Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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17. Kapitel. Verlobung und Tod

Am selben Abend noch, spät in der Nacht, schlich Frau Winnicka ins Stübchen ihrer Verwandten. Das Mädchen war noch angekleidet, und die alte Dame knüpfte ein Gespräch mit ihr an.

»Wie ich mich gewundert habe!« sagte sie. »Ich hätte alles, selbst den Tod, eher erwartet, als einen solchen Einfall von Herrn Pongowski.«

»Ich hätte es auch nicht erwartet.«

»Und ist es denn Tatsache? Ich weiß nicht, was ich denken soll. Soll ich mich drüber freuen oder nicht? Der Prälat als geistlicher Herr hat ja mehr Verstand als wir weltlichen Leute, und wenn er sagt, du würdest dann bis zu deinem Tode ein Dach überm Kopfe haben, und zwar obendrein dein eigenes, so hat er vollauf recht; aber Herr Pongowski ist doch alt und,« setzte Frau Winnicka in leiserem Tone hinzu, »fürchtest du dich nicht ein wenig vor ihm?«

»Es ist nun einmal geschehen – alles Grübeln nützt nichts mehr,« antwortete Fräulein Siëninska.

»Was willst du damit sagen?«

»Ich meine, ich bin ihm Dank schuldig, denn er gibt mir ein Heim, er gibt mir Brot. Kein anderer will mich haben, und wenn er sich meiner annimmt, so erweist er mir eine Gnade. Meine Hand ist ein kümmerlicher Lohn dafür.«

»Als er mir heute nach dem Abendbrot, und nachdem der Priester so lange mit dir gesprochen, die große Neuigkeit mitteilte, da glaubte ich, ich müßte umsinken. ›Warum steht Ihr da wie eine Salzsäule?‹ rief er, doch in sehr vergnügtem Tone. ›Bin ich denn solch ein Ungeheuer?‹ – ›Nein,‹ sagte ich, ›aber es kommt so unverhofft.‹ – Darauf antwortete er: ›Ich habe diese Absicht schon lange, nur war sie, gleich dem Fisch auf dem Grunde, in meiner Brust verborgen, bis ich jemand fand, der mich dazu ermutigte, sie ans Tageslicht treten zu lassen. Und wißt Ihr, wer dieser jemand gewesen ist?‹ – Ich riet auf den Prälaten Tworkowski. – ›Keineswegs,‹ sagte er. ›Es war Starost Grothus.‹«

Beide schwiegen ein Weilchen.

»Und ich dachte, Taczewski wäre das gewesen,« stieß Fräulein Siëninska zwischen den aufeinandergepreßten Zähnen hervor.

»Warum sollte Taczewski so gehandelt haben?«

»Um zu zeigen, daß er sich nichts aus mir mache.«

»Du weißt doch aber, Taczewski ist gar nicht mit Herrn Pongowski zusammengekommen.«

»Ich weiß,« antwortete sie. »Er dachte an ganz andere Dinge. Doch das alles ist nun einerlei. Ich will nichts mehr wissen – es ist geschehen und damit gut!«

Ein trocknes, krampfhaftes Schluchzen erschütterte ihre Brust. Sie wiederholte noch ein paarmal: »Und nun ist's gut.« Dann kniete sie neben Frau Winnicka nieder, mit der sie stets das Abendgebet gemeinsam zu verrichten pflegte.

Am andern Tage erschien das junge Mädchen mit ernstem, doch zufriedenem Antlitz im Salon. Allein ihr ganzes Wesen hatte sich verändert; ein Etwas blieb jetzt in ihr verschlossen, blieb unausgesprochen. Ihr Geist war plötzlich gereift, sie war über Nacht ein paar Jahre älter geworden, das verriet sich in all ihrem Gebaren.

Pan Gideon, der sich bis zu diesem Tage nur nach sich selbst gerichtet hatte, fühlte, daß er fortan auch mit diesem Kinde, das eine Frau geworden war, werde rechnen müssen. Er fand sich in den Schwierigkeiten dieser neuen Lage noch nicht zurecht. Es kam ihm sonderbar vor, daß er nun gewissermaßen von jemand anders abhängig sein sollte. Fräulein Siëninska war jetzt für ihn ein geheimnisvolles Wesen, und er begann die Gedanken zu fürchten, die sie zwar nicht aussprach, aber doch in der Seele hegen mochte. Selbst das hartnäckige Schweigen der Frau Winnicka schien ihm ein Vorwurf zu sein. Daher gab er sich Mühe, durch übermäßige Lustigkeit, durch übergroße Geschwätzigkeit seine Beklemmung gewaltsam zu verscheuchen, bis plötzlich Blitze der Ungeduld aus seinen Augen sprühten.

Unterdessen hatte sich die Nachricht von seiner Brautwerbung in der ganzen Gegend verbreitet. Er machte auch gar kein Geheimnis daraus. Er teilte seinen Bekannten und Nachbarn das freudige Ereignis, das nun bevorstand, mit, in erster Linie Cypryanowicz, dann den Verwandten seiner verstorbenen Frau: dem Starosten Grothus, den Sulgostowski, den Kochanowski, den Krepecki. Er lud sie zur Verlobung ein, auf die nach kurzer Frist die Hochzeit folgen sollte.

Pongowski hatte gleich heiraten wollen, aber es war Fastenzeit; man mußte also bis Ostern warten. Inzwischen begab er sich nach Radom, wo er vier prachtvolle Kutschpferde kaufte und die Aussteuer für Annette bestellte.

Er erfuhr bald, daß es unter seinen Verwandten, die schon lange auf die Erbschaft rechneten, wie in einem Bienenstock rumorte. Er haßte sie alle, und der Bericht, den man ihm von ihren Befürchtungen und Beratschlagungen erstattete, brachte angenehme Kurzweil in seinen Aufenthalt in Radom. Endlich war das prächtige Viergespann ausgewählt, die Aussteuer vollkommen, und sie fuhren noch am Tage vor Ostern nach Belczonka zurück.

Die Geladenen strömten nun alsbald herbei, denn die Verlobung war auf Dienstag, den dritten Feiertag, anberaumt.

Als erste trafen die Krepecki ein, in ihrer Eigenschaft als Nachbarn und nächste Anverwandte. Der Vater, ein Achtzigjähriger mit einem Geiergesicht, ein schmutziger Geizhals, und mit ihm drei Töchter – Thekla, die jüngste, frisch und lustig, Agnes und Johanna, neidisch und zänkisch – und sein einziger Sohn Martin, der den Beinamen »Hackeklotz« führte. Er hatte einen so stämmigen Rücken, eine so gewaltige Brust und so kurze, krumme Beine, daß er wie ein Zwerg aussah. Man hielt ihn allgemein für bucklig, obwohl er es gar nicht war. Nur lag sein Kopf so tief zwischen seinen Schultern, daß die Ohren die Schlüsselbeine berührten. Und dieser Kopf erinnerte an einen Ziegenbock, mit seinen großen, lüsternen Augen und dem spitzen Kinnbart, den er aller Tradition und allem Landesbrauch zum Trotze hatte wachsen lassen.

Er hatte nie Soldatendienste getan, weil seine Mißgestalt nur Mannschaften und Offiziere zum Lachen gebracht hätte. Sein komisches Aussehen, mit dem sich gleichwohl eine heftige Empfindlichkeit paarte, hatte ihm schon manchen Zweikampf eingebracht. Sein ungeschlachter Körper besaß eine nicht alltägliche Kraft, und er galt mit gutem Recht für einen Raufbold. Er brach bald einmal einen Zank vom Zaune und zeigte sich dann von einer unglaublichen Roheit, von fast tierischer Blutgier.

Einmal hatte er in Radom einen seiner Vettern zu Boden gestreckt, und dieser, ein netter, hübscher Jüngling, war nur wie durch ein Wunder wieder gesund geworden. Seine Schwestern fürchteten sich vor ihm, sein Vater auch. Er selbst hatte nur vor Jakob Taczewski Respekt, dessen Meisterschaft in der Führung des Säbels und des Dolches er kennengelernt hatte. Außerdem schätzte er nur noch die Kraft der vier Brüder Bukojemski, von denen einer, Lukas, ihn eines Tages ohne Umstände wie ein Strohbündel über einen Zaun geworfen hatte.

Er stand im Rufe eines Trunkenbolds und Wüstlings, und das mit vollem Recht. Pan Pongowski hatte ihm sein Haus verbieten müssen, seit er die sinnlichen Blicke bemerkt hatte, die er auf Annette, damals noch ein Kind, warf. Seitdem aber waren Jahre verflossen, und da er ihn manchmal getroffen hatte, bald bei den Adeligen der Nachbarschaft, bald in Radom, so glaubte er ihn jetzt von der an die Familie gerichteten Einladung nicht ausschließen zu dürfen.

Dann kamen die zwei Brüder Sulgostowski, die man immer miteinander verwechselte, so sehr ähnelten sie sich. Zudem machten sie sich den Spaß, stets genau die gleiche Kleidung zu tragen, wodurch die Unterscheidung schier unmöglich wurde. Dann kamen drei Sulgostowski von einer Zweiglinie, die jenseits von Prytyk ansässig war; dann die zahlreiche, aus neun Köpfen bestehende Familie Zabierzowski. Herr Cypryanowicz entsprach der Einladung, doch allein, denn Stanislaus war schon bei seinem Fähnlein. Ferner waren da der Herr Podlodowski, der einstige Bevollmächtigte des gewaltigen Herrn von Zamosz, Herr und Frau Kochanowski, der Pfarrer von Prytyk, der Domherr Tworkowski, der die Verlobungsringe einzusegnen hatte, und eine Unzahl an Edelherren von nah und fern. Unter diesen waren viele gar nicht eingeladen worden, aber sie sagten sich, man dürfe eine so treffliche Gelegenheit zum Schmausen und Zechen nicht ungenutzt vorübergehen lassen.

Die weiten Höfe von Belczonka füllten sich mit Karossen und Kutschen, die Ställe mit Pferden, die Gesindestuben mit Heiducken und Dienstpersonal. Die Zimmer des Herrenhauses erglänzten von farbenreichen Gewändern, von wallenden Schärpen, von glattrasierten Schädeln, hallten wider von dem Geklirr von Säbeln. Bei den Gesprächen schwirrten lateinische Brocken hin und wieder. Die Dienstmädchen eilten mit Schüsseln lauwarmen, parfümierten Wassers herbei; die Diener trugen bauchige Korbflaschen voll Wein in den Armen.

In den Küchenherden loderte Feuer vom Morgen bis zum Abend, und wieder vom Abend bis zum Morgen. Die ganze Nacht hindurch waren die Fenster der herrschaftlichen Räume erleuchtet, so daß es auch auf den Höfen stets hell war.

Pongowski trug ein scharlachrotes Gewand und einen Säbel, dessen mit Edelsteinen reich besetztes Gefäß ihm gegen die Beine schlug. Er war überall, schritt von einer Gruppe zur andern und füllte selbst die Gläser der vornehmsten Gäste. Manchmal wurde ihm wieder schwindlig, und er hielt sich krampfhaft an der Lehne eines Stuhles fest. Nach einer Weile ging er weiter, sah danach, daß es seinen Gästen an nichts fehle, erschöpfte sich in Komplimenten gegen die bejahrten Damen und betrachtete dazwischen immer wieder mit verliebten Blicken Annette, die in diesem seltsamen Gewirr, darin es natürlich auch viele freche und böswillige Menschen gab, wie eine weiße Lilie erschien. Sie sah ein wenig traurig aus; vielleicht aber war sie nur durchdrungen von dem Ernst, von der Würde ihrer neuen Stellung.

Endlich erklangen am Dienstagabend die Böllerschüsse auf dem Hofe und verkündeten allen, die feierliche Stunde der Verlobung sei herangekommen. Die Gäste stellten sich im Halbkreise im großen Ehrensaale auf; Pongowski trat an der Seite seiner Braut ihnen gegenüber. Es herrschte tiefes Schweigen. Aller Augen waren auf Annette gerichtet. Sie stand ruhig, gefaßt da, niedergeschlagenen Blickes, ohne ein Lächeln, doch auch nicht traurig. Der Prälat Tworkowski nahm die Ringe von einem silbernen Tablett, das Thekla ihm hinhielt. Einen Schritt vortretend, hielt er eine lange Rede voller Beredsamkeit und Weisheit. Er sprach von der Bedeutung, die die Kirche seit den ersten Zeiten des Christentums der Verlobung beilege, zitierte den römischen Dichter Tertullian, erwähnte sogar das Konzil von Trient und die Urteile verschiedener Kirchengelehrten und lobte schließlich, sich direkt an das Brautpaar wendend, die große Klugheit ihres Entschlusses des langen und breiten. Die Versammelten hörten mit Andacht zu, allmählich aber wurden sie ungeduldig, denn die Verwandten unter ihnen sagten sich, sie kämen dadurch ja doch nur um ihr Erbteil, und sahen daher die ganze Zeremonie nicht gern. Herr Gideon fühlte nach dem langen Stehen einen Anfall von Schwindel nahen, trat von einem Fuß auf den andern und gab dem Prälaten ein Zeichen, ein Ende zu machen. Endlich segnete dieser denn auch die Ringe ein und steckte sie den Verlobten auf die Hand.

Alsbald donnerten wieder Böllerschüsse, und ein Orchester, das aus fünf von Radom herübergeholten Juden bestand, erfüllte den Saal mit den Klängen von Querpfeifen und Geigen. Die Gäste defilierten und brachten ihre bittersüßen Glückwünsche dar. Die älteren Fräulein Krepecki machten vor ihrer neuen »Tante« einen ironischen Knicks. Martin küßte ihr die Hand und empfahl sich ihrer Huld mit einem so frechen, lüsternen Blick, daß Pongowski ihn am liebsten hinausgeworfen hätte wie ehedem.

Endlich wurden die Flügeltüren des Speisesaals geöffnet. Pongowski reichte seiner Braut den Arm; die Paare folgten. Ein jäher, kalter Luftzug strömte vom Hausflur herein und ließ die Flammen der Kerzen heftig schwanken. Die schon halb betrunkenen Diener kamen von diesem Hausflur mit Schüsseln voll Speisen und Gefäßen voll Wein herbei. Das fortwährende Oeffnen der Flurtür verursachte eine so empfindliche Kälte, daß die Gäste sich mit einem leichten Schauer an die Tafel setzten, und da auch die Lichter immer wieder unstet flackerten, so war es fast düster in der Stube, und die reichgezierte Tafel kam wenig zur Geltung.

Aber der Wein sollte die Herrschaften bald erwärmen, und Pan Pongowski ließ es daran nicht fehlen. Er war im allgemeinen geizig, aber bei Ausnahmefällen tat er sich gern groß, damit man recht lange von ihm reden sollte. Diesmal überbot er sich selbst. Hinter jedem einzelnen Gaste stand ein Diener mit einer stattlichen Korbflasche, und an den Tafelenden waren mehrere Diener postiert, die denjenigen, welche nicht mehr trinken wollten und die Gläser zwischen den Knien zu verstecken suchten, doch immer wieder einschenken sollten. Große Kristallkelche, mächtige Humpen und Pokale standen neben den Tellern der Herren, während die Damen sich zierlicher Gläser von venezianischer oder französischer Arbeit bedienten.

Doch einige Plätze blieben leer, denn Herr Pongowski hatte mehr Gedecke auflegen lassen, als die Zahl der Gäste betrug, weil er noch mit zufälligem Besuch rechnete. Der Prälat sah diese leeren Stühle und lobte die Gastlichkeit des Hausherrn. Da er aber immer tief und laut sprach und sich jetzt auch ein wenig von seinem Sitz erhob, doch nur um die Falten seines Priesterrockes besser zu ordnen, so glaubten die Anwesenden, er wolle den ersten Trinkspruch ausbringen, und alles schwieg und lauschte.

»Nein, es gibt noch nichts zu hören,« sprach der Geistliche jovial. »Dies soll kein Spruch sein, obwohl ein solcher bald folgen wird; denn ich sehe schon, daß einige Herren sich die Köpfe reiben, und Herr Kochanowski spricht gar mit sich selbst. Von ihm haben wir gewiß eine Rede in Reimen zu erwarten. Ich wollte nichts weiter sagen, als daß es eine löbliche altpolnische Sitte ist, Gedecke für unverhofft eintreffende Gäste frei zu lassen.«

»Ein nachts erleuchtetes Haus,« erklärte Pongowski, »winkt manchen Reisenden heran, der ein Obdach sucht.«

»Mir ist, als hörte ich auch schon einen Wagen,« bemerkte Pan Kochanowski.

»Vielleicht Starost Grothus.«

»Nein, der sitzt im Reichstag.«

»Dennoch bellt ein Hund unter dem Fenster.«

»Das Fenster dort geht aus den Garten hinaus. Von dieser Seite kann niemand kommen.«

»Das ist auch kein Gebell, das ist ein Heulen.«

Pan Pongowski zitterte. Er erinnerte sich, wie einstmals in seinem Hause in Kleinrußland die Hunde ganz ebenso geheult hatten – und damals waren die Tataren gekommen. Annette aber dachte bei sich, sie hätte nicht mehr das Recht, noch jemand zu erwarten. Wenn wirklich jemand aus dem Schoße der Nacht plötzlich in den Saal träte, er würde jetzt doch zu spät kommen.

Den Schmausenden wurde es ein wenig unbehaglich zumute. Kaum hatte ein Hund zu heulen begonnen, setzte ein zweiter ein, dann ein dritter. Ein banges Schweigen herrschte; Martin Krepecki unterbrach es endlich mit den Worten: »Ein Gast, bei dessen Kommen die Hunde heulen, kann uns gestohlen bleiben.«

»Schenkt ein und trinkt!« rief Pongowski.

Aber die Humpen waren noch gar nicht geleert; es gab also noch nichts einzuschenken. Der alte Krepecki erhob sich schwerfällig. Er wollte eine Rede halten. Die ältesten unter den Gästen legten die Handflächen an die Ohren, um besser zu hören. Er aber bewegte nur den Mund, wobei die Nase fast das Kinn berührte, denn er hatte keine Zähne mehr. – Obwohl der tiefe, weiche Schlamm draußen jedes Geräusch erstickte, war es doch, als führe ein Wagen zweimal rund um den Hof herum. Krepecki, der schon den Humpen erhoben hatte, setzte ihn wieder hin und heftete die gläsernen Augen auf die Tür, Alle andern sahen ebenfalls dorthin.

»So seht doch nach, wer gekommen ist!« gebot Pongowski.

Der Diener kam aber mit der Antwort zurück: »Es ist niemand angekommen, gnädiger Herr.«

»Sonderbar, wahrhaftig,« murmelte der Prälat. »Und doch klang das Rädergerassel ganz deutlich.«

»Wir alle haben es gehört,« bestätigte einer der Zwillingsbrüder Sulgostowski.

»Und die Hunde heulen jetzt auch nicht mehr.«

Plötzlich ging die jedenfalls schlecht eingeklinkte Tür weit auf, und ein eisiger Lufthauch löschte eine große Zahl der Lichte aus.

»Was ist das? Was ist los? Macht die Türen zu. Es wird finster,« riefen mehrere Stimmen.

Mit dem Windstoße war die Furcht, eine unbestimmte, gegenstandslose Furcht, in den weiten Raum hineingeschlichen. Die abergläubische Frau Winnicka bekreuzte sich angstvoll. »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!«

»Still doch, Weib!« raunte Pongowski ihr zu. Und sich zu Annette neigend, drückte er einen Kuß auf ihre Hand. »Wenn der Wind ein paar Kerzen ausbläst, das soll mich nicht in meiner Freude stören. Gefalle es Gott, das Glück, davon mir das Herz voll ist, bis ans Ende meiner Tage dauern zu lassen!«

»Ja, mein Vormund!« murmelte sie.

»Amen!« setzte der Prälat hinzu, erhob sich und begann in folgender Weise: »Edle Herren und edle Damen! Das geheimnisvolle Geräusch scheint den Herrn Mundschenk Krepecki ganz aus der Fassung gebracht zu haben. Erlaubt daher, daß nun ich als erster den Gefühlen der Achtung und Freundschaft Ausdruck verleihe, die wir alle für das künftige Ehepaar hegen. Ehe wir also nach dem Brauch der Antika ausrufen: O Hymen, o Hymenaios! ehe wir Thalussus, den holden Jüngling, anrufen, wie es die Römer taten, bringen wir einstimmig diesen ersten Spruch auf ihr Wohlergehen und auf ihre spätere Glückseligkeit aus. Vivant, crescant, floreant!«

»Vivant, vivant!« erklang es in donnerndem Chorus.

Von der Tribüne herab schmetterten die Trompeten. Draußen ließen die Kutscher eine dreifache Salve knallender Peitschen erschallen. Im ganzen Hause erklang das Freudengeschrei der Diener. Der Lärm nahm erst ein Ende, als man Pongowski, einen Becher in der Hand, aufstehen sah.

»Liebe, verehrte Gäste,« begann er mit klarer Stimme, »liebe Freunde und Anverwandte! Kann es auch nur in ungeschickten Worten geschehen, so darf ich doch nicht unterlassen, Euch allen für das Wohlwollen zu danken, das Ihr mir so rührend bewiesen habt, indem Ihr in so großer Zahl unter meinem bescheidenen Dache zusammengekommen seid . . .«

Die letzten Worte aber sprach er mit einer sonderbaren, kläglichen Stimme, die kaum verständlich war. Dann sank er auf seinen Stuhl nieder und neigte sich nach vorn, so daß seine Stirn auf den Tisch zu liegen kam. Alle waren erstaunt, diesen energischen, harten Mann jetzt so ergriffen zu sehen, daß er den Faden seiner Rede verlor. Sie sagten sich aber, die Liebe, das übergroße Glück stimme selbst ein eisernes Gemüt weich und zärtlich. Sie warteten darauf, daß der Bräutigam seine Rede beende, und starrten schweigend seinen grauen, auf den Rand des Tisches gelegten Schädel an.

»Wir hören!« rief schließlich eine Stimme.

Todesstille herrschte. – Pongowski rührte sich nicht.

»Um Gottes willen, was ist Euch zugestoßen, Pan? So redet, so faßt Euch doch!«

Die einzige Antwort Pongowskis war ein entsetzliches Röcheln. Ein krampfhaftes Zittern schüttelte seinen Hals und seine Schultern.

Blaß wie das Tischtuch richtete Annette sich auf, und im eisigen Tone tiefsten Schreckens schrie sie auf: »Mein Vormund! mein Vormund!«

Lärm und Verwirrung entstanden. Rufe und Fragen schwirrten hin und wider. Man eilte zu Pongowski und umringte ihn. Der Domherr faßte ihn bei den Schultern und versuchte ihn aufzurichten. Mehrere Gäste besprengten ihn mit kaltem Wasser, andere rieten, ihn auf ein Bett zu legen und an ihm einen Aderlaß vorzunehmen. Die Frauen knieten nieder, rannten wie von Sinnen hin und her und erfüllten das ganze Haus mit lautem Klagen und Weinen . . . und Herr Pongowski, die Adern der Stirn wie Stricke gespannt, die Augen geschlossen, röchelte noch immer.

Ein unerwarteter und unerbittlicher Gast, der sich nicht abweisen ließ, war aus dem Reiche der Schatten angekommen und hatte sich im Hause festgesetzt.



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