Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12. Kapitel. Briefwechsel

Auf der Rückkehr von Radom lud Abt Wonowski die Herren Cypryanowicz ein, bei ihm zu verweilen. Vom Pfarrhof wollten sie dann alle zusammen nach Jedlinka fahren. Unterdessen trafen als unerwartete Gäste drei von den Brüdern Bukojemski ein, dem Priester ihre Aufwartung zu machen. Markus konnte sich mit seinem zerschmetterten Schlüsselbein noch nicht rühren. Aber Matthäus, Lukas und Johannes fühlten sich verpflichtet, dem Abt für die Sorgfalt zu danken, die er ihnen gleich nach dem Zweikampfe gewidmet hatte. Johannes hatte jetzt allerdings einen kleinen Finger zu wenig, und Matthäus kam mit einem großen Spalt in der Stirn an, während Lukas eine zerschlissene Wange hatte. Aber sie waren schon wieder bei Kräften und obenauf.

Am vergangnen Tage waren sie sogar in ihren Forsten auf die Bärenjagd gezogen, und da sie die Vorliebe des Abts für allerlei Getier kannten, brachten sie ihm einen ganz jungen Bären, dessen Mutter sie mit Spießen totgestochen hatten.

Der Greis, dem ihr Freimut und ihre Einfalt gefielen, empfing sie freundlich – desgleichen den Bären. Er lachte sogar bis zu Tränen, als das Tier einen Krug Met zwischen die Pfoten nahm und furchtbar zu brüllen begann, um den Zuschauenden Schrecken einzujagen und sich dadurch den begehrten Genuß zu sichern. Da niemand daran dachte, ihm den Trunk streitig zu machen, so setzte es sich hübsch auf die Hinterpfoten und leerte das Gefäß mit einem Zuge, ganz wie ein adeliger Zecher, was allgemeine Heiterkeit erregte.

»Nun, den Kerl werde ich weder zum Kellermeister noch zum Bienenwärter machen,« erklärte der Abt. »Aber ich nehme ihn mit Dank an, meine Herren. Er wird mir in Stunden der Trübsal oft Spaß machen.«

»Ha!« rief Stanislaus Cypryanowicz. »Er ist zwar nur einen Tag bei den Herren Bukojemski in der Schule gewesen, aber er hat an diesem einen Tage mehr gelernt, als er während seines ganzen Bärenlebens im Walde gelernt hätte.«

»Das ist nicht wahr,« protestierte Lukas. »Dieses Tier weiß aus angebornem Instinkt, was gut schmeckt. Kaum bei uns angekommen, trank es einen tüchtigen Schluck Branntwein. Man hätte glauben mögen, es habe alle Morgen sein Maß zu sich genommen. Dann gab es dem Hunde eine ganz gewaltige Maulschelle, als wollte es zu ihm sagen: Pack dich – ich will dich lehren, ein anständiges Bärlein zu beschnüffeln. Und darauf legte es sich schlafen.«

»Die Bären sind schlaue Tiere,« bemerkte Johannes. »Der Pfarrer von Prytyk zum Beispiel hatte einen, der die Orgel spielen konnte. Gute Christen nehmen allerdings ein Aergernis daran, weil es manchmal vorkommt, daß er die Musik mit einem langgezogenen Brummen begleitet, aber die Choristen necken ihn eben auch oft, indem sie ihn mit einem Spieße stacheln.«

»Dabei ist gar kein Aergernis,« erklärte der Abt. »Die Vögel des Himmels erbauen oft ihr Nest im Kirchengewölbe und singen dort zum Ruhme Gottes. Jedes Tier ist an sich auch ein Diener des Höchsten. Und wurde nicht unser Heiland in einem Stall geboren?«

»Man sagt sogar,« setzte Matthäus hinzu, »unser Heiland hätte eines Tages einen Müller in einen Bären verwandelt, und vielleicht haben daher diese Tiere noch eine menschliche Seele.«

»In diesem Falle,« sagte Pan Cypryanowicz, »hättet ihr euch nun wegen des Mordes an einer Müllerin zu verantworten. Der König hält übrigens viel auf die Bären in seinen Wäldern. Wenn er Waldhüter besoldet und ernährt, so geschieht es nach meiner Meinung nicht zu dem Zwecke, daß sie ihm die Bären töten.«

Die drei Brüder sahen sich mißvergnügt an. Nach langem Bedenken führte schließlich Matthäus die gemeinsame Verteidigung.

»Sind wir denn nicht Adelige? Die Bukojemski sind ebensoviel wert wie die Sobieski!«

Und Lukas, dessen Gesicht sich wieder aufheiterte, weil er einen glücklichen Gedanken hatte, setzte hinzu: »Wir haben unser Ehrenwort gegeben, die Bären Seiner Majestät nicht zu schießen. Ist das wahr oder nicht? Nun, wir haben ihn nicht geschossen, sondern mit Speerstößen erlegt.«

»Der König hat gegenwärtig auch gar keine Zeit, sich um seine Bären zu kümmern,« bemerkte Johannes. »Uebrigens wird er es gar nicht erfahren. Ich möchte es keinem unserer Waldhüter raten, uns anzuzeigen. Und wenn schon! Wir hatten ja auch gar keine Lust, uns mit unserer Jagd vor Herrn Pongowski und dem Starosten Grothus groß zu tun. Der letztere fährt jetzt geradeswegs nach Warschau, und da er oft Zutritt zum König hat, so könnte er ohne jede schlechte Absicht die Sache gelegentlich erzählen.«

»Wann habt Ihr Herrn Pongowski getroffen?« erkundigte sich der Abt.

»Gestern. Er begleitete Pan Grothus. In dem Wirtshaus war's, wißt Ihr, das den schönen Namen ›Zum Hinterhalt‹ führt. Sie machten dort Halt, um die Pferde ruhen zu lassen. Der Herr Pongowski hat uns sogar über Jakob ausgefragt.«

»Ueber mich?« warf der junge Mann dazwischen.

»Ja. Ob es wahr wäre, daß Taczewski zu den Soldaten ginge? Freilich, das ist wahr, antworteten wir. – Wann denn? – Ei, jedenfalls bald. – Doch wohl zur Infanterie? fragte der Alte weiter. – Ihr könnt Euch denken, wie ergrimmt wir alle waren. – Sprecht doch in Zukunft, hat Matthäus ihm geantwortet, in unserer Gegenwart nicht derartige Mutmaßungen aus. Jakob ist unser Freund, und wir würden uns gezwungen sehen, seine Ehre zu verteidigen. – Und da unsere Blicke ihm nicht ganz geheuer erschienen, so suchte er sich herauszureden: Was ich sage, meine ich keinesfalls boshaft, sagte er. Aber Wyremby ist doch eben keine Starostei.«

»Starostei oder nicht – was geht das ihn an?« fiel der Abt ein.

Aber Herr Pongowski war offenbar anderer Meinung und beschäftigte sich noch immer mit Jakob, denn eine Stunde später brachte ein Diener dem Abt einen großen, mit schwarzem Wachssiegel geschlossenen Brief.

»Das hat ein Bote aus Belczonka gebracht,« meldete er.

Abt Wonowski nahm den Brief, öffnete ihn, faltete ihn auseinander, strich das Blatt mit dem Handrücken glatt, trat ans Fenster und begann die Schrift zu entziffern.

Bleich vor Aufregung, ließ Jakob kein Auge von dem Papier. Er starrte es an wie einen Regenbogen, denn eine Ahnung sagte ihm, es müsse darin von ihm die Rede sein. Gedanken, rasch wie Schwalben, schwirrten ihm durch den Kopf. Pongowski hatte es sich vielleicht überlegt, bat nun um Entschuldigung und drückte sein Bedauern aus. Ja, dies war der Sinn dieses Briefes, so mußte es sein – es konnte nicht anders sein! Pongowski hatte kein Recht, über die ganze Sache länger erbost zu sein als diejenigen, die eigentlich allein darunter gelitten hatten. Jetzt aber schlug das Gewissen bei ihm; er erkannte, wie ungerecht er gehandelt – er sah ein, wie schwer er einen Unschuldigen beleidigt hatte, und wünschte das Unrecht wieder gutzumachen.

Solche Gedanken stürmten auf Jakob ein, und sein Herz klopfte heftig. »Ich werde sie doch noch einmal wiedersehen!« sprach der junge Mann zu sich. »Ich weiß, das Glück, von ihr geliebt zu werden, ist mir auf immer versagt. Aber sie noch einmal vor meiner Abreise zu sehen, meine angebetete Annette, meine Augen noch einmal an ihrem Anblick zu weiden, ihre Stimme noch einmal zu hören – o, mein Gott, verweigere mir doch diese Gnade nicht!«

Und seine Gedanken flogen noch schneller als die Schwalben, doch ehe sie vorüberflogen, zerknitterte der Abt plötzlich mit vor Zorn flammendem Gesicht das Papier und drehte sich ganz nach dem Fenster herum. Er schien im Hofe jemand oder etwas zu suchen. Dabei griff er an die linke Seite, als wollte er nach dem Säbel fassen, Blut schoß ihm in die Wangen, sein Hals schwoll an, seine Augen schleuderten Blitze. Er war mit einem Male so schrecklich anzuschauen, daß die Cypryanowicz und Bukojemski ihn verwundert anstarrten, wie wenn er durch einen Zauber ganz plötzlich in einen andern Menschen verwandelt worden wäre.

Dumpfes Schweigen herrschte in dem Zimmer.

Dann wandte der Priester sich um, sein Blick flog erst über die Wände hin, dann richtete er ihn auf die Gäste. Offenbar hatte er sich bezwungen und seine Wut niedergekämpft. Sein Gesicht wurde blässer, die in seinen Augen lodernde Flamme erlosch.

»Meine Herren,« sprach er, »das ist nicht nur ein rachsüchtiger, sondern auch ein schlechter Mensch. Denn daß man seine Worte im ersten Aufbrausen nicht abwägt, das kann bei jedem Menschen vorkommen, aber nachher mit Bedachtsamkeit noch weiteres Unrecht begehen und die Ehre eines andern mit Füßen treten, das ist eine Handlung, die jedes Edelmannes unwürdig ist, ja jedes Christen.«

Mit diesen Worten bückte er sich, hob den zerknüllten Brief auf und wandte sich an Taczewski.

»Jakob,« fuhr er fort, »wenn noch ein Splitter in deinem Herzen ist, hier ist ein Messer, mit dem du ihn herausschneiden kannst. Lies laut! Nicht du brauchst zu erröten, sondern auf ihn fällt die Schande, dessen Hand diese Gemeinheiten geschrieben hat. Hört zu, ihr Herren, damit auch ihr erfahrt, was Pongowski für einer ist.«

Jakob nahm das Blatt mit zitternden Händen, strich es glatt und las: »Teurer, reverendissimeverehrungswürdigster. Pfarrer usw. usw.

Ich habe vernommen, Taczewski von Wyremby, der bei mir verkehrt hat, schicke sich an, zur Armee zu gehen. Da erinnere ich mich der Wohltaten, die ich ihm bisher erwiesen, des Brots, das ich ihm in seiner Armut gereicht habe, und der Dienstleistungen, mit denen den Umständen gemäß ihn zu beschäftigen mir gefallen hat. Daher schicke ich ihm jetzt einen Klepper nebst einem Dukaten, wofür er ihn beschlagen lassen kann. Ich empfehle ihm aber, das Geld nicht für allerlei Schnickschnack auszugeben.

Ich ergreife diese Gelegenheit, lieber reverendissime Pfarrer, mich Euern allzeit ergebnen Diener zu nennen.«

Jakobs Antlitz überzog sich mit tödlicher Blässe. Der Priester befürchtete einen jener entsetzlichen Wutausbrüche, zu denen der von Natur so sanfte junge Mann sich bisweilen hinreißen ließ, und redete ihm beschwichtigend zu: »Pongowski ist ein alter Mann und obendrein einarmig. Du kannst ihn nicht fordern.«

Taczewski aber geriet nicht in Wut, sondern verfiel in eine schmerzliche Betäubung. Er vermochte es nicht zu fassen, daß dieser Mann, den er bisher fast wie einen Vater verehrt hatte, ihn mit einem Male so tödlich beleidigen konnte. Mechanisch wiederholte er: »Nein, fordern kann ich ihn nicht.« Dann setzte er tieftraurig noch hinzu: »Aber weshalb tritt er mich dann so mit Füßen?«

Der alte Cypryanowicz war aufgestanden. Er trat zu Jakob, ergriff seine beiden Hände und umarmte ihn zärtlich: »Nicht Euch tut in diesem Falle Pongowski Schmach an, sondern nur sich selbst. Wenn Ihr auf eine Rache verzichtet, so wird jeder Eure Großmut und Klugheit bewundern.«

»Das sind verständige Worte!« stimmte der Priester bei. »Zeige, daß du ihren Wert vollauf zu schätzen weißt!«

Nun umarmte auch Stanislaus seinen Freund. – »Alle Wetter, ich habe dich jetzt nur noch lieber.«

Die Bukojemski knirschten vor Zorn mit den Zähnen. Die Sache nahm für ihren Geschmack eine zu friedliche Wendung.

»Ihr mögt sagen, was ihr wollt,« bemerkte Lukas, »aber an Jakobs Stelle würde ich anders handeln.«

»Wie würdest du denn handeln?« fragten begierig seine Brüder.

»Ich weiß nicht recht – aber ich werde nachdenken. Jedenfalls ließe ich das nicht so hingehen.«

»Wenn du nichts weißt, so schweige.«

»Was? Und ihr? wißt ihr denn vielleicht etwas?«

»Ruhe, ihr Herren!« rief der Abt. »Selbstverständlich wird man diesen Brief nicht ohne Antwort lassen. Aber es ist die Pflicht eines echten Katholiken, keine Rache zu nehmen.«

»Bah! Ihr habt im ersten Augenblick auch nach der Hüfte gefaßt, als wolltet Ihr das Schwert ziehen.«

»Weil ich dort nur zu lange einen Säbel getragen habe. Mea culpa!Ich bekenne mich schuldig. Aber ich habe schon gesagt, Pongowski ist alt und einarmig, das muß in Betracht gezogen werden. Hier darf man nicht mit dem Schwert dazwischenfahren. Und ich sage euch, dieser jähzornige Mensch erscheint mir deshalb besonders verächtlich, weil er selbst weiß, man werde ihn nicht zur Strafe ziehen, und sich dies in so niederträchtiger Weise zunutze macht.«

»Der Boden soll ihm schon noch zu heiß werden in unserer Gegend, dafür werden wir sorgen,« sprach Johannes Bukojemski. »Alle Leute sollen ihn meiden und kein Fuß mehr die Schwelle seines Hauses betreten.«

»Inzwischen muß man ihm antworten und zwar gleich,« wiederholte der Abt.

Doch wer sollte antworten? Das überlegten sie nun. Jakob, den der Brief betraf, oder der Pfarrer, an den er gerichtet war? Endlich entschied man, der Abt solle es übernehmen. Taczewski brachte für sich selbst die Sache mit den Worten zu Ende: »Für mich existiert Belczonka nicht mehr mit allen, die dort wohnen!«

»So ist es auch. Die Brücken hinter dir sind verbrannt.«

Mit diesen Worten holte der Priester Feder, Tinte und Papier.

»Es ist ganz gut und schön, die Brücken hinter sich zu verbrennen,« meinte Johannes Bukojemski, »noch besser aber wäre es, ganz Belczonka ginge in Rauch auf. Bei uns in der Ukraine ist es so: wenn ein Fremder, der sich auf gut Glück dort niedergelassen hat, mit seinen Nachbarsleuten nicht in gutem Einvernehmen zu leben weiß, dann wurde er mit dem Säbel in Stücke gehackt und sein Haus an allen vier Ecken in Brand gesteckt.«

Pan Cypryanowicz machte mit der Hand eine ungeduldige Bewegung.

»Ihr, meine Herren, seid aus dem äußersten Zipfel der Ukraine hierher gekommen, ich aus der Gegend von Lemberg, Pongowski aus dem Landstrich von Pomarzany. Nach eurer Theorie müßte Herr Jakob Taczewski uns alle als Eindringlinge ansehen. Wisset jedoch, die Republik ist eine einzige große Wohnung für eine einzige Familie von Edelleuten. Darin ist jeder einzelne Edelmann heimisch.«

Schweigen trat ein. Nur im Nebenstübchen hörte man das Kritzeln einer Feder und Bruchstücke von Sätzen, die der Abt sich diktierte. Jakob hatte die Stirn in beide Hände gesenkt. Er saß eine Zeitlang unbeweglich da. Plötzlich richtete er sich auf und heftete den Blick auf die Umstehenden.

»In dem allen,« rief er aus, »liegt etwas, das ich durchaus nicht begreifen kann.«

»Wir begreifen es ebensowenig,« bemerkte Lukas Bukojemski. »Aber wenn du uns noch Met geben willst, so trinken wir gern mit dir. Es gibt kein besseres Mittel, den Geist zu erschließen.«

Jakob füllte mechanisch die Becher und verfolgte seinen Gedankengang. »Pongowski weiß doch, daß ich euch nicht gefordert habe,« fuhr er fort, »daß wir uns ausgesöhnt haben, ja Freunde geworden sind, und daß ich den Fuß nicht mehr in sein Haus setzen werde. Trotz allem läßt er mich noch nicht in Ruhe.«

»Allerdings, diese Verbissenheit erscheint mir absonderlich,« erklärte Pan Cypryanowicz.

»Nicht wahr, Pan, Ihr meint auch, dahinter muß etwas stecken.«

»Wohinter?« fragte der Pfarrer, der mit dem Antwortschreiben in der Hand wieder hereintrat.

»Hinter dem hartnäckigen Haß, mit dem Pongowski mich verfolgt.«

Der Geistliche blickte auf das kleine Regal, auf dem neben andern Büchern die Heilige Schrift stand und antwortete: »Muß das erst betont werden? In dem allen hat ein Weib die Hand im Spiele – mulier, meine Herren. Und ist euch schon bekannt, was der Prediger Salomo über dieses Thema sagt?«

Und der Abt streckte schon den Arm aus, um das Alte Testament vom Brett zu nehmen. Aber Jakob schnellte in die Höhe, als hätte er sich an einem glühenden Eisen verbrannt. Er preßte die Stirn in beide Hände.

»Um so unbegreiflicher ist mir das alles!« schrie er. »Denn wenn es jemand gab auf dieser Welt – wenn jemals auf dieser Welt – wenn ich für irgendwen meine Seele – meine ganze Seele hätte hingeben können, so war es –«

Er verstummte, denn er konnte nicht weitersprechen. Die Luft ging ihm aus. Ein tiefer Schmerz schnürte ihm wie mit einer Schraube die Kehle zusammen. In seine Augen traten zwei große, bittere, brennende Tränen, die über seine Wangen flossen.

Der Abt begriff, was in ihm vorging. »Mein Jacek,« sprach er, »es ist besser, die Wunde auszubrennen, und wenn das auch noch so schmerzhaft ist, als sie eitern zu lassen. Deshalb schone ich deiner jetzt nicht. Auch ich war ein weltlicher Krieger, habe manches kennengelernt und verstehe viele Dinge. Ich weiß, es kommt oft vor, daß man in weite Ferne flieht, und doch kommen Gram und Erinnerung hinter einem her wie die Hunde und heulen des Nachts, daß man nicht schlafen kann. Was ist also zu tun? Das beste ist, man schlägt sie auf der Stelle tot. Du fühlst in diesem Augenblick, daß du bereit wärest, für jemand, der dort wohnt, dein ganzes Blut zu verspritzen, und deshalb kommt es dir seltsam, ja schrecklich vor, daß man dich gerade von dorther mit Bosheit und Rachsucht verfolgt. Es erscheint dir unmöglich, und doch geschieht es. Und es ist auch nur zu begreiflich. Du hast den Hochmut, die Selbstsucht eines Weibes verletzt, man hat darauf gerechnet, du würdest winselnd zu Kreuze kriechen, und das hast du nicht getan, man hat dich geschlagen, und du hast dich nicht geduckt, sondern vielmehr an der Kette gezerrt und wider den Stachel gelockt. Wisse denn, das wird dir nie verziehen werden. Ein Haß, wütender als der eines Mannes, wird dich allzeit verfolgen. Dagegen gibt es nur ein Mittel: die Liebe im Herzen zu zerbrechen und wie einen zersprungenen Bogen weit von sich zu schleudern.«

Ein kurzes Schweigen trat ein. Der alte Cypryanowicz nickte zustimmend. Als erfahrener Mann bewunderte er die weisen Worte des Priesters.

Jakob wiederholte: »Ja, ich habe an der Kette gezerrt und sie zerrissen . . . ja, ich weiß, nicht Pongowski ist es, der mich verfolgt.«

»Ich weiß jetzt, was ich an Jakobs Stelle täte,« rief plötzlich Lukas Bukojemski.

»So sprich! verhehle es uns nicht!« geboten ihm seine Brüder.

»Wißt ihr, was der Hase sagt?«

»Was für ein Hase? Du bist wohl betrunken? Du bist wohl verrückt?«

»Nein. Der Hase, der unterm Kohl sitzt?«

Offenbar angeheitert, stand er auf, stemmte die Fäuste auf die Hüften und sang:

»Der Hase versteckt sich unterm Kohl,
    Unterm Kohl,
Die Jäger laufen wie närrisch wohl,
    Wie närrisch wohl.
Der Hase jammert, und während er rennt,
Macht er rasch sein Testament
    Unter dem Kohl.«

Darauf wandte er sich an seine Brüder: »Und wißt ihr, welchen Wortlaut sein Testament hatte?«

»Ja, aber sing es nur selbst!«

»So hört:

Jäger und Treiber, ich laß schön grüßen,
Ihr könnt mich alle sonstwo küssen
    Unter dem Kohl!«

»Das würde ich an Jakobs Stelle an alle Bewohner von Belczonka schreiben. Und wenn er meinen Rat nicht befolgen will, so werde ich in unserm Namen besagtem Pongowski diesen Abschiedsgruß schicken, oder der Türke mag mich erdrosseln!«

»Bei den Wundmalen Christi, dieser Gedanke gefällt mir,« rief Johannes.

»Er trifft ins Schwarze – kurz und bündig.«

»Schreib nur so, Jakob!«

»Nein,« sagte der Pfarrer, den die albernen Reden der Brüder verdrossen. »Nein, nicht Jakob antwortet Herrn Pongowski, sondern ich. Mir aber geziemt es durchaus nicht, von euerm Parnassus Reime zu entlehnen.«

Darauf wandte er sich an die beiden Cypryanowicz und Jakob.

»Die Sache war heikel abzufassen. Es galt, sowohl der Bosheit die Hörner abzubrechen als auch in aller Höflichkeit zu zeigen, daß wir erkannt haben, von welcher Schlange das Gift dieser Bosheit kommt. Hört also, ihr Herren, und solltet ihr etwas zur Sache zu bemerken haben, so tut euch keinen Zwang an.«

Er las: »Mein Herr Bruder, großmütiger, gnädiger Herr . . .« – Er schlug mit dem Handrücken leicht gegen den Briefbogen und setzte hinzu: »Beachtet wohl, ich schreibe gnädiger, und nicht sehr gnädiger!«

»Gut genug für ihn,« bemerkte Pan Seraphin.

»Ich fahre nun fort: Es ist eine bei allen Bürgern unserer Republik wohlbekannte Tatsache, daß nur diejenigen in allen Fällen ein richtiges und gerechtes Verhalten zu beobachten wissen, welchen es vergönnt war, entweder von Jugend auf mit den weisesten, unterrichtetsten Männern des Königtums zu verkehren, oder aber durch den Adel und die Vollkommenheit ihres Blutes diese Lebensklugheit und Umsicht gewissermaßen als Erbe von ihren Vätern her zu besitzen. Da keiner dieser Vorteile Euer Gnaden zuteil geworden ist, so sieht Pan Taczewski, in welchem im Gegensatz zu Euch nicht nur die Heldentaten, sondern auch die edeln Eigenschaften seiner ruhmreichen Ahnen fortleben, sich bewogen, Euch Eure ungeschlachten Worte zu verzeihen und Euch gleichzeitig Euer sehr unhöfliches Geschenk zurückzuschicken. Und da ferner diejenigen Leute, welche Gastwirtschaften und Herbergen unterhalten, den Gästen über die an ihrem Tische eingenommenen Mahlzeiten und die unter ihrem Dache verbrachten Nächte Rechnung auszusetzen pflegen, so erklärt besagter Pan Taczewski sich auch gern bereit, Euch Eure Unkosten zu erstatten. In seiner angebornen Huld und Freigebigkeit wird er sogar über den eigentlichen Betrag der Rechnung hinaus bezahlen.«

»Nein, bei allen Heiligen des Paradieses!« unterbrach ihn Pan Cypryanowicz. »Das kann Herrn Pongowski einen Schlaganfall zuführen!«

»Sein Hochmut mußte gedemütigt werden und gleichzeitig sollten alle Brücken verbrannt werden. Potzblitz ja! Jakob selbst hat es gewollt.«

»Ja, ich habe es gewollt!« rief Taczewski wie im Fieber.

»Und nun hört noch den Schluß! Zu dieser Nachsicht und Herablassung habe ich selbst Pan Taczewski bestimmt, weil ich sehr wohl erkenne, daß wohl der Bogen, dessen Euer Gnaden sich bedient, Euch selbst zugehört, daß aber die vergifteten Pfeile, die gegen ein junges, edles Herz gerichtet werden, nicht aus Euerm Köcher stammen. Freilich, wenn wir alt werden, wird unser Urteil im selben Maße schwach wie unsere Körperkraft, und die Einfalt des Greisentums, das sich nur zu leicht Einwirkungen von anderer Seite unterwirft, verdient allein deshalb schon Nachsicht und Geduld. Zum Schlusse möchte ich, mein Herr, in meiner Eigenschaft als Priester Euch daran erinnern, daß wir, je näher uns die Zeit scheint, da unsere Pilgerfahrt zu Ende geht, desto mehr uns von Haß und Hochmut fernhalten und an unser Seelenheil denken sollen. Möchte es doch dem gnädigen Gott gefallen, uns allen beiden, Euch wie mich selbst, seine Gnade zuteil werden zu lassen. Ich ergreife diese Gelegenheit, Euch zu versichern usw. usw.«

»Darin ist alles enthalten – accuratissime,« erklärte Pan Seraphin. »Es ist kein Wort hinzuzufügen und keins auszustreichen.«

»Und glaubt Ihr, er empfange, was er verdient hat?« fragte der Geistliche.

»O, bei manchen Redewendungen ist mir heiß geworden.«

»Sicherlich,« stimmte Lukas Bukojemski bei. »Wenn man solche Wahrheiten hört, wird einem so heiß, daß man vor Durst einen trocknen Hals bekommt.«

»Jakob,« sagte der Priester lächelnd, »schenke unsern Freunden ein, während ich das Schreiben zusiegle und einen Boten rufe.«

Mit diesen Worten zog er den Siegelring vom Finger und ging noch einmal in die Nebenstube. Als der Brief verschlossen war, kehrte er zu seinen Gästen zurück, doch zeigte sein Antlitz jetzt einen Ausdruck der Besorgnis.

»Das ist fertig,« sagte er. »Aber bin ich nicht zu hart gewesen? Es kommt vor, daß die mit der Feder geschlagenen Wunden schmerzlicher und tiefer sind als Säbelhiebe.«

»Wahr, wahr!« stieß Taczewski zwischen den Zähnen hervor.

Aber dieser Schmerzensschrei gab den Ausschlag.

»Ehrwürdiger Vater,« sprach Cypryanowicz, »Eure Bedenken sind löblich, aber hat der Herr von Belczonka welche gehabt? Sein Brief verletzt die zartesten Gefühle; der Eurige trifft nur den Hochmut und die Bosheit. Ich bin daher der Meinung, er soll ihn nun auch erhalten.«

Und der Brief wurde abgeschickt, worauf die Zurüstungen zu Taczewskis Aufbruch noch mehr beschleunigt wurden.



 << zurück weiter >>