Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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54.

In Rom hatte man allgemein das Blutvergießen schon satt bekommen, aber als man hörte, daß in einer letzten Abendvorstellung der Rest der Christen auftreten werde, strömte eine unzählige Menge ins Amphitheater. Kein Platz blieb unbesetzt. Auch die Augustianer waren bis auf den letzten Mann da, denn sie wußten, daß der Kaiser an dem Schmerze des Vinicius ein Trauerspiel genießen wollte. Tigellinus verriet nicht, auf welche Art die Braut des jungen Tribuns sterben sollte, und das erhöhte die Neugierde im Trauerspiele.

Der Cäsar kam zeitiger als sonst, und man fing an, sich zuzuflüstern, daß etwas Außergewöhnliches geplant sei.

Die Blicke aller wendeten sich jetzt nach dem unglücklichen Vinicius. Er saß leichenblaß da, Schweißtropfen bedeckten seine Stirn. Mit dem Gedanken, daß Lygia sterben müßte, hatte er sich längst vertraut gemacht, jetzt aber fühlte er, daß es etwas anderes sei, an Lygias Ende zu denken, als ihren Martertod selbst mit ansehen zu müssen. Hin und wieder blitzte vor ihm ein Hoffnungsfunke auf. Hatte doch Petrus einst gesagt, daß der Glaube Felsen versetzen könne! Und er suchte sich zu sammeln, jeden Zweifel in sich zu unterdrücken, sein ganzes Wesen in die Worte: Ich glaube! zu verschließen, und so gefaßt, wartete er auf ein Wunder.

»Du bist krank,« sagte Petronius, der ihn mitleidig beobachtet hatte, »lasse dich nach Hause tragen!« Unbekümmert um das, was Nero sagen würde, erhob er sich, um Vinicius zu stützen und mit ihm hinauszugehen. Der Kaiser beobachtete die beiden durch seinen Smaragd, als gälte es, den Schmerz, den er so aufmerksam studierte, in kunstvollen Strophen zu besingen und damit Beifall zu ernten.

Vinicius schüttelte verneinend den Kopf. Er wollte lieber im Amphitheater sterben, als es in dem Augenblicke verlassen, da die Vorstellung beginnen sollte.

Da gab der Stadtpräfekt das Zeichen zum Beginn der Vorstellung, indem er ein rotes Tuch hinwarf. Auf dieses Zeichen öffnete sich die dem kaiserlichen Podium gegenüberliegende Tür, und aus dem dunklen Gefängnis trat Ursus in die hellerleuchtete Arena.

Der Riese blinzelte mit den blauen Augen, offenbar durch den Lichtschein geblendet. Dann schritt er bis zur Mitte der Arena und blickte umher, gleichsam als wollte er die Marter erspähen. Allen Augustianern und einem großen Teil des Volkes war es bekannt, daß dieser Mensch den Kroton erwürgt hatte. Bei seinem Auftreten entstand ein Flüstern in den Reihen.

Er stand jetzt mitten im Amphitheater, mehr einem Steinkoloß als einem Menschen ähnlich, mit gebeugtem Kopf, mit dem traurigen Barbarengesicht, und blickte mit seinen blauen Kinderaugen bald auf die Zuschauer, bald auf den Kaiser, bald auf die Gitter der Cunicula, von wo er seine Henker erwartete. Er wußte nicht, welch ein Tod ihn erwartete, wollte aber als geduldiger Bekenner des Heilandes sterben und kniete mit gefalteten Händen nieder, um zu beten.

Dieses Benehmen gefiel aber dem Volke nicht. Man hatte schon genug Christen geduldig sterben sehen, und das Volk sagte sich, daß es um ein Schauspiel komme, wenn sich der Riese nicht wehre. In diesem Augenblick ertönten grelle Trompetenstöße. Das dem kaiserlichen Podium gegenüberliegende Gitter öffnete sich, und ein riesiger germanischer Auerochs stürzte herein, auf dessen Hörner ein Weib gebunden war.

»Lygia! Lygia!« schrie Vinicius auf. Dann faßte er sich an den Haaren und sank in sich zusammen wie einer, der vom Speer durchbohrt ist, und flüsterte die Worte: »Ich glaube! Ich glaube! Christus! Ein Wunder!« Er fühlte nicht einmal, daß Petronius ihm in diesem Augenblick das Haupt mit der Toga verhüllte. In ihm war alles leer und tot. Nur ein Gedanke war in seinem Kopfe übriggeblieben, der Gedanke, den er immerzu wiederholte: Ich glaube! Ich glaube! Ich glaube!

Im Amphitheater ward alles still. Die Augustianer erhoben sich wie ein Mann von ihren Plätzen, um in die Arena hinabzusehen, wo sich etwas Außergewöhnliches zutrug. Der demütige und zum Sterben bereite Lygier war, als er seine Königin auf den Hörnern des wilden Tieres erblickte, wie ein vom Feuer Verbrannter aufgesprungen und stürzte mit vorgebeugtem Oberkörper seitwärts auf das rasend gewordene Tier los.

Ein Schrei des Erstaunens rang sich aus aller Brust. Dann wurde es ganz still, doch nur für einen Moment. Im Nu hatte der Lygier den Stier erreicht und bei den Hörnern ergriffen.

»Sieh!« rief Petronius, indem er Vinicius die Toga vom Kopfe zog.

Dieser erhob sich, neigte sein bleiches Gesicht weit vor und starrte mit verglasten Augen wie abwesend in die Arena.

In jeder Brust stockte der Atem. Die Zuschauer trauten ihren Augen kaum. Solange Rom stand, hatte man Ähnliches nicht gesehen. Der Lygier hielt das wilde Tier an den Hörnern fest! Seine Füße waren bis über die Knöchel in den Sand gewühlt, sein Rücken war gewölbt wie ein Bogen, der Kopf schien versteckt zwischen den Schultern, die Muskeln der Arme traten so stark hervor, daß die Haut darüber zu springen drohte, doch hielt er den Stier nieder. So standen Mensch und Stier unbeweglich. In dieser scheinbaren Ruhe jedoch blieb der furchtbare Kampf zweier miteinander ringender Kräfte sichtbar. Auch der Stier hatte sich in den Sand eingegraben, sein dunkler, zottiger Leib schien sich zu einer Kugel zusammenzuballen.

Wer wohl zuerst erlahmen, unterliegen werde? Die Frage schwebte auf allen Lippen. Diese Frage war den für Körperkraft schwärmenden Römern in diesem Augenblick wichtiger als ihr eigenes Los, als Rom selbst und seine Herrschaft über die Welt. Der Lygier war ihnen eine Art Halbgott, aller Ehren und eines Standbildes wert.

Der Kaiser selbst hatte sich von seinem Platze erhoben. Von der Stärke des Mannes hörend, hatten er und Tigellinus absichtlich dieses Schauspiel so angeordnet und höhnisch einander gesagt: »Jener Würger Krotons soll jetzt auch den Stier töten, den wir ihm auswählten.« Sprachlos vor Staunen, als ob sie ein Gemälde oder einen Traum sähen, starrten jetzt beide auf den Vorgang.

Da wurde in der Arena ein dumpfes Stöhnen laut, und gleich darauf entfuhr allen Zuschauern ein Schrei – und wieder ward es still. Das Volk glaubte zu träumen. Der ungeheure Schädel des Stieres fing an, in den eisernen Händen des Barbaren sich zu drehen. Das Gesicht des Lygiers, der Hals, die Arme färbten sich purpurrot, sein Rücken wölbte sich noch mehr. Man sah, daß er den Rest seiner übermenschlichen Kräfte zusammenraffte, die ihm langsam zu schwinden drohten. Das stumpfe, heisere und immer schmerzlicher tönende Gebrüll des Stieres vermischte sich mit dem pfeifenden Atem des Riesen. Der Kopf des Tieres aber drehte sich immer weiter, und aus dem Rachen hing die lange, schaumbedeckte Zunge heraus.

Noch ein Augenblick, und an die Ohren der näher sitzenden Zuschauer schlug es wie ein Brechen von Knochen. Gleich darauf fiel das Tier mit umgedrehtem Nacken schwer zu Boden.

Der Riese löste im Nu die Stricke von den mächtigen Hörnern, nahm die Jungfrau auf seine Arme und atmete schnell. Sein Gesicht war ganz blaß geworden, die Haare klebten vom Schweiße zusammen, Arme und Brust schienen in Schweiß gebadet.

Wie betäubt stand er eine Weile, dann schlug er die Augen auf und sah sich um.

Das Amphitheater war in ein stürmisches Meer verwandelt. Die Wände erzitterten unter dem Geschrei der nach Zehntausenden zählenden Zuschauer. Seit Beginn der Vorstellung war eine solche Begeisterung noch nicht dagewesen. Die in den höheren Reihen Sitzenden drängten sich nach den Zwischengängen, um den Kraftmenschen in der Nähe zu sehen. Gebietende Rufe um Gnade wurden laut, leidenschaftliche, eigensinnige Stimmen, die sich bald in einen einzigen Donner verwandelten. Dieser Riese war den für Kraft schwärmenden Römern lieb geworden, er war in diesem Augenblicke der populärste Mann von Rom.

Ursus hatte begriffen, daß das Volk seine Freilassung verlangte, doch war es ihm offenbar nicht um sich allein zu tun. Er blickte im Kreise umher, dann trat er zu dem kaiserlichen Podium und wiegte den Leib des Mädchens auf den ausgestreckten Armen hin und her, wobei in seinen Augen deutlich die flehende Bitte zu lesen war:

Dieser hier erbarmet euch! Sie errettet! Ich habe dies für sie getan.

Die Menge begriff sofort, was er verlangte. Beim Anblick des ohnmächtigen Mädchens, das sich im Vergleich zu dem Riesen wie ein Kind ausnahm, wurden alle, Volk, Ritter und Senatoren, von Rührung übermannt. Ihre Schönheit, ihre Ohnmacht, die große Gefahr, aus welcher sie der Riese befreite, seine Anhänglichkeit erschütterten die Herzen. Und das Mitleid griff um sich wie ein Feuer. Man hatte schon genug des Blutvergießens, genug des Sterbens, genug der Marterqualen. Tränenerstickte Stimmen riefen um Gnade für beide.

Ursus ging jetzt in der Arena hin und her, das Mädchen in seinen Armen wiegend und mit den Augen und Gebärden für sie bittend.

Da sprang Vinicius von seinem Sitze auf, setzte über die Arenabrüstung, stürzte auf Lygia zu und bedeckte sie mit seiner Toga. Dann riß er seine Tunika auf, enthüllte seine mit Narben bedeckte Brust, die er aus dem armenischen Kriege davongetragen, und streckte die Hände gegen das Volk aus.

Die Begeisterung der Menge überstieg alles bisher im Amphitheater Dagewesene. Die Menge stampfte mit den Füßen und heulte, die Schreie um Gnade klangen wie Drohung. Dem Volk war es nicht nur um den Athleten zu tun, es warf sich jetzt zum Beschützer des Mädchens, des Kriegers und der Liebe beider auf. Tausend Blicke richteten sich auf den Kaiser, aus denen der Zorn sprach, tausend geballte Fäuste erhoben sich drohend.

Er aber zögerte und schwankte. Nicht weil er Vinicius oder Lygia haßte, aber seine entartete Grausamkeit hätte gerne gesehen, wie der Körper dieses Mädchens von den Hörnern des Stieres durchbohrt wurde, und ihn ergriff ein heimlicher Zorn, weil man ihn um diesen Anblick bringen wollte.

Er blickte sich im Kreise der Augustianer um. Aber diese hatten alle die Hand erhoben zum Zeichen der Gnade, und Petronius blickte ihn dabei sogar herausfordernd an. Nur Tigellinus raunte ihm zu: »Gib nicht nach, Göttlicher; wir haben die Prätorianer!« Nero wandte seinen Blick zu dem grausamen, ihm bisher blind ergebenen Befehlshaber der Prätorianer, Subrius Flavius, und er zuckte zusammen. Das Gesicht des alten Tribuns war tränenüberströmt und mit strengem Ausdruck hielt er die Hand nach oben.

Das Volk war inzwischen in Wut geraten und sein Geheul wurde ohrenzerreißend. Es stampfte mit den Füßen, und man hörte die Rufe: Feuerbart! Muttermörder! Mordbrenner!

Der Kaiser erschrak: Das Volk war allmächtig im Circus. Auch brauchte Nero als Schauspieler und Sänger das Wohlwollen des Volkes und wollte es in seinem Kampfe gegen den Senat und die Patrizier auf seiner Seite haben. Noch einmal sah er sich um, und als er auf allen Seiten nur gerührte Gesichter sah, da gab er das Zeichen der Gnade.

Ein Beifallssturm pflanzte sich von den oberen Reihen bis nach den unteren fort. Das Volk war jetzt über das Schicksal seiner Schützlinge beruhigt, von diesem Zeitpunkt ab standen sie unter seinem Schutze. Selbst der Kaiser hätte nicht mehr wagen dürfen, sie mit seiner Rache zu verfolgen.

 


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