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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Am folgenden Tage um die Mittagsstunde bot der Schloßhof einen seltsamen Anblick. Eine Menge Menschen wogte durcheinander: Männer zumeist, aber auch viele Frauen, selbst Kinder: Einwohner, Bürger von Rothebühl, Pächter, Knechte von den fürstlichen Gütern im Thal, Bauern, Köhler »vom Walde«, Bergleute – eine bunte Schaar, die immer noch anwuchs, denn wenn auch Manche, des langen Wartens müde, gingen, so strömten in jedem Augenblick durch das dunkle Thor Andere herzu. Auf den Gesichtern aller dieser Menschen aber lag derselbe Ausdruck der Sorge, der Spannung; auf den Lippen aller dieser Menschen schwebte dieselbe Frage: ob es denn wirklich zum Kriege kommen werde? nur manchmal – und fast immer von älteren Leuten – wurde gefragt: ob er denn noch immer nicht gefunden sei?

Freilich würde es zum Kriege kommen, darüber sei gar kein Zweifel; der Herr Graf habe gestern Abend in eigener Person die Nachricht durch Rothebühl gebracht; heute Morgen sei ja schon die gedruckte Depesche angekommen; und vor einer halben Stunde auch die Botschaft von dem Herrn Oberforstmeister, daß Durchlaucht die Nacht bei ihm zugebracht habe; und das sei doch unverantwortlich von dem Herrn von Zeisel, den Menschen einen solchen Schrecken einzujagen und die Leute überall hinzuschicken, nur nicht dorthin, wo jeder Durchlaucht am ersten gesucht hätte.

Ja freilich, meinte ein stämmiger Pächter, der hinzutrat, aber für unsere Durchlaucht wäre es vielleicht ebenso gut gewesen, wenn er gar nicht zurückgekommen wäre; der wird an dem Kriege keine große Freude haben.

Ja, ja, sagte ein Anderer, da ist unser Herr Graf schon besser am Platze; und vorhin haben sie ihn ja schon als unsere neue Durchlaucht leben lassen, als der Bote von dem Herrn Oberforstmeister noch nicht da war; aber er hat's nicht annehmen wollen.

Und daran hat er recht gethan, sagte der stämmige Pächter.

Freilich, der Alte lebt ja noch! rief ein Rothebühler Witzbold in der Gruppe. Die Anderen lachten.

Und lebt hoffentlich noch manches gute Jahr, sagte der Pächter, sich unwillig abwendend.

Das ist auch so Einer, der das Herz wo anders sitzen hat, sagte der Witzbold.

Und der es mit den Franzosen hält, meinte ein Anderer.

Das ist kein echter deutscher Mann!

Und kein guter Preuße.

Da ist der Herr Graf am Fenster! Hurrah, für unseren Herrn Grafen, und abermals hurrah! und zum drittenmale hurrah!

»Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben,« intonirte der Rothebühler. Die Umstehenden fielen ein, und als jetzt an der Flaggenstange auf der Zinne eines der Thürme eine große schwarz-weiße Fahne aufgezogen wurde und lustig im frischen Winde zu flattern begann, brauste es in vollem Chor:

»Die Fahne schwebt uns schwarz und weiß voran.«

Man drängte heran, nach dem Fenster aufzuschauen, an welchem der Graf noch immer stand – den Rücken der Menge zugekehrt und sich eifrig mit einem Herrn unterhaltend, welcher vor einer halben Stunde mit Extrapost angekommen war. Man sang um so lauter, je weniger der Graf darauf zu hören schien; kaum Einer oder der Andere wandte sich nach dem Jagdwagen um, welcher in diesem Augenblicke auf den Schloßhof gefahren kam und vor einer der Nebenthüren stillhielt.

Zwei Herren stiegen aus und waren alsbald in der Thür verschwunden.

War es nicht Seine Durchlaucht? fragte Einer.

Gott bewahre: der Herr Oberforstmeister und ein alter Herr mit weißen Haaren, sagte ein Anderer.

Da flatterte auf der Zinne des zweiten Thurmes die fürstlich Roda'sche Fahne in die Höhe, die dort immer wehte, wenn Seine Durchlaucht im Schlosse war.

Durchlaucht ist zurück! riefen ein paar Stimmen. Hurrah für unsere Durchlaucht!

Aber die Anderen sahen die Fahne entweder nicht oder hielten sich für verpflichtet, nun erst recht ihrem Patriotismus Luft zu machen und mächtiger noch als zuvor, wie im Jubel erschallte es jetzt:

»Ich bin ein Preuße, will ein Preuße sein!«


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