Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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34.

Das Feuer der brennenden Stadt rötete den Himmel, so weit das menschliche Auge reichen konnte. Der Mond stieg jetzt voll hinter den Bergen herauf und nahm, von dem brennenden Licht der Flammen beleuchtet, die Farbe glühenden Metalls an. Er schien mit Verwunderung auf die weltbeherrschende, nun dem Untergang geweihte Stadt zu blicken. Rom beleuchtete gleich einer Riesenfackel die ganze Campania. In dem blutigen Rot konnte man die entfernten Berge, Städte, Villen, Tempel, Denkmale und Aquädukte sehen, die sich von den benachbarten Hügeln nach der Stadt zogen. Auf den Aquädukten hatten sich Scharen von Menschen angesammelt, teils um ihrer Sicherheit willen, teils um den Brand zu betrachten.

Inzwischen hatte das Feuer neue Stadtteile ergriffen. Man sah deutlich, daß verbrecherische Hände an dieser Ausbreitung beteiligt waren, da fortwährend neue Brandstellen entstanden, und zwar völlig unabhängig von dem eigentlichen Feuerherd. Jeder Gedanke an Rettung schien ausgeschlossen. Die Verwirrung nahm beständig zu. Während die einheimische Bevölkerung durch alle Tore ins Freie floh, lockte das Feuer Tausende aus der Nachbarschaft, Bewohner der kleineren Orte, Bauern, halbwilde Hirten der Campania hinein, in der Hoffnung auf Beute. Der Ausruf: Rom geht zugrunde! wich nicht von den Lippen der Menge; mit dem Untergang der Stadt schien jedes Gesetz aufgehoben, jedes Band gelöst zu sein, das sonst das Volk als Ganzes zusammengehalten hatte. Die Niedrigen, der Mehrzahl nach Sklaven, kümmerten sich nicht mehr um die Vornehmen. Die Zerstörung der Stadt allein konnte sie frei machen; daher nahmen sie an manchen Plätzen eine drohende Haltung an. Raub und Diebstahl häuften sich. Nur das Schauspiel der untergehenden Stadt schien noch die Aufmerksamkeit zu fesseln und den Ausbruch einer allgemeinen Metzelei zurückzuhalten; sicher aber würde sie auf den Trümmern beginnen. Zahlreiche Sklaven, uneingedenk, daß Rom außer seinen Tempeln und Mauern noch eine ansehnliche Kriegsmacht besaß, warteten auf das Losungswort und den Führer. Der Name Spartakus ward vielfach genannt, aber Spartakus lebte nicht mehr. Endlich bewaffneten sich auch Bürger, so gut sie konnten. An allen Toren wurden die abenteuerlichsten Gerüchte verkündet. Vielfach wurde auch wiederholt, der Cäsar habe befohlen, Rom zu verbrennen, um von den in der Subura aufsteigenden Dünsten frei zu sein und eine neue Stadt, Neronia, erbauen zu können. Diese Vorstellung versetzte das Volk in Wut, und Vinicius hatte ganz recht, wenn ein Führer sich gefunden und diesen Ausbruch des Hasses benutzt hätte, würde Neros Stunde geschlagen haben.

Man erzählte sich auch, der Cäsar sei toll geworden und wolle den Prätorianern und Gladiatoren befehlen, über das Volk herzufallen, ein allgemeines Gemetzel anzurichten. Manche schworen bei den Göttern, Rotbart werde alle wilden Tiere loslassen. Es gab solche, die in den Straßen Löwen mit brennenden Mähnen, wütende Elefanten und Auerochsen gesehen haben wollten, die das Volk in Masse zertraten. In dieser Aussage lag auch etwas Wahres; die Elefanten hatten bei Annäherung des Feuers an manchen Stellen die Behälter gesprengt und stürzten nach gewonnener Freiheit in wildem Schrecken fort, alles, was ihnen im Wege stand, gleich einem Sturm zerstörend. Die öffentlichen Berichte schätzten die in den Flammen Umgekommenen auf ein Zehntel der Bevölkerung. In der Tat waren ihrer sehr viele. Manche stürzten sich, nachdem sie ihr Hab und Gut und Angehörige verloren hatten, aus Verzweiflung selbst ins Feuer. Andere wurden vom Rauch erstickt. In der Mitte der Stadt, zwischen dem Kapitol auf der einen und dem Quirinal, Viminal und Esquilin auf der anderen Seite, sowie zwischen dem Palatin und dem cölischen Hügel, wo die Straßen am dichtesten gefüllt waren, begann der Brand an vielen Stellen zugleich; weil aber ganze Massen nach einer Richtung flohen, so verschloß ihnen eine neue Feuermauer unerwartet den Weg, und sie starben eines schrecklichen Todes in den Flammen.

Es gab wohl keine Familie der Innenstadt, die nicht einen ihrer Angehörigen verloren hatte, und so hörte man überall, an den Toren, auf den Landstraßen das Klagen der Frauen, die wilden Lästerungen der Männer.

Aber weder Verzweiflung, noch Gotteslästerung, noch feierliche Gesänge konnten der Zerstörung Einhalt tun. Das Zerstörungswerk vollzog sich unaufhaltsam, so vollkommen, so erbarmungslos, wie das Verhängnis selbst. Beim Amphitheater des Pompejus entzündeten sich die Niederlagen von Hanf und Seilen, deren man eine Menge im Circus, in der Arena und für alle Arten von Maschinen gebrauchte, wie sie bei den öffentlichen Spielen benutzt wurden. Zugleich flammten auch die anstoßenden Gebäude auf, worin sich Tonnen mit Teer befanden, das zum Schmieren der Seile bestimmt war. Binnen wenigen Stunden war dieses Stadtviertel, das an das Marsfeld stieß, von glänzend gelben Flammen so blendend beleuchtet, daß die von Schrecken fast bewußtlosen Zuschauer glaubten, selbst die Ordnung von Tag und Nacht habe in dem allgemeinen Untergang aufgehört, und sie schauten in den hellen Sonnenschein hinein. Dann überzog ein blutigroter Schein alles, so daß die anderen Farben vollständig verblaßten. Aus deren Flammenmeer schossen riesenhafte Feuersäulen zum erhitzten Himmel empor, und Feuerstrahlen teilten sich, oben angelangt, in Zweige und Fasern; ungehemmt trug sie der Wind davon wie goldene Fäden, Haare oder Funken, und fegte damit über die Campania zum Albanergebirge hin. Wie loderndes Feuer floß der Tiber hin. Die unglückselige Stadt war in einen Ort des Grauens verwandelt. Der Brand nahm an Ausdehnung zu, bemächtigte sich der Hügel im Sturme, überzog die Ebene, verheerte die Täler, zischte, prasselte und krachte über den zusammenbrechenden Trümmern.

 


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