Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

56.

Nach der Befreiung Lygias begab sich Petronius mit anderen Augustianern zum Kaiser. Er war neugierig zu hören, wovon man sich jetzt unterhalten werde, hauptsächlich aber wollte er erfahren, ob Tigellinus noch weiter das Mädchen zu verfolgen beabsichtige. Obwohl Lygia und Ursus jetzt unter dem Schutze des Volkes standen und es niemand wagen durfte, diese beiden zu verfolgen, wußte Petronius genau, daß der grausame und allmächtige Präfekt der Prätorianer nicht ruhen werde, bevor er sich nicht auf irgendeine Weise an ihm gerächt hätte.

Nero war zornig und gereizt, daß die Vorstellung anders geendet als er gewünscht hatte. Anfangs wollte er den Petronius nicht einmal ansehen. Doch diesen verließ das ruhige Blut nicht, er näherte sich dem Kaiser und sagte:

»Weißt du, Göttlicher, was ich denke? Schreibe einen Hymnus auf das Mädchen, das durch den Befehl des Beherrschers der Welt von den Hörnern des wilden Auerochsen dem Geliebten wiedergegeben wurde! Die Griechen haben ein mitfühlendes Herz, ich bin sicher, daß sie das Lied bezaubern wird!«

Nero, der immer noch gereizt dasaß, schien diese Idee nicht schlecht; das Thema war für ein Lied wie geschaffen, dann konnte er sich selbst besingen als einen edeldenkenden Herrscher, verwundert blickte er Petronius an.

»Möglich, daß du recht hast,« sagte er. »Aber kommt es mir auch zu, mein eigenes Lob zu singen?«

»Du brauchst das nicht erst zu erwähnen, denn ein jeder in Rom ist von deiner Güte überzeugt, und von Rom aus verbreiten sich die Nachrichten über die ganze Welt.«

»Bist du auch sicher, daß dies in Achaja Anklang finden wird?«

»Beim Pollux, ja!« erwiderte Petronius, worauf er sich mit der Überzeugung entfernte, daß Nero nun nichts mehr gegen das Leben der jungen Leute unternehmen werde, und daß auch Tigellinus dadurch gebunden sei.

Dennoch traute er dem Frieden nicht und beredete Vinicius, möglichst bald auf seine Besitzung in Sizilien zu gehen.

»Ich habe durch den Verwandten des Aulus, Antistius, erfahren, daß Pomponia krank sei, und du wirst recht tun, wenn du Lygia dahin führst. Man wird euch mit der Zeit vergessen, und in der Jetztzeit ist es am besten, wenn man vergessen wird.«

Nach zwei Tagen wurde Lygia mit Erlaubnis des Theokles in den Garten getragen, und von da ab besserte sich sichtlich ihr Gesundheitszustand. Vinicius schmückte die Sänfte mit Anemonen und Irisblumen, weil Lygia diese vor allen anderen Blumen bevorzugte, und um sie an Aulus' Haus zu erinnern. Mitunter saßen beide auf einem lauschigen Plätzchen und erzählten sich von verflossenen Zeiten. Lygia sagte zu Vinicius, Christus habe ihn absichtlich über diesen qualvollen Weg geführt; dadurch sei seine Seele, sein Charakter geläutert worden. Vinicius fühlte, daß sie wahr sprach, daß in ihm nichts von dem früheren Patrizier war, dem nur der eigene Wille als Gesetz gegolten hatte. Beiden war es, als seien Jahre über sie hinweggegangen, als liege die schreckliche Vergangenheit weit, weit hinter ihnen. Ein nie gefühlter Herzensfriede war in ihnen eingekehrt. Der Cäsar mochte rasen und die Welt mit Schrecken erfüllen; sie wußten über sich einen Schutz, tausendmal mächtiger als Neros Gewalt, fühlten keine Furcht mehr vor seiner Wut und seiner Bosheit, gerade so, als ob er für sie aufgehört habe, Herr über Leben und Tod zu sein.

Die Kunde von der wunderbaren Befreiung Lygias verbreitete sich übrigens schnell unter den noch übriggebliebenen Christen; viele dieser Christen kamen jetzt, um die so wunderbar Errettete anzustaunen. Zuerst erschienen Nazarius und Miriam, bei denen der Apostel Petrus bisher versteckt gehalten wurde, dann andere. Alle Besucher, auch Vinicius, Lygia und die christlichen Sklaven des Petronius hörten mit Aufmerksamkeit die Erzählung des Ursus von der Stimme, die er in seinem Innern vernommen, und der Aufforderung, mit der Bestie zu kämpfen. Sie gingen getröstet hinweg, die Hoffnung im Herzen, daß Christus die Seinen auf Erden nicht austilgen lassen werde bis zum Tage seiner Wiederkunft beim Gerichte.

Und dieses Vertrauen flößte ihnen Mut ein, denn die Verfolgung war noch nicht zu Ende. Die Stadtwache ließ jeden, der öffentlich als Christ bezeichnet wurde, sofort ins Gefängnis werfen. Allerdings verringerte sich die Zahl der Opfer, doch nur deshalb, weil die meisten schon ergriffen und gemartert worden waren. Die übriggebliebenen Christen hatten entweder Rom verlassen, um in entlegenen Provinzen das Ende des Sturmes abzuwarten, oder sich sorgfältig verborgen. Die verborgenen wagten nicht, sich zu gemeinsamem Gebet zu versammeln, außer in Sandgruben vor der Stadt. Der Circus war geschlossen, doch bewahrte man die gefangenen Christen für künftige Spiele auf oder strafte sie besonders ab. Obgleich niemand in Rom mehr glaubte, daß die Christen den Brand veranlaßt hätten, wurden sie doch als Feinde der Menschheit und des Staates erklärt und das Edikt gegen sie blieb in Kraft.

Der Apostel Petrus getraute sich lange nicht, im Hause des Petronius zu erscheinen, eines Abends jedoch zeigte Nazarius dessen Besuch an. Lygia, die nun soweit hergestellt war, daß sie allein zu gehen vermochte, und Vinicius eilten hinaus, ihn zu empfangen und seine Füße zu umfassen. Wenige Schäflein seiner Herde, über die Christus ihn gesetzt, und deren Geschick sein großes Herz betrübte, waren ihm geblieben; darum begrüßte er die beiden mit um so größerer Bewegung.

Als Vinicius zu ihm sprach: »Herr, um deinetwillen hat der Erlöser sie mir zurückgegeben!« antwortete er: »Um deines Glaubens willen gab er sie zurück, damit nicht jeder Mund schweige, der seinen Namen bekennt.«

Vinicius und Lygia sahen wohl, wie schmerzerfüllt die Gestalt des Apostels aussah, und daß sein Haar vollständig weiß geworden. Der Anblick des durch Jahre, Arbeit und Sorge Gebeugten schmerzte ihre Herzen. Vinicius beabsichtigte, Lygia bald nach Neapel zu bringen, wo sie mit Pomponia zusammentreffen würden, und dann die Reise nach Sizilien fortzusetzen; er bat deshalb den Apostel, Rom mit ihnen zu verlassen.

Der Apostel legte seine Hand auf das Haupt des Tribuns und sagte:

»In meinem Innern höre ich die Worte des Herrn, die er am See Tiberias zu mir gesprochen: Als du noch jung warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wohin du wolltest; wenn du aber alt sein wirst, wirst du deine Hand ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst. Darum ist es billig, daß ich bei meiner Herde bleibe.«

Dann wandte er sich nochmals zu ihnen, erhob seine zitternden Hände und segnete sie. Die beiden aber erwiesen ihm noch alle Liebe, wohl fühlend, daß dies der letzte Segen, den er ihnen erteile. Indes sollten sie ihn noch einmal sehen.

Nach einigen Tagen kam Petronius mit schrecklichen Nachrichten vom Palatin. Es war dort entdeckt worden, daß einer der Freigelassenen Neros ein Christ sei, bei ihm hatten sich Briefe des Apostels Petrus und Paulus, Briefe von Jakobus, Johannes und Judas gefunden, und Tigellinus wußte jetzt, daß die beiden Häupter des neuen Glaubens in Rom lebten. Der Cäsar hatte daher beschlossen, sie unter allen Umständen festzunehmen, sicher hoffend, damit die verhaßte Sekte bis zur letzten Wurzel auszurotten. Ganze Abteilungen Prätorianer wurden ausgesandt, um jedes Haus des Transtiber zu durchsuchen.

Vinicius beschloß, sofort den Apostel von der ihm drohenden Gefahr in Kenntnis zu setzen. Am Abend legten er und Ursus gallische Mäntel um, und sie begaben sich zu Miriams Haus, wo Petrus wohnte. Es befand sich an dem der Stadt zunächst gelegenen Teile des Transtiber, am Fuße des Janiculus.

Unterwegs sahen sie Soldaten, die im Begriffe waren, Häuser zu umstellen und unbekannte Personen wegzuführen. Das Viertel war in Unruhe, an manchen Stellen hatten sich Scharen Neugieriger gesammelt. Ursus und Vinicius waren den Soldaten voraus und kamen unbehelligt zu Miriams Haus, wo sich Petrus inmitten einiger Gläubigen befand. Auch Timotheus und Linus waren darunter.

Auf die Mitteilungen hin führte Nazarius alle auf einem verborgenen Pfade zur Gartentür und von da aus in verlassene Steinbrüche in einiger Entfernung vom Tore des Janiculus. Ursus trug Linus, dessen Beine durch die Marter gebrochen und noch nicht geheilt waren.

Im Steinbruch fühlten sie sich sicher. Beim Lichte einer von Nazarius entzündeten Fackel berieten sie, wie das ihnen so teure Leben des Apostels gerettet werden könne.

»Herr,« sagte Vinicius, »laß dich bei Tagesanbruch von Nazarius zu den Albaner Bergen führen; dort werde ich dich treffen! Wir nehmen dich dann nach Antium, wo für uns ein Schiff nach Neapel und Sizilien bereit ist. Gesegnet sei der Tag und die Stunde, wo du mein Haus betreten und es segnen wirst!«

Alle stimmten diesem Vorschlage zu. Sie drangen in den Apostel und sagten: »Verbirg dich, geheiligtes Haupt; bleibe nicht in Rom! Pflanze die Wahrheit fort, damit sie nicht zugrunde gehe mit uns und dir! Höre auf uns, wir bitten dich, unseren Vater!«

»Tu es in Christi Namen!« riefen andere und hängten sich dabei an ihn.

»Meine Kinder,« antwortete Petrus, »wer kennt den Zeitpunkt, den der Herr als Grenze meines Lebens gesetzt hat?«

Er zögerte, ihre Bitte zu erfüllen. In der letzten Zeit hatte sich eine gewisse Unsicherheit, ja Furcht in seine Seele geschlichen. Er sah seine Herde zerstreut, das Werk seines Lebens in den Staub getreten. Nichts war übrig geblieben als Tränen, als Erinnerung an Marter und Tod. Nero aber, schrecklicher und mächtiger denn je, verbreitete seinen Ruhm über die Erde, über Meere und Länder.

Dann hob der greise Fischer die Hände zum Himmel und fragte: »Herr, was soll ich tun? Wie soll ich handeln? Und wie soll ich, ein schwacher Greis, diese unbezwingbare Macht des Bösen bekämpfen und da den Sieg erringen?«

Er wußte sich keinen Rat. Durfte er diese Stadt verlassen, deren Boden das Blut zahlreicher Märtyrer getrunken, in der so viele durch ihren Tod für die Wahrheit Zeugnis abgelegt hatten? Sollte allein er nicht standhalten? Und was würde er dem Herrn erwidern auf die Worte: Diese sind für den Glauben gestorben, du aber flohst! Tage und Nächte hatte er in Angst und innerem Leiden verbracht. Andere, die von Löwen zerrissen, die an die Kreuze geschlagen oder in den Gärten des Cäsar verbrannt wurden, entschliefen nach kurzer Qual im Herrn. Er aber fand keine Ruhe und seufzte nach Erlösung. Er blickte auf die dreiunddreißig Jahre Arbeit zurück, die seit dem Tode des Meisters verflossen waren. Er hatte gekämpft und gebaut und fühlte, daß jetzt erst ein viel größerer Kampf entbrennen werde. War er nicht viel zu schwach dazu? Konnte er sich mit dem römischen Cäsar messen? Das konnte nur Christus!

Alle diese Gedanken gingen durch sein sorgenschweres Haupt, als er die Bitten des letzten Restes der Gläubigen hörte. Diese, sich immer dichter um ihn drängend, wiederholten mit flehender Stimme: »Verbirg dich, Rabbi! Führe uns weg aus der Gewalt des Tieres!«

Endlich wandte auch Linus sein zermartertes Haupt ihm zu. »O Herr,« sprach er, »der Erlöser befahl dir, seine Schafe zu weiden; aber sie sind nicht länger hier, ja morgen schon werden sie von dannen ziehen. Geh darum hin, wo du sie noch finden kannst! Das Wort Gottes wird noch gehört in Jerusalem, in Antiochia, in Ephesus und in anderen Städten. Zu was diente dein fernerer Aufenthalt in Rom? Wenn du fällst, so vermehrst du damit nur den Triumph des Tieres. Du bist der Fels, auf den die Kirche Gottes gebaut ist. Wir wollen sterben, aber mache du dem Antichrist den Sieg über den Statthalter Gottes nicht leichter und kehre nicht hierher zurück, bis der Herr den zermalmt hat, der unschuldiges Blut vergoß!«

»Sieh unsere Tränen!« wiederholten alle Anwesenden.

Tränen überflossen auch das Gesicht des Petrus. Nach einer Weile erhob er sich, breitete seine Hände über die Knienden aus und sprach: »Der Name des Herrn sei gebenedeit! Sein Wille geschehe!«

 


 << zurück weiter >>