Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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31. Kapitel. Das Heer, das siegen wird

Die jungen Gatten blieben zwei Tage beisammen. Der Hof hatte Krakau gleich am Tage nach der Hochzeit verlassen; aber die Königin war von ihren Ehrendamen und von hohen kirchlichen und weltlichen Würdenträgern umgeben, und daher kam der Zug nur langsam vorwärts. Er brauchte eine volle Woche, um die Tarnower Berge zu erreichen, an deren Fuß eine große Parade stattfinden sollte. Das junge Paar konnte bequem am festgesetzten Tage bei der Gesellschaft des Königspaars eintreffen. Frau Taczewski stieg in eine der königlichen Karossen, während Jakob sofort zu Felde zog. Die Stunde der Trennung war gekommen. Am 22. August 1683 nahm der König feierlich Abschied von der Königin, seiner teuern »Marysienka«. Mit Tagesgrauen stieg er in den Sattel, um vor den Augen der geliebten Frau die Armee vorbeiziehen zu lassen, bevor er den Marsch nach Gleiwitz antrat.

Man nahm wahr, der Held, der seinen Kummer niemals verbergen konnte, wenn er auch nur auf kurze Zeit sich von der Königin trennen mußte, bewahrte an diesem Tage Frohsinn und Heiterkeit. Alle Welt wollte darin ein glückliches Vorzeichen erblicken, und man faßte frischen Mut, denn niemand verkannte, wie furchtbar der Feind sei, gegen den man kämpfen wollte, und noch nie hatte er so gewaltige Heere aufgeboten, wie diesmal. »Die Türken,« sagten die Bischöfe und Senatoren untereinander, »ziehen ihre Streitkräfte aus drei Weltteilen zusammen, aber wenn unser König, dessen siegreicher Arm schon oft wuchtig auf sie herabgefallen ist, so viel Zuversicht und Freude zeigt, dann darf uns keine Sorge oder Furcht beschleichen.« Die Hoffnung schwellte aller Brust. Sie verwandelte sich in Siegesgewißheit, als man die prachtvollen Regimenter erblickte. Soweit der Blick reichte, funkelten Helme, Panzer, Säbel und Musketen im Sonnenschein. Die Augen konnten all das Blitzen und Gleißen kaum ertragen. Unter dem blauen Himmel flatterten in den Farben des Regenbogens die Standarten und die Fähnchen an den Lanzen. Trommelwirbel mischte sich in das Trompetengeschmetter, Querpfeifen und tatarische Flöten erklangen, und Rosse wieherten.

Als das Zeichen zum Beginn der Parade gegeben worden war, stellten die Wagen sich seitwärts auf, um den Vorbeizug der Truppen nicht zu behindern. Die königlichen Karossen hielten auf einer kleinen Erhöhung rechts neben der Straße, auf der die Regimenter marschierten. Die Königin saß in der vordersten Karosse. Im Schmuck von Federn, Spitzen, Samt und Diamanten erschien sie schön und imposant in all der ruhigen Würde und Majestät einer Frau, deren Wünsche sich alle über ihren höchsten Ehrgeiz hinaus erfüllt hatten, indem ihr eine Königskrone und die Liebe des Glorreichsten unter den Herrschern jener Zeit zuteil geworden war. Gleich den hohen Würdenträgern ihrer Umgebung war sie der festen Zuversicht, daß vom ersten Tage an, wo der König zu Pferde stieg, der Sieg vor ihm hinziehen werde. Sie fühlte, daß zu dieser Stunde die Augen Europas, von Konstantinopel bis Rom, von Paris bis Madrid auf den Helden gerichtet waren, daß die Christenheit die Arme nach ihm ausstreckte, daß auf ihm allein und auf den gepanzerten Soldaten, die seine Stimme entflammte, das Heil der westlichen Welt beruhte. Stolz schwellte ihr weibliches, ihr königliches Herz. »Der Ruhm wird uns über alle Könige der Erde erheben,« dachte sie. Und obgleich ihr König nicht mehr als 25 000 Mann gegen die unzählbaren türkischen Schlachtreihen führte, so frohlockte sie vor Freude; keine Wolke des Zweifels und der Furcht verdüsterte ihre heitere Stirn. »Wendet den Blick auf den Helden, den Sieger, auf den König und Vater!« sagte sie zu ihren Kindern, die in der Karosse saßen, wie die kleinen Vöglein im Nest. »Wenn er zurückkehrt, wird sich die ganze Welt ihm dankbar zu Füßen werfen.«

In den andern Equipagen sah man hier die anmutigen Gesichter der Töchter und Damen des Hofs, dort die Mitren von Bischöfen, dort wieder die strengen Profile von Senatoren. Unweit hielt zu Roß der König, auf einer Anhöhe, umgeben von seinen Hetmans, seinen Generälen, und sie alle um Haupteslänge überragend, erschien er wie ein Riese. Zu seinen Füßen zog das Heer vorbei.

Zuerst rasselte mit dumpfem Getöse und Kettengeklirr die Artillerie des Herrn Maczin Konzki vorbei, dann folgten, die Gewehre auf der Schulter, die Infanterieregimenter, angeführt von Offizieren, die außer den Säbeln lange Stöcke trugen, deren sie sich zur Herstellung der Ordnung in den Reihen bedienten. Die Regimenter marschierten in Tiefkolonnen, gleich beweglichen Festungen, mit dröhnendem Gleichschritt. Als sie vor der Karosse der Königin vorbeikamen, begrüßten sie sie mit betäubendem Geschrei und senkten ihre Fahnen. Aber von allem lenkte am meisten das pommerische Regiment die Blicke auf sich. Die Leute trugen den blauen, mit Aufschlägen versehenen Rock des Königs und gelbe Patronentaschen, sie waren groß und stark und machten den Eindruck einer auserlesenen Mannschaft. Man hätte meinen mögen, es sei eine Legion von lauter Zwillingsbrüdern. In ihren Händen schien die schwere Muskete leicht wie ein Bambusstock zu sein. Wie ein Mann blieben sie plötzlich vor dem Angesicht des Königs stehen und präsentierten so taktmäßig das Gewehr, daß Seine Majestät zufrieden lächelte. Und man hörte den Ruf: »Bei Gott! Nehmt euch in acht, ihr Garden des Sultans, mit diesen Burschen ist nicht gut Kirschen essen.«

Hinter ihnen kamen die Schwadronen der leichten Reiterei heran, wahre Hippozentauren, so völlig schien jeder Reiter mit seinem Pferde verwachsen, würdige Abkömmlinge jener berittenen Streiter, die einst Deutschland überflutet und die protestantischen Heere unter die Hufe ihrer Rosse geworfen hatten. Die schwerste Reiterei fremder Milizen vermochte ihnen bei gleicher Anzahl nicht die Spitze zu bieten, und die leichteste war nicht schnell genug, ihnen zu entfliehen. Von diesen Schwadronen hatte nach dem Siege bei Chocim der König gesagt: »Führt sie zuerst heran, und unter ihren Hieben ist der Feind nur wie Gras, das von der Sense gemäht wird.« Wer sie nur vorbeireiten sah, der brauchte gar nichts von der Kriegskunst zu verstehen, um zu erkennen, daß, wenn sie Attacke ritten, nur der Wind es ihnen an Schnelligkeit zuvortun könne. Vor ihnen her dröhnten die Kesselpauken, schmetterten die Trompeten; und Fähnlein an Fähnlein ritten sie mit gezückten Schwertern vorbei, die in der Sonne flammten. Als sie an den königlichen Kaleschen vorbei waren, ging eine anhaltende Bewegung durch ihre Reihen. Erst im Trab, dann im Galopp beschrieben sie einen riesigen Halbkreis und kamen noch einmal an die Karosse der Königin heran, diesmal aber wie ein brausender Orkan, wobei ihr schrecklicher Kriegsruf: »Schlagt tot!« die Luft zerriß. Dabei schwangen sie die Säbel und neigten sich tief auf die Pferde. Und plötzlich sah man sie halten, wie auf einen Ruck kam die eben noch wild dahinjagende Kolonne in tadelloser Ordnung zum Stehen. Die ausländischen Offiziere, die beim königlichen Stabe zugelassen worden waren, warfen sich Blicke des Erstaunens zu.

Nun sah die Ebene aus wie ein von großen, schillernden Blumen bedecktes Feld: die Dragoner defilierten. Darunter waren die, die Hetman Jablonowski aus der Ukraine hergeführt hatte; andere waren von reichen Magnaten ausgerüstet worden, ein Regiment unterhielt der König selbst aus seiner Privatschatulle, das der Bruder der Königin, Graf von Maligny, befehligte. Es waren größtenteils Leute vom Lande, Bauern, Leibeigene oder Fuhrknechte, aber alle von Kind auf ans Pferd gewöhnt, durch viele Feldzüge mit dem Soldatenhandwerk vertraut und ausdauernd im Feuer. Sie waren nicht so hitzig wie die Husaren, bei denen ausschließlich der Adel diente, aber dafür war die Manneszucht straffer. Auch ertrugen sie weit besser die Strapazen des Krieges.

Aber die wahre Augenweide und Herzenslust begann erst mit dem Vorbeimarsch der prächtigen Husarenbanner. Sie kamen ernst und ruhig einher, wie es sich für Elitetruppen geziemte. Gleich einem Walde standen die Lanzen in die Höhe, und im leichten Winde raschelten ihre Fähnchen wie Blätter. Die Pferde, größer und stärker als die der andern Regimenter, trugen Rüstungen aus Stahl, mit Gold beschlagen, und die Reiter hatten Flügel auf dem Rücken, deren riesige Schwungfedern bei jeder Bewegung des Körpers rauschten. Die Würde ihrer Haltung, ihr stolzes Aussehen und ihr prächtiger Aufputz fesselten aller Blicke und erregten die größte Bewunderung, so daß in den Equipagen die Königin, die Damen des Gefolges, die Senatoren und die Gesandten fremder Mächte sich erhoben, um besser sehen zu können. Alle standen unter dem Eindruck, daß kein Leben zurückbleiben könne, wo diese Lawine von Eisen vorübergebraust war, daß sie alles zermalmen, vernichten müsse, daß keine menschliche Kraft sie aufzuhalten vermöchte. Die Zeiten lagen noch nicht weit zurück, da man es erlebt hatte, daß dreitausend dieser Reiter eine fünffach überlegene schwedische Streitmacht zu Staub zermalmt oder ein einziges Fähnlein wie ein Föhn die Armee Gustav Adolfs durchbrochen hatte. Unter den Mauern von Chocim hatte dieselbe Reiterei, befehligt von demselben König, die schrecklichen Janitscharen wie Korn niedergemäht. Eine große Anzahl derer, die an der Schlacht bei Chocim teilgenommen, dienten noch jetzt. Sie zogen nun nach einer fremden Residenz, stolz, ruhig, neuer Ernte sicher.

Ein starker Wind erhob sich; die Lanzen bewegten sich wie zuckende Flammen. Die aufgeputzten Mähnen wallten auf den Hälsen der Rosse, und die Flügel der Streiter verursachten ein so mächtiges Brausen, daß die schmucken andalusischen Zelter, die vor den königlichen Wagen gespannt waren, sich bäumten. Als die Husaren bis auf zwanzig Schritte an die Equipagen herangekommen waren, machten sie eine Schwenkung nach links und zogen schwadronweise vorüber.

Da sah Annette ihren Gatten zum letzten Male vor dem Feldzuge. Er ritt in der zweiten Reihe, ganz in Eisen gekleidet, mit zwei Flügeln auf dem Rücken der Rüstung. Die Ohrenklappen des hoben Helms verdeckten fast ganz seine Wangen. Sein prachtvoller anatolischer Fuchs hob den Kopf stolz in die Höhe, schäumte ins Gebiß, daß die Kandare klirrte, und wieherte freudig.

Jakob wandte das eisengepanzerte Haupt der jungen Frau zu. Seine Lippen bebten. Von diesem Liebesgeflüster konnte gewiß kein Wort Annettens Ohr erreichen; aber sie erriet, daß er sie der göttlichen Gnade empfahl. Da erglühte ihr Herz in so heißer Liebe, daß sie ihr Leben drum hingegeben hätte, um, in eine Schwalbe verwandelt, neben ihm herzufliegen und ihm überallhin das Geleit zu geben. »Lebewohl, Jacek! Jesus beschütze dich!« rief sie aus und streckte die Arme nach ihm hin, während ihre Augen von Tränen überflossen. Und er ritt vorbei, in der Sonne schimmernd, eine imposante, fast feierliche Gestalt, gleichsam geheiligt durch das Opfer, das er der Pflicht darbrachte.

Auf das Banner des Kronprinzen folgten andere, ebenso prachtvoll, ebenso schreckenerregend. Nach dem Beispiel der andern Regimenter beschrieben sie einen weiten Bogen und stellten sich aus der Ebene in Marschordnung auf, bereit, von dannen zu ziehen, sobald der Befehl gegeben wurde.

Die Königin und ihr Gefolge konnten von den Kaleschen aus die ganze Armee auf einen Blick überschauen. Ueberall zu ihren Füßen bis in die Ferne schimmerten Rüstungen, leuchteten buntfarbige Uniformen, blitzte der Stahl der Schwerter, standen Wälder von Lanzen, wehten Fähnchen und über ihnen noch höher die Standarten gleich riesigen Blumen. Derselbe Wind, der sie rauschen ließ, trug den scharfen Geruch nach Pferden herüber, Kommandoworte, von scharfklingenden Stimmen hervorgeschrien, Trommelwirbel und grelle Töne von Pfeifen und Flöten. Es war, als wenn über all diesen Lärm, diese Freude, diesen kriegerischen Eifer der brausende Wind des Sieges hinwehte. In allen Herzen wurzelte fest die Gewißheit, die völlige Gewißheit, daß das Kreuz über den Halbmond triumphieren werde.

Der König ritt noch auf einen Augenblick zu der Karosse, dann machte er kehrt und sprengte auf das Heer zu. Der Bischof von Krakau hob das Kruzifix mit den heiligen Reliquien gen Himmel und beschrieb in der Luft ein großes Kreuz. Plötzlich zerriß der schmetternde Klang von Trompeten die Luft; die Massen von Menschen und Pferden kamen in Bewegung, drehten sich, reihten sich aneinander und entfernten sich langsam in der Richtung der untergehenden Sonne. An der Spitze sah man die Schwadronen der leichten Reiterei, die Husarenfähnlein bildeten das Zentrum, die Dragoner beschlossen den Zug.

Ein zweites Mal hob der Bischof von Krakau das Kruzifix mit den Reliquien hoch, und er hielt es lange emporgerichtet. »Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs,« rief er laut, »erbarme dich deines Volkes!«

Im selben Augenblick stimmten zwanzigtausend Kehlen den Gesang an, den der Dichter KochanowskiJan K., berühmter polnischer Dichter, 1544-84. eigens für diesen Auszug des Heers verfaßt hatte:

In deinem Namen, Himmelskönigin,
Du unser Hort, du treue Hüterin,
Ziehn wir in froher Hoffnung aus, wir Lechen,
        Das Kreuz zu rächen!

Für Christus und fürs teure Vaterland
Ziehn wir hinab zum fernen Donaustrand,
Den Sieg zu erringen mit eiserner Wehre
        Im Felde der Ehre!

 

Ende.

 


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