Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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23.

Als Vinicius aus dem jenseits des Tiber gelegenen Hause nach der Carinae in seine prächtige Villa zurückgekehrt war, empfand er in den ersten Tagen ein gewisses Behagen über seine schöne Umgebung. Dies währte indessen nicht lange. Alles, was ihm bisher das Leben angenehm gemacht hatte, beachtete er kaum mehr, es verlor jedes Interesse für ihn.

Die fortwährende Einsamkeit wurde ihm mit der Zeit unerträglich. Alle die, mit denen er sonst verkehrte, befanden sich mit Nero in Beneventum. So saß er allein in seinem großen Hause, den Kopf voll schwerer Gedanken, das Herz voll Empfindungen, über die er sich keine Rechenschaft zu geben vermochte. Um sich etwas zu zerstreuen, beschloß er, an Petronius zu schreiben.

»Du willst, daß ich ausführlich schreibe, doch weiß ich nicht, ob ich dies bei meinem Zustande werde tun können. Du weißt von meinem Aufenthalt bei den Christen, von dem neuen Verschwinden Lygias. Es sind das Menschen, wie sie die Welt bisher noch nicht gesehen hat, und ihre Lehre ist bis jetzt noch nicht gelehrt worden. Etwas anderes vermag ich dir nicht zu sagen. Glaube mir, wenn ich mit meinem zerschmetterten Arme in meinem eigenen Hause gelegen hätte, so hätte ich wohl größere Bequemlichkeit gehabt, aber kaum so sorgfältige Pflege; meine Schwester, mein Weib hätte mich kaum zärtlicher pflegen können, als es Lygia tat.

Sie hinterließ mir ein Kreuz, das sie aus Buchsbaumzweigen zusammengebunden hatte. Beim Erwachen fand ich es neben mir auf meinem Lager, und so oft ich es jetzt ansehe, überkommt mich eine tiefe Ehrfurcht, als ob ich vor etwas Göttlichem stände. Ist dies Zauberei, ist dies Liebe? Mir wurde die Seele verwandelt durch Lygia und ihre wunderbare Lehre.

Als ich von den Christen in mein Haus zurückkehrte, erwartete man mich gar nicht; man glaubte mich in Beneventum. Die größte Unordnung herrschte. Nicht ein Sklave war nüchtern, und die meisten Sklavinnen waren betrunken; sie feierten ein ausgelassenes Fest im Triklinium. Entsetzt warfen sie sich auf die Knie. Im ersten Augenblick wollte ich nach Ruten und glühenden Eisen rufen, aber dann ergriff mich Scham und ein tiefes Mitleid mit diesen bedauernswerten Menschen. Es sind noch alte Sklaven darunter, die noch mein Großvater in den Zeiten unter Augustus vom Rheine brachte. Ich verzieh meinen Sklaven, und desto williger sind sie jetzt. Paulus von Tarsos sagte mir nämlich an dem Tage, als ich die Christen verließ: Die Liebe ist ein festeres Band als die Strenge.

Ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß ich Lygia nie so liebte, wie ich sie liebe, wenn sie so wäre, wie Nigidia, wie Poppäa, wie Crispinilla. Die Hoffnung, sie noch einmal wiederzusehen, ist alles, was mich erfüllt. Ich weiß, daß ich Lygia nahe bin, daß ich durch den Arzt Glaukus, der mir seinen Besuch zugesagt hat, und durch Paulus von Tarsos von Zeit zu Zeit von ihr hören werde. Ich würde Rom nicht verlassen, selbst wenn mir die Herrschaft über Ägypten angeboten werden sollte. Zum Schlusse wisse noch, daß ich dem Bildhauer befahl, für Gulo ein Grabmal zu machen. Ich weiß nicht weshalb, aber so oft ich jetzt an ihn denke, empfinde ich Reue und mache mir Vorwürfe. Du wirst wohl über mich staunen, aber ich schreibe die Wahrheit. Lebe wohl!«

Vinicius erhielt keine Antwort. Petronius schrieb nicht, da er voraussetzte, der Kaiser werde bald die Rückkehr nach Rom befehlen. Tatsächlich verbreitete sich auch dieses Gerücht in der Stadt und erregte unter dem Volke, das sich nach Schaustellungen und nach Verteilung von Korn und Oliven sehnte, große Freude. Der Kaiser hatte sich mit seinem Hofstaate an dem Vorgebirge Misenum eingeschifft, legte jedoch an allen Küstenstädten an, teils um auszuruhen, teils um im Theater aufzutreten.

Während dieser Zeit lebte Vinicius einsam in seinem Hause, dachte an Lygia und überdachte die Erlebnisse, die auf ihn eingestürmt waren und ganz neue Ideen in ihm erweckt hatten. Nur den Glaukus sah er zeitweise, dessen Besuch ihm stets willkommen war, da er mit ihm über Lygia sprechen konnte. Der Arzt wußte zwar den neuen Zufluchtsort nicht, allein er versicherte, sie stehe unter der Obhut der Ältesten, die wie Väter über sie wachten.

Vinicius gelangte zu der Überzeugung, daß er Lygia nicht mehr aus seinem Herzen zu reißen vermöge, daß der Gedanke an sie ihn bei allen seinen Taten, bei guten wie schlechten, beeinflusse. Bitterkeit, Unzufriedenheit ergriffen ihn. Schließlich verlor er jede Lebensfreude und verfiel in eine Apathie, aus der ihn selbst nicht die Nachricht von der Ankunft des Kaisers aufzurütteln vermochte. –

 


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