Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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26.

Vinicius begab sich geradeswegs in das Haus der Miriam. Auf der Schwelle kam ihm deren Sohn entgegen, der Knabe Nazarius, der bei seinem Anblick in Verlegenheit geriet. Doch Vinicius grüßte ihn freundlich und ließ sich zu seiner Mutter führen.

In der Stube traf er außer Miriam noch Petrus, Glaukus, Crispus und Paulus von Tarsos, der vor kurzem aus Fregellae zurückgekehrt war. Beim Eintritt des jungen Tribuns malte sich auf den Gesichtern aller lebhaftes Erstaunen, er aber sagte: »Ich grüße euch im Namen Christi, den ihr verehrt.«

»Sein Name sei gepriesen in Ewigkeit,« antworteten sie.

»Ich habe mich von euren Tugenden und eurer Güte überzeugt, ich komme daher als Freund.«

»Sei uns als Freund gegrüßt,« erwiderte Petrus. »Setze dich zu uns, Herr, und nimm als Gast an unserm Mahle teil.«

»Gern will ich euer Gast sein,« versetzte Vinicius, »doch zuvor hört mich an, daß ihr sehet, daß ich es aufrichtig meine. Ich weiß, wo Lygia wohnt, ich war eben vor des Linus Hause. Wisset, ich habe ein Anrecht auf Lygia. Der Kaiser schenkte sie mir. Und in meinen Häusern in Rom habe ich an fünfhundert Sklaven. Es wäre mir daher leicht gewesen, ihre Zufluchtsstätte umzingeln und sie ergreifen zu lassen, ich habe es aber nicht getan und werde es auch nicht tun.«

»Der Segen des Herrn ruht sichtbar auf dir und läutert dein Herz,« sagte Petrus.

»Ich danke dir, aber hört mich noch weiter. Ich habe es nicht getan, aber ich leide Qualen der Sehnsucht. Und daher komme ich zu euch, die ihr Vater- und Mutterstelle an Lygia vertretet, und ich sage euch, gebt sie mir zum Weibe, und ich schwöre, daß ich sie niemals hindern werde, Christus zu bekennen, ja, ich will selbst Christ werden.«

Vinicius sprach voll Entschlossenheit und trug das Haupt hoch bei seinen Worten, doch er war sehr bewegt und bebte leise am ganzen Körper.

»Ich weiß, wie groß die Hindernisse sind, die uns trennen,« fuhr er nach kurzer Pause fort, »aber ich liebe Lygia wie meine eigenen Augen. Ich bin kein Heuchler, und obwohl ich weiß, daß es sich um meine Zukunft handelt, so sage ich die Wahrheit. Ein anderer würde vielleicht rufen: Tauft mich! Ich aber bitte: Erleuchtet mich! Ich fühle mich innerlich verwandelt, und doch erfassen mich Zweifel, wenn ich an eure Lehren denke. Petronius sagte mir einst, Griechenland gab uns Weisheit und Schönheit, Rom die Macht, – und nun sagt, was ihr bringt?«

»Wir bringen das Licht und die Liebe,« erwiderte Petrus.

Und da den greisen Apostel die gequälte Seele dauerte, streckte er die Hände über Vinicius aus und sprach: »Wer anklopfet, dem wird aufgetan – und über dir ist die Gnade des Herrn. Darum segne ich dich, deine Seele und deine Liebe im Namen des gekreuzigten Erlösers.«

Vinicius aber neigte sich, und etwas Außerordentliches geschah. Der stolze Nachkomme der Quiriten drückte einen Kuß auf die Hand des alten Galiläers.

Petrus aber freute sich, denn er sah, daß die Saat auf guten Boden gefallen war und daß sein Fischernetz wieder eine Seele eingefangen hatte.

Einige Augenblicke verweilten alle in gerührtem Schweigen, dann sagte der junge Patrizier: »Der Cäsar fährt in wenigen Tagen nach Antium, und ich habe den Befehl, ihn zu begleiten. Ihr wißt, daß Ungehorsam den Tod bedeuten würde, ich muß also fort. Doch wenn ich Gnade vor euren Augen gefunden habe, so kommt mit mir, damit ihr mich in der Lehre unterweisen könnt; dort droht euch keine Gefahr, denn in dem Menschengetümmel könnt ihr eure Lehre am Hofe des Cäsars selbst verkünden. Man sagt ja, Akte sei Christin, und auch unter den Prätorianern befinden sich Christen. In Antium besitze ich eine Villa, dort können wir uns versammeln und euren Worten lauschen.«

Nach kurzer Beratung wurde beschlossen, daß Paulus von Tarsos den jungen Tribun begleiten solle; Petrus, der jetzt der Hirte des ganzen Bundes war, konnte nicht fort von Rom. Während die Männer noch sprachen, sah man Miriam, mit der der Apostel vor einiger Zeit leise Worte gewechselt und die sich hierauf entfernt hatte, im Garten wieder auftauchen; hinter ihr kam Lygia. Das junge Mädchen trat ahnungslos ins Zimmer und blieb beim Anblick des Geliebten wie angewurzelt stehen. Ein helles Rot stieg in ihre Wangen, und sie sah erschreckt und erstaunt die Anwesenden der Reihe nach an.

Doch sie sah nur freundliche Gesichter, der Apostel näherte sich ihr und fragte: »Liebst du ihn noch, Lygia?«

Da bebten ihre Lippen wie die eines Kindes, dem das Weinen nahe ist, das sich schuldig fühlt und doch weiß, daß es seine Schuld gestehen muß.

»Antworte!« sagte Petrus.

Und demütig, zu des Apostels Füßen niedergleitend, flüsterte sie: »Ja, ich liebe ihn!«

Im nächsten Augenblick kniete Vinicius an ihrer Seite. Petrus legte ihnen segnend die Hände auf und sagte: »Liebet euch im Herrn und zu seinem Preise, denn kein Arg ist in eurer Liebe.«

 


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