Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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29.

Ursus schöpfte mit zwei an einem Stricke angebrachten Henkelkrügen Wasser aus einer Zisterne, sang dabei ein lygisches Lied und betrachtete Lygia und Vinicius, die sich zwischen den Zypressen in dem Garten des Linus ergingen. Kein Lüftchen rührte sich; ein unendlicher Friede herrschte unter dem goldgefärbten Abendhimmel, und Hand in Hand wandelten die jungen Menschen auf und ab.

»Droht dir keine Gefahr, Markus, weil du Antium ohne Wissen des Cäsar verlassen hast?« fragte Lygia.

»Nein, Geliebte,« entgegnete Vinicius. »Nero verkündete, er werde sich zwei Tage mit Terpnos einschließen, um seine neue Dichtung in Musik zu setzen. Das tut er häufig, und während dieser Zeit denkt er nur an seine Gesänge. Ich vermag den Weg von Antium nach Rom schneller zurückzulegen als irgendein reitender Bote des Kaisers. Auf der ganzen Strecke habe ich Pferde bereitstehen, die ich wechsle, sobald sie müde sind. Ich mußte dich sehen, meine Teure!«

»Mir ahnte, daß du kommen werdest. Zweimal sandte ich Ursus nach deinem Hause. Linus verlachte mich schließlich, und auch Ursus tat dasselbe.«

Innig küßte Vinicius die Hand der Geliebten; dann setzten sie sich eng aneinandergeschmiegt auf die Steinbank zwischen wilden Reben und schauten schweigend in die allmählich erbleichende Abendröte. Einen besonderen Zauber übten die Ruhe und der Frieden um sie her auf Lygia und Vinicius.

»Wie schön ist es hier, wie wunderbar ist doch die Welt,« sagte Vinicius leise; »ich kann dir nicht sagen, Geliebte, wie glücklich ich mich fühle! Niemals hätte ich gedacht, daß ich auf diese Art lieben könnte! Bisher hielt ich Leidenschaft und Verlangen für Liebe; nun fühle ich zum erstenmal in meinem Leben, daß es auch eine selbstlose Liebe gibt, daß ich mein Herzblut opfern würde deinetwillen. Auch die Natur ist so friedlich und kein Windhauch bewegt die Blätter der Bäume. Jetzt begreife ich auch die heitere Ruhe der Pomponia Graecina und die deine. Christus verleiht sie denen, die an ihn glauben.«

»Mein geliebter Markus!« begann Lygia, indem sie ihr Köpfchen an dessen Schulter legte. Allein sie vermochte nicht weiter zu reden. Freude und Dankbarkeit bewegte sie so sehr, daß die Stimme ihr versagte und Tränen in die Augen traten.

Mit leiser, zärtlicher Stimme fing Vinicius nach längerem Schweigen wieder an: »Du bist die Seele meiner Seele, du bist mir das Teuerste auf der Welt! Unsere Herzen werden zusammenschlagen, und gemeinsam wollen wir zu Christus beten. O Lygia, kann es etwas Schöneres geben, als Gott gemeinsam zu preisen, als nach einem gemeinsamen Leben in dem Gedanken zu sterben, daß man sich im Jenseits finden werde? In zwei-, in dreihundert Jahren werden sich der Lehre alle Völker beugen. Jupiter wird vergessen sein, nur christliche Bethäuser werden noch bestehen, in denen die Menschen ihren einzigen Gott anbeten, ihren Christus verehren werden.«

Ohne ihr Haupt von Vinicius' Schulter zu erheben, blickte Lygia sinnend auf die in Silber getauchten Wipfel der Zypressen, während sie sagte: »Markus, du schriebst mir über Sizilien, wohin auch Aulus und Pomponia sich zurückzuziehen gedenken, und . . .«

»Ja, Geliebte,« unterbrach sie Vinicius, »unsere Besitzungen liegen nebeneinander. Ein wunderbares Land ist Sizilien; die Luft ist dort weit milder als in Rom, wonnig und dufterfüllt sind dort die Nächte; ein frohes, ewig heiteres Leben winkt uns. In Olivenhainen werden wir wandeln und in deren Schatten ruhen.«

Lygia erfaßte seine Hand und versuchte sie an ihre Lippen zu führen, doch er erlaubte es nicht, sondern flüsterte wie trunken vor Glück: »Nein, Lygia, nein! An mir ist es, dich zu ehren, laß mich deine Hand küssen.«

»Markus, ich liebe dich von ganzem Herzen!«

Da plötzlich wurde die nächtliche Stille durch ein donnerähnliches Geräusch unterbrochen. Lygia erbebte, Vinicius sprang empor und sagte: »Die Löwen brüllen in ihren Käfigen.«

So war es auch. Gleich einem Donner ertönte das Gebrüll der wilden Tiere, von denen eins dem anderen Antwort zu geben schien. Oft befanden sich in den Arenen Roms mehrere tausend Löwen. Gar häufig in der Nacht stießen sie mit ihren mächtigen Schädeln an die Gitter ihrer Käfige, um durch laute Klagetöne ihrem Sehnen nach der Wüste und Freiheit Ausdruck zu verleihen.

Da nahm Vinicius Lygia in seine Arme und flüsterte ihr zu: »Fürchte dich nicht, Geliebte. Die Kampfspiele werden bald ihren Anfang nehmen, daher sind alle Käfige überfüllt.«

Das Gebrüll der Löwen wurde lauter und lauter; langsamen Schrittes kehrten beide in das Haus des Linus zurück.

 


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