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Der Vater spart.

Ein paar ruhige Jahre gingen dahin. Agi, die gewohnt war, nichts halb zu tun, hatte es verstanden, den Vater nach und nach ihrem Willen ganz gefügig zu machen. Und so oft hatte sie die sonntäglichen Spaziergänge in die Natur wiederholt und dem Vater so anschaulich vom Hause der Sehnsucht gesprochen, daß es ein Bestandteil seines Bewußtseins wurde, ein herrschendes Zukunftsbild, das Verwirklichung heischte. Und sie hatte ihm den Gedanken eingeredet, daß er selbst den Grund zum Hause legen sollte, um als Herr darin zu wohnen. Er, der Vater, sollte dem Sohne das Doktorhaus begründen und das sollten alle Leute wissen. Und nicht mehr brauchte er zu tun, als ihr vom Wochenlohn zehn Gulden für die Sparkasse zu übergeben, zehn Gulden, die er sonst gewiß in den Wirtshäusern verstreut hätte. Die würden im Laufe von neun Jahren mit den Zinsen auf mehr als sechstausend Gulden anwachsen. Das wäre genug, um ein mit Hypotheken stark belastetes Anwesen zu erwerben, das sie in gemeinsamer Arbeit in wenig Jahren von Schulden frei machen würden.

Der Vater fügte sich darein, daß die Tochter selbst seinen Wochenlohn vom Verwalter in die Hand bekam, und er gewöhnte sich daran, von ihr sein bescheidenes Taschengeld von zwei Gulden wöchentlich zugeteilt zu bekommen. Was mit Mahnen und Tadeln nie erreicht worden wäre, die Eindämmung der Trinkgier, das war Agi dadurch gelungen, daß sie im Vater aus der Eitelkeit einen Beweggrund gemacht hatte, der ihn ihrem eigenen Streben einordnete. Und sie legte wöchentlich gewissenhaft die unantastbaren zehn Gulden in die Postsparkasse, trotzdem es ihr nicht leicht wurde, mit der Nadel die Bedürfnisse der Familie zu bestreiten; denn die als eine befugte und sehr geschickte Frauenschneiderin bevorzugte Oberlehrersfrau hatte die besten Kunden von Mannersdorf und Umgebung an sich gezogen, und für Agi blieben nur die Ausbesserungen, das Wenden alter Kleider und das Umnähen der abgelegten Kleider der Großen zu neuen Kleidern für die Kleinen.

Ihre Vorbereitung zur Handarbeitslehrerinprüfung ruhte, sie konnte sich nicht satt ausschlafen. Tägliche Kleinsorgen und ständiger Schlafmangel bleichten nicht nur ihre Wangen; in ihren blonden Haaren zeigte sich an den Schläfen da und dort ein weißes Haar trotz ihrer Jugend.

Schließlich sah sie ein, daß im Dorfe für sie neben der befugten Schneiderin kein Platz war und sie machte sich mit dem Gedanken vertraut, den Aufenthaltsort zu ändern.

Aber sie wußte noch nicht wohin; denn sie hatte für den Vater noch keinen besseren Platz als im Mannersdorfer Gutshofe. Seit er hier diente, war er meist nüchtern und er wäre es immer gewesen, wenn nicht einzelne Bauern seine Gefälligkeit als Kutscher in Anspruch genommen hätten.

So oft er ihnen etwas nach Bruck, Hof, Kaiser-Steinbruch oder Loretto mitbeförderte, bekam er ein Gläschen Schnaps, oder er wurde auf Sonntag in den Weinkeller eingeladen, und dann kam er in einem jämmerlichen Zustande heim, weinerlich, gefühlsduselig, aber auch zum Jähzorn geneigt, dessen Entladungen der kleine Rudi zu ertragen hatte, so oft er des Vaters Eisenbahnerpfeifchen erschallen ließ. Und Rudis Lieblingsspiel war »Eisenbahn«. Ein Sesselchen war die Lokomotive, das Kohlenkistchen der Tender, ein Fußschemel der Waggon, an dem er anschob, daß der Zug übern Stubenboden dahinpolterte. Und dabei durften die schrillen Pfiffe nicht fehlen. – Hatte Rudi vom Vater seine Klapse abbekommen, so pflegte er den Zug auseinanderzuräumen und sich mit einem Bleistiftstummel und einem Stück Papier zu Agi zu flüchten, auf deren Nähmaschinenplatte er so viel Platz fand, daß er seine Eisenbahn wenigstens zeichnen konnte. Es waren meist kubistische und futuristische Darstellungen, die sich der kleine Knirps leistete. In Agis Augen waren es Vordeutungen, was er werden wollte: Maschineningenieur oder Verkehrsbeamter.

Was Agi noch an Mannersdorf fesselte, war, daß ihre Mutter eine Geflügelzucht angelegt hatte, die bei der Billigkeit des Körnerfutters ergiebig war; wenn auch nicht gerade jeden Sonntag, so doch jeden zweiten hatte die Familie ihr Huhn im Topfe oder in der Bratpfanne, ab und zu eine Eierspeise oder Eierfladen. Auch an Milch fehlte es nicht, denn Agi nähte und flickte für die Bäuerinnen. Und Rudi gedieh bei dem reichlichen Milchgenuß, daß es eine Freude war.

Koja hatte nur einmal die Ferien in Mannersdorf zugebracht, wo er bei zwei Sommerparteien als Hauslehrer tätig gewesen war und mit seinen Zöglingen die Gegend fleißig abgestreift hatte, um mit ihnen Versteinerungen, Pflanzen und Insekten zu sammeln. – Dabei hatte er an Mutter und Agi nur Zuversicht und Frohsinn wahrgenommen. Wie schwer es Agi wurde, genug zu verdienen, hatte er nicht erfahren. Und er verlor den Einblick in Agis Leben vollends, als er, einer Einladung Urbans folgend, die nächsten Ferien bei ihm in Nierding zubrachte. Von dort schrieb er erst nur kurze Grußkarten, dann aber einen ausführlichen Brief:

 

»Liebe Agi!

Dir, Mutter und Vater meine herzlichsten Grüße! Freuet Euch mit mir! Ich bin hier in einer schönen, ganz eigenartigen Welt. Denkt Euch unsere Wirtschaft, die wir in der Neuda gehabt haben, ohne Mühle, aber erweitert und auf den sanften Südosthang eines waldgekrönten Hügels verlegt, so bekommt Ihr einen Begriff von Urbans Hof, den er immer als sein Haus der Sehnsucht besungen hat. Hinterm Hause liegt der Sandsteinbruch, aus dem alles Material stammt, das zum Bau des stattlichen Hauses und der Wirtschaftsgebäude gedient hat. Und in der Tiefe dieses Steinbruches sammelt sich das in einem handbreiten Fall von der Höhe der Wand niedersprühende Wasser, das sich im Sandstein eine farnumgrünte Rinne ausgewaschen hat. Das gesammelte Wasser bildet einen Teich von achtzig Quadratmetern Ausdehnung, der von einem dichten, immergrünen Rasen umgeben ist. Über sechzig Gänse und vierzig Enten beleben mit ihren Scharen von Jungen den Teich, rupfen den Rasen und doch nimmt das Grün nicht ab. Zu diesem idyllischen Platz, der sich zwischen den hinteren Wänden der Stallungen und der hohen Wand des Steinbruchs ausdehnt, gelangt man aus dem Hofe durch ein von einem Torgewölbe überbautes von Scheunen und Stallungen gebildetes Gäßchen, unter dessen Pflasterung das Abfallwasser des Teiches in einem überaus geräumigen hochgewölbten Kanal durchfließt. Zu Tage tritt es erst wieder unterhalb der Stirnseite des behäbigen Wohngebäudes, wo es in fünf kleinen Wasserfällen von einer Stufe des großen Obstgartens zur andern fällt, den es mit seinem Plätschern und Rauschen belebt. Unmittelbar vor der Stirnseite des Hauses, also zwischen ihm und dem Obstgarten, dehnt sich auf breiter Erdstufe, die nach unten ein Mäuerl abschließt, der Gemüsegarten, dessen Wege mit Blumen gesäumt sind. Denn die liebe, trotz ihrer weißen Haare riegelsame Mutter Urbans ist eine große Blumenliebhaberin. Den herrlichsten Schmuck aber mögen im Mai die vier großen Stauden Liebfrauenherzen gebildet haben, die jetzt freilich schon längst verblüht sind. Die Bienenhütte beherbergt nicht weniger als zwölf Immenvölker in grellblau, weiß, rot und grün bemalten Dzierzonstöcken. Urbans Schwester Klara, die um vierzehn Jahre jünger ist als er, hat vor drei Wochen erst ihren dreizehnten Geburtstag gefeiert. – Und dieses Klärchen ist ein allerliebstes rotbackiges Ding, das jeder Fremde für die Enkelin ihrer Mutter und für ein Töchterlein des Hausherrn hält. Urban ist sonnverbrannt und hager; er verbringt die meiste Zeit im Freien. Vom Rücken seiner Stute aus befehligt er seine Heumahder Mäher. und beaufsichtigt die Arbeiter auf den weit auseinander liegenden Äckern. Für mich hat er einen dreijährigen Apfelschimmel zugeritten, der gutmütig ist wie ein Lamm, etwas rundlich und rascher Bewegung abhold. Ich gelte den Leuten als Aufsichtsperson, wenn ich auch gerne beim Heuwenden und Kornaufladen mittue, weil mir darnach das Baden, Essen und Schlafen schmeckt. Ins Dorf hinunter kommen wir selten, aber an Sonntagnachmittagen kommt das Dorf zu uns herauf, d. h., alles, was es im Dorf an geistigen Größen gibt: Peter Herzog, der Schulleiter, Zeiferl, der Förster, und Fingeis, der Krämer, der ein Lesenarr und guter Erzähler ist. Manchmal kommt auch der Schneider Tschapek, ein gewandter Geiger, immer in Begleitung des Schusters Foukal, der die Viola spielt. Sie bringen ihre Frauen und Töchter mit. Ihr könnt Euch denken, was das für ein Leben ist. Wir sitzen bei schönem Wetter oberhalb des Teiches, wo unmittelbar unter der Felswand eine offene Halle aus Steinquadern aufgewölbt ist. Sie ist von altem, beerentragendem Efeu überwuchert, und in ihr ist es an den heißesten Tagen wundersam kühle. Auf dem großen Eichentisch stehen Kaffee und Kuchen reichlich für alle. In zwanglosen Gruppen sitzen wir auf den plumpen eichenen Bänken, schwatzen und schmausen, bis Fingeis, der nie ohne ein Buch heraufkommt, sich Gehör verschafft. Den solltet Ihr hören, wie er Tastellis ›Ombrellen‹ vorträgt, oder wie er eine Dorfgeschichte von Rosegger oder Anzengruber erzählt. Dann stimmt Tschapek seine Geige, Foukal die Bratsche und Urban die Laute. Was da bei Saitenklang gesungen wird, ist alles so erquicklich, wie das Plätschern des nahen Wasserfalles: Es sind Steirerlieder, wie sie Blümel gesammelt hat. Ich will Euch eines herschreiben:

›Pederg'stamm, fein wia Gold,
blüaht scho fruah unterm Schnee,
Almrausch und Enzian
Drob'n auf der Höh! –
Edelweiß, Sternderl feins,
Bist 'leicht vom Himmel g'fall'n?
Bist unter d' Blüameln wohl,
's schönste von all'n.‹

So, meine Lieben, jetzt habt Ihr einen Begriff von dem Leben, das wir führen in Urbans Haus der Sehnsucht. Von Urban, seiner Mutter und Schwester soll ich Euch herzliche Grüße ausrichten. Er muß viel Gutes von Euch erzählt haben, besonders von Dir, liebe Agi. Euer glücklicher

Koja.«

 

Als Agi den Brief still zu Ende gelesen hatte, reichte sie das Schreiben der Mutter hin und trat zum Fenster. Sie neigte sich über ihre blühende Passiflora, und begann mit einem Stäbchen die Erde im Blumentopf zu lockern. Dann straffte sie sich auf, nahm Rudi, der ihr gefolgt war, an die Hand und ging mit ihm über den Hof, durch die Scheune und den Obstgarten und dann den Weg hinaus ins Gefilde.

Ihre Lippen waren fest geschlossen und auf Rudis Geplauder wußte sie nichts zu sagen. Als sie wieder heimkam, setzte sie sich zur Nähmaschine und ließ das Rad laufen. Sie mußte die Zeit einbringen, die ihr der Brief Kojas genommen hatte. Still näherte sich ihr die Mutter, strich ihr sachte mit der Hand über den Scheitel und küßte sie auf die Stirn: »Agi, arme, gute Agi!« –


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