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Zwölftes Kapitel.

Sie erinnern sich meiner nicht mehr, sagte der Herr, indem er die Hand, welche Hermann zu erfassen keine Miene machte, mit einer geschickten Bewegung zurückzog.

O doch, sagte Hermann, nur daß die Verschiedenheit der Namen –

Charles Rosel oder Ludovic du Rosel, wie Sie wollen, sagte der Herr; bei uns nimmt man das weniger genau als bei Euch, und nebenbei habe ich ein wirkliches Recht zu beiden Namen, welche jeder nur ein Theil meines vollständigen Namens sind: Charles Ludovic du Rosel.

Und Herr Charles Ludovic du Rosel verbeugte sich noch einmal.

Wollen Sie Platz nehmen, sagte Hermann.

Ich hörte zu meinem Bedauern, daß Sie unwohl seien, sagte Herr Rosel, indem er der Einladung alsbald Folge leistete, und daß Sie bei Tafel nicht erscheinen würden. Ich beschloß sofort, diese Gelegenheit womöglich zu benützen und Sie um eine Privatunterredung zu bitten, damit ich Ihnen ein paar Briefe übergeben und, falls es Ihnen genehm ist, mit Ihnen weiter darüber plaudern kann, nachdem Sie dieselben gelesen.

Er hatte bei diesen Worten zwei Briefe aus seinem Portefeuille genommen, welche er jetzt Hermann mit einem Lächeln auf den dünnen Lippen überreichte.

Ich weiß in der That nicht – sagte Hermann.

Bitte, lesen Sie, sagte Herr Rosel.

Das Räthsel, welches den Mann umgab, war noch immer so dicht und dunkel, wie es seine Augenbrauen waren. Als Herr Rosel damals vom Hof verschwand, war strenge Ordre gegeben, vor den höchsten Herrschaften mit keiner Sylbe des Vorfalls Erwähnung zu thun, selbst den Namen des Mannes nicht zu nennen. Und hier in diesem Briefe von höchster Hand wurde der treue und bewährte Freund des Hauses aufgefordert, dem Ueberbringer ein unbedingtes Vertrauen zu schenken; und in dem zweiten Briefe von der Hand eines Mannes, der an dem Hofe der verbannten Königsfamilie stets eine große und verhängnißvolle Rolle gespielt, bat man ihn, ohne Furcht dem bewährten Führer auf dem Wege zu folgen, welchen die Vorsehung so sichtbar vorgezeichnet, bis zu dem Ziele, das für alle Welfenherzen nur eines und dasselbe sein könne.

Ich erlaube mir nicht den mindesten Argwohn hinsichtlich der Authenticität dieser Schriftstücke, sagte Hermann, nachdem er die Briefe mit einer immer wachsenden Unruhe gelesen; auch stimmt die Adresse gewiß, und doch kann gar kein Zweifel darüber sein, daß sie an eine falsche Adresse gerichtet sind. Darf ich Sie deshalb bitten, diese Briefe wieder zu sich zu nehmen?

Sie wollen sagen? fragte Herr Rosel, indem er Hermann's Aufforderung Folge leistete mit der Bereitwilligkeit eines coulanten Kaufmanns, der eine Waare, die nicht angesprochen hat, zurücknimmt.

Ich will sagen, erwiederte Hermann, daß sich die hohe Frau, welche jene Zeilen geschrieben, in Beziehung auf mich in einem Irrthum befindet, der, wie aus dem zweiten Briefe hervorgeht, von Allen, welche sich in jenem Kreise bewegen, getheilt wird.

Und dieser Irrthum bestünde? fragte Herr Rosel.

Dieser Irrthum besteht in der Annahme, fuhr Hermann fort, daß ich bis zur Katastrophe ausgehalten habe aus persönlicher Anhänglichkeit, wie vielleicht Manche, oder um eines äußeren Vortheils willen, wie gewiß Viele, oder um der Sache willen, wie gewiß die Meisten. Ich aber blieb, weil ich die Last einer Dankbarkeit abzutragen hatte und sie nicht anders abtragen zu können glaubte. Unsereiner hat in einer solchen Lage nur sein Leben zu bieten. Ich habe es gethan; es ist nicht meine Schuld, wenn ich mit dem Leben davongekommen bin. Da es aber einmal geschehen ist, so glaube ich ein Recht zu haben, diesen Lebensrest für mich zurückzufordern.

Ich verstehe Sie vollkommen, sagte Herr Rosel.

Desto besser, sagte Hermann, denn das würde auch die Antwort sein, welche ich geben müßte und geben würde, sollte ich jene Briefe beantworten, die ich eben deshalb lieber als nicht an mich gerichtet ansehen möchte.

Herr Rosel hatte, während Hermann sprach, wiederholt mit dem Kopfe genickt. Jetzt sagte er:

Verzeihen Sie, mein Herr, wenn ich noch einen Augenblick einen Gegenstand verfolge, der Ihnen offenbar so peinlich ist. Ich glaube Ihnen nachfühlen zu können, was es heißt, gegen seine Ueberzeugung –

Verzeihen Sie, mein Herr, unterbrach ihn Hermann, ich sagte nicht gegen meine Ueberzeugung; oder sagte ich es, so meinte ich: überzeugt wie ich war, daß eine Sache nicht siegen könne, die so schlecht vertheidigt wurde. Unter der Sache aber verstehe ich und verstand ich damals die Autonomie der deutschen Stämme gegenüber der Vergewaltigung, die von Preußen ausging, den Kampf der Freiheit, die ich liebte und für die ich leben wollte, gegen die Herrschaft einer brutalen Gewalt, die ich bis in den Tod haßte und als deren höchsten politischen Ausdruck ich den preußischen Militärstaat ansah.

Und – halten Sie dem Boten, der einen Auftrag auszuführen hat, seine pedantische Genauigkeit zu gute – ist das heute noch Ihre Ansicht?

Sollte diese Frage nicht bereits jenseits der strictesten Erfüllung Ihres Auftrags liegen? erwiederte Hermann.

Sie haben Recht, sagte Herr Rosel. Mein Auftrag hat nichts mehr damit zu thun. Sie sind, das ist klar, für meinen Auftraggeber verloren. Aber ich selbst möchte Sie nicht so leicht verloren geben.

Ich bitte um Verzeihung, wenn ich Sie nicht verstehe.

Dann hätten Sie mich, hätten wir uns nie verstanden, sagte Herr Rosel, und das würde ich selbst Ihnen nicht glauben, wenn ich es aus Ihrem eigenen Munde hörte. Oder es wären nur Worte gewesen, wie Hamlet sagt, was wir sprachen an jenem Abend – Sie erinnern sich gewiß, Sie müssen sich erinnern – Sie kamen aus dem Gemache der Prinzessinnen, ich aus dem des Prinzen – wir trafen in dem Vorzimmer zusammen, gingen zusammen die Treppe hinab und hernach durch den Park, still. Jeder in seine Gedanken verloren, bis wir durch die Gänge der verschnittenen Taxushecken, vorbei an den verrenkten Sandsteingöttern und abgezirkelten Schwanenteichen, bis zum Fluß kamen, der vom Abendschein beleuchtet seine stillen Wasser durch umbuschte Ufer drängte. Drüben jenseits des Flusses zogen sich Wiesen, über denen eine Wolke Staare hin- und wiederschwebte; weiterhin in Abendduft und Abendgold verzitternde Felder, die endlich von einer blauen Hügelkette begrenzt wurden. Wir waren allein, kein Laut in der weiten Runde, kein Lauscher in der Nähe; wir sahen nach all der Unnatur, die hinter uns lag, endlich wieder ein Stück Natur vor uns, und da, werther Freund, öffneten sich unsere Herzen und wir fanden, woran ich meinestheils vom ersten Augenblicke an nicht gezweifelt hatte, daß wir, obwohl verschiedenen Stammes und verschiedene Sprachen redend, doch Angehörige waren eines und desselben Staates, des Staates der Vernunft und des Lichtes; Bürger waren derselben Republik der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die keine Franzosen und Deutschen, die nur Menschen kennt.

Welcher Mensch, ich meine, welcher gebildete Mensch unserer Tage bekennte sich nicht schließlich zu diesem schönen Glauben? sagte Hermann, der sich jenes Abends sehr wohl erinnerte, aber auch des Mißtrauens, mit welchem ihn schon damals die glänzenden Reden des Fremden erfüllt hatten.

Nur mit dem Unterschied, fuhr der Franzose fort, daß bei den Einen dieser Glaube bleibt, bei den Anderen sich in die Praxis umsetzt; und ich müßte meine Menschenkenntniß nicht so theuer erkauft haben, wenn es möglich wäre, daß ich mich hier in Ihnen irrte, wenn Sie nicht zu der ecclesia militans des alleinseligmachenden Glaubens gehörten.

Wir kamen damals dahin überein, erwiederte Hermann, daß dieser Glaube nur immer in wenigen, sehr wenigen Menschen zur thatfrohen Leidenschaft erglühen wird.

Man sollte, erwiederte Herr Rosel, dergleichen Axiome niemals formuliren, die immer nur auf unserer Unkenntniß der actuellen Verhältnisse basiren. Ich hatte schon an jenem Abend die Empfindung, die bald so mächtig in mir wurde, daß ich die Probe auf das Exempel machen mußte und Knall und Fall mir liebgewordene Verhältnisse aufgab. Ich ging, ohne Abschied zu nehmen; wem außer Ihnen hätte ich auch sagen können, was mich in die weite Welt trieb! und daß ich Sie wiederfinden würde, sagte mir mein Herz. Ich war seitdem ein wenig überall, in der Schweiz, in Italien, Spanien, in England, Rußland, zuletzt wieder in meiner Heimath. Ich habe meine Ahnung bestätigt gefunden. Ich kann es jetzt mit Zahlen belegen, daß eine große, nach Hunderttausenden von Köpfen zählende republikanische Gemeinde über die ganze Erde verbreitet ist, die einig ist in ihren Principien, ja auch in den Mitteln und Wegen, die zum Ziele führen.

Man hat es auf dem Congreß in Genf gesehen, sagte Hermann.

Allerdings hat man es gesehen, erwiederte Herr Rosel, das heißt, der hat es gesehen, der zu sehen verstand, der es verstand, die ecclesia militans zu sondern von der großen Masse, die nie begreift und nie begreifen wird, daß die ultima ratio der Könige gegen ihre Völker auch das letzte Zufluchtsmittel der Völker gegen ihre Könige ist. Die Krönung des Gebäudes muß eben ohne Krone stattfinden.

Ihr habt 1848 in Frankreich den Versuch gemacht, sagte Hermann, und habt es glücklich zum Imperialismus gebracht; wir beschäftigten uns in demselben Jahre theoretisch und practisch mit derselben Frage. Die Antwort darauf ist das Jahr Sechsundsechzig gewesen. Es kostete allerdings einigen Häuptern die Krone, aber nur um sie desto fester auf das Haupt eines Andern zu drücken. Nein, werther Herr, glauben Sie mir, die Freiheit der Völker in Ihrem Sinne ist eine Utopie ebenso, wie der ewige Frieden.

Wer spricht vom ewigen Frieden! rief Herr Rosel. Doch nicht ich, der ich mich zu beweisen bemühe, daß wir nur durch den Krieg aus der Stelle kommen können, daß ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland das sicherste, ja das einzige Mittel ist, Deutschland von seinen Tyrannen zu befreien.

Es ist ein Verbrechen, dies nur zu denken! rief Hermann.

In den Augen dessen, der an den Worten klebt, erwiederte der Franzose, aber doch nicht für Sie, der Sie wissen, daß Frankreich und Deutschland – ich meine das Frankreich und Deutschland von heute – sich gar nicht mehr bekriegen können, daß beide Völker den Frieden wollen und, wenn der Krieg doch kommt – und er wird kommen, so wahr ich Republikaner bin – er von den Fürsten und nicht von den Völkern ausgeht und in seinen Folgen auf die Fürsten und nicht auf die Völker zurückfallen wird. Die Völker sind ewig, aber die Fürsten sind sterblich; für ein Volk ist ein Krieg ein Aderlaß, für die Fürsten ist er heutzutage eine Frage um Sein und Nichtsein. Ein Fürst, der aus dem Kampf als Besiegter hervorgeht, hat die Schlacht und hat die Krone verloren. Nun aber ist doch in dem Kampf zwischen Frankreich und Preußen nur zweierlei möglich: entweder Preußen siegt oder Frankreich. Im ersten Falle ist – glauben Sie Jemandem, der die Verhältnisse genau kennt – Frankreich nach der ersten verlorenen Schlacht eine Republik.

Und in dem zweiten Falle? fragte Hermann.

Lassen Sie mich noch ein wenig bei dem ersten bleiben, ,sagte der Franzose. Wir werden also die Republik haben und Ihr – nun, Ihr steht ja in dem Ruf, Euch gern in die Mode zu kleiden, die man soeben in Paris ablegte. Ihr werdet haben, was, wie es scheint, den Völkern nicht erspart bleiben kann, und besonders Euch Deutschen nicht, die Ihr politisch etwas schwerfällig seid, ich sage: Ihr werdet haben, was wir soeben los wurden, die militärische Dictatur und den Imperialismus, und da Ihr ein so ausnehmend gründliches Volk seid, vermuthlich in der allerschroffsten Form. Nun denn, wie ist es möglich, daß ein gründliches philosophisches Volk, wenn ihm Zeit gelassen wird, die beiden Formen, auf die heute wie im Alterthum alle politischen Exempel hinauslaufen, die Republik und den Absolutismus, zu studiren, den Absolutismus bei sich, die Republik bei seinen Nachbarn – daß, sage ich, ein solches Volk nicht zur Besinnung, zur Einsicht kommen und eines schönes Tages uns die republikanische Mode nachmachen sollte, wie es uns die imperialistische nachgemacht hat?

Ohne daß Ihr dieselbe vorher ablegtet?

Ohne daß wir sie vorher ablegten. Man verkauft seine Erstgeburt wohl einmal für ein Linsengericht, vielleicht auch zweimal, zum drittenmale gewiß nicht.

Angenommen, sagte Hermann, obgleich nicht zugegeben; aber angenommen, das wäre der Verlauf der Dinge im ersten Fall, so sind Sie mir noch immer den zweiten schuldig. Wie nun, wenn Deutschland unterliegt, wenn Frankreich siegt?

So steht die Sache freilich für uns viel weniger gut, obgleich nur hinausgeschoben ist, was uns, wie wir geartet sind, auf die Dauer doch nicht entgehen kann. Aber für Euch ist es profit tout clair. Ein besiegtes Preußen ist kein Preußen mehr; Ihr seid mit Einem Schlage die Hohenzollern los, das heißt den Alp los, der jetzt auf der deutschen Nation liegt. Deutschland kann und wird sich wieder auf sich besinnen, wird – aber Sie würden mich mit Recht auslachen, wollte ich Ihnen im Ernste auseinandersetzen, was aus Deutschland wird, werden muß, wenn es sich selbst wieder gewinnt.

Und einige Provinzen verliert? Oder würdet Ihr Euch so große Dienste nicht bezahlen lassen?

Nimmermehr! rief der Franzose, die Hand auf das Herz legend. Oder wenn es in der großmüthigsten aller Nationen egoistische Herzen gäbe, die sich den Dienst, welchen der Bruder dem Bruder leistet, bezahlen lassen wollten, so wird sich einfach zeigen, daß, was in einer barbarischen Zeit, die Gott sei Dank hinter uns liegt, ein Unglück und ein Uebel war, heute bei der Solidarität der Nationen keines von beiden ist. Oder können sich Brüder untereinander berauben? Bleibt der Raub nicht wenigstens in der Familie? Und werden nicht Frankreich und Deutschland, ja werden nicht alle Völker binnen kürzester Frist eine einzige Familie ausmachen: die große Familie der vereinigten Staaten Europas?

Hermann schaute empor in die stechenden Augen, die unter der geraden Linie der Brauen unheimlich funkelten. Des Mannes ganzes Gesicht, in welchem alle Leidenschaften getobt hatten und nun ausgebrannt waren, war der Typ jener Spielergesichter, wie sie Hermann hie und da in den Bädern beobachtet. Der Mann hatte eben eine Volte geschlagen, und eine recht plumpe dazu.

Das würde man in Wahrheit nennen können: corriger la fortune, sagte Hermann.

Und warum nicht? rief der Franzose; le malheur est une bêtise, sagte der große Cardinal Richelieu. Weshalb hätte der kluge Mensch seine beiden Augen, als um die Launen des blinden, dummen Glückes nach seinem Vortheil zu lenken, und ebenso die Launen von Menschen, die zum Glück dazu verdammt sind, ewig blind und dumm zu bleiben!

Der müßte allerdings sehr blind sein, der sich der Führung eines – so gewandten Lenkers anvertraute, sagte Hermann mit einem Spott, welchen zu verhüllen er sich nicht die Mühe gab.

Und doch beweisen die Briefe, die ich Ihnen vorzulegen die Ehre hatte, daß es noch solche blinde Menschen giebt.

Ich weiß nicht, wen ich mehr bedauern soll, den Blinden oder den Sehenden, sagte Hermann.

Ich halte es mit den Sehenden, sagte der Franzose, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen. Freilich heißt in diesem Falle nicht Alles sehen, nichts sehen.

Und was heißt Alles sehen?

Der Franzose warf von seinem Platz einen Blick durch das Fenster auf den Schloßhof, von welchem man schon seit einiger Zeit das Geräusch der Wagen gehört hatte, und blickte dann nach seiner Uhr.

Ich will die Promenade mitmachen, sagte er, und habe also nur noch wenige Minuten. Aber in wenigen Minuten läßt sich viel sagen und – viel hören, wenn man will. Hören Sie also: Alles sehen, heißt sehen, daß der Krieg unvermeidlich ist. Es handelt sich immer nur um einen casus belli; man hat ihn gefunden. In diesem Augenblicke werden bereits die Würfel geschüttelt, sind vielleicht schon gefallen. Binnen acht, höchstens vierzehn Tagen haben wir den Krieg, das ist keine Frage mehr, das ist ein fait. Das zweite aber ist eine Frage: soll es ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland sein, die sich lieben, oder ein Krieg zwischen Frankreich und Preußen, die sich hassen. Diese Frage zu entscheiden, steht nicht bei uns, sondern bei Ihnen, ich meine, bei den deutschen Republikanern, auf deren Weisheit wir französische Republikaner, die wir den Krieg haben wollen, haben müssen, von vornherein gerechnet haben und rechnen. Sollten wir uns verrechnen? Es ist unmöglich, wäre nur dann möglich, wenn die deutschen Republikaner nicht wissen sollten, was Castelar in Spanien schon längst ausgesprochen hat, was alle Republikaner in allen Ländern der Erde wissen: daß der stärkste Hort, die eigentliche Zwingburg des Absolutismus auf Erden die preußische Monarchie, der preußische Militärstaat ist. Fällt diese Burg in Trümmer, so ist die Republik, die Weltrepublik nur eine Frage der nächsten Zeit, über welche die Einsichtigen leicht hinweggehen. Bleibt sie stehen, wird sie sogar befestigt, so ist die Verwirklichung unserer Ideale vielleicht auf Jahrhunderte hinausgeschoben. Diese Burg aber kann nur fallen, wenn wir sie isoliren, wenn wir sie mit einem breiten Graben umgeben, den wir nicht graben können, den uns die Sklaven des Glückes: blinde Könige und verblendete Fürsten graben müssen, natürlich um hinterher selbst hineinzufallen und uns den Weg zu bahnen. Scheint Ihnen dieser Weg zu schwer, zu gefährlich? Werden Sie mir jetzt ein Vertrauen schenken, welches Sie mir vorhin verweigerten? Werden Sie mich jetzt als den erprobten Führer annehmen, dessen Hand Sie vorhin zurückwiesen?

Die Wagen sind vorgefahren, meldete ein Diener, der eilends in das Zimmer trat.

Sogleich, sagte Herr Rosel, und sich dann wieder zu Hermann wendend:

Sie zaudern, einzuschlagen? Ueber Euch gründliche Deutsche! Aber ich kenne Euch ja nicht erst seit heute, und Sie, theurer Freund, Gott sei Dank, seit Jahren. Wir werden uns wiedersehen, wieder sprechen, und dann wird die letzte Wolke des Zweifels schwinden, die ich jetzt noch auf Ihrer Stirn bemerke. au revoir!

Herr Rosel ergriff seinen Hut und eilte davon, Hermann in unaussprechlicher Aufregung zurücklassend.

Was hatte er eben gehört? Was hieß dies? Was war dies? Die Phantasie eines hirnverbrannten Kopfes? Ein wohlüberlegter politischer Plan? Diese Briefe, die der Mann bei sich führte – seine zuversichtliche Sprache – die geheimnißvolle Hindeutung auf ein Ereigniß, dasselbe ohne Zweifel, von welchem man dem Grafen heute aus Berlin geschrieben; der sonderbare Accent, den der Fürst, so oft er in den letzten Tagen von dem bevorstehenden Besuche des Marquis gesprochen, darauf gelegt, daß derselbe ein alter Bekannter von ihm sei, der zu Privatzwecken Deutschland bereise – das Eintreffen des Fremden gerade in diesem Augenblick in Begleitung dieses Menschen –

Großer Gott, sagte Hermann, wäre es möglich! Blinde Könige und verblendete Fürsten! Sollte er wirklich so verblendet sein und ich zu der Rolle ausersehen, ihn vollends blind zu machen?

Er trat an das Fenster. Auf der anderen Seite des Hofes vor dem Portale hielten die Wagen. Die Gesellschaft stand auf der Rampe. Er sah Hedwig, wie er sie vorher im Geiste gesehen, Arm in Arm mit dem jungen Fräulein von Fischbach. Der Fürst unterhielt sich angelegentlich mit einem elegant gekleideten jungen Manne, den Hermann nicht kannte und der ohne Zweifel der Marquis de Florville war. Eben trat Herr Rosel heran und wurde, wie es schien, von dem Marquis dem Fürsten vorgestellt, der ihm mit großer Zuvorkommenheit die Hand reichte. Hermann durchzuckte es. Er hatte die Hand zurückgewiesen, die der Fürst jetzt in der seinen hielt!

Der Marquis war zu Hedwig herangetreten und ging jetzt neben ihr. Es mußte eine scherzhafte Conversation sein. Der Marquis lachte und Hedwig lachte, heiter, ja übermüthig!

Hermann trat von dem Fenster zurück, er mochte nichts weiter sehen, und während jetzt die Wagen aus dem dunklen Schloßthor in die sommerhelle Landschaft rollten, klangen ihm im Ohr die Worte des Dichters von dem Einsamen, der gar bald allein ist und den man seiner Pein läßt, während man lacht und liebt.


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