Henryk Sienkiewicz
Quo vadis?
Henryk Sienkiewicz

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47.

Ein dreitägiger Regen, in Rom während des Sommers eine seltene Erscheinung, hatte die Spiele unterbrochen, und die Priester der Ceres verbreiteten das Gerücht, die Stadt habe den Zorn der Götter erregt, weil man den Christen gegenüber nicht streng genug verfahre. Das Volk geriet auch schon in Unruhe und Aufregung, bis endlich verkündet wurde, die unterbrochenen Spiele sollten aufs neue beginnen.

Nun lachte wieder heiterer Himmel über der Stadt. Bei Tagesanbruch füllte sich das Amphitheater mit Legionen Schaulustiger. Der Cäsar erschien pünktlich mit den Vestalinnen und dem Hof.

Das Schauspiel sollte mit Kämpfen der Christen untereinander, beginnen. Man hatte diese als Gladiatoren verkleidet und mit allen Arten von Waffen versehen. Aber der Versuch brachte eine Enttäuschung mit sich. Die Christen warfen ihre Netze, Spieße, Lanzen, Schwerter zu Boden, umarmten einander und ermutigten sich gegenseitig, Marter und Tod geduldig zu erleiden.

Groll und Entrüstung ergriff die Herzen der Zuschauer. Die einen beschuldigten sie der Schwäche und Feigheit, die anderen behaupteten, nur aus Haß gegen das Volk wollten die Christen nicht kämpfen, weil sie ihm die Freude nicht gönnten, den der Anblick der Tapferkeit gewährt.

Schließlich ließ der Cäsar wirkliche Gladiatoren auftreten, die in kurzer Zeit die knienden wehrlosen Opfer abschlachteten. Nach Wegräumung der Leichname folgte statt der Kampfspiele eine Reihe lebender Bilder aus der Mythologie, des Kaisers eigene Erfindung.

Zuerst Herkules, der bei lebendigem Leibe auf dem Berge Ota verbrannte. Vinicius zitterte bei dem Gedanken, Ursus könne für die Rolle des Herkules ausersehen sein, aber es schien noch nicht an Lygias treuen Diener die Reihe gekommen zu sein, denn ein anderer, dem Vinicius völlig unbekannter Christ verbrannte auf dem Scheiterhaufen.

Das nächste Bild brachte Bekannte Chilons, dessen Anwesenheit Nero befohlen hatte. Der Tod des Dädalus und des Ikarus wurde dargestellt. Als Dädalus mußte Euricius auftreten, jener Alte, der Chilon die Bedeutung des Fischzeichens verraten hatte, sein Sohn Quartus war da in der Rolle des Ikarus. Mit einer Art Flugmaschine wurden beide in die Höhe gehoben und in die Arena hinabgeschleudert, sie stürzten zerschmettert auf den Boden. Quartus fiel in so unmittelbarer Nähe des kaiserlichen Podiums herab, daß der Kaiser und seine nächste Umgebung von dessen Blut bespritzt wurde. Chilon bemerkte in der Luft den herabfallenden Körper und schloß seine Augen, so daß er nur einen dumpfen Schlag hörte. Als er die Augen öffnete und die unförmliche Masse sah, war er wieder einer Ohnmacht nahe.

Doch bald kam wieder ein neues Bild, worin unerwachsene Mädchen auf wilde Pferde geschnallt und von diesen in Stücke zerrissen wurden: Das Volk klatschte ungeheuren Beifall für diese neuen Erfindungen des Kaisers, der ganz entzückt dasaß und auch nicht einen Augenblick den Smaragd vom Auge nahm.

Jetzt folgten wieder Bilder aus der römischen Zeit. Man sah einen Mucius Scaevola, der seinen an einen Dreifuß gebundenen Arm im Feuer hielt. Das ganze Amphitheater roch nach verbranntem Fleisch, doch dieser Scaevola stand unbeweglich mit zum Himmel erhobenen Augen und betete.

Die noch zuckenden Opfer wurden totgemacht und die Arena wieder gesäubert, während sich der Kaiser mit den Vestalinnen und Augustianern in ein nahe gelegenes Zelt begab und dort das Mittagsmahl einnahm. Auch das Volk war des Sitzens müde und zerstreute sich teilweise.

In der Pause wurden Löcher gegraben, die sich über die ganze Arena hinzogen. Dann trieb man eine Unzahl von kreuzetragenden Christen in den Raum. Bald wimmelte es von ihnen. Es waren Greise, die unter der Last einherschwankten, Männer in der Vollkraft ihrer Jahre, Frauen, Jünglinge und Kinder, die man zu Beginn der Schauspiele nicht alle hatte umbringen können. Die Kreuze sowie die Opfer selbst waren mit Blumen bekränzt.

Mit fieberhafter Schnelligkeit wurden die Opfer an die Kreuze genagelt und aufgestellt, damit alles fertig sei, wenn der Kaiser auf dem Podium erschien. Den Schall der Hammerschläge hörte man sogar im kaiserlichen Zelte, wo man Wein trank, über Chilon sich lustig machte und mit den Priesterinnen der Vesta sich neckte. Und auf der Arena drangen die Nägel durch Füße und Hände, Schaufeln begannen ihr Werk und füllten die Löcher zu, worin die Kreuze staken.

Unter den Gekreuzigten befand sich auch Crispus. Um seinen abgemagerten Leib schlang sich ein Efeugewinde, und sein Haupt trug einen Kranz von Rosen, seine Augen funkelten energisch wie sonst, und sein strenges Gesicht glühte vor heiligem Eifer. Stets zu sterben bereit, freute er sich, daß seine Stunde gekommen war.

»Danket dem Erlöser,« sprach er wie immer in scheltendem Tone, – »weil er euch gestattet, denselben Tod zu erleiden, den er gestorben! Aber zittert immerhin, denn die Sünder erwartet nicht der gleiche Lohn wie die Gerechten!«

Als er so gesprochen hatte, rief eine ruhige, feierliche Stimme von oben herab: »Ich sage euch, daß Christus euch in seinen Schoß aufnehmen wird! Habet Vertrauen, denn der Himmel steht für euch offen.«

Aller Augen wandten sich empor, auch diejenigen, welche schon am Kreuze hingen, hoben ihre bleichen Köpfe. Crispus streckte die Hand aus, wie zu einer scheltenden Entgegnung, plötzlich aber hielt er inne und flüsterte:

»Der Apostel Paulus.«

Staunend sahen die Circusdiener alle Christen, die noch nicht angenagelt waren, auf die Knie fallen. In demselben Augenblicke näherte sich ein Circusdiener dem Apostel und fragte: »Wer bist du, daß du es wagst, an die Verurteilten das Wort zurichten?«

»Ein Bürger Roms,« entgegnete Paulus ruhig.

Die Kreuze waren inzwischen alle aufgerichtet worden, so daß die Arena aussah wie ein Wald von Gekreuzigten. Eine solche Menge von Kreuzen hatte man noch nie gesehen; die Sklaven hatten Mühe, sich durchzuzwängen. Crispus war als eines der Häupter der Gemeinde unmittelbar vor dem kaiserlichen Podium an ein riesiges, mit Geißblattranken umwundenes Kreuz geschlagen worden.

Es war ein furchtbares, langsames Sterben. Viele waren in Ohnmacht gefallen und hingen mit auf die Brust gesenkten Köpfen da, wie tot.

Das Volk, das nach dem eingenommenen Imbiß satt und lustig auf seinen Sitzen Platz genommen hatte, verstummte allmählich. Die große Zahl der Opfer schien die Menge zu verwirren, denn niemand wettete, wer zuerst verscheiden würde, was sonst die Gewohnheit war, wenn es sich um eine kleinere Zahl Verurteilter handelte. Nero schien sich zu langweilen, denn er machte sich an seinem Halstuch zu schaffen, und sein Gesicht zeigte einen schläfrigen Ausdruck.

Crispus, der eine Zeitlang halb ohnmächtig am Kreuze gehangen hatte, öffnete plötzlich die Augen und heftete sie auf den Kaiser. Seine Gesichtszüge nahmen dabei wieder den unerbittlich strengen Ausdruck an, und in den Augen glühte eine so düstere Flamme, daß die Augustianer flüsternd nach ihm zeigten und Nero schwerfällig seinen Smaragd vor die Augen schob, da auch seine Aufmerksamkeit erregt war.

Es herrschte tiefes Schweigen. Aller Augen hingen an Crispus, der plötzlich seine Brust dehnte und mit gellender Stimme rief: »Wehe dir! – Muttermörder!«

Die Augustianer hielten den Atem an, Chilon saß wie eine Bildsäule da. Der Kaiser ließ zusammenzuckend den Smaragd fallen. Auch das Volk hörte gespannt, als es solche Worte vernahm, und dröhnender als früher schallte die Stimme durch das Riesengebäude:

»Wehe dir, Mörder deines Weibes und deines Bruders! Wehe dir, Antichrist! Der Abgrund öffnet sich vor dir, der Tod streckt seine Arme nach dir aus, und dein Grab wartet, wehe dir, lebendiger Leichnam, denn du wirst in Angst und Schrecken sterben, und du bist verdammt auf ewig! Wehe dir, du Mörder, du Mordbrenner; dein Maß ist voll, deine Zeit ist gekommen.«

Er streckte sich nochmals, seine hageren Arme spannten sich aus, der Leib senkte sich, und der Kopf sank auf die Brust herab. Er war tot. Und um ihn her schlummerten die übrigen einer nach dem anderen hinüber in den ewigen Schlaf.

 


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