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Nero ließ für die neuen Amphitheater riesige Stämme von den Abhängen des Atlasgebirges übers Meer und den Tiber hinaufschaffen. Tausende Arbeiter wurden Tag und Nacht beschäftigt. Das Volk erzählte sich Wunder von der Pracht der Ausschmückung. Es funkelte überall von Bronze, Bernstein, Perlmutter, Elfenbein und Schildpatt. Längs den Sitzen waren Kanäle angebracht, deren eiskaltes Gebirgswasser eine wohltuende Kälte verbreitete, und ein riesiges, purpurfarbenes Dachzelt schützte vor der brennenden Sonne. In gewissen Abständen waren Räucherständer aufgestellt, auf denen arabische Wohlgerüche verbrannt wurden, oberhalb der Bänke befanden sich Werkzeuge zum Bespritzen der Zuschauer mit Safrantau und Verbena. Die berühmten Baumeister Severus und Celer wandten ihr ganzes Wissen und ihre ganze Geschicklichkeit auf, um einen den größten Anforderungen entsprechenden Bau herzustellen.
Am Tage der ersten Vorstellung fand sich das Volk in solcher Menge ein, daß das Hineinströmen stundenlang dauerte. Die wilden Tiere wurden schon seit zwei Tagen nicht mehr gefüttert; man zeigte ihnen blutige Fleischstücke vor den Gittern, um ihren Hunger und ihre Wut zu steigern. Bisweilen erklang ein solcher Sturm wilden Geheuls, daß die vor dem Circus Wartenden ihr eigenes Wort nicht mehr hörten und die weniger Gefühllosen vor Schreck erblaßten.
Bei Tagesanbruch erschollen aus dem Kerker des Circus laute, ruhig gesungene Hymnen. Das Volk horchte erstaunt auf und rief: »Die Christen! Die Christen!«
In der Tat waren die Nacht zuvor Abteilungen der Christen ins Amphitheater gebracht worden; doch nicht, wie anfänglich geplant, aus einem Gefängnis, sondern aus jedem einige.
Man wußte, die Spiele würden Wochen und Monate dauern; dennoch wurden Zweifel laut, ob man an einem Tage mit den für heute bestimmten Christen fertig würde. Die Morgenhymne erklang von so vielen Männer-, Frauen- und Kinderstimmen, daß erfahrene Zuschauer behaupteten, selbst wenn hundert oder zweihundert zugleich in die Arena gestoßen würden, müßten die Bestien müde und satt werden und wären nicht imstande, alle Opfer vor der Nacht zu zerreißen. Andere meinten, eine allzu große Zahl von Opfern würde nur die Aufmerksamkeit und den Genuß des Ganzen beeinträchtigen.
Je näher der Augenblick kam, wo die Zugänge zum Innern sich öffnen sollten, desto angeregter und freudiger wurde die Menge. Zuerst erschienen des Morgens früh Abteilungen von Gladiatoren unter Führung ihrer Lehrmeister vor dem Amphitheater. Um nicht zu früh zu ermatten, gingen sie unbewaffnet, zum Teil große Zweige tragend, oder blumenbekränzt, jugendlich, schön, strotzend vor Kraft. Viele wurden beim Namen gerufen: »Willkommen, Furnius!« – »Willkommen, Leo!« – »Willkommen, Maximus!« – »Willkommen, Deomedes!«
Dann verschwanden sie hinter den Toren, die sich für manchen von den Gladiatoren nicht wieder öffnen sollten.
Neue Erscheinungen fesselten die Blicke der harrenden Volksmasse. Hinter den Gladiatoren erschienen mit Peitschen bewaffnete Mastigophoroi, die die Kämpfenden aufeinanderhetzen sollten. Dann kamen Eselskarren mit Särgen, und hierauf jene Männer, welche alle Verwundeten zu töten hatten. Ihnen folgten die Aufseher und Platzanweiser, Sklaven, um Speisen und Erfrischungen herumzutragen, und die Prätorianer, ohne deren Schutz Nero niemals ins Amphitheater sich wagte.
Endlich öffneten sich die Eingänge, und die Menge strömte in die Mitte des Circus. Stundenlang floß dieser lebendige Strom, ohne daß das Riesengebäude sich als zu klein erwiesen hätte.
Das Geheul der wilden, die menschlichen Ausdünstungen witternden Tiere wurde immer wütender. Dadurch, daß jeder sich seinen Sitz aussuchte, entstand ein Lärm, als ob ein sturmgepeitschtes Meer hier brande.
Der Stadtpräfekt, von seiner Wache umgeben, erschien nun. Nach ihm strömten in ununterbrochener Reihe die Sänften von Senatoren, Konsuln, Prätoren, Ädilen, Regierungs- und Palastbeamten, Prätorianer-Offizieren, Patriziern und vornehmen Damen. Die Vergoldung der Sänften glitzerte im Sonnenschein, desgleichen glänzten die weißen und bunten Gewänder, die Federn, die Ohrringe, die Juwelen und der Stahl der Liktorenbündel. Schreiend begrüßte das Volk die Würdenträger. Von Zeit zu Zeit langten neue Abteilungen von Prätorianern an.
Etwas später erschienen die Priester der verschiedenen Tempel; erst nach diesen wurden die geheiligten Jungfrauen Vestas, von Liktoren begleitet, hereingetragen.
Die Menge harrte nur noch auf Cäsar, nach dessen Ankunft das Schauspiel beginnen sollte. Um sich die Volksgunst zu erhalten, ließ Nero nicht lange auf sich warten. Mit ihm kamen Poppäa und die Augustianer. Unter den Augustianern befanden sich Petronius und sein Neffe.
Vinicius wußte Lygia krank und bewußtlos. Allein, da während der letzten Tage jeder Besuch im Gefängnis untersagt gewesen, und die Wachen durch andere ersetzt worden, die nicht den geringsten Verkehr zwischen Gefangenen und Besuchern dulden durften, war der Tribun nicht gewiß, ob sie nicht zu den Opfern dieses Tages gehöre. Man könnte auch ein krankes, ohnmächtiges Weib den Löwen vorwerfen. Da jedoch die Christen, in Tierfelle eingenäht, massenweise die Arena betreten sollten, würde niemand sehen, ob einige mehr oder weniger darunter seien, von einer Erkennung gar nicht zu sprechen. Die Gefängniswärter waren zwar bestochen, mit den Türhütern war ein Handel abgeschlossen worden, wonach sie Lygia in einem dunkeln Winkel verbergen und sie nachts einem Vertrauten Vinicius' übergeben sollten, der sie schleunigst in die Albanerhügel zu bringen hatte. Petronius, ins Geheimnis gezogen, hatte Vinicius geraten, mit ihm ins Amphitheater zu gehen, dort im Gedränge zu verschwinden und dann sich in die Gewölbe zu schleichen, um dort, damit jede Verwechslung ausgeschlossen sei, den Wärtern Lygia zu zeigen.
Die Wärter ließen ihn nun durch ein kleines Tor eintreten, das sie selbst auch benutzten. Einer derselben, Cyrus, führte ihn sogleich zu den Christen. Unterwegs sagte er: »Ich weiß nicht, Herr, ob du finden wirst, was du suchst, wir fragten nach einem Mädchen, das Lygia heißt, erhielten aber keine Antwort. Vielleicht traut man uns nicht.«
»Sind ihrer viele?« fragte der Tribun.
»Viele müssen bis morgen warten.«
»Sind Kranke darunter?«
»Keiner, der nicht stehen kann.«
Cyrus schloß eine Tür auf. Sie betraten einen weiten, doch niedrigen und finsteren Raum, das Gitter zwischen der Arena und diesem Raume war die einzige Lichtquelle. Vinicius sah nichts, er hörte nur murmelnde Stimmen aus der Nähe und den wilden Lärm im Zuschauerraume. Als er sich an die Dunkelheit gewöhnt, erblickte er ganze Scharen fremdartiger, Wölfen und Bären gleichender Wesen. Es waren in Tierhäute eingenähte Christen. Einige standen, andere knieten im Gebete. Da und dort erkannte man an den langen, über das Fell herabfallenden Haaren ein Weib. Wie Wölfe aussehende Frauen hielten in zottige Hüllen genähte Kinder in den Armen. Doch aus den Fellen ragten heitere Gesichter hervor und Augen, die vor Freude und Fieber glänzten. Es war augenscheinlich, daß der größere Teil dieser Menschen nur einen überirdischen Gedanken hatte, einen Gedanken, der sie gleichgültig gegen alles um sie herum machte. An Cyrus' Seite ging Vinicius umher, forschte in den Gesichtern, stieß bisweilen mit dem Fuße an Ohnmächtige, denen das Gedränge und die furchtbare Hitze das Bewußtsein genommen hatte, und ging weiter in die dunkle Tiefe dieses Raumes, der allein schon ein riesiges Amphitheater zu sein schien.
Plötzlich blieb er stehen; eine bekannte Stimme drang an sein Ohr. Er horchte, wandte sich um und ging in der Richtung der Stimme zurück. Ein Lichtstrahl fiel auf das Gesicht des Sprechers, und Vinicius erkannte unter einem Wolfsfelle den unerbittlichen Crispus.
»Beweint eure Sünden,« rief er, »denn die Stunde ist nahe! Wer da vermeint, durch den Tod seine Sünden zu tilgen, begeht eine neue Sünde und fällt dem ewigen Feuer anheim. Mit jeder begangenen Sünde habt ihr das Leiden des Herrn erneuert; wie dürft ihr also glauben, das Leiden, das euch erwartet, werde diese tilgen? Heute werden der Gerechte und der Sünder des gleichen Todes sterben; doch der Herr wird die Seinen finden. Wehe euch! Barmherzigkeit hat aufgehört; die Stunde des göttlichen Zornes ist gekommen. In kurzem steht ihr vor dem furchtbaren Richter, vor welchem der Gerechte selbst zittert! Beweint eure Sünden; denn der Rachen der Hölle steht offen! Wehe euch, Gatten und Gattinnen; wehe euch, Eltern und Kinder!«
Er streckte die fleischlosen Hände aus, unerbittlich selbst in der Todesstunde. Stimmen erschollen: »Wir beweinen unsere Sünden!« Dann folgte wieder Stille, die nur von schreienden Kindern unterbrochen wurde.
Vinicius schauderte. Er, dessen ganze Hoffnung in der Barmherzigkeit des Heilandes ruhte, hörte jetzt, die Stunde des Zornes sei gekommen, selbst der Tod in der Arena erwirke kein Erbarmen. Zwar schoß ihm blitzschnell der Gedanke durch den Kopf, Petrus würde in solcher Stunde anders gesprochen haben.
Die Nähe der Marter und die Menge der bereits zum Tode angekleideten Opfer machte ihn schaudern. Jeden Augenblick konnte das Gitter geöffnet werden. Dies erkennend, rief er laut nach Lygia und Ursus, in der Hoffnung, wenn nicht sie, so würden doch Bekannte antworten.
Wirklich erwiderte eine dunkle, in ein Bärenfell gehüllte Gestalt: »Herr, sie blieb im Kerker zurück. Ich war der letzte, den man hinausführte; ich sah sie krank auf dem Lager ausgestreckt.«
»Wer bist du?« fragte Vinicius.
»Der Steinbrecher, in dessen Hütte du getauft wurdest. Vor drei Tagen wurde ich in den Kerker geworfen; heute sterbe ich.«
Vinicius fühlte sich erleichtert. Als er eintrat, war sein Wunsch, Lygia zu finden; nun aber dankte er Gott, daß sie nicht hier war, und sah darin ein Zeichen der Erhörung.
Der Steinbrecher fuhr fort: »Ich sah den Apostel am Tage vor meiner Gefangennahme. Er segnete mich und versprach, im Amphitheater zu sein und die Sterbenden zu segnen. Wenn ich ihn und das Zeichen des Kreuzes sehen könnte, würde ich leichter sterben. Wenn du seinen Platz kennst, so laß es mich wissen.«
Vinicius dämpfte die Stimme, indem er erwiderte: »Er sitzt unter den Leuten des Petronius, als Sklave verkleidet. Ich weiß nicht, welche Plätze sie eingenommen haben, doch ich will nachsehen. Schaue zu mir hinauf, sobald ihr die Arena betretet. Ich werde aufstehen und ihnen mein Gesicht zuwenden, so daß deine Augen ihn finden.«
»Habe Dank. Friede sei mit dir!«
»Der Heiland sei dir gnädig!«
»Amen.«
Vinicius verließ das Cuniculum und kehrte ins Amphitheater zurück, wo er seinen Platz nahe bei Petronius und den übrigen Augustianern einnahm.
»Ist sie da?« fragte Petronius.
»Nein, sie blieb im Kerker.«
»Vernimm meinen Einfall und schaue, während du hörst, zu Nigidia hin, damit man glaubt, wir reden von ihrem Haarputz. Tigellinus und Chilon schauen auf uns. – So höre: laß Lygia nachts in einen Sarg legen und als Leiche forttragen. Das weitere errätst du doch?«
»Ja,« erwiderte Vinicius.
Ihr Gespräch wurde jetzt durch einen Augustianer unterbrochen, der sie grüßte und sie auf den prachtvollen Anblick des neuen Amphitheaters aufmerksam machte.
Der Anblick war in der Tat prächtig, die unteren mit Togen bedeckten Sitze waren schneeweiß. In einer vergoldeten Loge saß Nero, ein Diamantband um den Hals, eine goldene Krone auf dem Haupte tragend. Neben ihm hatte die schöne, finstere Augusta Platz genommen. Umgeben waren die beiden von Vestalinnen, hohen Beamten, Senatoren mit gestickten Togen, Heerführern mit funkelnden Waffen, alles war da, was Rom an Mächtigen und Reichen besaß. In entfernteren Reihen saßen Ritter, und oben wogte ein Meer gemeinen Volkes. Girlanden aus Rosen, Lilien, Efeu und Weinblättern verbanden einen Pfeiler mit dem anderen.
Man unterhielt sich laut, rief sich beim Namen und sang. Zuweilen erregte ein witziges, von Reihe zu Reihe weiterfliegendes Wort ein stürmisches Gelächter. Viele stampften vor Ungeduld, weil das Schauspiel noch nicht begonnen hatte. Nach und nach wurde das Stampfen allgemeiner und verursachte einen fürchterlichen Lärm. Der Stadtpräfekt, mit glänzendem Gefolge die Arena umreitend, gab endlich mit dem Taschentuch das Zeichen, dem ein Beifallsrufen aus tausend Zungen antwortete.
Den Anfang des Schauspiels machten die Andabates, die Helme ohne Augenöffnung trugen, so daß sie blindlings kämpfen mußten. Eine Schar solcher betrat die Arena. Sie schlugen aufs Geratewohl mit dem Schwert um sich. Die Mastigophoroi stießen einige zusammen, so daß sich die Gegner fanden. Die Vornehmen unter den Zuschauern blickten mit Verachtung auf dieses Schauspiel, den Pöbel aber belustigten die unbeholfenen Bewegungen der Kämpfer. Eine Anzahl von Paaren fanden sich jedoch, und der Streit wurde bald blutig. Die Gegner warfen die Schilde weg; einer gab dem anderen die Linke, um einander nicht mehr zu verlieren, und kämpfte mit der Rechten, bis der Sieg entschieden war. Wer fiel, hielt die Finger nach oben und bat dadurch um Schonung. Beim Beginn eines Schauspieles wurde jedoch fast immer der Tod des Besiegten verlangt, besonders wenn dessen Gesicht verhüllt war, so daß keiner ihn kannte. Nach und nach löste sich alles in Zweikämpfe auf, und als schließlich nur zwei zurückblieben, wurden auch sie zusammengestoßen, fielen in den Sand und erstachen sich gegenseitig. Dann schleppten Circusdiener die Leichen hinaus; Knaben verwischten die Blutspuren und streuten Safranblätter über den Sand.
Es sollte nun ein ernsthafter Gladiatorenkampf stattfinden, der nicht nur bei dem Pöbel, sondern auch bei den Vornehmen mit Spannung erwartet wurde. Bei solchen Kämpfen gingen die jungen Patrizier hohe Wetten ein, durch die sie manchmal ihr ganzes Vermögen verloren. Aber auch der Cäsar, die Priester, die Vestalinnen wetteten.
Sobald die schrillen Töne der Trompeten ertönten, machte die tiefste Stille dem früheren Lärm Platz. Tausend Blicke hingen an den Riegeln, an die ein als Charon gekleideter Mann hintrat; dreimal schlug er mit einem Hammer auf das Tor, als ob er die dahinter Verborgenen hervorrufen wolle. Langsam gingen die beiden Torflügel auseinander, und die Gladiatoren traten in die offene Arena hinaus.
Sie kamen in Abteilungen von je fünfundzwanzig Mann, Thrakier, Mirmillonen, Samniter, Gallier, jede Nation getrennt, und alle schwer bewaffnet; zuletzt kamen die Retiarier hervor, in der einen Hand das Netz, in der anderen den Dreizack tragend. Beifall erhob sich da und dort bei ihrem Erscheinen, der sich bald in einen allgemeinen Sturm verwandelte. Die Gladiatoren gingen festen, doch elastischen Schrittes längs der Arena herum, indes ihre Rüstungen und Waffen in der Sonne funkelten. Vor Cäsars Podium blieben sie stehen, stolz, ruhig und siegesbewußt. Ein Trompetenstoß stellte die Ruhe wieder her. Die Gladiatoren hielten die Rechte empor, schauten zu Cäsar hinauf und schrien, oder besser gesagt, sangen mit gedehnter Stimme:
»Ave Caesar Imperator!
Morituri te salutant!«
Hierauf gingen sie schnell auseinander, um ihre Plätze einzunehmen. Sie hatten sich in Abteilungen anzugreifen, es war aber vorher den berühmtesten Fechtern eine Anzahl Einzelkämpfe gestattet, wobei die Kraft, die Gewandtheit und der Mut des einzelnen besser hervortraten. Wirklich trat aus der Abteilung der Gallier ein Kämpfer, der in manchem Streite Sieger geblieben und den Liebhabern seines Gewerbes wohl bekannt war. Helm und Panzer funkelten in der Sonne, so daß er wie ein riesiger Käfer anzuschauen war. Der nicht minder berühmte Retiarius Calendio trat ihm entgegen.
Das Wettfieber erwachte. – »Fünfhundert Sesterzien auf den Gallier!« – »Fünfhundert auf Calendio!« – »Beim Herkules! Tausend!« – »Zweitausend!«
Inzwischen war der Gallier in die Mitte der Arena getreten, hielt das Schwert vor sich hin und wich zurück, wobei er gesenkten Hauptes den Gegner durch die Visieröffnung scharf beobachtete. Der Retiarius sprang flink um seinen schwerfälligen Feind herum, indem er das Netz anmutig schwenkte, dazu seinen Dreizack bald hob, bald senkte und die spöttischen Verse der Retiarier sang:
»Ich will nicht dich,
Den Fisch will ich,
was fliehst du, Gallier, mich?«
Allein der Gallier floh nicht, sondern blieb stehen und drehte sich mit kaum merklicher Bewegung ringsum, um den Gegner nicht aus den Augen zu verlieren. In seiner Gestalt und dem ungeheuer großen Kopfe bereitete sich nun etwas vor. Die Zuschauer errieten sofort, daß dieser schwere, stahlgepanzerte Körper auf eine Gelegenheit wartete, um mit einem Streiche den Kampf zu entscheiden. Der Retiarius sprang auf ihn los und wieder zurück, wobei er die dreizackige Gabel so schnell bewegte, daß das Auge kaum zu folgen vermochte. Wiederholt hörte man den Dreizack auf den Schild prallen, der Gallier jedoch zuckte mit keiner Wimper und gab so den Beweis seiner Riesenkraft. Seine ganze Aufmerksamkeit war nicht auf die Gabel, sondern auf das Netz vereinigt, das wie ein Unglücksvogel über seinem Haupte kreiste. Die Zuschauer folgten verhaltenen Atems dem meisterhaft geführten Kampfe.
Der Gallier verharrte noch eine Weile in der Abwehr; dann aber sprang er in plötzlichem Entschlusse auf seinen Gegner los. Dieser, nicht weniger flink, wich dem Schwerte aus, erhob den Arm und warf das Netz.
Der Gallier drehte sich blitzschnell und fing das Netz mit dem Schild auf, dann ließen die beiden für einen Augenblick voneinander ab, bis der Kampf von neuem begann. Zweimal entwich der Gallier dem Netz und zog sich gegen die Mauer der Arena zurück. Diejenigen, welche auf ihn gewettet hatten, riefen: Frisch drauf! Er gehorchte und griff an. Im Nu war der Arm des Retiarius blutüberströmt und ließ das Netz fallen. Der Gallier holte zum Todesstreiche aus. Calendio sprang blitzschnell zur Seite, entging dem Hiebe, stieß aber seinem Gegner den Dreizack zwischen die Knie, so daß er fiel.
Der Gallier wollte aufspringen, doch schon lag er unter dem Netz, worin jede Bewegung ihn mehr und mehr verstrickte. Jeden Versuch, auf die Füße zu gelangen, vereitelte Calendio mit seiner Gabel. Die letzte Kraft aufbietend, stützte der Gallier sich auf den Arm und versuchte emporzukommen. Umsonst! Der versagenden Hand entsank das Schwert, er fiel auf den Rücken. Calendio setzte den Dreizack auf den Hals des Besiegten, stützte beide Hände darauf und wandte sich gegen des Cäsars Loge.
Der Circus zitterte unter dem Beifallssturm, der sich nun erhob. Die Stimmen teilten sich; die oberen Sitze stimmten teils für Tod, teils für Gnade. Aber die Entscheidung lag beim Cäsar und den Vestalinnen. Nun war Nero diesem Gladiator nicht sehr gewogen, da er früher einmal gegen ihn gewettet und dadurch große Summen verloren hatte. Dessen eingedenk streckte er die Hand vor die Loge hinaus und hielt den Daumen nach unten. Die Vestalinnen taten sogleich dasselbe.
Calendio kniete auf die Brust des Gegners nieder, zog einen kurzen Dolch aus dem Gürtel, entfernte die Rüstung vom Halse des Galliers und stieß ihm die dreikantige Klinge bis ans Heft in die Kehle.
Dann wurde der Tote weggeschafft, und andere Paare traten hervor.
Schließlich kämpfte Abteilung gegen Abteilung. Augen und Seele der Zuschauer waren dabei. Man brüllte, heulte, pfiff, klatschte, lachte und trieb die Kämpfenden an. Die Gladiatoren, in zwei Legionen geteilt, fochten wie rasende Tiere, Brust lag an Brust, Leiber waren ineinander geflochten, Glieder krachten in ihren Gelenken, Schwerter ragten aus Brüsten und Eingeweiden hervor, erbleichende Lippen spien Blutwellen in den Sand. Gegen das Ende des Gemetzels begannen einige Neulinge aus dem Gemenge zu entfliehen, allein die mit Blei versehenen Peitschen der Mastigophoren trieben sie augenblicklich zurück. Das Blut bildete dunkle Lachen im Sande; ein Körper nach dem anderen fiel röchelnd zusammen. Die noch Lebenden stritten auf den Leichen weiter, zerschnitten sich die Füße an zerbrochenen Waffen und fielen.
Das Entzücken der Zuschauer war grenzenlos. Die Besiegten waren fast alle tot. Nur wenige Verwundete knieten in der Mitte der Arena und erhoben, um Schonung flehend, ihre Arme. Die Sieger ernteten Kronen und Olivenkränze.
Eine Pause folgte, die auf Befehl Neros durch ein Gelage ausgefüllt wurde. Wohlgerüche dampften aus Vasen, ein Regen von Safran und Veilchen schauerte auf die Menge herab. Erfrischende Getränke, gebratenes Fleisch, süßes Gebäck, Wein, Oliven und Obst wurden verteilt. Man aß, plauderte, jauchzte zu Ehren Cäsars, um ihn noch zu größerer Freigebigkeit zu bewegen. Sobald Hunger und Durst gestillt waren, trugen Hunderte von Sklaven Körbe von Gaben herbei; Knaben entnahmen verschiedenartige Gegenstände daraus, die sie mit beiden Händen unter die Menge warfen. Als Lotteriekarten zur Verteilung kamen, entstand eine förmliche Schlacht. Man stieß sich und trat sich mit den Füßen und erstickte einander in dem fürchterlichen Gedränge. Wer eine Glücksnummer erwischte, hatte Aussicht auf ein Haus mit Garten, einen Sklaven, ein Prachtgewand oder ein wildes Tier, das er an das Amphitheater verkaufen konnte. Die Aufregung wuchs bisweilen so, daß die Prätorianer eingreifen mußten. Nach jeder derartigen Verteilung gab es gebrochene Arme und Beine und zu Tode gedrückte Menschen.
Inzwischen unterhielten sich die Augustianer auf Kosten des Chilon, der sich vergeblich bemühte, zu beweisen, daß er den Anblick von Kämpfenden, Blutlachen, Fleischfetzen ebenso gut vertrage wie die anderen. Er war leichenblaß, und Schweißtropfen standen auf seiner Stirn.
»Ha! Grieche, du kannst wohl den Anblick zerrissener Menschenhäute nicht vertragen!« spottete Vatinius, ihn beim Barte zupfend.
Chilon fletschte seine zwei letzten gelben Zähne und sagte: »Mein Vater war kein Flickschuster, darum kann ich sie nicht flicken.«
»Sehr gut! Der hat's ihm gegeben,« riefen mehrere Stimmen. Senecio jedoch verhöhnte ihn weiter: »Möglich, daß man dich zum Gladiator macht; du würdest gut aussehen in der Arena!«
»Würde ich dich dort finden, so fände ich einen Wiedehopf.«
In dieser Art wurde der Alte gehänselt, aber er blieb keinem eine Antwort schuldig. Nero klatschte Beifall, lachte und eiferte die Parteien an.
Jetzt näherte sich auch Petronius, berührte den Arm des Griechen mit seinem Elfenbeinstock und sagte dann kalt: »Das ist recht, Philosoph, du bist doch im Irrtum! Die Götter wollten einen gewöhnlichen Schurken aus dir machen, aber du wurdest ein Dämon, und deshalb kannst du es nicht aushalten.«
Der Alte sah dem Sprecher ins Gesicht und fand zum erstenmal keine beleidigende Antwort. Erst nach einigen Augenblicken stammelte er: »Ich werde es aushalten!«
Da ertönten Trompetentöne zum Zeichen, daß die Pause beendet sei. Nun sollten die Christen an die Reihe kommen. Alles war aufs äußerste gespannt, denn die meisten hatten keine Ahnung, wie sich das Schauspiel weiter abwickeln sollte.
Der Stadtpräfekt gab ein Zeichen. Sofort erschien ein Greis in Gestalt Charons, derselbe, der schon die Gladiatoren zum Kampfe rief, schritt schnell über die Arena und schlug dreimal mit dem Hammer gegen die Tür.
Durch das ganze Amphitheater ging ein Gemurmel:
»Die Christen! Die Christen!«
Da knarrte das Eisengitter. Die Mastigophoren stießen den üblichen Ruf aus: »In den Sand hinaus!« Und im Nu bevölkerte sich die Arena mit in Tierfellen eingenähten Gestalten, die einer Schar Waldgeister glichen. Alle liefen schnell, etwas fieberhaft bis in die Mitte des riesigen Kreises. Dort sanken sie sämtlich in die Knie und hoben die Hände in die Höhe. Das Volk, in der Meinung, daß sie um Gnade flehten, war wütend über solche Feigheit; es tobte, es brüllte: »Die Tiere, die Tiere!«
Da aber ereignete sich etwas Unerwartetes. Aus der Mitte der zottigen Schar erklangen nämlich singende Stimmen; zum erstenmal hörte man in einem römischen Zirkus das Lied: Christus regnat!
Das Volk staunte. Die dem Tode Geweihten aber sangen weiter, mit zum Velarium emporgerichteten Blicken. Man sah blasse, aber begeisterte Gesichter und wußte jetzt, daß sie nicht um Gnade flehten. Sie schienen weder den Zirkus, noch das Volk, weder den Kaiser, noch den Senat zu sehen; von ihren Lippen erscholl es nur immer lauter: Christus regnat! Das Volk machte erstaunte Gesichter und konnte sich dieses Betragen nicht erklären. Wer ist Christus? fragte ein jeder.
Da wurde wieder ein Gitter geöffnet, und ganze Herden von Hunden sprangen laut bellend in die Arena. Es waren fahlgelbe, riesige Molosse aus dem Peloponnes, hyänenartig gestreifte Hunde aus den Pyrenäen, ausgehungerte Wolfshunde und hibernische Schäferhunde mit blutunterlaufenen Augen. Ihr Geheul und Gewinsel erfüllte die Luft des Amphitheaters. Die Christen hatten ihren Gesang beendet, knieten unbeweglich und riefen wie aus einem Munde: »Pro Christo! Pro Christo!«
Die Hunde, über die Regungslosigkeit der vermummten Gestalten verwundert, zögerten anfangs, sich auf diese zu stürzen. Einige strichen an der Mauer entlang, als ob sie unter den Zuschauern sich ein Opfer wählen wollten, andere umkreisten kläffend die Arena und schienen irgendeinem ungesehenen Tiere nachzujagen. Da stürzte einer der Molosse auf eine in den ersten Reihen kniende Frau und riß sie unter sich. Das war ein Zeichen für die übrigen Bestien: die ganze Meute stürzte sich auf die Knienden.
Das Volk verstummte und blickte mit angestrengter Aufmerksamkeit in die Arena, wo sich bald Knäuel von Menschen- und Tierleibern bildeten. Das Blut floß in Strömen aus den zerfleischten Leibern. Die Hunde rissen sich um die blutenden Körperteile und der Blutgeruch erfüllte die Luft des ganzen Circus. Man sah nur noch wenige Kniende, und auch diese wurden alsbald niedergerissen.
Vinicius saß wie ein Toter da, mit verglasten Augen, das grausige Schauspiel betrachtend. Obwohl er sicher war, daß Lygia sich nicht unter den Opfern befinde, empfand er namenlose Qual bei dem Gedanken an sie. Er hörte weder das Hundegebell, noch das Toben des Volkes, noch den plötzlichen Ruf: »Chilon ist in Ohnmacht gefallen!«
»Chilon ist in Ohnmacht gefallen,« wiederholte Petronius, den Griechen betrachtend.
Dieser saß da, blaß wie die Leinwand, mit rückwärts gebeugtem Kopfe und geöffnetem Munde, ähnlich einer Leiche.
In demselben Augenblick ließ man wieder neue Scharen Christen in die Arena; auch diese knieten nieder. Die Tiere hatten ihren Hunger gestillt und empfanden keine Neigung mehr zum bloßen Morden, sie legten sich gähnend, die Rachen von Blut triefend, an der Brüstung der Arena nieder.
Das entmenschte römische Volk aber war noch nicht gesättigt und wollte noch mehr des Grauenhaften sehen. »Die Löwen, die Löwen, laßt die Löwen in die Arena!« schrie es durcheinander. Die Löwen sollten für den folgenden Tag aufgespart werden; doch im Amphitheater war das Volk Herr, selbst der Kaiser mußte nachgeben. Nero, dem der Beifall des Volkes über alles ging, gab nun das Zeichen, die Cunicula zu öffnen. Als das Volk es sah, beruhigte es sich sogleich. Die Löwen kamen einer nach dem anderen langsam in die Arena, gelbhaarig, ungeheuer, mit zottigen Mähnen und hungrig. Sie zwinkerten mit den Augen, vom roten Schein des Velariums geblendet, dehnten träge ihre Leiber und öffneten gähnend die Rachen. Die Hunde drängten sich bei ihrem Anblick auf einen Haufen zusammen. Die Löwen wurden unruhig; ihre Nüstern blähten, ihre Mähnen sträubten sich, und sie umkreisten ihre Opfer. Dann stürzte sich plötzlich einer auf eine Frauenleiche; er legte ihr die Vordertatzen auf den Leib und begann das erstarrte Blut an den Fleischfetzen mit der stacheligen Zunge zu belecken.
Das war für die übrigen Bestien das Zeichen, über die kniende Christenschar herzufallen. Sie packten ihre Opfer mit den Zähnen und setzten in großen Sprüngen mit ihrer Beute über die Arena, um sich einen verborgenen Winkel auszusuchen. Andere suchten sich gegenseitig unter lautem Gebrüll ihren Raub zu entreißen.
Die Menge folgte den Vorgängen in der Arena mit der größten Aufmerksamkeit. Ein Beifallsdonner übertönte das Heulen der Hunde, das Jammern der Kinder, die Rufe: Pro Christo! Das Volk drängte aus den Reihen nach der Brüstung der Arena und wäre am liebsten hinabgestiegen, um den Löwen behilflich zu sein. Auch Nero, der seinen Smaragd vor dem Auge hielt, folgte mit Aufmerksamkeit und blickte zeitweise auf Petronius, dessen Züge den Ausdruck von Verachtung zeigten. Chilon war schon vor einer Weile in einer Sänfte entfernt worden.
In den obersten Reihen stand der Apostel Petrus und blickte auf die unschuldig blutenden Opfer herab. Niemand beachtete ihn, denn alle waren zu sehr mit den Vorgängen in der Arena beschäftigt; er aber streckte die Hände aus und segnete die Sterbenden. Manche hoben den Blick zu ihm empor, denn alle wußten, wo er stand, und wenn sie hoch über sich das Kreuzzeichen sahen, dann lächelten sie vor dem Sterben. Und er segnete sie alle, als wären sie seine Kinder, die er direkt in die Hände Christi übergab.
Nun ließ man auf Befehl des Kaisers, der sich an dem grauenhaften Schauspiel nicht satt sehen konnte, alle übrigen wilden Tiere in die Arena, Tiger vom Euphrat, numidische Panther, Bären, Wölfe, Hyänen und Schakale. Ein wüstes Durcheinander folgte. Die Tiere stürzten aufeinander los und zerfleischten sich gegenseitig; der Blutgeruch, das Heulen des Volkes, das Beifallsklatschen machte die Bestien vollständig wild. Es entstand ein unbeschreiblicher Wirrwarr, aus dem das Auge nicht mehr herausfinden konnte.
Endlich war man ermüdet von dem schauderhaften Anblick, und in dem Tumult hörte man die Rufe: »Genug! Genug!« Doch war es leichter, die Bestien aus ihren Käfigen herauszulassen, als sie wieder hineinzubringen. Aber der Kaiser fand bald ein Mittel, um die Arena auf leichte Art zu säubern. In den Sitzreihen tauchten riesige Numidier auf, mit Federn geschmückt, goldene Ringe in ihren schwarzen Ohrläppchen und Pfeil und Bogen in den Händen. Diese Numidier aber sandten Pfeil auf Pfeils in die Arena, bis alles Leben darin erstorben war.
Hierauf stürzten Hunderte Sklaven in die Arena und säuberten diese. Die Tierleichen und Menschenüberreste wurden auf Wagen geladen und nach den Puticuli genannten Gruben gebracht. In kurzer Zeit war der Circus sauber, und den frisch aufgefahrenen Sand bestreuten Amoretten mit Blumenblättern. Neue Wohlgerüche wurden angezündet, während man das Velarium entfernte, da die Sonne tief stand.
Erstaunt fragten sich die Zuschauer, welches neue Schauspiel diesen Tag beschließen solle.
In der Tat harrte ihrer ein Schauspiel, das keiner erwartet hatte. Der Cäsar war schon früher von seinem Podium verschwunden und erschien nun plötzlich in der blumenüberstreuten Arena, in den Purpurmantel gehüllt, die goldene Krone tragend. Zwölf Choristen folgten ihm mit Zithern. Er selbst hatte eine silberne Laute und trat feierlichen Schrittes in die Mitte der Arena, verbeugte sich mehrere Male vor den Zuschauern, erhob die Augen und schien auf eine Eingebung zu warten.
Dann griff er in die Saiten und begann zu singen. Der Gesang klang allmählich in einer wehmütigen, schmerzbewegten Elegie aus. Tiefe Stille herrschte in dem Circus. Nach einer kurzen Pause hub der Kaiser, sichtlich selbst gerührt, wieder zu singen an. Seine Stimme wurde unsicher und seine Augen feucht.
Tränen schimmerten auf den Lidern der Vestalinnen. Schweigend lauschte die Menge und brach dann in einen nicht endenwollenden Beifallssturm aus.
Zu gleicher Zeit knarrten durch die Vomitaria die Räder der Karren, auf welche die blutigen Überreste der Christen geworfen waren, um alle, Männer, Frauen und Kinder, nach den schrecklichen Gruben gebracht zu werden.
Petrus, der Apostel, stützte sein greises Haupt auf die zitternden Hände und rief im stillen zum Himmel empor: »O Herr! O Herr! Wem gabst du die Herrschaft über die Erde! Und du willst hier deinen Hauptsitz errichten?«