können, da ihre Prinzessin diesmal früher als sonst zum Herzog nach Hause reist und sie also auch früher als sonst ihre Ferien hat, die sie natürlich hier zubringen will. Sie wird schon in den nächsten Tagen eintreffen, das heißt – wir haben heute den sechsten – am achten oder neunten, und – Sie werden daran sofort die überängstliche Mama erkennen – in Begleitung ihres Hausarztes, des geheimen Rathes Winkler. Ich habe meine Frau ausgelacht, aber was soll man thun, wenn man Frieden haben will? Die guten Geschöpfe meinen es ja nicht bös, auch wenn es einen noch so bösen Anschein hat; und ich muß meiner Frau nachsagen, daß sie diesmal gänzlich außer Schuld ist und die Schwäche ihrer Mama nicht minder peinlich empfindet, als ich. Ich bin überzeugt, daß Sie sich in unsere Lage versetzen können.

O gewiß, sagte Hermann, und ebenso werden Sie, wenn Sie die Güte haben, einen Blick auf dies Blatt zu werfen, mir nachfühlen können, aus welcher peinlichen Situation Sie mich durch Ihre Mittheilung gerissen haben.

Ah, sagte der Graf, die Zeilen überfliegend, Sie wollen ernstlich fort?

Sie erinnern sich, Herr Graf, daß ich bereits vor Ihrer Ankunft den Fürsten um meine Entlassung gebeten hatte und nur auf den dringenden Wunsch Sr. Durchlaucht geblieben war.

Allerdings, allerdings, sagte der Graf, um unserthalben; ich meine, um der Gräfin willen. Das arrangirt sich ja nun Alles recht schön. Ich darf von Ihrer Mittheilung Gebrauch machen?

Und er faltete das Blatt zusammen und steckte es in die Tasche.

Doch nur der Frau Gräfin gegenüber, wenn ich bitten darf, Durchlaucht müßte wohl –

Was Sie ihm mitzutheilen haben, von Ihnen selbst erfahren, fiel der Graf schnell ein. Nun, natürlich, das versteht sich ja von selbst. Aber noch einmal, ich will nicht länger stören. Guten Morgen, Herr Doctor.

Hermann schaute mit bitterem Lächeln auf die Thür, durch die sich eben der Graf entfernt hatte.

Da habe ich mir wieder einmal eine recht unnöthige Sorge gemacht, sprach er bei sich. Daß Unsereiner doch so schwer begreift, wie leicht er zu entbehren ist! Nun, Gott sei Dank, der Weg steht offen, und diesmal will ich ihn bis zu Ende gehen.

Er nahm den Brief an den Fürsten wieder vor. Was er geschrieben, paßte nach der Mittheilung des Grafen nicht mehr; er mußte von vorn beginnen. Die Situation war ja jetzt so viel einfacher; dennoch wollten die rechten Worte nicht kommen. Die dumpfe Schwere in seinem Kopfe wurde immer peinlicher. Wiederholt mußte er absetzen; endlich brachte er mit Mühe einige Zeilen zu Stande, die ihm, als er sie überlas, gar nicht genügten, die er aber dennoch einsiegelte und adressirte.

Durchlaucht sind in Conferenz mit Herrn von Zeisel und dem Herrn Kanzleirath, sagte der Diener; ich werde das Billet schwerlich anbringen können.

Versuchen Sie es dennoch.

Ganz gewiß, Herr Doctor.

Der Diener war gegangen.

Man wird zuletzt gar noch selber egoistisch, sagte Hermann. Aber Jeder ist sich selbst der Nächste.

Er mußte lächeln, als er die Worte laut und ernsthaft gesagt hatte.

Eine neue Weisheit in Deinem Munde, aber unter den Wölfen lernt man heulen. Was wäre jetzt zunächst zu thun? Das Zelt abzubrechen, unter dem Du so lange – zu lange gehaust. Es wird schnell genug geschehen sein.

Er ließ seine Blicke durch das Zimmer schweifen. Wie viel gehörte ihm denn von dieser eleganten, ja reichen Ausstattung? Dieses bequeme Sopha nicht, auf dem er saß, dieser Tisch mit der prunkhaften Decke nicht, an dem er geschrieben, der große Spiegel nicht, in welchem er sein bleiches Gesicht sah – so gut wie nichts; die kleine medicinische Bibliothek, die Instrumente zu seinen physikalischen und chemischen Experimenten – das war Alles. Das Andere war nur das kostbare Gewand, in das man den Statisten hüllt, damit er an dem prächtigen Schauspiel schicklich Antheil nehmen könne, und das er wieder abzustreifen hat, wenn er verabschiedet wird.

Und daran hatte ich diese ganze Zeit nicht gedacht! Und es lag doch so nahe, war so gar nicht zu übersehen, wenn man nur die Augen aufmachte. Aber ich war eben ein Blinder gewesen; die Welt ist nicht ganz so herrlich, wie ich sie geträumt, im Gegentheil, ein wenig nüchtern und ärmlich. Desto besser! desto leichter werde ich in Zukunft wach bleiben können.

Und während er das bei sich dachte, sanken ihm die Wimpern über die schlummermüden Augen.

Als er sie wieder öffnete, schien die Sonne hell in das Zimmer, von dem Hofe ertönte das Gerassel von Wagen, das Wiehern von Pferden und rufende Stimmen der Leute.

Aber es dauerte Minuten, bis er sich dieser Umstände voll bewußt wurde. Endlich besann er sich, daß er geschlafen, lange geschlafen haben mußte. Er erinnerte sich, daß der Graf um Zwölf bei ihm gewesen, und seine Uhr wies auf Vier. Wankend erhob er sich und trat an's Fenster. Eine Equipage fuhr über den Schloßhof nach dem zweiten Hof, wo die Ställe und Remisen sich befanden; vor dem Portal standen mehrere Bediente in großer Livree; in dem Cavalierhause selbst war ein Kommen und Gehen und Oeffnen und Schließen von Thüren und jetzt wurde auch an seine Thür geklopft.

Herr von Zeisel trat herein im Frack und weißer Binde und Weste, den Chapeau unter dem Arm, in der linken Hand ein Paar Glacés, während er die rechte Hermann entgegenstreckte.

Was werden Sie von mir denken, liebster Freund, rief er, daß ich mich den ganzen Morgen noch nicht um Sie bekümmert habe! Aber zuerst, wie geht es Ihnen? Was machen Sie? Der Graf sagte, er habe Sie vollkommen wohl verlassen. Ist es wahr? Ich finde, Sie sehen sehr angegriffen aus und Ihre Hand ist heiß: Sie haben noch immer Fieber.

Ich denke, nein, sagte Hermann; ich komme eben aus dem Schlaf.

Und ich habe Sie aufgeweckt, sagte der Cavalier. Wie dumm! ich will auch gleich wieder gehen.

Bleiben Sie lieber, sagte Hermann, ein paar Minuten wenigstens, und erzählen Sie mir, was es giebt.

Eine halbe Stunde kann ich bleiben, sagte der Cavalier, neben Hermann auf dem Sopha Platz nehmend. Ich habe möglichst schnell Toilette gemacht, um noch ein wenig mit Ihnen zu plaudern. Und was es giebt? Aber Sie haben ja geschlafen, sagten Sie.

Vier Stunden.

Vier Stunden, das ist aller Ehren werth. Nun, ich finde das begreiflich nach solcher Nacht. Sie haben mir rechte Sorge gemacht.

Und Sie haben mich so treulich behütet; ich habe Ihr gutes Gesicht wohl von Zeit zu Zeit gesehen, wenn ich einmal aus meinem Torpor aufwachte. War nicht auch der Fürst da?

Gewiß, sagte Herr von Zeisel; auch Gleich und selbst der Graf auf eine Minute. Ich habe sie Alle weggeschickt, um allein bei Ihnen zu bleiben.

Warum das?

Der Cavalier sah Hermann mit einem halb schelmischen, halb verlegenen Lächeln an.

Sie führten so seltsame Reden, Sie Verschlossenster der Menschen, und da dachte ich, es wäre am Ende besser, wenn Jemand bei Ihnen blieb, der ein so windiges Gehirn hat, wie Ihr ergebenster Freund und Diener.

Nun, sagte Hermann, was für Reden waren das? Mir dürfen Sie es schon sagen; mir erzählen Sie jedenfalls nichts Neues.

Wir sprechen ein andermal darüber, sagte der Cavalier lachend.

Lieber jetzt gleich, sagte Hermann. Sie sehen, ich bin noch etwas nervös; nichts regt mehr auf, als eine unbefriedigte Neugier.

Nun denn, sagte Zeisel, Sie lieben.

In der That; habe ich das gesagt?

Nicht geradezu, aber doch verständlich genug.

In Gegenwart des Fürsten? fragte Hermann, dem das Blut in die Schläfe schoß.

Nein, da führten Sie nur wirre Reden: Reminiscenzen aus Macbeth, die mir nebenbei etwas peinlich waren. Ein älterer Herr und Fürst läßt sich nicht gern mit dem gnadenreichen Duncan vergleichen und sich daran erinnern, daß er noch so viel oder zu viel Blut hat, ich weiß nicht, wie es heißt; aber später, als ich allein bei Ihnen war – lieber Freund, Sie sprachen fürchterliche Dinge und tauchten so viele imaginäre Dolche in das Herz eines gewissen Herrn, daß mir's heute Morgen ordentlich leicht um's Herz wurde, als ich ihn lebend vor mir sah. Wie ist Ihnen diese Leidenschaft nur so plötzlich gekommen? Aber habe ich ein Recht, danach zu fragen, der ich die schönste der Frauen selber anbete! Und das treibt Sie nun wirklich von uns?

Sie sprechen in Räthseln, lieber Freund, die zu lösen ich außer Stande bin. Was meinen Sie?

Ich möchte Sie um Alles in der Welt nicht betrüben, liebster Freund, erwiederte der Cavalier. Aber ich glaube es unserer Freundschaft schuldig zu sein, wenn ich Ihnen nicht verhehle, daß mir sogar der Fürst mindestens eine Ahnung des wahren Motivs Ihres plötzlichen Entschlusses zu haben scheint.

Unmöglich! rief Hermann.

Ich war zugegen, fuhr der Cavalier fort, als ihm Ihr Brief überbracht wurde. Er las ihn, reichte ihn mir und sagte: Was heißt dies? Ich zuckte natürlich discret die Achseln und murmelte etwas von: doch einmal einen Entschluß fassen müssen, als ich den Fürsten so ganz in Gedanken verloren vor sich hin sagen hörte: vielleicht ist es besser für ihn, wenn ich ihn jetzt auch weniger missen kann, als je vorher; und dann, Sie kennen ja sein ironisches Lächeln, fügte er hinzu, immer in demselben verlorenen Ton: die Gräfin wird untröstlich sein, der Graf wird sich zu trösten wissen.

Hermann athmete auf.

Und daraus schließen Sie?

Ich schließe gar nichts, ich sage gar nichts, als daß es schändlich von Ihnen ist, jetzt, gerade jetzt zu gehen, wo Sie mich, der ich so lange eine subalterne Rolle gespielt habe, in meinem Glanze sehen könnten. Das sage ich Ihnen aber gleich: vor dem sechszehnten lasse ich Sie nicht weg und wenn Ihnen das Herz sechszehnmal bricht. Ich habe ungeheure Projecte; ich werde mich selbst übertreffen, und das Alles mit hoher obrigkeitlicher – will sagen durchlauchtiger Bewilligung. Denken Sie sich, liebster Freund, vorhin, als ich schon meine letzte Verbeugung gemacht zu haben glaubte, sagt der Fürst: Ich weiß, daß meine guten Rothebühler die liebenswürdige Gewohnheit haben, sich meines Geburtstages zu erinnern. Sie werden es auch diesmal thun. Nur sind ihre Aufmerksamkeiten meist besser gemeint, als sie geschmackvoll sind. Und doch wäre auch das Letztere, da wir das Haus voller Gäste haben, diesmal wirklich wünschenswerth. Wie wär's, lieber Zeisel, wenn Sie, so ganz unter der Hand, die Sache ein wenig in die Hand nehmen wollten. – Sie werden mir zugeben, liebster Freund, der Wink war deutlich, sehr viel deutlicher, als Durchlaucht sonst zu winken pflegen. Aber die Sache ist, daß ein wenig Eifersucht gegen den Grafen mit unterläuft, vor dem man sich nicht ungern als vielgeliebten Landesvater zeigen möchte. Freilich darf man auch den französischen Gästen nichts zu lachen geben; der Marquis sieht ohnedies trotz seiner glatten Manieren aus, als ob er sich innerlich fortwährend über uns lustig machte.

So ist der Marquis gekommen?

Ja, Sie Mann aus dem Monde, vor einer Stunde bereits, mit Extrapost wie der Teufel, er und sein Secretär nebst einem Kammerdiener und zwei Bedienten – eine ganze kleine Carawane. Außerdem waren, wie Sie sich erinnern – oder auch nicht erinnern, wann hätten Sie sich je um dergleichen bekümmert! – Herr und Frau und Fräulein Adele von Fischbach und Baron Neuhof nebst Frau Gemahlin zu heute geladen. Durchlaucht, der jetzt durchaus Hof halten will, hat zu morgen auch noch an Baron Manebach und die Herren von Kammerberg und von der Kuhruh Einladung ergehen lasten, und es thut ihm, glaube ich, beinahe leid, daß nun außer dem disreputirlichen alten Grafen Pechtiegel kein Adeliger mehr sechs Stunden in der Runde aufzutreiben ist. Uebermorgen kommt nun auch noch die Gräfin Excellenz, und dabei den Kopf voller Pläne für das Fest am sechszehnten! Deputation der ehrenwerthen Bürger, Serenade, Illumination, lebende Bilder, Festspiel: Barbarossa's Erwachen, Schlußtableau: Germania – blauer Rock, Berliner Blau natürlich, Brustharnisch, Gürtel von allerlei kostbaren Steinen, auf dem Haupte einen strahlenden Helm, in der Linken den Schild mit dem Reichsadler, in der Rechten den Flamberg – wozu hätten wir denn unsere Rüstkammer! – über ihr die wehenden Zweige der deutschen Eiche, im Hintergrunde die burgengeschmückten Ufer des alten Rhein! Und nun muß ich fliegen, um die Honneurs zu machen und im Vorbeigehen Ihren schuftigen Johann aufzugabeln, damit er Ihnen ein kleines feines Diner aus der Küche holt. Sie könnten gleich mit dem Secretär des Marquis speisen, der Migräne hat und auch nicht zur Tafel kommt. Er wohnt hier neben uns. Ich mußte ihn doch im Cavalierhause unterbringen, obgleich ich im Malortie nichts darüber finden konnte, wie es mit den Secretären französischer Marquis, die in Deutschland auf Entdeckungsreisen ausgehen, zu halten sei. Gleich nach der Tafel geht's nach Erichsthal in drei oder vier Wagen. Sie werden uns sehen, bewundern, gesund werden, hier bleiben, Zulage haben, mich hinauswerfen, wenn ich noch ein Wort spreche, und somit Gott befohlen!

Der heitere junge Mann schüttelte dem Freunde die Hand und eilte davon. Hermann blickte ihm mit einem trüben Lächeln nach.

Glücklicher Mensch, sagte er, wer doch auch wie Du das schwere Leben so auf die leichte Achsel nehmen und dabei so brav bleiben könnte! Ich weiß, Dir thut es leid, daß ich gehe, aber Du hast Dir darum Deine weiße Binde nicht weniger sorgfältig geknüpft und über Deine neuen Lackstiefel keine geringere Genugthuung empfunden. Ich möchte Dich wohl heute in Deinem Glanze sehen und Dein Winken und Stirnrunzeln, und Dein zufriedenes Lächeln, wenn Alles nach dem Schnürchen geht, ich möchte es wohl sehen!

Aber Hermann sah, während er so sprach, nicht seinen Freund, sondern Hedwig, wie sie in der Bildergalerie, wo sich die Gesellschaft vor der Tafel zu versammeln pflegte, in ruhiger Anmuth dastand, die Verbeugungen der Herren mit jenem kaum bemerkbaren Neigen des Hauptes erwiedernd, das ihr eigenthümlich und, mochte sie Vornehm oder Gering grüßen, immer dasselbe war. Er sah sie sich zu den Damen wenden, und während sie die junge, hochmüthige Baronin Neuhof nur eben mit einem Blick der dunklen Augen streifte, das schüchterne Fräulein Adele von Fischbach mit ernster Freundlichkeit bewillkommnen. Der Fürst trat mit dem Marquis heran; der Franzose sagte ihr die verbindlichsten Dinge und der Graf verwendete keines seiner blauen, stahlharten Augen von der Gruppe, während er sich scheinbar mit der schönen Neuhof unterhielt; und nun trat Herr von Zeisel an Durchlaucht heran und flüsterte ihm ein paar Worte in's Ohr und Durchlaucht sagte laut: Darf ich die Herren bitten, während er selbst der alten Frau von Fischbach den Arm reichte.

Und so weiter, sagte Hermann, heute und die folgenden Tage und in alle Ewigkeit. Was geht es mich noch an?

Der Diener trat herein mit einem großen Präsentirbrett, eilfertig. Er bitte um Entschuldigung, er habe die Klingel des Herrn Doctor heute vielleicht einmal überhört, es gäbe heute gar so viel zu thun. Das Diner für den Herrn Doctor habe Herr von Zeisel selbst mit dem Chef verabredet; Herr von Zeisel lasse dem Herrn Doctor guten Appetit wünschen; und dann habe er auch noch eine Karte von dem französischen Herrn Secretär, dem er eben auch auf seinem Zimmer servirt habe, und der Herr Secretär lasse fragen, ob er dem Herrn Doctor nach Tische aufwarten dürfe.

Johann wollte diensteifrig den Tisch decken, aber Hermann hieß ihn nur etwas Brod und Wein dalassen und das Andere wieder fortnehmen. Er habe keinen Appetit und Johann werde drüben im Schlosse wohl nöthiger sein.

Der Mann ließ sich diese Erlaubniß nicht zweimal geben und verschwand so eilig, wie er gekommen war. Hermann nahm die Karte zur Hand, welche neben der Weinflasche auf dem Präsentirbrett lag, und las: M. Ludovic du Rosel.

Der Name erweckte in ihm Erinnerungen an eine der trübsten und kummervollsten Zeiten seines Lebens, an die Zeit, als er noch am Hofe seines Königs und Herrn verkehrte und den Dank für die königliche Gnade, die dem Knaben und Jüngling auf der Schule und der Universität zu Theil geworden, in Form von Unterrichtsstunden in den Naturwissenschaften an die königlichen Kinder abtragen mußte. Die Stunden selbst hätte er gern gegeben, wäre es damit abgethan gewesen, aber das war es nun eben nicht. Er mußte viel Schlimmes mit in den Kauf nehmen, nichts Schlimmeres als die Berührung mit Menschen, die ihn für Ihresgleichen ansprechen zu können glaubten, weil sie sich mit ihm auf demselben Parquet begegneten, und die ihn nur zu oft mit einem Vertrauen beehrten, das für einen geraden Mann nichts weniger als erfreulich und oft geradezu beleidigend war.

Unter diesen Menschen hatte sich auch eine Zeit lang ein gewisser Herr Charles Rosel befunden, der sich für einen Pariser ausgab, obgleich man ihm nachsagte, daß er aus einem Elsässer Dorf stamme und eigentlich Karl Rose heiße. Er hatte anfänglich in der Stadt von Privatstunden ein kümmerliches Leben gefristet und war dann – Niemand wußte wie – an den Hof gekommen, wo er sich durch seine große Gewandtheit schnell angenehm und bald unentbehrlich zu machen wußte. Dann war er – wiederum ohne daß Jemand zu sagen wußte wie aus dem Hofkreise und aus der Stadt und sogar aus dem Lande verschwunden. Man hatte natürlich darüber seine Glossen gemacht und den Namen des Herrn Rosel oder Rose in unliebsamste Verbindung gebracht, einmal mit einer gewissen königlichen Cassette, die man seit einigen Tagen vermißte, das anderemal mit dem Namen einer Dame aus der haute-volée, die eine plötzliche Reise zu ihren Eltern nach Galizien angetreten. Aber man war in diesen Kreisen an den kometarischen Lauf solcher Wandelsterne zu sehr gewöhnt, und nach kurzer Zeit war der Mann bis auf den Namen vergessen gewesen.

Auch Hermann würde den Mann und seinen Namen vergessen haben wie die Anderen, hätte sich ihm nicht Herr Rosel auf eine gewisse Weise interessant zu machen gewußt durch verschiedene Unterredungen, die der Franzose auf das geschickteste herbeizuführen verstand und in denen er sich, wenn man ihm glauben wollte, als den glühendsten Freiheitsschwärmer dargestellt hatte. Hermann hatte ihm nie so recht glauben können – des Mannes Thun stand in zu auffälligem Gegensatz mit diesen seinen Bekenntnissen; ja es war ihm manchmal der Verdacht gekommen, ob die feurigen Tiraden des Herrn Rosel nicht einfach geschickt ausgestreute Leimruthen seien für die dummen Vögel, welche lange genug in der Sonne der königlichen Gnade geflattert hätten. Alles in Allem war ihm Herr Rosel ein Räthsel gewesen und geblieben und er hatte es für etwas mehr als ein Spiel des Zufalls gehalten, daß in des Mannes schmalem, grauem, von Leidenschaften durchwühlten Gesicht die dunklen Augenbrauen über der Nasenwurzel zusammenstießen, und er also auch äußerlich war, was man in der Volkssprache hie und da ein Räthsel zu nennen pflegt.

An das Alles dachte Hermann und er blickte mit einiger Spannung auf, als jetzt gepocht wurde, die Thür sich öffnete, ein Herr schnell hereintrat und mit ausgestreckter Hand auf ihn zukam.

Es war Herr Charles Rosel.


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