Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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44.

Lygia nahm in einem langen, eilend geschriebenen Briefe Abschied von Vinicius. Sie wußte, daß niemand Zutritt zum Gefängnisse habe, und sie ihn nur von der Arena aus noch sehen werde. Sie bat ihn darum, ausfindig zu machen, wann die Reihe an das Mamertinische Gefängnis käme, und bei den Spielen in der Arena zu sein, weil sie ihn noch einmal im Leben sehen möchte. Keine Spur von Furcht sprach aus ihrem Briefe. Sie schrieb, daß sie und die anderen Christen sich nach der Arena sehnten, wo ihnen Befreiung werde aus der Gefangenschaft.

Sie bat ihn dringend, ihretwegen nicht bekümmert zu sein, sich nicht vom Schmerze überkommen zu lassen. Ihr Tod sei keine Auflösung des Verlöbnisses. Mit dem Vertrauen eines Kindes versicherte sie Vinicius, daß sie gleich nach ihrer Marter in der Arena zu Christus sagen werde, ihr Verlobter Markus sei in Rom zurückgeblieben und sehne sich von Herzen nach ihr. Und Christus, meinte sie, werde ihrer Seele vielleicht erlauben, einen Augenblick zu ihm zurückzukehren, ihm mitzuteilen, daß sie lebe, ihrer Qualen nicht mehr gedenke und selig sei. Ihr ganzer Brief atmete Glück und zuversichtliche Hoffnung. Nur eine Bitte enthielt er, die sich noch mit irdischen Angelegenheiten verknüpfte. Vinicius solle ihren Leib aus dem Spoliarium nehmen und ihn gleich dem seiner Frau an jenem Orte begraben, wo er selber einst ruhen wolle.

Als Vinicius in der Frühe zum Gefängnisse kam, verließ der Centurio seinen Posten, näherte sich ihm und sprach: »Höre mich, Herr! Christus, der dich erleuchtete, hat dir eine Gnade erwiesen. Vergangene Nacht kamen Freigelassene des Cäsar und des Präfekten, um christliche Mädchen im Kerker auszusuchen. Sie erkundigten sich nach deiner Verlobten; aber unser Herr hat ihr ein tödliches Fieber gesandt, und sie verließen sie. Gestern abend war sie bewußtlos. Gepriesen sei der Name des Erlösers; denn die Krankheit, die sie vor Schande bewahrte, mag sie vom Tode erretten!« Vinicius hielt sich mit der Hand an des Soldaten Schulter, um nicht zu sinken; dieser aber fuhr fort: »Danke der Barmherzigkeit des Herrn! Sie ergriffen und marterten Linus; als sie aber sahen, daß er sterben werde, kümmerten sie sich nicht mehr um ihn. Jetzt kannst du Lygia noch bekommen, und Christus wird ihr die Gesundheit wiedergeben.«

Der junge Tribun stand einige Zeit mit gesenktem Haupte; dann richtete er sich auf und sagte leise: »Das ist gewiß, Centurio! Christus, der sie vor Schande bewahrte, wird sie auch vom Tode retten.«

Er blieb bis zum Abend auf den Mauern des Gefängnisses sitzen, dann kehrte er heim, um durch seine Leute Linus holen und in eine seiner vorstädtischen Villen bringen zu lassen.

Als Petronius alles erfahren hatte, beschloß er, gleichfalls zu handeln. Er hatte die Augusta schon besucht und ging jetzt ein zweites Mal zu ihr. Sie befand sich am Bett des kleinen Rufius. Das Kind lag mit gebrochenem Schädel im Fieber. Ausschließlich mit ihrem eigenen Leid beschäftigt, wollte die Mutter nichts von Vinicius und Lygia hören, aber Petronius schüchterte sie ein.

»Du hast,« sagte er zu ihr, »eine neue, unbekannte Gottheit beleidigt. Du, Augusta, bist, wie es scheint, eine Verehrerin des hebräischen Jehovah, aber die Christen behaupten, Christus sei dessen Sohn. Überlege darum, ob der Zorn des Vaters dich nicht verfolge! Wer weiß, ob das Leben des Rufius nicht von deiner Handlungsweise abhängt?«

»Was verlangst du, daß ich tun soll?« fragte Poppäa erschreckt.

»Du mußt die beleidigte Gottheit versöhnen. Lygia ist krank, aber wenn sie genest, wird man sie zum Tode führen. Geh zum Tempel der Vesta und fordere von der Oberpriesterin, daß sie sich beim Tullianum gerade zur Zeit einfinde, wenn die Gefangenen fortgebracht werden. Dann soll sie ihre Begnadigung verlangen, was man ihr als Vestalin nicht verweigern darf.«

»Wenn aber Lygia dem Fieber erliegt?«

»Christen behaupten, daß Christus wohl Rache nimmt, aber gerecht ist. Daher mag es sein, daß du ihn durch den Willen allein schon besänftigst.«

»Ich will gehen,« sagte Poppäa mit gebrochener Stimme,

Petronius holte tief Atem.

Poppäa, die für die Genesung des Rufius allen Göttern der Welt opfern wollte, ging noch denselben Abend über das Forum zu den Vestalinnen. Die Pflege des kranken Kindes hatte sie ihrer getreuen Amme Silvia überlassen, die auch die Augusta selbst schon erzogen hatte.

Aber auf dem Palatin war das Urteil über das Kind schon gefällt, und kaum war Poppäas Sänfte hinter dem großen Tore verschwunden, so traten zwei Freigelassene in das Zimmer ihres Sohnes. Einer von ihnen stürzte sich auf die alte Silvia und knebelte sie; der andere ergriff eine Bronzestatue und betäubte damit die Greisin auf den ersten Schlag.

Dann näherten sie sich dem Rufius, nahmen der Amme den Gürtel ab und erdrosselten das Kind. Dann wickelten sie es in ein Tuch, setzten sich auf die harrenden Pferde und eilten nach Ostia, wo sie den Leichnam ins Meer warfen.

Poppäa hatte die Obervestalin nicht getroffen, weil diese mit den anderen Vestalinnen bei Vatinius war, und kehrte deshalb bald zurück. Beim Anblick des leeren Bettes und der totenstarren Silvia fiel sie in Ohnmacht, und als man sie ins Bewußtsein zurückgerufen hatte, begann sie laut zu schreien. Ihre wilden Schmerzensrufe erschallten die ganze Nacht und den folgenden Tag.

Am dritten Tage befahl ihr Nero, beim Festmahle zu erscheinen. Und sie erschien, schön, stumm und unheildrohend saß sie in der amethystfarbenen Tunika wie ein Todesengel an seiner Seite.

 


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