Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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15. Kapitel. Beratung

Eine große Menge von Wallfahrern fand sich beim Ablaß zu Prytyk zusammen. Der Adel strömte in Scharen herbei, nicht nur aus der Umgebung, sondern auch aus ferner gelegenen Bezirken. Da sah man die Kochanowski, die Podgajecki, die Silniecki, die Powtorowski, die Sulgostowski, Cypryanowicz Vater und Sohn, die vier Bukojemski und viele andere. Das allgemeine Interesse, die öffentliche Neugierde richteten sich besonders auf die Person des Fürsten Michael Czartoryski, des Woiwoden von Sandomir.

Unterwegs nach Warschau, wo der Reichstag zusammentreten sollte, hatte er Aufenthalt genommen, um seine Andacht zu verrichten. Die Anwesenheit dieses hohen Würdenträgers erhöhte den Glanz des Festes. Außerdem konnte man sich bei ihm nach dem Stand der öffentlichen Angelegenheiten aufs zuverlässigste informieren. Leutselig und für alle zugänglich, sprach er von dem Schaden, den die Pforte bei der Festsetzung der Grenze Podoliens vor kurzem erst der Republik zugefügt hätte. Er zählte die Angriffe der Tataren auf, die allen beschworenen Verträgen zum Trotz nach wie vor die kleinrussischen Ländereien verwüsteten. Er behauptete, der Krieg sei unvermeidlich und ein Bündnis mit dem Kaiser müsse bereits beschlossene Sache sein. Selbst die Anhänger der französischen Politik würden nicht wagen, sich dem zu widersetzen, denn am Hofe von Versailles begriffe man bei aller Feindseligkeit gegen das Kaiserreich doch die Gefahr, die die Republik bedrohe. Ob die Ungläubigen zuerst gegen Krakau oder gegen Wien ziehen würden, wisse niemand; bekannt aber sei, daß der Feind unter den Mauern Adrianopels ungeheure Streitkräfte zusammenzöge, daß außerdem Truppen unter dem Befehl Tekelis bei Kaschau ständen, ja daß in ganz Ungarn, in Asien bis an die Ufer des Tigris und Euphrats und in Afrika von den Küsten des Roten Meers bis zu denen des Ozeans Heere gesammelt würden.

Alle hörten mit Begier diesen Berichten zu. Die Gesichter der Alten umzog ein Schatten der Sorge, denn sie kannten aus Erfahrung die unberechenbaren Hilfsquellen, über die der Sultan verfügte. Die Jugend aber runzelte die Stirn und ließ die Augen leuchten. Zuversicht und Kampfeslust überwogen jedenfalls. Und in aller Erinnerung erwachten die glorreichen Tage von Chocim. Der zur Zeit regierende König, damals Großhetman der Krone, hatte an der Spitze eines polnischen Heers eine ihm an Zahl bei weitem überlegene ottomanische Armee völlig vernichtet. Man tröstete sich bei dem Gedanken, daß dieselben Türken, die, den Kopf senkend wie Stiere, auf ungarische oder deutsche Bataillone einstürmten, doch das Herz in der Brust erstarren fühlten, wenn sie sich mit der furchtbaren Reiterei von »Lechistan«, wie sie Polen nannten, messen sollten.

Eine noch wildere Begeisterung entflammte die Seelen, als Abt Wonowski auf die Kanzel gestiegen war.

Zuerst hatte Pongowski gefürchtet, der Priester werde die Predigt dazu benützen, in mehr oder minder verkleideten Anspielungen sein Verhalten gegen Jakob zu verurteilen. Doch das war vergebliche Beunruhigung. Der heilige Krieg, die erhabene Mission, die der Republik zuerteilt sei – nichts anderes erfüllte das Herz des Apostels.

»O, mein Vaterland!« rief er, »dich hat Christus unter allen Nationen auserwählt, dich hat er als Hüterin des Christentums eingesetzt, dich hat er als Schildwache vor das Kreuz gestellt, welches du mit deinem Leben verteidigen sollst, bis zum letzten Tropfen deines Blutes, bis zum letzten Atemzuge deiner Brust! Vor dir tut das Feld der Ehre sich auf. Von deinen Seiten kann all dein Blut herabrinnen, von Schnitten kann deine Brust zerrissen sein – erhebe dich dennoch, du Löwe Gottes, schüttle deine Mähne, brülle, daß bei diesem Donnerhall das Mark in den Gebeinen deiner Feinde vor Furcht erstarrt, daß der Halbmond und die Standarten der Ungläubigen sich zu deinen Füßen niederwerfen, wie ein vom Sturm entwurzelter Wald.«

So sprach der betagte Priester. Und da er selbst ein Held in der Schlacht gewesen war, da er ein Menschenleben hindurch das Handwerk des Krieges ausgeübt hatte, so wirkte seine Beredsamkeit auf die Zuhörer mit der überzeugenden Kraft eines lebendigen Beispiels. Sie glaubten jene Bilder im Königsschlosse zu Warschau vor Augen zu haben, auf denen eine große Zahl polnischer Siege und Schlachten wie leibhaftig dargestellt ist.

»Da setzen sich die Fähnlein in Bewegung. Die Lanzenspitzen sind schon gesenkt bis zur Höhe der Pferdeohren, die Reiter neigen sich im Sattel nach vorn. Ein Schrei des Entsetzens hallt in den feindlichen Reihen, in den unsrigen aber ein Schrei des Triumphes. Da zeigt sich die Heilige Jungfrau am Fenster des Paradieses. ›O, mein süßer Sohn,‹ spricht sie, ›sieh doch nur, wie tapfer die Polen sind!‹ Jesus der Heiland segnet euch mit dem Zeichen des Kreuzes und ruft: ›Das sind noch wahre Edelleute! Das sind Soldaten! Der Sold ist ihnen hier oben gewiß.‹ Der Erzengel Sankt-Michael schlägt sich vor heller Freude auf die Schenkel. ›Haut die Hundesöhne zusammen!‹ ruft er. So erbebt der ganze Himmel vor Jubel, während wir unser Vernichtungswerk fortsetzen. Wir schreiten über die Leiber der Janitscharen hinweg, hinweg über die kampfunfähig gemachten Kanonen, über die im Staube liegenden Halbmonde; wir fliegen dem Ruhme zu, wir vollenden die heilige Mission und gewinnen Heil und Unsterblichkeit!«

Endlich schloß er mit den herrlichen Worten: »Auf! Christus ruft euch! Auf! es ist an der Zeit, in die ruhmreiche Schlacht zu ziehen!«

Zurufe erklangen. Und als bei der Verlesung des Evangeliums alle Schwerter aus den Scheiden flogen und im Sonnenlicht funkelten, da begannen die Frauen zu schluchzen und erflehten die Hilfe der gnädigen Jungfrau Maria, indem sie ihre Gatten, Söhne und Brüder in den göttlichen Schutz stellten.

Da sprachen auch die Brüder Bukojemski feierliche Gelübde aus. Sobald die Ablaßfeier beendet sei, wollten sie zu Felde ziehen und bis zu Ostern weder Wasser, noch Milch, noch Bier trinken, sondern sich durchaus auf jene Getränke beschränken, deren Kraft das Blut erhitze und Mut und Todesverachtung erzeuge.

So groß war die allgemeine Begeisterung, daß Pan Pongowski sich ihr nicht zu entziehen vermochte und einen Augenblick sogar daran dachte, noch einmal Soldat zu werden. Der linke Arm fehlte ihm. Ei nun, man konnte den Zügel mit den Zähnen halten und mit dem rechten Arm noch ein letztes Mal alle Wut austoben lassen, die er gegen diese verfluchte Rasse hegte. Aber er legte kein Gelübde ab, denn die Sache verdiente doch wohl genau erwogen und mit Muße bedacht zu werden.

Der Gottesdienst nahm einen eindrucksvollen, feierlichen Verlauf. Die Kanonen, die Herr Kochanowski zu diesem Anlaß geliehen hatte, gaben auf dem Kirchhofe ihre Schüsse ab. Die Glocken läuteten brausend. Ein dressierter Bär handhabte die Orgelbälge so ungestüm, daß die Bleipfeifen abzuspringen drohten. Das Innere der Kirche füllte sich mit dichten Wolken von Weihrauch; das Beten der vielen Menschen, die Stimmen der Choristen schienen das Gewölbe sprengen zu wollen.

Das Hochamt zelebrierte Domherr Tworkowski, Prälat des Heiligen Stuhls, ein Kirchengelehrter, der von Sentenzen, Zitaten, Sprichwörtern und kernigen Ausdrücken strotzte, aber dabei doch auch einen fröhlichen Humor besaß. Er konnte reden, daß man herzhaft lachen mußte, kannte er doch wie kein zweiter Welt und Menschen. Daher wählte man ihn auch zum Schiedsrichter und Berater in allen schwierigen Fragen, von denen Wohl und Wehe abhing.

An ihn wandte sich nun auch Pan Pongowski, denn beide waren alte Freunde. Schon am Vorabend des Ablasses hatte er ihm die Beichte abgelegt. Doch als er bekannte, was er mit seinem Mündel zu tun gedächte, da verschob der Priester die Prüfung dieser profanen Absichten auf eine spätere Unterredung, indem er vorschützte, im Augenblick nicht Zeit genug zur Erteilung der Absolution zu haben. Er riet ihm daher nur, die Damen nach Beendigung der Feierlichkeiten nach Belczonka zurückzuschicken, während er selbst in Radom bleiben solle, wo man dann mit Muße über seine Pläne sprechen könne.

So geschah es. Zwei Tage später saßen beide vor einer ehrwürdigen Flasche Ungarwein, deren Würze der Prälat noch verschärfte, indem er geröstete Mandeln dazu knabberte.

»Conticesco auresque apertas teneo,«ich schweige und halte die Ohren offen. sprach der Domherr, »sprecht also, Pan.«

Gideon führte das Glas an die Lippen; seine strengen Augen hatten einen fast feindseligen Ausdruck; er grollte seinem Freunde, der es ablehnte, ihm durch eine kleine Einleitung den Anfang zu erleichtern.

»Hm!« begann er. »Das geht nicht so ohne weiteres. Es ist schwieriger, als ich geglaubt habe.«

»Nun, so werde ich Euch helfen, Pan. Wollt Ihr mir nicht etwas von einem gewissen Heiligen erzählen?«

»Von einem Heiligen?«

»Ja, von einem, der vier Füße und zwei Köpfe hat!«

»Welcher Heilige könnte das sein?« fragte der Greis verblüfft.

»Ein Rätsel – ratet einmal!«

»Hochwürden, wer mit ernsten Dingen beschäftigt ist, zerbricht sich nicht noch mit Rätseln den Kopf.«

»Ei was, denkt nur ein wenig nach!«

»Ein Heiliger, der vier Füße und zwei Köpfe hat?«

»Ja.«

»Bei Gott, ich weiß nicht, was Ihr meint.«

»Ei, ich meine den heiligen Ehestand – hat er nicht zwei Köpfe und vier Füße?«

»Meiner Treu, das stimmt! Und allerdings, über diesen Punkt wollte ich Euern Rat hören.«

»Handelt es sich nicht um Annette Siëninska?«

»Jawohl, um sie handelt es sich. Sie ist nicht mit mir verwandt, oder doch nur so weitläufig, daß es uns unmöglich sein würde, den Grad der Verwandtschaft nachzuweisen. Aber ich hänge sehr an ihr . . . ich habe sie aufgezogen, und ich bin ihrer Familie Dankbarkeit schuldig. Was die Pongowski an Ländereien in Kleinrußland besaßen, das hatten sie von den Siëninski, ebenso die Zolkiewski, die Danilowicz, die Sobieski. Ich möchte alles, was ich habe, der Waise hinterlassen. Die Güter der Pongowski nun sind in Rauch aufgegangen – das haben die Tataren getan. Es bleibt mir nur das, was ich von meiner Frau geerbt habe. Sie hat es mir im Testament geschenkt, es ist also mein rechtmäßiges Eigentum, das mir überdies auch noch nie streitig gemacht worden ist. Allein es gibt eine Unzahl Verwandter meiner Frau. Da ist zunächst Pan Grothus – der ist am wenigsten zu fürchten, denn er ist reich und ehrlich. Ihn kann das Hab und Gut eines andern nicht locken. Auch hat er selbst mir den Rat gegeben, den Gedanken eingeflößt, die Zukunft meines Mündels ganz sicherzustellen. Selbstverständlich hatte ich das stets schon vorher im Sinne, ich meine nur das Wie. Da sind jedoch andere zu fürchten: die Sulgostowski, die Zabierzowski, und vor allem die Krepecki. Wenn ich Fräulein Siëninska zur Universalerbin einsetze, werden sie sie vor Gericht fordern und von einem Tribunal zum andern treiben. Das gibt dann Prozesse ohne Ende. Und wer wird dem Mädchen mit Rat und Tat zur Seite stehen? Schon jetzt sehen diese Familien sie mit scheelen Augen an – was wird erst nach meinem Tode geschehen? Nein, so darf ich sie nicht zurücklassen. Anhänglichkeit, Mitleid, Dankbarkeit, das sind die Beweggründe, weshalb ich mich frage: Ist es nicht meine Pflicht, ihre Zukunft auf eine andere Weise, sei es selbst durch eine Eheschließung, zu festigen?«

Der Prälat zerbiß eine Mandel und reichte die Hälfte seinem Nachbar.

»Weiß Euer Gnaden, weshalb mir diese Frucht so gut schmeckt? Weil sie frisch ist. Wenn sie ranzig wäre, würde ich mich mit Widerwillen davon abwenden.«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Daß Euch auch Annette gefällt, weil sie jung ist. Wenn sie schon an die fünfzig heran wäre, dann würde Euch ihre Zukunft wohl nicht so sehr am Herzen liegen.«

Pongowski errötete. Der Priester schien das nicht zu beachten und fuhr fort: »Ich verdenke Euch das gar nicht. Alle Dinge haben ihre bestimmte Ursache, und es ist ja auch Gottes Wille, daß wir einen frischen, rosigen Apfel einem alten, runzligen vorziehen sollen. Es ist eben anders als mit dem Wein.«

»Ja, das ist richtig – mit der einzigen Ausnahme des Weins ist alles, was jung ist, besser als das Alte. Aber nein! Ich trachte dabei nach nichts anderm, als danach, die Zukunft meines Mündels sicherzustellen. Wenn ich sie zu meiner rechtmäßigen Ehegattin mache und ihr dann als solcher mein Hab und Gut vermache, so wird niemand auch nur den Finger zu erheben wagen. Wenn ich sie nur in ihrer Eigenschaft als mein Mündel zur Erbin einsetze, so wird es Prozesse, Angriffe, schließlich gar Gewalttaten geben. Und wer wird sie davor schützen? Frau Winnicka gewiß nicht.«

»Das ist wohl wahr.«

»Ich bin nun aber kein Springinsfeld und kein Leichtfuß, deshalb habe ich mich nicht entschieden, deshalb habe ich diesen so schweren, ernsten Entschluß nicht für mich allein gefaßt, sondern komme vielmehr zu Euch, Hochwürden, Eure Weisheit um Rat zu fragen.«

Der Geistliche überlegte und antwortete dann: »Es ist schwer, seht Ihr, in einer solchen Angelegenheit einen guten Rat zu erteilen. Wenn Eure Absicht aus dem Wunsche fließt, dem jungen Mädchen eine sichere Zukunft zu schaffen, so lobe ich sie ohne Rückhalt; entspringt sie einem zärtlicheren Gefühl, so billige ich sie dennoch. Aber was auch der Fall sein möge, so ist die Hauptsache, das Mädchen muß Euch ganz aus freiem Willen zum Altar folgen. Es darf ihm kein Unrecht geschehen, Ihr dürft sie nicht durch Drohungen dazu bewegen. Nun habe ich vernommen, das Mädchen und Jakob Taczewski hätten sich lieb, und um offen zu sein, will ich sogar erklären, jedesmal, wenn mich meine Mußezeit unter Euer gastliches Dach geführt hat, bin ich verstohlener Zeuge dieser Liebe der beiden jungen Leute gewesen.«

»Was habt Ihr da gesehen?« fragte Pongowski ungestüm.

»Nichts Verdammenswertes, aber doch Dinge, welche sich als die Anzeichen einer aufkeimenden Liebe deuten ließen. Mehr als einmal habe ich sie dabei ertappt, daß sie die Hände ineinander legten, die sie sich innig drückten. Ich habe ihn einmal auf einem Kirschbaume sitzen sehen, und er warf die Kirschen in die Schürze, die sie mit beiden Händen offen hielt; aber sie konnten beide nicht die Augen voneinander wenden, so daß die Kirschen fast alle auf den Boden fielen. Ich habe zu Anfang April gesehen, wie sie vorüberfliegenden Störchen nachschauten; sie lehnte sich dabei an ihn, was sie jedoch nicht hinderte, ihn zu schelten, daß er sie fester an sich drücke, als der Anstand eigentlich gestatte. Mulier insidiosa – das Weib ist immer schlau. Und was noch alles? Eine große Zahl solcher Kleinigkeiten – experimenta amoris – Liebeleien, die die Begierden der erwachten Sinne verrieten. Euer Gnaden werden mir sagen, das seien alles Bagatellen. Ohne Zweifel. Aber daß ihre Neigung nicht ebenso glühend, ja vielleicht noch heißer sei als Jakobs, das könnte nur ein Blinder verkennen. Und da wundere ich mich, Pan, daß Ihr nichts gemerkt habt, daß Euer scharfer Blick Euch nicht den Rat gegeben hat, Euerm Herzen Schweigen zu gebieten.«

Pongowski wußte das alles auch, er hatte alles gesehen. Dennoch wirkten die Worte des Prälaten niederschmetternd auf ihn. Man kann sich wohl selbst den Finger auf eine geheime Wunde legen, viel schmerzlicher aber ist es, wenn eine fremde Hand daran rührt. Die Adern an seiner Schläfe traten hervor, tiefe Röte überzog sein Gesicht; sein Atem kam stoßweise aus der gepreßten Brust.

»Was habt Ihr, Pan?« fragte der Domherr.

Der andere machte ein beruhigendes Zeichen mit der Hand, doch gelang es ihm nicht, eine Antwort hervorzubringen.

»Nehmt einen Schluck Wein. Das wird Euch Kraft geben.«

Pongowski führte mit zitternder Hand den Humpen an die Lippen.

»Ein Anfall von Schwindel,« keuchte er heiser.

»Ist's, weil ich so gesprochen habe?«

»Nicht doch – ich leide seit einiger Zeit daran, und jetzt bin ich zudem abgespannt und ermüdet – die weite Reise – die Fastenzeit – und der vorzeitige Frühling!«

»Ihr solltet noch vorm Monat Mai zur Ader lassen.«

»Ich werde Euern Rat befolgen. Laßt mich ein Weilchen ausruhen, bevor ich auf unser Thema zurückkomme.«

Aber Pongowski erholte sich nur langsam. Endlich ließ die Blutfülle in seinen Adern nach, das Klopfen seines Herzens wurde wieder regelmäßig, er gewann seinen gewöhnlichen Ton wieder.

»Nicht daß es mir an Kräften fehlte,« sprach er. »Wenn ich mit der rechten Hand, die mir die Heiden gelassen haben, diesen silbernen Humpen fest packte, würde ich ihn platt drücken. Allein Kraft und Gesundheit sind verschiedene Dinge.«

»Das menschliche Leben ist etwas, das gar leicht zerbricht.«

»Eben deshalb muß ich mich beeilen, meine Maßregeln zu treffen. Ein Unglück kann bald einmal eintreffen. Eure Eminenz sprach eben von Jakob Taczewski, von der gegenseitigen Neigung der jungen Leute. Ich bin dagegen keineswegs blind gewesen. Jakob war täglich bei uns zu Gaste; der Hunger trieb ihn von Hause fort, und ich nahm ihn barmherzig auf. Abt Wonowski hat ihn in Latein und in der Führung der Waffen unterwiesen, ich habe ihm Brot gegeben. Erst in der letzten Zeit ist mir etwas aufgefallen; denn bedenket, er war ja bisher eine grüne Beere und ist auch jetzt noch nicht reif. Kaum vor einem Jahre ist er mannbar geworden. In meinen Augen waren beide, er und Annette, Kinder. Aber daß ein armer Schlucker, ein pauperArmer. wie er, den Blick so hoch richten und es wagen würde, auf die Hand einer Siëninska Anspruch zu erheben, nein, ein solcher Wahnwitz, eine solche Verwegenheit ist mir nicht in den Sinn gekommen. Wie gesagt, erst in allerletzter Zeit habe ich Argwohn geschöpft.«

»Arm hin, arm her – er bleibt doch ein Taczewski.«

»Ja, ein Ritter vom hungrigen Magen. Nein, Eminenz, wer sich so weit erniedrigt, die Schüsseln fremder Leute auszulecken, der gehört unter die Hunde. Als mein Argwohn einmal erweckt war, nahm ich mir vor, diesen jungen Fant im Auge zu behalten. Und wißt Ihr, was ich entdeckte? Daß er nicht nur ein eingebildeter Lump, ein Sausewind und ein Habenichts ist, sondern sogar eine Natter, die ihren Wohltäter in die Hand beißt. Gott sei gelobt! er hat diese Gegend verlassen. Natürlich hat er vorm Verschwinden uns sein Gift zuspritzen müssen, mir, der ich mir wenig draus gemacht habe, und Fräulein Siëninska.«

»Ist es möglich?«

Nun erzählte Pongowski die letzten Vorfälle und legte Jakob die schwärzesten Missetaten zur Last.

»Ja, und nun haben die Bukojemski der armen Annette das Maß noch vollgemacht. Sie haben dafür gesorgt, daß sie – dafür bürge ich Euch – für diesen niederträchtigen, gemeinen Bauer, für diesen Abenteurer, für diesen Lumpen unter den Lumpen nur Abscheu empfindet.«

»Beruhiget Euch doch, Pan. Eure Galle wird Euch noch einen bösen Streich spielen.«

»Dank für den Rat. Ein letztes Wort! Möge Eure Eminenz noch folgendes erfahren: um nichts in der Welt möchte ich Annette zwingen. Gute Worte, Bitten, vernünftige Ratschläge, das sollen die Mittel sein, und selbst diese möchte ich einem hervorragenden Manne überlassen, einem Herrn von der Geistlichkeit, berühmt durch Charakter und Geist, einem Freunde, welcher zur Vernunft zu sprechen und das Herz zu rühren weiß, und dessen Beredsamkeit ebenso groß ist wie seine Gelehrsamkeit. Kurz, Euch, Eminenz, möchte ich darum bitten. Versagt mir Euern wertvollen Beistand nicht. Ich bitte im Namen unserer alten Freundschaft darum, und weil die Sache gut und gerecht ist.«

»Gewiß. Ich kann Euch meine Dienste nicht verweigern, handelt es sich doch um Eure Ruhe und um die Zukunft des Fräuleins. Nur laßt mir Zeit zu überlegen. Es ist ein heikles Geschäft.«

»Gern. Ich suche inzwischen den Bader auf. Ein Aderlaß wird mir Körper und Geist beleben. Ich werde in besserer Stimmung wiederkommen. Euer Eminenz wird die Zeit verwenden, über die Methode nachzudenken. Ich hoffe, wir werden dann auf keine Schwierigkeiten mehr stoßen.«

»Es gibt nur eine Schwierigkeit.«

»Das wäre –?«

»Die Freundschaft gebietet mir, die Wahrheit zu sagen. Ihr seid ein würdiger Herr, das weiß ich, aber ein wenig hart und streng. Ihr haltet alle, die von Euch abhängig sind, Eure Pächter, Eure Landarbeiter, Eure Aufseher und Diener, in wahrer Todesfurcht. Jakob selbst zitterte in Eurer Gegenwart; Frau Winnicka hat Angst vor Euch; Annette hat Angst vor Euch. Ich werde einer der beiden Brautwerber sein – ob aber nicht der zweite verderben wird, was der erste Gutes erzielt hat, dafür wage ich nicht einzustehen.«

In Pongowskis Augen blitzte es auf. Er konnte es nicht vertragen, daß man ihm die Wahrheit ins Gesicht sagte. Diesmal aber war das Erstaunen größer als der Zorn. Daher fragte er: »Was wollt Ihr damit sagen? Wer wird dieser zweite Brautwerber sein?«

»Die Furcht,« antwortete der Prälat.



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