Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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7. Kapitel. Zweikämpfe

An dem Kruzifix wartete noch niemand. Taczewski schritt ein paarmal um das Marterl herum, dann setzte er sich ihm zu Füßen auf einen Stein.

Tiefes Schweigen herrschte weit und breit. Von den Armen des Kreuzes fielen große Tropfen – man hätte sagen können, Tränen – auf den Boden. Mit leisem Knistern versanken sie im tauenden Schnee. Die Einsamkeit, seine Notlage und der Nebel ringsum führten eine Flut von Schwermut in Jakobs Seele. Er fühlte sich so verlassen wie nie zuvor.

»Allein, allein, ich habe niemand auf dieser Welt!« murmelte er. »Und so wird es sein bis zu meiner letzten Stunde. Doch gleichviel! Es ist mein Schicksal!«

Und er machte eine resignierte Handbewegung.

»Wenn's nur mal rasch ein Ende nähme!« schloß er.

Und seine Bitternis wuchs bei dem Gedanken, daß seine Gegner sich nun gar noch Zeit ließen. »Sie haben es gut in Belczonka, sie plaudern mit ihr, sie können die Augen noch einmal an ihrem Anblick laben.«

Aber darin irrte er sich. Auch sie hatten es eilig, zum Treffpunkt zu gelangen. Laute Stimmen schlugen an sein Ohr, und in einem weißen Wirbel erschienen die vier riesigen Silhouetten der Bukojemski und eine fünfte, kleinere – Cypryanowicz.

Sie redeten alle zugleich und sehr laut, denn sie zankten sich schon wieder. Jeder von ihnen nahm die Ehre für sich in Anspruch, als erster mit dem Feinde die Klinge zu kreuzen.

Den vier Brüdern war es schon zur zweiten Natur geworden, sich in einem fort zu streiten. Ohne Hader konnten sie nicht leben. Diesmal haderten sie obendrein auch noch mit Cypryanowicz. Denn er erklärte, er sei am schwersten beleidigt worden, und deshalb hätte er das Recht, den Kampf einzuleiten.

Erst als sie das Kruzifix erblickten, verstummten sie und lüfteten die Mützen, vielleicht aus Ehrfurcht vor dem Bildnis des Erlösers, vielleicht auch um den üblichen Gruß mit dem Gegner auszutauschen.

Taczewski verneigte sich schweigend. Er hatte schon den Säbel gezogen. Sein Herz klopfte ungestüm. Einer gegen fünf! Und wahrlich, diese Bukojemski sahen schrecklich aus – die struppigen Augenbrauen waren ganz weiß von Reif, und ihre Gesichter glühten in wilder Freude.

»Und ich bin doch heiteren Herzens hergekommen, das Haupt auf den Block zu legen,« dachte Jakob.

Doch es war nur ein kurzer Moment der Schwäche; dann ergriff ihn Entrüstung. Was wollten diese Trunkenbolde von ihm, die er nicht einmal kannte und die ohne Grund nach seinem Blute lechzten?

»Wartet nur!« knurrte er, »auch Ihr habt die Köpfe mit hergebracht!«

Inzwischen warfen sie die Mäntel ab und krempelten die wallenden Aermel ihrer Oberröcke in die Höhe, ganz als wenn jeder einzelne von ihnen darauf rechnete, als erster an die Reihe zu kommen. Taczewski sah sie schweigend an, als sie nun in einer Reihe dastanden, den Säbel in der Faust.

Cypryanowicz unterbrach das Schweigen.

»Ich stelle mich Euch zur Verfügung, mein Herr,« rief er aus.

Verworrenes Geschrei antwortete ihm.

»Nein, ich bin der erste – ich –!« schrien die vier Brüder einstimmig.

Cypryanowicz trat einen Schritt vor. Sie packten ihn bei den Armen. Fast wäre es zum Handgemenge gekommen. »Ihr seid die reinen Kosaken!« rief Stanislaus. – »Du bist ein Stutzer!« schrien die Brüder. Und sie brüllten durcheinander und nannten sich gegenseitig Hundsfott.

Jakob hörte ihnen verdrossen zu. Er steckte den Säbel wieder ein.

»Noch nie,« erklärte er, und seine Stimme klang hart und hochmütig, »habe ich mit Rittern solchen Schlages zu tun gehabt. Gebt Ruhe, oder ich gehe meiner Wege.«

»Entscheidet selbst,« sagte Cypryanowicz, in der Hoffnung, Jakob werde selbst den Wunsch hegen, zuerst seine Rechnung mit ihm abzuschließen.

Aber Matthäus Bukojemski überschrie sie alle. –

Er würde es nicht zugeben, daß ein solcher Hansnarr nach seinem Belieben über sie verfügte. Nein, tausendmal nein! Er ereiferte sich dabei so sehr, daß seine etwas langen Vorderzähne, die ihm das Aussehen eines Nagetiers gaben, unter seinem Barte hervorguckten.

Plötzlich schwieg er. Taczewski hatte von neuem blankgezogen, streckte nun den Arm aus und bezeichnete ihn mit der Säbelspitze.

»Ihr zuerst, mein Herr!«

Die andern traten verstimmt zurück. Doch sahen sie wohl ein, sie würden nie zum Schlusse kommen, wenn sie nicht nachgaben. Aber sie sahen finster drein; denn sie wußten, wie stark Matthäus sei. Sicherlich würde er ganz allein die Sache abmachen und ihnen nichts mehr zu tun übrig lassen.

»Los, ihr Herren!« rief Cypryanowicz.

Kaum hatten sie die Klingen gekreuzt, so begriff Jakob, daß er mit einem riesenstarken Feinde zu tun hatte. Der Säbel zitterte leicht in seiner Hand. Doch parierte er den ersten, den zweiten Hieb, und beim dritten sprach er zu sich:

»Stark wohl, doch nicht gewandt.«

Nun stand er fest auf den Beinen und ging zum Angriff über.

Mit zu Boden gekehrter Säbelspitze und weit offnem Munde verfolgten die drei Brüder den Hergang. Ohne Frage mußte eingeräumt werden, dieser Laffe verstand die Sache ganz gut, ja er verstand sie so sehr gut, daß sie unruhig zu werden anfingen, denn trotz ihrer fortwährenden Zänkereien liebten sie einander doch zärtlich. Bei jedem neuen Streiche, den der junge Mann mit großer Gewandtheit führte, entrang sich ein Seufzer ihrer Brust. »Ha!« riefen sie dann. Und diese Streiche folgten einander jetzt mit blitzartiger Schnelligkeit. Jakob fühlte sich immer sicherer. Während er doch ganz Herr seiner selbst blieb, sprang er wie ein Luchs hin und her. Seine Augen funkelten drohend.

»Das nimmt eine böse Wendung,« dachte Cypryanowicz.

Im selben Augenblick zerriß ein entsetzlicher Schrei die Luft. Matthäus ließ den Säbel fallen, griff mit beiden Händen nach seinem blutüberströmten Gesicht und fiel zu Boden.

Wie rasende, brüllende Stiere stürzten Johannes, Markus und Lukas auf Jakob los. Sie wollten ihn nicht vereint niederschlagen, sondern jeder von ihnen entbrannte vor Verlangen, den besiegten Bruder zu rächen.

Und wer weiß, wie weit ihr Jähzorn sie getrieben hätte, wenn Cypryanowicz nicht zwischen sie und den Gegner gesprungen wäre.

»Zurück!« schrie er mit vor Entrüstung bebender Stimme. »Schmach und Schande über euch, Mörder und nicht Edelleute seid ihr! Ja, schlagt auch auf mich ein, ihr Banditen!«

Und er stürmte gegen sie an, so daß sie zurückwichen.

Inzwischen stützte Matthäus sich auf die Hände und hob mit Anstrengung den Kopf, der von Blut wie von einer schrecklichen roten Maske bedeckt war. Johannes lief zuerst zu ihm hin, griff ihm unter die Arme und setzte ihn auf dem Schnee zurecht. Lukas bemühte sich ebenfalls um ihn.

Da trat Taczewski auf Markus zu. Keuchend, als beherrschte ihn noch die Furcht, von allen zugleich angegriffen zu werden, sprach er: »Wir beide allein – wir beide allein – nicht wahr?«

Die Klingen kreuzten sich mit unheilvollem Klirren. Markus, obwohl ebenso stark wie sein Bruder, war doch noch weniger geschickt und kein gefährlicher Gegner. Er handhabte seinen Säbel wie einen Dreschflegel. Schon beim dritten Gang zerschnitt Jakob ihm die Schulter bis auf den Knochen.

Johannes und Lukas konnten feststellen – doch leider ein wenig zu spät, daß sie sich da auf einen sehr mißlichen Handel eingelassen hatten, und daß dieser hagere Fant den scharfen Stachel einer Wespe besaß. Es wäre besser für sie gewesen, seinen Zorn nicht auf sich zu lenken.

Aber je mehr sie an ein für sie unangenehmes Ende des Kampfes glauben mußten, um so heftiger wurde ihr Grimm. In der Folge erhielt Lukas einen Schmiß in die Backe, der das Zahnfleisch bloßlegte; er taumelte und zerbrach sich überdies noch die Knochen an einem Steinhaufen, der unterm Schnee verborgen war. Johannes aber sah seinen Säbel mit einem seiner Finger zu Boden fliegen.

Jakob war ganz unversehrt geblieben und betrachtete nun sein Werk, mehr überrascht als stolz. Die Flammen, die eben noch seine Augen gesprüht hatten, erloschen. Er setzte die Pelzmütze zurecht, die ihm aufs Ohr gerutscht war, nahm sie dann ganz ab, atmete ein paarmal tief auf, hob die Augen zu dem Kruzifix empor und sprach, ohne daß man erkennen konnte, ob die Worte Cypryanowicz galten, oder ob er mit sich selbst redete: »Gott ist mein Zeuge, es ist nicht meine Schuld.«

»Jetzt sind wir beide dran,« versetzte Stanislaus. »Doch verschnauft Euch erst – ich will inzwischen meine Gefährten mit ihren Mänteln zudecken. Ehe Hilfe kommt, würden sie sonst erfroren sein.«

»Hilfe ist zwei Schritte von hier entfernt,« erwiderte Taczewski. »Nur der Nebel hindert Euch, den mit Stroh ausgestopften Schlitten zu sehen, den der Abt Wonowski mir zur Verfügung gestellt hat. Gestattet, daß ich diese Herren dorthin bringen lasse. Sie werden dort besser aufgehoben sein als im Schnee.«

Er entfernte sich in der Richtung auf den Schlitten, während Cypryanowicz sich der Verwundeten annahm. Drei von ihnen saßen, so gut es ging, aufrecht, indem sie sich mit dem Rücken aneinander lehnten. Der vierte, Johannes, kniete vor ihnen und wusch mit der gesunden Hand das blutende Gesicht Matthäus' mit Schnee ab, während er die verwundete Hand in die Höhe hielt, damit nicht zuviel Blut aus dem abgehackten Finger flösse.

»Wie fühlt ihr euch?« fragte Cypryanowicz.

»O, er hat uns tüchtig gebissen, der Hund!« stammelte Lukas, indem er aus vollem Munde Blut spuckte. »Aber wir werden Rache nehmen.«

»Mir hat er den Schulterknochen verletzt,« knurrte Markus. »O ja, er ist ein Hund, und zwar ein toller.«

»Und Matthäus erst!« setzte Johannes hinzu, »er hat einen klaffenden Schnitt über den Augenbrauen. Man müßte die Wunde mit einem Pflaster aus Brot und Spinngewebe zukleben. Bis man das bekommen kann, müssen wir uns mit Schnee begnügen.«

»O, o!« murmelte Matthäus, »wenn das Blut mich nicht geblendet hätte, ich würde ihm –«

Und er wurde ohnmächtig.

»Eine ganz durchtriebene Bestie,« brummte Lukas in wildem Grimm. »Er guckt wie ein Mädchen und sticht wie eine Viper.«

»Eben diese Durchtriebenheit,« setzte Johannes hinzu, »werde ich ihm nicht verzeihen.«

Zum Glück tauchte durch den Nebel der Schlitten auf. Man hörte die Pferde wiehern, und kurz vor den Brüdern hielt das Gespann an. Gleich darauf betteten Taczewski, Stanislaus Cypryanowicz und der Kutscher die Bukojemski auf das Stroh. Der Kutscher, ein Bauer, warf dabei Taczewski und Cypryanowicz einen durchdringenden Blick zu. Er sprach kein Wort, aber er verzog das Gesicht, als wenn er etwas Abscheuerregendes erblickte, und indem er sich auf einen Augenblick den Pferden zuwendete, bekreuzte er sich rasch.

Die Brüder erhoben zwar Einspruch dagegen, in den Schlitten gelagert zu werden, da ihr Stolz es nicht zulassen wollte, von ihrem siegreichen Feinde Liebesdienste anzunehmen, aber Jakob antwortete auf ihre Einwendungen: »Und wenn ich nun verwundet worden wäre? Hättet ihr mich denn einfach im Stich gelassen? Wir sind als Edelleute verpflichtet, uns gegenseitig zu helfen, und niemand darf sich dieser Pflicht entziehen, niemand darf eine solche Hilfe zurückweisen.«

Dies schien ihnen einzuleuchten. Fast gerührt von diesem Freimut und dieser Herzlichkeit, schwiegen sie. Gleich darauf lagen sie im Stroh, und die Wärme tat ihren Gliedern wohl.

»Wohin soll ich die Herren fahren?« fragte der Kutscher.

»Warte noch, Freund, du wirst noch einen mitzunehmen haben.«

Und sich zu Jakob wendend, rief er: »Los, Herr! Jetzt ist die Reihe an uns.«

Taczewski warf ihm einen langen, fast freundschaftlichen Blick zu.

»Täten wir nicht besser, in Frieden auseinanderzugehen?« sprach er. »Ihr habt mich ja auch mit Euerm Leibe gedeckt, als diese Herren zusammen die Waffen auf meine Brust richteten. Warum sollen wir einander töten?«

»Es muß sein,« antwortete Stanislaus kalt. »Ihr habt mich tödlich beleidigt. Außerdem steht jetzt hier meine Reputation auf dem Spiele. Und sollte ich sterben, wir müssen und werden uns schlagen.«

»Sei es, doch es ist gegen meinen Willen, das sage ich Euch nochmals,« erwiderte Jakob.



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