Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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37.

Die Worte des Apostels hatten den Christen Zuversicht eingeflößt. Sie hielten zwar das Weltende für nahe, dachten jedoch, es stehe nicht unmittelbar bevor, sondern sie würden vorher das Ende von Neros Herrschaft, die in ihren Augen die Herrschaft des Satans war, und Gottes Strafgericht über Neros himmelschreiende Verbrechen erleben. Voll neuer Hoffnung gingen sie auseinander und suchten ihre Unterkunftsorte auf, sofern sie Obdach gefunden hatten. Einige gingen sogar zum Transtiber, denn es hieß, infolge der Umdrehung des Windes sei das Feuer gegen den Fluß hin zurückgewichen.

Auch der Apostel verließ die Höhle und mit ihm Vinicius und Chilon. Draußen blieb der Apostel noch einmal stehen und segnete dreimal die Menge. Dann wandte er sich zu Vinicius und sprach: »Fürchte nichts, die Hütte des Steinbrechers ist nahe; darin werden wir Linus, Lygia und ihren treuen Diener finden. Christus, der sie dir bestimmt hat, rettete sie.«

Vinicius wankte und lehnte das Haupt an die Felswand. Der Ritt von Antium her, die Erlebnisse vor der Stadtmauer, die Suche nach Lygia mitten unter den brennenden Häusern, Mangel an Schlaf und die furchtbare Angst hatten ihn erschöpft. Die Kunde, daß sein Teuerstes auf Erden in seiner Nähe weile, raubte ihm die letzte Kraft. Vor Schwäche zu den Füßen des Apostels niederfallend, umfing er dessen Knie und blieb lange wortlos in dieser Stellung.

»Nicht mir, sondern Christus gib die Ehre,« sagte Petrus, jeden Dank abschneidend.

In diesem Augenblicke fragte Chilon: »Was soll ich aber mit den Eseln anfangen, die dort unten warten? Vielleicht will der würdige Prophet lieber reiten als gehen?«

Vinicius wußte nicht, was er antworten sollte. Da die Hütte des Steinbrechers in der Nähe lag, sagte er endlich: »Bringe sie zu Macrinus zurück!«

»Verzeih, Gebieter, wenn ich dich an das Haus in Ameriola erinnere. Angesichts dieses schrecklichen Feuers könnte eine solche Kleinigkeit leicht vergessen werden.«

»Du wirst es bekommen.«

»O Urenkel des Numa Pompilius, ich zweifle nie daran; nun aber, da dieser Prophet Zeuge ist, will ich dich nicht einmal daran erinnern, daß du mir auch einen Weinberg versprachst. Pax vobiscum! Ich werde vorsprechen, Gebieter. Pax vobiscum!«

»Friede sei mit dir,« erwiderten sie.

Petrus und Vinicius wandten sich nach rechts, den Hügeln zu. Unterwegs sagte Vinicius: »Meister, wasche mich mit dem Wasser der Taufe, damit ich mich einen wahren Bekenner Christi heißen darf. Aus ganzer Seele liebe ich ihn. Reinige mich bald, denn ich bin bereit. Was du gebietest, will ich tun; sage mir deinen Willen!«

»Liebe den Nächsten als deinen Bruder,« antwortete der Apostel; »nur durch Liebe kannst du ihm dienen.«

»Ich fühle es; als Kind glaubte ich an die Götter Roms, obschon ich sie nicht liebte. Ihn aber, den einen Gott, liebe ich so, daß ich mein Leben für ihn hingeben würde.«

»Und er wird dich und dein Haus segnen,« schloß der Apostel. Inzwischen hatten sie einen anderen Hohlweg betreten, an dessen Ende ein mattes Licht blinkte. Petrus deutete darauf und sagte: »Dort steht die Hütte des Steinbrechers, der uns ein Obdach gab, als wir mit dem kranken Linus vom Ostranium zurückkehrten und Rom in Flammen fanden.«

Nach einer Weile langten sie vor dieser Hütte an. Es war eher eine Höhle, ausgerundet im Hügel und vorn durch eine Rohrwand begrenzt, die Tür verschlossen; durch eine Öffnung konnte man jedoch ins Innere blicken. Eine dunkle Hünengestalt trat ans Fenster und fragte: »Wer seid ihr?«

»Diener Christi,« antwortete Petrus. »Friede sei mit dir, Ursus!«

Ursus verbeugte sich tief vor Petrus. Vinicius erkennend, ergriff er dessen Hand und zog sie an die Lippen. »Du, Gebieter! Gepriesen sei das Lamm um der Freude willen, die du Lygia bringst.«

Ursus öffnete das Tor, und sie traten ein. Auf einem Strohbündel lag Linus abgezehrt und weiß wie Elfenbein. Neben dem Feuer saß Lygia mit einer Anzahl an einer Schnur aufgereihter Fische. Die Fische von der Schnur lösend und glaubend, es sei nur Ursus eingetreten, blickte sie nicht auf. Vinicius trat auf sie zu, rief sie beim Namen und öffnete die Arme. Sie sprang eilends auf, ein Strahl der Freude trat auf ihr Gesicht. Wortlos warf sie sich in seine Arme, wie ein Kind, das nach tagelanger Sehnsucht und Furcht Vater oder Mutter wiederfindet. Vinicius umarmte Lygia und drückte ihre schlanke Gestalt mit solchem Entzücken an seine Brust, als ob sie durch ein Wunder gerettet worden sei.

Er begann zu erzählen, wie er von Antium hergeflogen sei, sie vor den Stadtmauern, im Rauche des Hauses des Linus gesucht habe, was er gelitten und erlebt, bevor der Apostel ihn hergeführt. »Und nun, da ich dich gefunden, sollst du nicht länger in der Nähe des Feuers und des rasenden Pöbels bleiben. Einer schlägt den anderen tot, Sklaven haben sich empört und plündern. Gott allein weiß, was Rom noch bevorsteht. Doch ich will dich, euch alle retten. Geliebte, laß uns nach Antium reisen, dort ein Schiff besteigen und nach Sizilien segeln. Mein Gut ist dein Gut, meine Häuser sind deine Häuser, in Sizilien finden wir Aulus. Ich bringe dich zu Pomponia wieder zurück, um dich aus ihren Händen wieder zu empfangen. Habe keine Furcht mehr, o Teuerste! Christus hat mich zwar noch nicht durch die Taufe gereinigt, allein frage Petrus, ob ich ihm auf dem Wege hierher nicht den sehnlichsten Wunsch ausgesprochen habe, ein wahrer Bekenner Christi zu werden, ob ich ihn nicht gebeten habe, mich zu taufen, und wäre es in dieser Steinbrecherhütte.«

Strahlenden Auges vernahm Lygia diese Worte. Eine Reise nach Sizilien würde der Gefahr, in der sie jetzt infolge der Wirren lebte, ein Ende machen und einen neuen, glücklichen Abschnitt ihres Lebens eröffnen. Hätte Vinicius nur Lygia mitnehmen wollen, so würde sie sicherlich der Versuchung widerstanden haben, da sie bei Linus und Petrus zu bleiben wünschte, doch Vinicius sagte zu diesen: »Kommt mit uns, meine Güter sind eure Güter, meine Häuser sind eure Häuser.«

Lygia beugte sich nieder, um ihm zum Zeichen des Gehorsams die Hand zu küssen, Vinicius aber fuhr fort: »Rom brennt auf Befehl Neros. In Antium klagte er, noch nie einen großen Brand gesehen zu haben. Wenn solch ein Verbrechen ihm nicht zu groß ist, was mag da noch alles geschehen! Wer weiß, ob er nicht Truppen herführt und ein allgemeines Blutbad befiehlt? Verbergt euch darum und helft mir, Lygia in Sicherheit bringen. Dort mögt ihr warten, bis der Sturm vorüber, und dann von neuem hierher eilen, um neues Samenkorn auszustreuen.«

Seine Befürchtungen bestätigend, erscholl aus der Richtung des vatikanischen Feldes her ein Wutgeheul. Gleich darauf kam der Steinbrecher, der Eigentümer dieser Hütte, herein, schloß die Türe hastig hinter sich zu und berichtete: »Sklaven und Gladiatoren haben die Bürger überfallen. Beim Circus Neros wird ein Blutbad angerichtet.«

»Hört ihr?« fragte Vinicius.

»Das Maß ist voll,« erwiderte der Apostel. »Wie ein endloses Meer werden Heimsuchungen hereinbrechen. Nimm das Mädchen, das dir Gott bestimmt hat, und rette es. Linus, den Kranken, und Ursus laßt mit euch gehen.«

Vinicius, der den Apostel mit all dem Ungestüm seiner jungen Seele lieben gelernt hatte, erklärte: »Ich schwöre, mein Lehrer, daß ich dich nicht hier deinem Verderben überlassen will.«

»Der Herr segne dich für deinen guten Willen,« antwortete Petrus, »doch weißt du nicht, daß der Meister dreimal zu mir sprach: Weide meine Lämmer!?«

Vinicius entgegnete nichts.

»Wenn du, dem niemand Sorge um mich befohlen hat, mich nicht dem Verderben überlassen willst, wie magst du da wünschen, daß ich meine Herde in den Tagen der Trübsal verlassen soll? Als der Sturm auf dem See tobte und wir uns fürchteten, da hat er uns auch nicht verlassen. Soll ich, der Jünger, des Meisters Beispiel nicht befolgen?«

Linus erhob nun sein fleischloses Antlitz und fragte: »O Statthalter des Herrn, warum sollte ich deinem Beispiel nicht folgen?«

Vinicius fuhr mit der Hand über den Kopf, als ob er mit einem Entschluß kämpfte. Lygia bei der Hand fassend, sprach er dann in einem Tone, der die Entschlossenheit eines römischen Kriegers verriet: »Hört mich, Petrus, Linus und du, Lygia! Ich sprach, wie der menschliche Verstand mir's eingab, doch ihr habt einen anderen Sinn, der nicht auf die Gefahr, sondern auf die Gebote unseres Erlösers achtet. Ich war im Irrtum, denn noch ist die Binde von meinen Augen nicht genommen, und die frühere Natur regt sich in mir. Allein ich liebe Christus, ich will sein Diener sein, und obschon etwas mir Teureres als mein Leben in Gefahr steht, knie ich nieder und schwöre, das Gebot der Liebe zu erfüllen und meine Brüder in der Stunde der Heimsuchung nicht zu verlassen.«

Er fiel auf die Knie. Seine Hände zitterten, Tränen glänzten ihm in den Augen.

Da ergriff Petrus ein irdenes Gefäß mit Wasser, trat zu Vinicius heran und sagte feierlich: »Sieh, ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.«

Alle befanden sich in einer heiligen Begeisterung. Es war, als füllte ein überirdisches Licht die Hütte, als erklinge himmlische Musik. Die Felsen über der Hütte schienen gewichen, Engelchöre schwebten gleichsam vom Himmel herunter, und hoch oben sahen sie ein Kreuz, und durchbohrte Hände erhoben sich zum Segen. Draußen aber tobten Mord und Brand.

 


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