Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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12

Tags darauf hatte sich Petronius im Unctuarium kaum angekleidet, als Vinicius erschien, der durch Teiresias herbeigerufen worden war. Zwar wußte der junge Mann, daß noch keine neue Kunde von den Wachen gekommen war, doch beruhigte ihn diese Nachricht nicht, denn Ursus konnte das Mädchen sofort nach der Entführung aus der Stadt gebracht haben. Auch gab es noch andre außerhalb der Stadtmauern führende Pfade, die den Sklaven, welche entweichen wollten, wohl bekannt waren. In Sklavenkleidung hatte Vinicius selbst nach ihr und Ursus gesucht und war dabei auch schon mit den Dienern des Aulus zusammengetroffen, die ebenfalls jemand zu suchen schienen.

Hieraus konnte Vinicius schließen, daß es nicht Aulus gewesen, der Lygia entführt hatte, und daß auch der Feldherr ihren Aufenthaltsort nicht kannte.

Als ihm jedoch Teiresias mitteilte, daß es einen Menschen gebe, der sie auffinden wolle, eilte er zu Petronius und fragte, nur kurz grüßend, über die Angelegenheit mit jenem Manne.

»Wir werden ihn gleich sehen,« sagte Petronius, »er ist ein Bekannter Eunikes, die sogleich kommen wird, die Falten meiner Toga zu ordnen, und uns Näheres mitteilen wird.«

In diesem Augenblick erschien auch schon Eunike. Sie nahm die Toga von dem mit Elfenbein ausgelegten Sessel, auf dem sie lag, und entfaltete sie, um sie dem Petronius über die Schultern zu werfen; ihr Antlitz war heiter und still, und die Augen strahlten vor Freude.

Petronius sah sie an und sie erschien ihm sehr schön. Als sie ihm die Toga umgelegt hatte, bückte sie sich von Zeit zu Zeit, um die Falten herabzuziehen.

»Eunike! Ist der Mann gekommen, den du dem Teiresias gestern bezeichnet hast?«

»Ja, Herr.«

»Wie heißt er?«

»Chilon Chilonides, Herr.«

»Wer ist er?«

»Ein Arzt, Weiser und Wahrsager, der in den Geschicken der Menschen zu lesen versteht und die Zukunft weissagt.«

»Hat er auch dir wahrgesagt?«

Eine dunkle Röte übergoß das Antlitz Eunikes, sogar Ohren und Hals. »Ja, Herr.«

»Was hat er dir geweissagt?«

»Er weissagte mir Schmerz und Glück.«

»Gestern traf dich der Schmerz aus der Hand Teiresias, jetzt müßte also noch das Glück kommen, Eunike!«

»Es ist schon gekommen, Herr!«

»Was für ein Glück?«

Sie flüsterte leise: »Ich durfte hierbleiben!«

Petronius legte die Hand auf ihr goldig schimmerndes Haupt. »Du hast heute die Falten sehr schön gelegt, Eunike, ich bin mit dir zufrieden!«

Petronius und Vinicius begaben sich in das Atrium, wo Chilon Chilonides ihrer wartete und sie mit einer tiefen Verbeugung begrüßte. Bei der Erinnerung an seine gestrige Vermutung, daß dieser Mann vielleicht Eunikes Geliebter sei, umspielte ein Lächeln des Petronius Lippen. Daß der Mann, der nun vor ihm stand, von irgend jemand geliebt ward, war undenkbar. Er war ebenso unsauber, wie seine Gestalt lächerlich. Der eingefallene Bauch und der gekrümmte Rücken ließen ihn auf den ersten Blick verwachsen erscheinen; über dem Buckel erhob sich ein ziemlich großer Kopf mit dem Gesicht eines Fuchses. Petronius mußte bei seinem Anblick unwillkürlich an den homerischen Thersites denken, und er sagte daher, seine Verneigung mit einer grüßenden Handbewegung erwidernd:

»Sei mir gegrüßt, göttlicher Thersites! was machen die Beulen, die dir Ulysses bei Troja geschlagen, und was macht er selbst in den elysäischen Gefilden?«

»Edler Herr,« versetzte Chilon Chilonides, »der Weiseste unter den Toten, Ulysses, sendet durch mich seine Grüße an den Weisesten unter den Lebenden, Petronius, mit der Bitte, meine Beulen mit einem neuen Mantel zu verhüllen.«

»Fürwahr,« rief Petronius, »diese Antwort ist einen Mantel wert.«

Die weitere Unterredung unterbrach Vinicius ungeduldig und fragte:

»Weißt du auch genau, was wir von dir wollen?«

»Wenn zwei Familien in zwei stattlichen Häusern von nichts anderem sprechen und halb Rom die Neuigkeit erzählt, ist es nicht schwer zu wissen, um was es sich handelt,« versetzte Chilon.

»Gestern Nacht wurde ein Mädchen, der Pflegling des Aulus Plautius, mit Namen Lygia, oder Callina, geraubt, das deine Sklaven, o Herr, aus dem Kaiserpalast in dein Haus führen sollten, und ich unternehme es, dieses Mädchen aufzufinden und dir, edler Tribun, anzuzeigen, wohin sie geflohen ist und wo sie sich verborgen hält.«

»Gut,« sagte Vinicius, dem diese bündige Antwort gefiel, »welche Mittel willst du aber anwenden?«

Chilon lächelte schlau. »Die Mittel besitzest du, Herr, ich habe nur den Verstand.«

Petronius lächelte gleichfalls, denn er war von seinem Gaste vollkommen befriedigt. Dieser Mensch kann das Mädchen finden, dachte er.

Vinicius hingegen runzelte seine Brauen und sagte: »Elender, wenn du mich in gewinnsüchtiger Absicht hintergehst, lasse ich dich mit Stöcken erschlagen!«

»Ich bin ein Philosoph, Herr, und ein Philosoph kann niemals gewinnsüchtig sein, vornehmlich wenn es sich um eine Belohnung handelt, wie die, welche du mir großmütigerweise in Aussicht gestellt.«

»Ach, du bist ein Philosoph?« bemerkte nun Petronius. »Eunike sagte mir, du wärest Arzt und Wahrsager, woher kennst du Eunike?«

»Sie kam zu mir um Rat, denn der Ruhm meines Namens war bis an ihr Ohr gedrungen.«

»Zu welcher Schule gehörst du, göttlicher Weiser?«

»Ich bin ein Zyniker, Herr, denn ich habe einen zerfetzten Mantel; ich bin ein Stoiker, denn ich trage meine Armut mit Geduld; ich bin ein Periphatiker, denn ich habe keine Sänfte und wandre daher zu Fuß von einer Schenke zur andern und lasse allen denen meine Lehren zu Gute kommen, die mir einen vollen Krug versprechen.«

»Beim Kruge wirst du zum großen Redner?«

»Heraklit sagte: ›alles fließt‹, und du wirst doch nicht leugnen, daß Wein eine Flüssigkeit ist?«

»Er verkündete auch, daß das Feuer eine Gottheit ist, also ist die Röte auf deiner Nase auch eine Gottheit.«

Aber Vinicius hatte keine Geduld für solche Unterhaltungsfeinheiten.

»Wann wirst du deine Nachforschungen beginnen?« fragte er, das Gespräch unterbrechend.

»Ich habe bereits begonnen,« antwortete Chilon. »Und da ich nun einmal hier bin, da ich deine wohlwollenden Fragen beantworte, muß ich wohl auch nach dem Mädchen suchen. Habe Vertrauen, edler Tribun und wisse, wenn du den Riemen von deinem Schuh verlieren würdest, wäre ich imstande, den Riemen zu finden oder den, welcher ihn auf der Straße aufgehoben hat.«

»Bist du denn schon zu ähnlichen Diensten verwendet worden?« fragte Petronius.

Den Blick emporrichtend, sagte der Grieche: »Zu niedrig werden heute Tugend und Weisheit geschätzt, als daß ein Philosoph nicht auf andere Mittel sinnen müßte, um sein Leben zu fristen.«

»Du mußt aber bisher wenig Glück bei solchen Nachforschungen gehabt haben, wenn es dir bisher nicht einmal gelungen ist, einen neuen Mantel dafür zu ersparen.«

»O Herr, mein Verdienst ist nicht gering, aber die Dankbarkeit der Menschen ist gering. Ist ein wertvoller Sklave entflohen, wer findet ihn wieder, wenn nicht der einzige Sohn meines Vaters? Wenn auf den Mauern Inschriften auf die göttliche Poppäa entdeckt worden, wer zeigt die Urheber an? Wer stöbert in den Buchläden die Verse auf den Cäsar auf? Wer kann hinterbringen, was in den Häusern der Senatoren und Ritter gesprochen wird? Wer trägt die Briefe fort, die man den Sklaven nicht anvertrauen will? Wer hört alle Neuigkeiten, die vor den Türen der Barbiere verhandelt werden? Wem ist das Zutrauen der Sklaven zuteil geworden? Wer hat Einblick in die Häuser vom Atrium bis zu den Gärten? Wer kennt alle Straßen und Gassen und Schlupfwinkel?«

»Gut,« unterbrach ihn Vinicius. »Brauchst du noch besondere Hinweise?«

»Ich brauche Waffen.«

»Welcher Art?« fragte Vinicius voll Verwunderung.

Der Grieche hielt ihm die eine Hand hin, während er mit der andern Bewegungen machte, als ob er Geld zähle. »So sind die jetzigen Zeiten, Herr,« sagte er seufzend.

Vinicius warf ihm einen Beutel zu, den der Grieche in der Luft auffing, obwohl ihm zwei Finger an der rechten Hand fehlten. Darauf hob er stolz das Haupt und sagte: »Herr, ich weiß mehr, als du glaubst. Ich bin nicht mit leeren Händen hierher gekommen. Ich weiß, daß nicht Aulus das Mädchen entführen ließ, denn ich sprach mit seinen Dienern. Ich weiß, daß es nicht auf dem Palatinus ist, wo alles um die kranke kleine Augusta beschäftigt ist; und kann vielleicht auch erraten, warum ihr vorzieht, das Mädchen mit meiner Hilfe zu finden und nicht mit jener der kaiserlichen Wachen und Kriegsleute. Ich weiß auch, daß ein Sklave, der aus demselben Lande wie sie stammt, ihr bei der Flucht geholfen hat. Bei den Sklaven, die ja alle zusammenhalten, hätte er, weil es gegen deine Sklaven ging, keine Unterstützung gefunden. Es können ihm also nur seine Glaubensgenossen beigestanden haben.«

»Höre, Vinicius,« unterbrach hier Petronius den Griechen, »habe ich dir nicht Wort für Wort dasselbe gesagt?«

»Welche Ehre für mich!« sagte Chilon. »Das Mädchen,« fügte er hinzu, sich wieder zu Vinicius wendend, »huldigt zweifellos derselben Gottheit wie die Tugendhafteste der Römerinnen, Pomponia. Ich habe auch gehört, daß du, Herr, etliche Tage im Hause des Aulus warst, kannst du mir über ihren Glauben Auskunft geben?«

»Ich kann das nicht,« versetzte Vinicius.

»Erlaube, edler Herr, noch eine Frage. Hast du dort keine besonderen Statuen, Opfer oder Zeichen entdeckt?«

»Zeichen? Warte, ja! Ich sah einmal, wie Lygia einen Fisch in den Sand zeichnete.«

»Einen Fisch! Oh! Tat sie dies einmal oder öfter?«

»Nur einmal.«

»Und weißt du bestimmt, Herr, daß es gerade ein Fisch war?«

»Natürlich,« versetzte Vinicius, neugierig geworden. »Errätst du, was das bedeutet?«

»Ob ich es errate!« rief Chilon. Und mit einer verabschiedenden Bewegung fügte er hinzu: »Möge Fortuna euch mit all ihren Gaben überschütten, edle, freigebige Herren!«

»Laß dir einen Mantel geben,« rief ihm Petronius nach.

»Ulysses dankt dir in Thersites Namen,« entgegnete der Grieche. Noch eine Verbeugung und er verschwand.

»Was sagst du zu diesem edlen Weisen?« fragte Petronius.

»Ich sage, daß er Lygia finden wird,« rief Vinicius erfreut, »aber wenn es ein Reich von Gaunern gäbe, so müßte er König in diesem Reiche sein.«

»Ganz gewiß. Ich muß noch nähere Bekanntschaft mit diesem Stoiker machen, unterdessen aber will ich das Atrium ausräuchern lassen, dessen Atmosphäre er verpestet hat.«

Chilon Chilonides warf sich indessen in den neuen Mantel und spielte unter dessen Falten mit dem von Vinicius erhaltenen Beutel, wobei er sich an dessen Wohlklang und Gewicht ergötzte. Langsam vorwärtsschreitend wandte er sich der Subura zu.

»Endlich habe ich gefunden, was ich schon lange suchte,« sagte er zu sich selbst. »Er ist jung, feurig und freigebig, obgleich sein Stirnrunzeln nichts Gutes bedeutet. Da heißt es vorsichtig sein! Also einen Fisch hat sie in den Sand gemalt? Nun, das will ich schon erfahren, was dieser Fisch bedeutet, und er soll mich für diesen Fisch noch besonders bezahlen.«

So redend, betrat er eine Weinstube und ließ sich einen Krug Dunklen geben. Doch als er den mißtrauischen Blick des Wirtes bemerkte, zog er ein Goldstück aus dem Beutel und sagte, es auf den Tisch legend: »Sporus, heute habe ich von Tagesanbruch bis Mittag mit Seneka gearbeitet, und dieses hier hat mir mein Freund dafür auf den Weg gegeben.«

Die runden Augen des Wirts wurden bei diesem Anblick noch runder, und der Wein stand schon im nächsten Augenblick vor Chilon. Dieser aber tauchte den Finger hinein, zeichnete einen Fisch auf die bestaubte Tischplatte und fragte: »Weißt du, was das bedeutet?«

»Einen Fisch? Nun Fisch ist Fisch.«

»Du bist sehr dumm, obwohl du so viel Wasser deinem Weine beimischest, daß sehr leicht auch ein Fisch darin leben könnte. Das ist ein Symbol, welches in der Philosophensprache bedeutet: Lächeln Fortunas! Hättest du es zu deuten vermocht, dann wäre dir vielleicht auch Glück zuteil geworden. Ich sage dir, achte die Philosophie, sonst wechsele ich noch die Weinstube, wozu mich mein ganz besonderer Freund Petronius schon seit langer Zeit zu überreden sucht.«

 


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