Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

60.

Petronius hatte sich auf Befehl des Kaisers mit anderen Augustianern nach Cumae begeben. Sein langjähriger Kampf mit Tigellinus ging dem Ende entgegen, Petronius wußte bereits, daß er unterliegen müsse. Der arbiter elegantiarum hatte den Neid des Kaisers erregt, der sich immer mehr in der Rolle eines Komödianten und Wagenlenkers gefiel. Wenn Petronius schwieg, so hörte Nero aus dem Schweigen einen Tadel, wenn er lobte, so hörte er aus dem Lobe den Hohn heraus. Der glänzende Patrizier war ihm jetzt im Wege. Seine Reichtümer und Kunstschätze begehrten Nero und der allgewaltige Minister. Nur wegen der Reise nach Griechenland hatte Nero den ehemaligen Günstling bisher noch verschont, als aber Tigellinus den Kaiser zu überzeugen verstand, daß Karinas den Petronius an Gelehrsamkeit und Geschmack noch übertreffe, war dieser verloren. Zwar wagte man nicht, ihm sein Todesurteil in Rom zuzustellen, da man seine Beliebtheit beim Volke und bei den Prätorianern sowie seine eigene Energie fürchtete, denn man erinnerte sich, daß der anscheinend so verweichlichte Schöngeist als Konsul in Bithynien erstaunliche Geistesgegenwart und organisatorisches Talent bewiesen hatte.

Deshalb lud man ihn mit anderen Augustianern nach Cumae. Obwohl er wußte, weshalb dies geschah, kam er dennoch der Aufforderung nach, da er nicht mit offener Gewalt vorgehen, dem Cäsar und dem Tigellinus aber zeigen wollte, wie wenig er sich vor dem Tode fürchte.

Er war der Freundschaft des Senators Scaevinus angeklagt, welcher die Seele der Verschwörung des Piso gewesen. Die noch in Rom verbliebenen Leute des Petronius wurden eingekerkert und sein Haus mit Prätorianern besetzt. Als er dies erfuhr, zeigte er weder Furcht noch Kummer, sondern sagte lächelnd zu den Höflingen, die er öfter in seiner prächtigen Villa in Cumae um sich versammelte: »Ahenobarbus liebt es durchaus nicht, daß man ihn zuerst nach etwas frage; ihr werdet seine Verwirrung sehen, wenn ich ihn fragen werde, ob auf seinen Befehl meine Familie eingekerkert wurde!«

Eines Tages hatte er von Vinicius aus Sizilien ein Schreiben erhalten. Dort führte er nun mit Lygia ein ruhig-friedliches Leben, während Pomponia Graecina und Plautus sich des Glückes ihrer endlich wiedergefundenen Tochter erfreuten. Der Inhalt des Briefes stimmte Petronius etwas nachdenklich; dann aber nahm sein Gesicht die gewöhnlichen frohen Mienen an, und er schrieb noch am selben Tage die Antwort:

»Ich freue mich über euer Glück und hätte nicht gedacht, daß zwei Liebende an einen Dritten, noch dazu weit Entfernten denken können. Aber ihr wollt mich überreden, nach Sizilien zu kommen und euer Brot und euren Christus mit euch zu teilen, der euch, wie du schreibst, so eine Fülle des Glückes beschert hat.

Wenn du aber meinst, es sei Christus gewesen, dann will ich mit dir nicht streiten; dann aber scheut kein Opfer für ihn.

Nein, glücklicher Gatte der königlichen Prinzessin Morgenrot! Eure Lehre ist nicht für mich! Ich soll meine bithynischen Sklaven, die meine Sänfte tragen, oder meine Ägypter, die mein Badezimmer heizen, oder gar Ahenobarbus oder Tigellinus lieben? Das kann ich nicht, wenn ich es auch wollte! In Rom leben mindestens hunderttausend Menschen, die schiefe Schultern, dicke Knie, magere Waden, große runde Augen und zu große Köpfe haben. Und diese soll ich auch lieben? Wo soll ich diese Liebe suchen, da ich sie nicht im Herzen verspüre? Wer das Schöne liebt, kann nicht zugleich das Häßliche lieben.

Wenn ich also auch wollte, ich könnte es nicht, zu eurem Olymp hinaufsteigen, aus verschiedenen Gründen. Nach der Lehre des Paulus glaubst auch du, daß ihr einst Christus sehen werdet. Glaubst du, daß er mich mit meinen Gemmen, mit meiner myrrhenischen Vase, mit meinen Büchern und mit meiner Eunike bei sich aufnehmen würde? Das alles sind Gründe, weshalb ich euer Glück nicht teilen will. Aber auch eine andere Ursache liegt vor, mich ruft nämlich Thanatos. – Für euch beginnt erst das Leben, für mich dagegen ist die Sonne untergegangen und die Abenddämmerung umgibt mein Haupt. Mit anderen Worten: ich muß sterben, carissime!

Es ist nicht der Mühe wert, viel darüber zu sagen. So mußte es enden! Du kennst Ahenobarbus und wirst mich verstehen. Tigellinus hat mich besiegt, oder auch nicht. Meine Siege sind zu Ende! Ich habe gelebt, wie ich wollte, und werde sterben, wie es mir beliebt!«

Petronius hatte sich nicht geirrt. Zwei Tage später schickte ihm der junge Nerva, der ihm stets freundlich gesinnt war, seinen Freigelassenen nach Cumae mit Nachrichten vom Kaiserhofe.

Sein Untergang war schon beschlossen. Am nächsten Abend sollte ein Centurio dem Petronius den Befehl überbringen, in Cumae weitere Befehle abzuwarten, und wenige Tage später sollte ihm ein zweiter Bote das Todesurteil überreichen.

Petronius hörte den Freigelassenen mit stoischer Ruhe an, dann sagte er:

»Ich werde dir für deinen Herrn eine meiner Vasen mitgeben und trage dir auf, ihm aus ganzer Seele von mir zu danken, daß er es mir möglich machte, dem Urteilsspruche zuvorzukommen.«

Und er brach in ein fröhliches Lachen aus, wie jemand, dem ein guter Einfall gekommen ist, auf dessen Ausführung er sich freut.

Am Nachmittag desselben Tages sandte er seine Sklaven aus, um alle in Cumae weilenden Augustianer und Damen zu einem Feste in der prächtigen Villa des arbiter elegantiarum einzuladen. Er selbst schrieb lange in den Nachmittagsstunden in seiner Bibliothek.

Die Dienerschaft erwartete etwas Besonderes von dem Mahle, denn er ließ allen Belohnungen versprechen, die ihn zufriedenstellen würden, den Säumigen und Ungeschickten aber eine leichte Züchtigung androhen. Die Zitherspieler und Sänger wurden im voraus reichlich belohnt, und als alle Vorbereitungen getroffen waren, ließ er sich im Garten unter einer Buche nieder und beschied Eunike zu sich.

Sie kam, weiß gekleidet, mit Myrtenzweigen im Haare, und als sie an seiner Seite Platz genommen hatte, strich Petronius mit seinen Fingern leicht über ihre Stirn hin und betrachtete sie mit dem liebenden Blicke eines Kunstkenners.

»Eunike,« sagte er, »weißt du, daß du schon längst keine Sklavin mehr bist?«

Sie hob ihre ruhigen blauen Augen zu ihm empor und schüttelte den Kopf.

»Ich bin es immer, Herr!« sagte sie.

»Das aber weißt du nicht,« sagte Petronius weiter, »daß die Villa hier, die Felder, die Sklaven, die jetzt im Garten Kränze winden, und alle Viehherden von heute an dein Eigentum sind?«

Als Eunike dies hörte, rückte sie plötzlich etwas von seiner Seite hinweg und fragte erstaunt: »Warum sagst du mir das, Herr?« Darauf rückte sie wieder näher an ihn heran und öffnete die Augen weit vor Entsetzen; sie wurde weiß wie Leinwand. Er aber lächelte und sagte nur das eine Wort: »Ja!«

Ein kurzes Schweigen folgte; ein leiser Wind fuhr durch die Blätter. Beim Anblick Eunikes glaubte Petronius, ein Marmorbild vor sich zu haben.

»Eunike,« sagte er nach einigem Stillschweigen, »ich möchte heiter sterben!«

»Ich höre dich, Herr,« sagte Eunike mit schmerzlichem Lächeln. –

Am Abend kamen die Gäste massenhaft zu dem Feste des Petronius, und niemand ahnte, daß dieses Mahl sein letztes Symposion sein sollte. Es war zwar bekannt, daß Petronius in Ungnade gefallen war, doch hatte er stets durch seine geistige Überlegenheit den Kaiser noch im letzten Augenblick umzustimmen gewußt, so daß niemand an eine ernste Gefahr dachte. Sein heiteres Gesicht und sein gewöhntes sorgloses Lächeln, mit dem er die Gäste begrüßte, mußte alle in dieser Meinung bestärken. Vor dem Eingang zum Triklinium standen griechische Knaben und schmückten die Eintretenden mit Kränzen und Rosen. Im Triklinium selbst verbreitete sich leichter Veilchenduft. An den Bänken standen griechische Mädchen; sie hatten das Haar in goldenen Netzen und warteten auf die Gäste, um ihnen die Füße mit wohlriechenden Ölen zu befeuchten.

Die Tafel strotzte vor Goldgefäßen, war aber nicht überladen. Ungezwungene Heiterkeit herrschte unter den Gästen, man trank den ausgesucht kostbaren Wein und aß von den wundervollen Gerichten, die aufgetragen wurden.

Die Stimmung wurde immer fröhlicher, und als das Festgelage seinen Höhepunkt erreicht hatte, richtete sich Petronius, der neben Eunike lagerte, etwas auf und sagte:

»Freunde, gestattet, daß ich bei diesem Feste mit einer Bitte an euch herantrete! Nehmet als Geschenk von mir die Becher, aus denen ihr den Göttern zu Ehren und auf mein Wohl getrunken habt!«

In Rom war es nichts Ungewöhnliches, bei Gastmählern Geschenke auszuteilen, aber die Becher des Petronius waren so kostbar, daß einige Gäste zögerten, das von Gold und Juwelen strotzende Geschenk anzunehmen. Andere dankten mit lautem Jubel und lobten den Spender.

»Und nun seid fröhlich, Freunde,« sagte Petronius. »Ich will euch heute ein gutes Beispiel und einen guten Rat geben! Alter und Kraftlosigkeit sind schlimme Gefährten der letzten Lebensjahre, man tut daher besser, nicht darauf zu warten, sondern früher, freiwillig zu gehen, wie ich es tue.«

»Was willst du beginnen?« fragten einige Gäste unruhig.

»Ich will fröhlich sein, trinken, und schließlich bei Spiel und Gesang mit bekränztem Haupte enden! Vom Kaiser habe ich schon Abschied genommen, wollt ihr hören, was ich ihm schrieb?«

Bei diesen Worten zog er einen Brief unter dem Purpurkissen hervor und las:

»Ich weiß, mein Kaiser, daß du meine Ankunft mit Ungeduld erwartest, und daß dein treues Freundesherz Tag und Nacht nach mir schmachtet. Ich weiß, du willst mich mit Liebesgaben überschütten, mich zum Präfekten der Prätorianer ernennen, den Tegellinus aber zu dem machen, wozu ihn die Götter bestimmten, zu einem Mauleselhüter. Doch ich schwöre dir beim Hades und den darin befindlichen Schatten deiner Mutter, deiner Gattin, deines Bruders und Senekas, daß ich nicht mehr zu dir kommen kann. Das Leben ist ein zu kostbarer Schatz, ich habe es verstanden, die wertvollsten Juwelen daraus für mich auszuwählen. Aber es gibt einiges im Leben, was ich nicht ertragen kann! Glaube aber niemals, daß ich darüber verstimmt bin, daß du deine Mutter, deinen Bruder und deine Gattin umgebracht, Rom niedergebrannt und alle ehrbaren Menschen deines Reiches in die Unterwelt geschickt hast. Aber meine Ohren noch länger durch deinen Gesang beleidigen zu lassen, beim Tanz deinen Domitiusbauch auf den dürren Beinen anzusehen, dein Spiel, deine Deklamation und deine Gedichte anhören zu müssen, du armer Vorstadtpoet, das übersteigt meine Kräfte und weckt in mir die Sehnsucht nach dem Tode! Rom verstopft sich die Ohren, wenn es dich hört, die Welt verlacht dich, ich aber kann nicht mehr länger für dich erröten! Lebe wohl, aber singe nicht, morde, aber mache keine Verse, vergifte, aber tanze nicht, zünde Städte an, aber schlage nicht die Zither: das wünscht dir und den letzten freundschaftlichen Rat erteilt dir der Arbiter elegantiarum!«

Die Gäste waren starr vor Schrecken, denn sie wußten, daß der Verlust seines Reiches für den Kaiser kein so grausamer Schlag sein würde, als dieser Brief. Auch wußten sie, daß der Mann, der diesen Brief geschrieben, sterben müsse, und der Gedanke allein, solche Worte angehört zu haben, überlief sie eiskalt.

Petronius aber lachte so laut und herzlich, als handle es sich um einen lustigen Scherz. »Freuet euch, aber ängstigt euch nicht! Ihr braucht euch ja dessen nicht zu rühmen, den Inhalt dieses Briefes zu kennen.«

Darauf winkte er seinem Arzte Theokles und hielt ihm den Arm hin. Der behende Grieche umwickelte nun den Arm mit einem Goldband und öffnete im Handgelenk die Adern. Das Blut spritzte hoch auf, über die Purpurkissen, über Eunike, die sich über Petronius neigte und seinen Kopf hielt.

»Herr!« sagte sie, »dachtest du, ich würde dich verlassen? Und wenn die Götter mir Unsterblichkeit und der Kaiser mir die Herrschaft über die ganze Welt verleihen wollten, würde ich dir dennoch folgen!«

Da lächelte Petronius, und indem er sich etwas aufrichtete und ihre Lippen mit den seinen berührte, sagte er:

»So komm mit mir!«

Sie hielt dem Arzt ihren rosigen Arm hin, und bald floß ihr Blut und vermischte sich mit dem seinen.

Petronius winkte dem Chordirigenten, und Gesang und Saitenspiel ertönte. Aneinandergelehnt lauschten beide der Musik und lächelten und wurden merklich bleich. Nach beendetem Liede befahl Petronius noch, Wein und Speisen herumzureichen, unterhielt sich mit den Gästen über geringfügige, aber angenehme Sachen, die meist das Gesprächsthema an der Festtafel bildeten. Dann rief er wieder den Arzt und ließ sich die Wunde verbinden, um noch eine Weile zu schlummern, bevor ihn der Tod in seine Arme schließe.

Als er aus seinem Schlummer erwachte, lag der Kopf Eunikes schon wie eine weiße Blume auf seiner Brust. Er legte ihn auf das Purpurkissen, worauf er die schönen Züge nochmals betrachtete und die Adern wieder zu öffnen befahl.

Die Sänger mußten ein neues Lied anstimmen, die Zithern spielten ganz leise, um die Worte nicht zu übertönen. Als die letzten Klänge verstummten, wendete sich Petronius nochmals an seine Gäste und sprach:

»Freunde, gestehet: mit uns geht unter –«

Weiter kam er nicht. Mit einer letzten Bewegung umfing er Eunike, dann sank sein Haupt zurück – er war tot.

Die Gäste betrachteten die bleichen Toten und begriffen nun, daß mit ihnen das einzige zu Grabe getragen werde, was ihrer Welt noch geblieben war – Poesie und Schönheit.

 


 << zurück weiter >>