Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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10. Kapitel. Annettens Reue

»Er wird nicht mehr wiederkommen, alles ist verloren,« sagte im ersten Moment Fräulein Siëninska zu sich.

Und sonderbar. Fünf Ritter waren zur Zeit im Schloß, von denen einer sogar jung und hübsch war; außerdem war Herr Grothus da, und man erwartete noch den alten Herrn Cypryanowicz. Mit einem Worte, Belczonka hatte selten so viele Gäste gesehen. Und dennoch fühlte das junge Mädchen sich so verlassen wie nie zuvor. Das Haus erschien ihr verödet, der Garten leer, und sie hatte das Gefühl, als bebte sie in der unbewohnten Steppe. Und so würde es nun immer bleiben.

Ihr Herz schnürte sich zusammen, als wenn der Tod ihr den nächsten Verwandten geraubt hätte. Sie war überzeugt, Jakob würde nicht wiederkommen, namentlich nicht nach der Beleidigung, die Herr Pongowski ihm angetan hatte. Aber sich vorzustellen, wie das Leben ohne ihn sich gestalten würde, was morgen, übermorgen werden solle, zu welchem Zwecke sie am Morgen aufstehen, für wen sie sich putzen, für wen schön machen würde, das vermochte sie nicht. Sie sollte ihn nicht mehr sehen, nicht mehr lachen, nicht mehr sprechen hören, nicht mehr von ihm angeschaut werden? Es schien ihr undenkbar.

Sie hatte das Gefühl, als wenn ihr Herz eine Kerze sei, die jemand plötzlich ausgeblasen hatte.

Ueberall Finsternis und Einsamkeit.

Als sie das Empfangszimmer betrat, sah sie Jakobs Mütze auf dem Boden liegen, und alle ihre Gefühle machten sich nun in verzweifelten Klagen Luft. Eine ungeheure Sehnsucht nach ihm ergriff sie. Tiefe Rührung sank in ihr Herz, weinend sprach sie seinen Namen aus.

Zugleich erwachte eine unklare Hoffnung in ihrer Brust. Sie hob die Mütze auf, drückte sie ans Herz, verbarg sie in ihrem Aermel und dachte: »Er wird ja nun wiederkommen müssen, um seine Mütze zu holen; ich werde ihn sehen und ihm sagen, er sei grausam und ungerecht gewesen. Er wird hier sein, ehe noch der Vormund und Herr Grothus aus Jedlinka zurückkehren.«

In Wahrheit wollte sie ihm vielmehr süße, herzliche Worte sagen, die das zwischen beiden zerrissene Band wieder zusammenknüpfen sollten.

Wenn er dann auch nicht mehr täglich nach Belczonka käme, so würden sie sich doch vielleicht bei Nachbarsleuten sehen. Kurz, es würde sich schon ein Ausweg finden, alles wieder gutzumachen. Auf welche Weise das geschehen und zu welchem Zwecke alles wieder gutgemacht werden sollte, darüber machte sich Fräulein Siëninska keine Gedanken; für sie gab es einstweilen nur den einen Wunsch, so bald wie möglich Jakob wiederzusehen.

Inzwischen kam aus der Krankenstube Frau Winnicka, und als sie das aufgeregte Gesicht und die von Tränen geröteten Augen des Mädchens erblickte, sagte sie, um sie zu beruhigen: »Sei nur getrost. Es wird alles gut gehen. Nur der eine von den Bukojemski ist ein wenig schwerer verwundet, aber auch bei ihm wird sich's geben. Pater Wonowski hat ihnen gute Verbände angelegt, so daß nichts nötig ist, als sie hin und wieder zu wechseln. Sie sind auch heiter gestimmt und vertreiben sich mit Scherzen die Zeit.«

»Gott sei gepriesen!«

»Und Taczewski hat sich verabschiedet? Was hat er denn hier gewollt?«

»Er hat doch die Verwundeten herbegleitet.«

»Hm ja – aber wer hätte ihm das wohl zugetraut?«

»Jenun, sie hätten ihn nicht fordern sollen.«

»Daß sie es gewesen, die ihn gefordert haben, das bestreiten sie auch gar nicht. Ich meine aber, wie war's nur möglich, daß er sie alle fünf, einen nach dem andern, verwundet hat? Wenn man ihn so sieht, möchte man glauben, er würde selbst vor einer Gluckhenne Reißaus nehmen.«

»Dann kennt ihn Frau Tante schlecht,« entgegnete Fräulein Siëninska mit Stolz.

Aber auch im Tone der Frau Winnicka lag nicht nur Tadel, sondern fast ebensoviel Bewunderung, denn in einer Gegend geboren und aufgewachsen, wo die Ueberfälle von Tataren immer wiederkehrten, war sie von Kind auf daran gewöhnt, Mut und Geschicklichkeit im Gebrauch der Waffen als die erste Tugend eines Mannes anzusehen. Als daher die erste Sorge um das Leben der Gäste beschwichtigt war, begann sie diesen Zweikampf mit andern Augen anzusehen.

»Doch auch jene,« fuhr sie fort, »sind würdige Kavaliere, das muß man sagen. Nicht nur tragen sie ihm keinen Groll nach, nein, sie loben ihn gar noch, vor allem dieser Cypryanowicz. Der erklärt, Taczewski sei ein geborener Soldat. Ja sie sind ganz böse auf Herrn Pongowski, der in Wyremby, sagen sie, viel zu weit gegangen sei.«

»Nun, Frau Tante hat Herrn Jakob auch nicht eben freundlich empfangen.«

»Das verdiente er auch nicht anders. Und du – du hast ihn wohl zärtlich aufgenommen, nicht wahr?«

»Ich?«

»Ja, du! Ich habe wohl gesehen, daß du mit ihm geschmollt hast.«

»Tantchen!«

Das junge Mädchen verstummte jäh, denn es fühlte sich dem Weinen nahe. Aber nach diesem Gespräch hatte sie nur eine höhere Meinung von Jakob. Er hatte sich ganz allein diesen geübten Männern entgegengestellt und sie alle fünf abgewiesen, verwundet. Er pflegte zwar zu sagen, wenn er auf Wildschweine pirschte, nehme er nur einen Speer mit – aber da war schließlich weiter nichts dabei, zogen doch die Bauern gar mit bloßen Knütteln gegen die Keiler los. Das kannte man auf der Steppe nicht anders. Jedoch fünf Ritter besiegen, das konnte nur einer, der wirklich tapferer, tüchtiger war als diese fünf.

Es erschien dem Fräulein ganz absonderlich, daß ein Mann mit so sanften, traurigen Augen ein so furchtbarer Streiter sein könne. Also nur gegen sie war er so gefügig, so lammfromm, nur von ihr ließ er sich alles gefallen. Warum? Weil er sie mehr liebte als sein Leben, mehr als das Glück, mehr als sein eignes Seelenheil. Vor einer Stunde hatte er ihr dies ja auch bekannt.

Und wieder ward sie von tiefer Sehnsucht nach ihm ergriffen. Sie fühlte aber, es hatte sich zwischen ihnen etwas verändert, es war nicht mehr wie früher. Wenn sie ihn jetzt wiedersähe, und wenn er von neuem öfter zu ihr käme, so würde sie nun nicht mehr mit ihm spielen können, wie sie bisher getan. Sie würde es sich nicht mehr herausnehmen, ihn bald zu betrüben, bald zu erheitern, bald anzuziehen, bald abzustoßen, ihn bald mutlos zu machen, bald wieder ihm Hoffnung einzuflößen. Sie fühlte, sie hatte jetzt Respekt vor ihm und würde sich nun behutsamer, demütiger gegen ihn benehmen.

Hin und wieder ließ sich noch eine Stimme in ihr vernehmen, die ihr zuraunte, Jakob wäre zu heftig aufgebraust und hätte ihr weit mehr bittere, verletzende Worte gesagt, als sie ihm. Aber diese Stimme wurde immer schwächer, der Wunsch nach Versöhnung immer stärker.

Wenn er nur zurückkäme, ehe die Herren aus Jedlinka wieder da wären.

Inzwischen aber verstrich eine Stunde – verstrichen zwei, drei Stunden, und er kam nicht. Nun dachte sie bei sich, es sei wohl schon zu spät, er würde nicht mehr selbst kommen, sondern die Mütze durch jemand holen lassen.

Sie beschloß, mit der Mütze einen Brief hinzuschicken, und in diesem Briefe wollte sie alles niederlegen was ihr Herz bedrückte. Da ein Bote von Wyremby jeden Augenblick ankommen konnte, schloß sie sich, um rechtzeitig fertig zu sein, in ihre Mädchenkammer ein und begann sogleich zu schreiben.

»Möge Gott Euch vergeben, daß Ihr mich in so tiefer Trauer, in so bitterm Schmerz zurückgelassen habt. Hättet Ihr in meinem Herzen lesen können, Ihr würdet nicht so gehandelt haben. Deshalb schicke ich Euch nicht bloß die Mütze zurück, sondern füge auch noch ein freundliches Wort bei, nämlich dies: seid glücklich und vergeßt!«

Da kam ihr in den Sinn, sie schreibe ja gar nicht, was sie dächte und eigentlich schreiben wollte. Denn es war gar nicht ihr Wunsch, daß er vergessen möge. So zerriß sie das Blatt und begann mit noch mehr Rührung und Herzeleid ein zweites zu beschreiben.

»Ich schicke Euch Eure Mütze, denn ich weiß, ich werde Euch in Belczonka nie wiedersehen. Ihr werdet auch um niemand von hier, am wenigsten um mich arme Waise weinen, und auch ich werde wegen Eurer Ungerechtigkeit, ginge sie mir auch noch so nahe, keine Tränen vergießen.«

Aber diese Worte wurden sofort von der Tat Lügen gestraft, denn große Tränen befleckten alsbald das Papier. Wie konnte sie ein Blatt mit solchen Beweisen ihrer Trauer abschicken, da er sie doch ganz aus seinem Herzen gerissen hatte?

Darauf fiel es ihr ein, es wäre vielleicht besser, über seine Ungerechtigkeit und sein aufbrausendes Wesen gar nichts zu schreiben, denn er war imstande, noch mehr in Zorn zu geraten. Deshalb suchte sie ein drittes Blatt, doch nun ward sie gewahr, daß sie keines mehr hatte. Sie wußte sich keinen Rat, denn borgte sie sich eins von Frau Winnicka, so würde das nicht ohne Fragen abgehen, deren Beantwortung ihr Verlegenheit schaffen würde. Ueberdies fühlte sie, daß sie ganz verwirrt wurde und doch niemals das an Jakob schreiben könne, worauf es ihr eigentlich ankäme. Darüber grämte sie sich von neuem, und nach Weiberart Linderung in ihrem Kummer suchend, fing sie abermals zu weinen an.

Mittlerweile begann es zu dunkeln, die Nacht brach herein. Vor der Freitreppe hörte man das Schellengeläut des Schlittens, der den Gutsherrn von Belczonka zurückbrachte. Da es rasch finster wurde, zündete die Dienerschaft in allen Zimmern Licht an.

Fräulein Siëninska trocknete sich rasch die Augen und ging ihrem Vormund entgegen. Sie fürchtete, die Herren würden gleich sehen, daß sie geweint habe, und sie mit Fragen bestürmen oder Gott weiß was denken. Aber sie fand im Gastzimmer nur Herrn Pongowski und Herrn Grothus, Herr Cypryanowicz war nicht dabei. Um die Aufmerksamkeit ihres Vormunds von sich abzulenken, erkundigte sie sich sogleich nach dem Herrn von Jedlinka.

»Er ist zu seinem Sohn und den Bukojemski gegangen,« antwortete Pongowski, »ich habe ihm aber schon unterwegs gesagt, daß es nichts Schlimmes sei.«

Bei diesen Worten nahmen seine strengen Züge einen seltsam weichen, sanften Ausdruck an. Er trat dicht an Fräulein Siëninska heran und legte die Hand auf ihr Blondhaar.

»Gräme dich doch nicht unnütz,« sagte er. »Noch ein paar Tage, und unsere Verwundeten werden wieder auf den Beinen sein. Wir werden ihnen immer zu Dank verpflichtet sein, das ist ja wahr, und schon jetzt habe ich mich ihrer energisch angenommen, das hast du ja gesehen; aber im Grunde sind es doch eben fremde Leute, nicht wahr – mit denen es auch gar nicht soweit her ist. Sie stehen sogar ziemlich armselig da.«

»Armselig?«

»Gewiß. Die Bukojemski sind Habenichtse – und Cypryanowicz ist ein homo novus. Wenn wir sie erst wieder los sind, werden wir alle drei in Frieden leben wie bisher.«

Fräulein Siëninska dachte bei sich, wenn sie nur zu dritt in Belczonka lebten, so würde es nur zu ruhig sein – aber sie behielt diesen Gedanken für sich.

»Ich werde dafür sorgen, daß das Abendessen hergerichtet wird,« sprach sie mit einem Knicks.

»Geh, meine schöne Hausherrin,« antwortete er, »du bist meine Augenweide und weißt dich auch nützlich zu machen.«

Dann rief er ihr nach: »Und laß silbernes Geschirr auflegen, damit dieser Cypryanowicz sieht, daß nicht bloß reich gewordene Kaufleute Gold und Silber aufweisen können.«

Aber das junge Mädchen hatte andere Sorgen im Kopf. Sobald sie in der Gesindestube war, rief sie einen kleinen Heiducken herbei, den sie besonders mit ihrem Vertrauen beehrte.

»Wojtek, höre,« sagte sie zu ihm, »du läufst nach Wyremby hinüber und sagst Herrn Taczewski, das Fräulein lasse schön grüßen und schicke ihm hier seine Mütze. Und nun wiederhole, damit ich sehe, daß du verstanden hast.«

»Ich bringe die Mütze hier Herrn Jakob und sage ihm, das Fräulein lasse grüßen.«

»Nein, nicht nur, lasse grüßen, sondern: lasse schön grüßen. Hast du nun verstanden?«

»Jawohl. Lasse schön grüßen.«

»Dann marsch! Und nimm deinen Pelz! Denn es friert zum Steinzerbrechen. Also, ich lasse schön grüßen – nicht wahr? Und komm im Galopp wieder – es sei denn, der junge Herr läßt dich warten, bis er seine Antwort geschrieben hat.«

Als dies besorgt war, gab Fräulein Siëninska die letzten Anordnungen zum Abendessen, dann machte sie ein wenig Toilette und brachte ihr Haar in Ordnung, worauf sie ins Speisezimmer hinunterging.

Cypryanowicz, der Aeltere, den ihr Liebreiz und ihre Schönheit schon in Jedlinka bezaubert hatten, begrüßte sie mit großer Aufmerksamkeit. Beruhigt über den Zustand seines Sohnes, war er ein heiterer Tischgast, und seine gute Stimmung trug viel dazu bei, die Wolke der Traurigkeit zu verscheuchen, die die Stirn des jungen Mädchens verdüsterte.

Doch sollte die Mahlzeit nicht ohne Zwischenfall vorübergehen. Beim zweiten Gange erschien Wojtek auf der Schwelle, blies auf seine halb erfrorenen Finger und sagte: »Fräulein, die Mütze habe ich abgegeben, aber der junge Herr war schon weg. Mit dem Herrn Pfarrer ist er fortgefahren.«

Pongowski runzelte die Brauen. Seine stahlgrauen Augen auf den Burschen heftend, fragte er: »Was für eine Mütze? Wer hat dich nach Wyremby geschickt?«

»Das gnädige Fräulein,« stammelte der kleine Heiducke entsetzt.

»Ja – ich,« bestätigte Fräulein Siëninska.

Aller Augen waren auf sie geheftet, und sie schwieg verwirrt. Doch gleich darauf zog sie sich mit der fast allen Frauen bei solchen Gelegenheiten eigenen Schlagfertigkeit aus der Verlegenheit.

»Herr Jakob,« erklärte sie, »glaubte die Verwundeten hierher begleiten zu müssen. Und da die Tante und ich ihn nicht sehr freundlich empfangen haben, hat er sich geärgert. In seinem Zorn ließ er seine Mütze hier. Die habe ich ihm nun zurückgeschickt. Das ist die ganze Sache.«

»Es ist wahr,« bestätigte Frau Winnicka, »wir haben ihn nicht aufs beste willkommen geheißen.«

Pongowski stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Er sah wieder vergnügt drein.

»Ihr tatet gut daran,« sagte er. »Die Mütze hätte ich ihm selber auch zurückgeschickt. Denn es sollte mich wundern, wenn er noch eine zweite hätte.«

Der biedere Cypryanowicz ergriff Partei für den jungen Mann.

»Mein Sohn trägt ihm nicht das geringste nach,« sagte er. »Diese Herren haben ihn gezwungen, sich zu schlagen, und er hat ihnen heimgeleuchtet und sie dann auch noch verbunden und beherbergt. Die Herren Bukojemski sagen dasselbe und setzen hinzu, er sei ein Meister der Fechtkunst und hätte ihnen noch weit schlimmer mitspielen können. Sie glaubten, ihm eine Lektion erteilen zu können, und meiner Treu, sie haben selber eine erhalten. Wenn es wahr ist, daß der König wider die Türken zu Felde ziehen will, so wird er Offiziere von diesem Schlage sehr gut brauchen können.«

Herrn Pongowski schienen solche Lobsprüche nicht sonderlich zu gefallen. Er rümpfte die Nase und sprach: »Ah bah! Abt Wonowski hat ihn seine Finten gelehrt.«

»Den Abt,« antwortete Cypryanowicz, »habe ich erst einmal gesehen, desto mehr aber hörte ich früher von ihm sprechen, als ich noch bei der Fahne stand. Er war, wie es scheint, die beste Klinge des Regiments. Heute dienen seine Tugenden uns zum Exempel. Wenn Herr Taczewski beides, die Führung des Degens und die Tugendhaftigkeit, von ihm gelernt hat, dann werde ich mich glücklich schätzen, meinen Sohn mit diesem jungen Manne befreundet zu sehen.«

Pongowski wollte dem Gespräch eine Wendung geben.

»Man behauptet,« sagte er, »der Reichstag werde für eine erhebliche Vermehrung der Truppenzahl stimmen.«

»Ja, man beschäftigt sich schon mit dieser Frage,« erklärte der Starost Grothus.

Nun sprach man von dem bevorstehenden Kriege. Als die Gäste sich vom Tische erhoben hatten, erspähte Fräulein Siëninska einen geeigneten Moment, trat zu Herrn Cypryanowicz und sprach, die meergrünen Augen zu ihm aufschlagend: »Ihr seid gut, Herr, o, Ihr seid lieb.«

»Ei, warum das?« fragte Cypryanowicz.

»Weil Ihr so edelmütig Herrn Jakob in Schutz genommen habt.«

»Welchen Herrn Jakob?«

»Herrn Taczewski – sein Rufname ist Jakob.«

»So? und Ihr selbst habt ihn doch so streng getadelt.«

»Noch strenger mein Vormund. Ja, ich gebe es zu, wir haben nicht gerecht gehandelt, und um die Ungerechtigkeit wieder gutzumachen, müssen wir ihm eine Tröstung zukommen lassen.«

»Ich denke, diese Tröstung wird ihm unendlich wohltun – doch müßtet Ihr selbst sie ihm geben.«

Das junge Mädchen schüttelte den Kopf.

»O nein!« versetzte sie mit traurigem Lächeln. »Uns zürnt er tödlich.«

Cypryanowicz schaute sie mit väterlichen Blicken an.

»Nicht doch, mein anmutiges Blümlein,« antwortete er, »wer könnte denn Euch tödlich zürnen?«

»Er zu allererst. Für ihn würde es der beste, der wirksamste Trost sein, wenn Ihr ihm sagtet, Ihr zürntet ihm nicht und glaubtet vollauf an seine Rechtlichkeit. Dann müßte auch mein Vormund sich zu einer andern Meinung über ihn bekehren. Jakob verdient das ja auch.«

»Ich sehe, wenn Ihr auch streng zu ihm wart, so nehmt Ihr Euch doch jetzt seiner mit warmem Herzen an.«

»Mich reut es, daß ich ihm wehe tat – und er ist ganz allein auf der Welt – und so unglücklich, und so arm!«

»Nun, mein schönes Fräulein, ehe ich von dem gastfreundlichen Herrn Pongowski Abschied nehme, werde ich – das hatte ich mir nämlich von vornherein vorgenommen – Herrn Jakob Taczewski und den Pfarrer besuchen. Ich erfülle damit eine einfache Pflicht, es geschieht dies nicht aus Güte meinerseits, sondern nur, weil ich mir sage, ich bin es ihnen schuldig. Wenn hier also wirklich jemand eine gute Tat tut, so seid Ihr das. Bestreitet es nicht.«

Sie bestritt es aber doch, und auch mit Recht. Denn nicht bloß aus Liebe zur Gerechtigkeit nahm sie sich jetzt Jakobs an. Jedes weibliche Herz hat Hintergedanken, welche Leute vom Schlage des alten Herrn Cypryanowicz, so klug sie sonst sind, niemals entziffern können. Dennoch war ihr Herz voll Dankbarkeit gegen den Greis, sie ergriff seine Hand und küßte sie innig.

Herr Pongowski sah das mit scheelen Blicken.

Als er allein mit seinem Mündel war, unterließ er auch nicht, es zu tadeln.

»Was fällt dir ein? Ehemalige Kaufleute – kaum seit drei Generationen adelig . . . du darfst doch nicht vergessen, was für Blut in deinen Adern fließt.«



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