Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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27.

Als am Abend dieses Tages Vinicius über das Forum nach Hause ging, erblickte er in dem Vicus Tuscus die vergoldete Sänfte des Petronius, die von Bithyniern getragen wurde. Durch eine Handbewegung gebot er zu halten, näherte sich rasch und schaute durch die Vorhänge.

»Träume süß,« rief er lachend beim Anblick des schlafenden Petronius.

»Ah, du bist es!« bemerkte Petronius erwachend. »Ja, ich schlummerte ein, da ich die Nacht auf dem Palatinus verbracht habe. Ich will mir soeben mehrere Bücher für Antium kaufen, da ich meine Bibliothek nicht in Unordnung bringen möchte.«

»Sende deine Sänfte mit den Büchern nach Hause und komme mit mir. Wir wollen dann über Antium reden.«

»Gut,« entgegnete Petronius und verließ seine Sänfte. »Du wirst doch schon wissen, daß ich schon übermorgen nach Antium reise.«

»Woher sollte ich das wissen?«

»Ja, ja, es ist schon alles bestimmt. Der Rotbart ist heiser. Er verwünscht Rom und flucht der römischen Luft; er ist jederzeit bereit, die Stadt durch Feuer zu zerstören; nach Seeluft verlangt er. In allen Tempeln werden heute Opfer dargebracht zur Wiedererlangung seiner göttlichen Stimme, und wehe Rom, wehe dem Senat, wenn diese Opfer nicht sofort Erfolg bringen. Du lebst einsam in deinem Hause, denkst nur an Lygia und die Christen und weißt gar nicht, was sich auf dem Palatin zugetragen hat. Nero vermählte sich öffentlich mit dem Philosophen Pythagoras und trat dabei als Braut auf. Glaubst du nun, daß dies der höhere Wahnsinn ist, den Nero treibt? Ich bin auch zugegen gewesen und wartete, ob nicht einer unserer Götter mit einem Donnerkeil dazwischenfahren wird. Doch Nero glaubt nicht an Götter, und er hat recht.«

»Er ist also Oberpriester, Gott und Gottesleugner in einer Person,« sagte Vinicius.

»Freilich,« gestand Petronius lachend. »Daran hatte er noch gar nicht gedacht.«

Inzwischen waren sie bei Vinicius angelangt, und nachdem dieser Befehl erteilt hatte, das Nachtmahl zu bereiten, wandte er sich zu Petronius und sagte: »Wir vermögen nichts an dem ganzen Wahnsinn zu ändern, den Nero treibt.«

»Du hast recht,« entgegnete Petronius; »solange Nero herrscht, gleichen die Menschen Schmetterlingen. Bestrahlt sie die Sonne, so flattern sie umher; kommt ein kalter Windstoß, so sind sie dem Tode verfallen. Doch lassen wir das; gestatte mir, Eunike in deiner Sänfte holen zu lassen. Müde bin ich nicht, und wir wollen fröhlich sein. Befiehl den Kitharaspielern, beim Nachtmahle zu erscheinen.«

»Erinnerst du dich, Petronius, noch jenes Tages, da wir zusammen im Hause des Aulus Plautius waren? Erinnerst du dich noch jenes herrlichen Mädchens, das an Schönheit unsere Göttinnen überragt?«

Petronius schaute Vinicius verwundert an:

»Du wirst doch von keiner anderen als von Lygia reden?«

Doch Vinicius rief: »Hier siehst du Lygias Verlobten!«

Vinicius ließ den erstaunten Petronius nicht zu Worte kommen. Er sprang auf und rief, der Hausverwalter möge kommen.

»Versammle meine Sklaven hier vor mir, auch nicht einer soll fehlen,« befahl er hierauf diesem.

Bald glich das große Atrium einem Bienenstocke. Keuchende Alte, kräftige Männer, Frauen, Knaben und Mädchen eilten herbei. Jeden Augenblick kam eine neue Schar; in den Korridoren ertönten Rufe in den verschiedensten Sprachen. Schließlich standen sie in Reihen zwischen den Säulen an den Wänden entlang. Vinicius, der an das Impluvium getreten war, wandte sich zu seinem Freigelassenen Demas und sagte: »Alle, die seit zwanzig Jahren in meinem Hause dienen, haben morgen vor dem Prätor zu erscheinen, der ihnen die Freiheit verkünden wird. Diejenigen, die kürzere Zeit hier sind, erhalten drei Goldmünzen und eine Woche hindurch doppelte Rationen. Sende in jedes Ergastulum Botschaft, daß die Strafen erlassen, die Leute von den Fesseln befreit werden sollen. Wisset, daß für euch ein Tag des Glücks angebrochen ist, ich will nur fröhliche Gesichter sehen.«

Tiefes Schweigen herrschte, die Sklaven trauten ihren Ohren nicht, plötzlich aber streckten sie ihre Hände empor und stießen dankbare Jubelrufe aus.

Vinicius entließ sie durch eine Handbewegung.

»Morgen,« wandte er sich an Petronius, »lasse ich sie noch einmal im Garten zusammenkommen und gebiete einem jeden, ein Zeichen in den Sand zu ziehen. Lygia wird diejenigen freilassen, die das Zeichen des Fisches ziehen.«

»Das Zeichen des Fisches! Ach ja, ich erinnere mich, was Chilon darüber sagte. Das Glück findet ein jeder da, wo er es zu sehen glaubt. Nur noch eine Frage! Bist du schon Christ geworden?«

»Bis jetzt noch nicht, doch Paulus von Tarsos wird mich auf meiner Reise nach Antium begleiten; die Taufe empfange ich später. Deine Behauptung, die Christen seien Feinde jeder Lebensfreude, bewahrheitet sich nicht.«

»Um so besser für dich und Lygia!«

»Höre,« sagte Vinicius weiter: »Diese Lehre wird die ganze Welt erobern, und ihr allein wird es gelingen, eine Umwandlung hervorzubringen; auch Oktavia war Anhängerin dieser Lehre. Nein, zucke nicht verächtlich mit den Achseln, denn wer kann wissen, ob du nicht schon in kurzer Zeit selbst die heilige Taufe empfängst?«

»Ich?« rief Petronius, »nein, das wirst du nicht erleben. Ich habe meine Gemmen, meine Kammern, meine Kunstgeräte und meine Eunike. An den Olymp glaube ich nicht, aber ich will ihn mir auf Erden bereiten und mich so lange des Lebens freuen, bis mich der Pfeil des göttlichen Bogenschützen trifft oder bis ich mir auf Befehl des Kaisers die Adern öffnen muß.«

In diesem Augenblick kam die Meldung, Eunike sei angekommen, und gleich darauf wurde das Nachtmahl aufgetragen, währenddessen die Kitharaspieler ihre Weisen ertönen ließen. Dann erzählte Vinicius von Chilon, und wie dieser den Gedanken in ihm erweckt habe, sich an den Apostel zu wenden, ein Gedanke, der eigentlich in ihm aufgetaucht sei, da Chilon die Rutenstreiche erhielt.

»Da der Erfolg ein guter war, muß auch der Gedanke ein guter genannt werden,« bemerkte Petronius in schlaftrunkenem Tone, sich mit der Hand über die Stirn fahrend, »was jedoch Chilon betrifft, so hätte ich ihm fünf Goldmünzen gegeben, aber vielleicht waren ihm die Rutenstreiche auch dienlich. Wer kann es wissen, ob nicht in kurzer Zeit Senatoren sich vor ihm beugen werden, wie vor unserem Pechdrahtzieher Vatinus. Gute Nacht!«

Den Kranz vom Haupte nehmend, erhob er sich mit Eunike, um heimzugehen, während Vinicius in sein Bücherzimmer eilte, um vor seiner Abreise nach Antium noch einen Abschiedsbrief an Lygia zu schreiben.

 


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