Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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30. Kapitel. Am Altar

Endlich brach für Jakob der Tag des so lange ersehnten Glückes an. In der ganzen Stadt hatte sich die Kunde von der bevorstehenden Trauung verbreitet. Die Bürger erzählten einander, mit diesem jungen Rittersmann habe es eine seltsame Bewandtnis, denn heute führe er seine Braut zum Altar, und morgen zöge er in den Krieg. Und da man erfuhr, das Königspaar werde der Feier beiwohnen, so versammelte sich eine unzählbare Menge von Menschen an der Kirche. Die Trabanten des Königs mußten dem Hochzeitszuge sogar mit Gewalt Bahn schaffen. Die Waffengefährten vom Banner des Prinzen Alexander waren alle gekommen, aus Freundschaft für Jakob und auch, weil es ihnen schmeichelte, auf diese Weise mit dem König zusammen zu sein. Hohe Würdenträger waren ebenfalls zugegen. Viele hatten bis jetzt gar nichts von Jakob Taczewski gewußt; aber da die Königin, von deren Gunst bei Hofe alles abhing, das regste Interesse für das junge Paar bekundete, so lohnte es gewiß der Mühe, sich sehen zu lassen.

Dennoch fiel es ein wenig auf, daß der König, auf den jetzt ganz Europa die Augen richtete, Zeit und Gedanken für die Eheschließung eines simpeln Reitersmannes übrig hatte. Die einen erklärten das aus der angeborenen Güte, von der die Sobieski schon viele Beweise gegeben hatten, oder aus dem Wunsche, die Armee noch mehr für sich zu gewinnen. Andere meinten, es bestände zwischen ihm und Taczewski eine gewisse nahe Verwandtschaft, die man nur nicht wahr wissen wolle. Aber im allgemeinen lachte man über diese Vermutungen. Die Königin, sagte man, die in diesem Punkte so unzugänglich und streng sei, daß sie ihrem Gemahl nicht einmal seine Jugendsünden nachsah, hätte dann gewiß nicht so viel Eifer bekundet, die Liebenden zu vereinen.

Der König selbst ließ es sich angelegen sein, seine Umgebung – denn man wußte fast nichts mehr von dem Geschlecht der Braut – daran zu erinnern, wie groß und mächtig einst das Haus Siëninska gewesen sei und wieviel die Sobieski diesem Hause verdankten. Nun wandte das allgemeine Interesse sich Annette zu, alle Welt bedauerte sie um der Leiden willen, die sie durchgemacht hatte, und pries ihre Tugend und Schönheit. Die ganze Stadt befaßte sich mit ihrer Person: Bürger und Bürgerinnen rühmten ihre Anmut, ihre Reize, und als man sie erblickte, fand ein jeder, daß sie auch wirklich so aussähe, wie man sie sich vorgestellt hätte.

Annette betrat zusammen mit der Königin die Kirche. Aller Blicke richteten sich auf Ihre Majestät, deren Schönheit damals noch in allem Glanze der Nachmittagssonne erstrahlte. Dann wandte sich die Aufmerksamkeit dem jungen Mädchen zu, und ein langanhaltendes Murmeln der Bewunderung ward laut. Hohe Würdenträger, Offiziere, Edelleute und Bürger segneten ihre Augen, durch die es ihnen vergönnt sei, ein solches Wunder zu schauen.

Weiß gekleidet, mit der jungfräulichen Myrte gekrönt, schritt Annette gesenkten Blickes dahin, ein wenig bleich, aber lieblich und hold. Sie glich einem schneeigen Schwan oder einer fleckenlosen Lilie. Jakob selbst war von ihrer Schönheit wie geblendet; sie war noch weit herrlicher als die Annette, die er am Tage zuvor bewundert hatte. »Um Gottes willen,« dachte er, »wie soll ich an sie herantreten? Ist sie doch eine wahre Prinzessin, oder wohl gar ein Engel, den anders als auf den Knien anzureden eine Sünde wäre?« Und fast erschrak er in der Seele.

Dann aber kniete er neben ihr vorm Altar. Abt Wonowski begann im Tone der Rührung seine Predigt mit den Worten: »Als ganz kleine Kinder habe ich euch beide gekannt –« und ihre Hände lagen nun ineinander unter der Stola des Geistlichen. Ganz leise sprach Annette die heilige Formel: »Ich nehme dich zum ehelichen Gemahl.« Dann erklang das »Veni CreatorKomm, o Schöpfer! und Taczewski glaubte, so viel des Glücks würde ihn töten. Er liebte sie schon lange, seit zartester Kindheit fast, doch erst in dieser Stunde begriff er, daß diese Liebe unendlich sei. Da dachte er bei sich: »Nein, ich werde wohl sterben, denn wenn der Mensch auf Erden ein so großes Glück genösse, was würde für ihn im Himmel bleiben?« Er dachte aber auch, er müsse, ehe er stürbe, hienieden noch dem Höchsten seine Dankbarkeit erweisen. Und plötzlich zogen vor seinem Geiste, einem Wirbelsturm gleich, die türkischen Bataillone vorüber, mit ihren Turbanen, ihren grünen Standarten, Krummsäbeln und Roßschweifen. Da entrang sich aus tiefster Seele seinen Lippen der inbrünstige Schrei: »O Gott, ich werde meine Dankesschuld abtragen!« – Ja, wie ein unbesiegbarer, alles niederwerfender Löwe wollte er sich auf diese Feinde des Kreuzes stürzen. Diese Vision war jedoch nur von der Dauer eines Blitzes. Dann fühlte Jakob, wie sein ganzes Sein von einer Welle des Glücks und der Liebe überflutet wurde.

Die Feier ging zu Ende. Bald bewegte sich der Zug nach der Wohnung der Vermählten. Doch nur einen Augenblick konnte Jakob seine junge Frau an die Brust drücken. Dann meldete man die Ankunft des Königspaares, für das zwei prächtige Stühle im großen Empfangssaale aufgestellt worden waren. Der Empfang begann. Das Knie beugend, nahmen Herr und Frau Taczewski den königlichen Segen hin, dann baten sie die Majestäten um die hohe Gunst, den Hochzeitsschmaus durch ihre erhabene Gegenwart zu weihen. Aber der König lehnte ab.

»Wackrer, treuer Ritter,« sagte er, »und Ihr, meine Verwandte, es würde mir eine große Freude sein, mit euch beiden zu plaudern, zumal wir manch wichtige Frage zu besprechen hätten; denn wir haben ja der jungen Frau eine Mitgift versprochen; aber ich kann nur einen Becher auf euer Wohl trinken. Dann rufen Staatsgeschäfte mich ab, und meine Augenblicke sind gezählt.«

Mit diesen Worten nahm er ein Glas vom Tische, während Taczewski die Knie des Königs umfing. »Meine Herren!« rief er, »ich trinke auf das Wohl des jungen Paares!«

Gleich einem Donner erscholl der Zuruf: »Vivant, crescant, floreant!«

Der König setzte, an Jakob gewandt, hinzu: »Genieße die Stunden des Glücks, sie werden nicht lange währen. Ich gönne dir ein paar Tage der Ruhe, sie werden auch meiner schönen Verwandten not tun. Bald wirst du wieder in Reih und Glied eintreten müssen, denn lange warten wir nun nicht mehr.«

»Die Gnädige kann zur Not ohne dich sein,« sagte Matthäus Bukojemski lachend, »aber Wien nicht ohne uns.«

»Bah, Lubomirski ist schon dort. Er schuppt die Türken schon, als wären's Donaufische,« rief ein Leutnant dazwischen.

»Ja,« antwortete der König lächelnd, »ich habe euch gute Nachrichten mitzuteilen, meine Herren. Eure Soldatenherzen werden sich darüber freuen. Folgendes schreibt mir der Herzog von Lothringen, der Generalissimus der kaiserlichen Truppen, über die vor Preßburg gelieferte Schlacht.«

Und langsam begann er zu lesen oder vielmehr zu übersetzen, denn der Brief war französisch geschrieben, und er wünschte, daß alle Anwesenden den Inhalt kennen lernten: »Die ganze Kavallerie des Kaisers ritt mit Entschlossenheit und Kampfeslust, aber die Schlacht wurde nur von den Polen entschieden, die den Deutschen nichts zu tun übrigließen. Ich kann keine Worte finden, um nach Würdigkeit den Mut und die Entschlossenheit des Herrn Lubomirski, seiner Offiziere und auch des ganzen unter seinem Befehl stehenden Korps zu loben.«Carolus dux Lothringiae, Joanni III. Poloniae Regi, Julius 31, 1683 (Karl, Herzog von L., an Johann III., König von Polen, am 31. Juli 1683): Toute la cavalerie de l'Empereur allait avec fermeté et joie, mais l'action s'est passée seule entre les Polonais qui n'ont rien laissé à faire aux Allemands. Je ne puis trouver de paroles pour louer dignement le courage et la fermeté de monsieur Lubomirski, de ses officiers, ainsi que de tout le corps confié à son commandement.

»Ihr seht, meine Herren,« fügte er hinzu, »eine große Schlacht, in der die Unsern nicht wenig Ruhm geerntet haben.«

»Wir werden ihnen nachzueifern wissen, Majestät,« riefen die Kavaliere.

»Das erwarte ich zuversichtlich; doch es gilt zu eilen . . . Wien, eng umschnürt, droht zu ersticken. Die ganze Christenheit fragt sich schon angstvoll, ob wir rechtzeitig ankommen werden.«

»Gewiß, Majestät,« sprach Abt Wonowski, sich verneigend, »zur Rettung Wiens kann man uns nicht entbehren; doch was am meisten not tut, ist die Anwesenheit eines Heerführers wie Eure Majestät.«

Der König lächelte. »Dasselbe schreibt mir Wort für Wort Herzog von Lothringen,« sagte er. »Deshalb, ihr Herren, nehmt schon die Zügel zur Hand, damit das Kommando zum Aufbruch euch nicht überrasche. Wir werden morgen den Fähnlein unserer Garde Marschorder erteilen.« Die Züge des Königs nahmen plötzlich den Ausdruck des Ernstes an. Er richtete den Blick auf Taczewski, als wollte er in dessen Herzen lesen. »Die Königin will uns bis zu den ersten Karpathenforts begleiten. Dort werden wir eine Heerschau halten, und dort sollst du dann dich bei uns melden, sofern du nicht, um in Krakau zu bleiben, um irgendein Amt nachsuchen willst.«

Jakob umschlang bei diesen Worten die Hüften seines jungen Weibes und trat vor den König hin. »Majestät,« sprach er, »böte man mir für Annette den Kaiserthron oder selbst das schöne französische Königreich, so ist Gott mein Zeuge, ich würde es abschlagen, denn sie ist mir teurer als aller Glanz, als alle Kronen der Welt. Aber daß ich, um auch nur eine Sekunde länger mich meinem Glück zu überlassen, meine Pflicht, meinen Dienst vernachlässigen sollte, daß ich eine Gelegenheit verabsäumen sollte, für den Glauben zu kämpfen, daß ich meinen Oberst, meinen König verlassen sollte – nein! das wird nimmermehr geschehen. Ich müßte mich ja selbst verachten – und auch Annette würde mich dann verachten.« Tränen verschleierten ihm die Augen. Seine Wangen überzogen sich mit lebhafter Röte, und mit Erregung fuhr er fort, während seine Stimme leicht bebte: »Heute habe ich vorm Altar gefrevelt, indem ich zu Gott sprach: ›Ich werde meine Dankesschuld abzahlen, o Herr!‹ Kann man denn ein Glück wie das meine abzahlen, und gäbe man dafür auch als Preis Gesundheit, Blut und Leben? Und deshalb werde ich, sobald Eure Majestät diese Stadt verlassen hat, nicht einen Tag, nicht eine Stunde warten, sondern Euch folgen, sollte mich der Tod auch morgen ereilen!«

Er kniete mit Annette vor dem König nieder, und Johann III. neigte sich herab und nahm das Haupt des jungen Mannes in beide Hände. »Eine Legion solcher Untertanen, und die Welt wird widerhallen vom Ruhme des polnischen Namens!«

Abt Wonowski verschluckte seine Tränen; die vier Brüder Bukojemski weinten wie die Kälber. Begeisterung und Rührung packten aller Herz. »Los auf die Ungläubigen! Im Namen Christi!« erklang es ringsum. Und in dieses Geschrei mischte sich das Klirren der aus den Scheiden gerissenen Säbel. Annette lehnte ergriffen das Haupt an ihres Mannes Brust und murmelte: »O, Jakob, wundere dich nicht, daß ich weine – vielleicht werde ich dich nie wiedersehen – ziehe hin!«



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