Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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28. Kapitel. Annette und Jakob

Nun beratschlagten sie. Die Bukojemski schlugen vor, Annette sollte mit der ersten besten Bauersfrau die Kleider wechseln und in den Sattel steigen, dann solle man sie mit einer Schar als Räuber verkleideter Diener und Soldaten umgeben und sie so an den von Martin bestimmten Treffpunkt schicken. Wenn der verabredete Scheinangriff erfolgte, wollten sie dann auf ihrer Seite Ernst machen und Martin entweder seine Missetaten mit dem Tode büßen lassen oder ihn, an Händen und Füßen gefesselt, nach Krakau bringen, um ihn dort dem Gericht zu überliefern. Diese Expedition wollten sie selbst anführen und gelobten, den Klotz lebendig oder tot Fräulein Siëninska zu Füßen zu legen. Dieser Plan schien zuerst allen sehr zu gefallen, doch mußte man ihn schließlich unausführbar nennen. Der Oberst hatte zwar das Recht, Leuten, die von Räubern angegriffen worden waren, Beistand zu leisten, aber er konnte seine Soldaten nicht in den Dienst einer Privatsache stellen, so kurzweilig das Unternehmen auch sein mochte. Außerdem kennte man ja jetzt, wo man einen Zeugen hatte, der bereit war, wider den Anstifter des Ueberfalls vor Gericht auszusagen, den Verbrecher jederzeit anzeigen und verurteilen lassen. Man brauchte deswegen also keine Anstrengungen mehr zu machen. Es war auch nicht anzunehmen, daß die Krepecki, um sich einer mutmaßlichen Verhaftung zu entziehen, von ihrer Besitzung flüchten würden. Man konnte die nötigen Schritte nach dem Kriege tun. Aber diese Beschlüsse waren nicht nach dem Geschmack der Brüder Bukojemski. Sie hätten es vorgezogen, die Sache ohne Zaudern abzumachen, und wollten schließlich zu viert sich auf den Weg machen. Das erlaubte ihnen aber Herr Cypryanowicz nicht, und da außerdem Jakob sie bei allen Heiligen beschwor, Martin Krepecki ihm allein zu überlassen, so gaben sie sich schließlich zufrieden.

»Ich werde mich nicht ans Gericht wenden,« sagte Jakob. »Doch wenn Gott mir das Leben läßt, so werde ich nach dem Kriege diesem Elenden gegenübertreten, und dann soll er's vielleicht bedauern, nicht doch lieber gerichtlich bestraft worden zu sein. Denn es soll ihm nicht gut ergehen!«

In seinen Mädchenaugen blitzte eine so wilde Flamme auf, daß es selbst die Brüder Bukojemski eiskalt überlief. »Wehe ihm!« wiederholte er ein paarmal. Dann verlor er von neuem das Bewußtsein.

Es war ein frischer, rosiger Morgen, als man die getöteten Räuber begrub. Da der moorige Boden unter den Spatenstichen leicht nachgab, währte das traurige Geschäft nicht lange. Bald war keine Spur mehr von dem Kampfe und dem Gemetzel zu sehen, das sich hier abgespielt hatte. Der Zug, jetzt fast ein Heer, setzte sich wieder in Bewegung.

Cypryanowicz hätte es gern gesehen, wenn Annette sich in die Kalesche gesetzt hätte; aber sie erklärte bestimmt, sie werde nicht von Jakobs Seite weichen. Für den jungen Mann war mit Heubündeln eine Art Bahre auf einem Lastkarren hergerichtet worden. Dort lag er auf dem Rücken. Annette saß an seiner Seite und gab darauf acht, daß der Verband sich nicht verschob, und ab und zu hielt sie dem Verwundeten eine Flasche alten Tokaiers an die Lippen. Diese Arznei wirkte belebend und stärkend, denn bald befahl Jakob dem Kutscher, ihm das Heu unter den Beinen wegzuziehen.

»Ich möchte lieber sitzend fahren. Ich fühle mich wieder stark genug,« sagte er.

»Und Eure Wunde? Bereitet sie Euch dann nicht noch mehr Schmerzen?«

Jakob hob die Augen zu diesem rosigen Gesicht und antwortete mit trauriger, leiser Stimme: »Nicht meine Wunde ist's, was mir die meisten Schmerzen macht.«

Annette sah zu Boden. »Was macht Euch denn sonst noch Schmerzen?«

»Die meisten Schmerzen machen Trennung, Herzeleid und Ungerechtigkeit.«

Eine Weile herrschte Schweigen, nur ihre Herzen klopften ungestüm; denn sie fühlten, jetzt sei die Stunde gekommen, wo sie sich ohne Hintergedanken aussprechen mußten, wo es galt, alles zu bekennen, alles zu sagen.

»Ja, es ist wahr,« murmelte Annette, »als Ihr von jenem Duell heimkehrtet, empfing ich Euch mit strengem Antlitz, mit Groll. Das ist das einzige Mal, daß ich Euch gekränkt habe, daß ich garstig zu Euch war. Gott allein weiß, wie bitter, wie tief ich das bereut habe. Heute klage ich mich selbst an. Ich bin an allem schuld, ich bin schuld! Und von ganzer Seele bitte ich Euch um Verzeihung.«

Jakob antwortete betrübt: »Nicht das war der Dorn, der mir im Herzen stecken blieb, nicht das hat mich am meisten geschmerzt.«

»Ich weiß, es war der Brief des Herrn Pongowski. Wie? Habt Ihr glauben können, ich hätte drum gewußt, daß er Euch so schrieb, ich hätte ihn gar dazu bestimmt?«

Mit gebrochener Stimme erzählte sie, was sich zugetragen, wie sie ihren Vormund gebeten, väterlich und versöhnlich gegen ihn zu sein, wie er ihr das auch versprochen habe. Dann aber hätte er, dem Versprechen entgegen, in beleidigendem Tone geschrieben, während sie überzeugt gewesen sei, es handle sich um einen freundschaftlichen Brief. Von Abt Wonowski habe sie dann erfahren, daß Pongowski deshalb zu dieser List gegriffen, weil er Absichten auf sie gehabt und beide dadurch für immer hätte auseinanderbringen wollen. Bei diesem Bekenntnis, bei diesen Erinnerungen färbte die Röte der Scham ihre Wangen, Tränen perlten von ihren Wimpern.

»Hat Euch denn der Abt nicht geschrieben, daß ich von dem allem nichts gewußt habe, und daß ich nicht begreifen konnte, weshalb ich für das, was ich von Herzen anbot, so grausam mit Undank belohnt wurde.«

»Der Abt,« rief Jakob, »hat mir nur mitgeteilt, Ihr hättet Herrn Pongowski heiraten wollen.«

»Und er hat Euch nicht gesagt, daß ich das aus Verdruß getan, aus Schmerz, weil ich glaubte, Ihr hättet mich vergessen, und dann auch aus Dankbarkeit gegen meinen Vormund? Damals wußte ich ja nicht, wie er gegen Euch gehandelt hatte . . . ich wußte ja nur eins, daß Ihr mich von Euch gestoßen und vergessen hattet!«

»Ich Euch vergessen?« rief Jakob im Tone bittersten Grams. »O mein Gott! In Warschau, bei Hofe, unterwegs – was ich auch beginnen mochte, wo ich mich auch befand, immer wohnte der Gedanke an Euch in meinem Herzen. In schlaflosen Nächten rief ich Euch zu: Erbarmt Euch doch meiner! Ich bat Euch, mir Ruhe zu lassen, daß ich Euch vergessen könne. Aber Euer Bildnis verließ mich nie, weder am Tage noch in der Nacht, weder unterm freien Himmel, noch unter den Dächern der Menschen. Und endlich begriff ich, daß ich, um von Euch loszukommen, mir das Herz aus der Brust reißen müßte.«

Er mußte innehalten; er konnte vor Erregung nicht mehr sprechen, kaum noch atmen. Dann fuhr er fort: »In meinen Gebeten sprach ich: O lieber Gott, laß mich sterben! Denn du siehst es ja, lieber Gott, ich kann nicht mit ihr leben und auch nicht ohne sie. Ich hoffte nicht, daß der Himmel mir noch ein Wiedersehen mit Euch hienieden vergönnen würde, du meine Angebetete, du mein einziges Lieb!«

Er neigte den Kopf und legte ihn an die Schulter des jungen Mädchens. »Du bist das Blut meines Herzens – du bist die Sonne, die mir scheint – Gott hat Mitleid mit meinem Elend gehabt, da ich dich noch einmal sehen darf, du meine Angebetete – du mein Kleinod!«

Annette hörte ihm zu. Ihr war, als vernähme sie einen wundervollen Gesang. Eine Flut von Glückseligkeit ergoß sich in ihr Herz. Und von neuem herrschte Schweigen zwischen ihnen. Sie weinte lange, aber es waren süße Tränen – Tränen, wie sie sie noch nie vergossen.

»Jakob!« murmelte sie endlich, »warum haben wir beide so viel leiden müssen?«

»Um hundertfach glücklich zu sein!« antwortete er.

Und zum drittenmal versanken sie in das tiefe Schweigen der seligen Liebe. Die Räder des Karrens knirschten auf dem Sande der Chaussee. Sie kamen aus dem Walde heraus. Vor ihnen dehnten sich jetzt weite, in Sonnenlicht gebadete Felder aus. Getreide, von Kornblumen und Klatschmohn durchsetzt, bewegte sich wellenförmig im Winde. Ein tiefer Friede herrschte rings in der Natur. Die Lerchen tirilierten. Fern auf der Ebene blitzten Sensen. Von den grünen Wiesen scholl leise das Rufen und Singen der Hirten herüber. Und sie vermeinten jetzt, für sie bewege sich das Getreide so sanft, für sie lachten Kornblumen und Mohn, für sie sängen die Lerchen und die Hirten. Sie glaubten, all dieser leuchtende Friede, das verborgene Leben in den Feldern, all diese Geräusche, all diese Wohlgerüche seien die natürliche Begleitung zu dem hohen Liede ihres Glücks und ihrer Seligkeit.

Die Stimme des Abts weckte sie plötzlich aus ihrer Verzückung. – »Wie fühlst du dich, Jakob?« rief er.

Jakob zitterte, als erwachte er aus einem Traum. »Was sagt Ihr, mein Wohltäter?«

»Ich frage, wie du dich fühlst?«

»Wie im Paradiese, mein Vater!«

Der Abt sah ihn scharf an, dann richtete er den Blick auf das junge Mädchen. »Aha!« sagte er. »So steht es.« Darauf ließ er sie allein und ritt zur Gesellschaft zurück. Sie überließen sich aufs neue dem Rausche ihres Glücks. Sie sahen einander an, und all ihre Liebe sprach sich in ihren Blicken aus.

»Ich werde nicht müde, dich zu bewundern,« murmelte Jakob.

Sie schlug die langen Wimpern nieder – in ihren Mundwinkeln zuckte ein Lächeln, das zwei Grübchen in ihre rosigen Wangen zeichnete. »Und Fräulein Zbierchowska?« fragte sie halblaut, »ist sie nicht schöner als Eure ergebne Dienerin?«

Jakob sah sie verständnislos an. – »Von welchem Fräulein Zbierchowska sprecht Ihr?« antwortete er.

Sie sagte nichts darauf, sondern ließ nur ihr silberhelles Lachen erklingen.

Inzwischen war der Priester zu der Truppe zurückgekehrt. Die Kameraden, unter denen Jakob zahlreiche Freunde hatte, umringten ihn sogleich. »Wie geht es dem Gefangenen?« fragten sie.

»Er weilt nicht mehr auf dieser Welt,« antwortete der Abt.

»Großer Gott! Was sagt Ihr da? Was? Er weilt nicht mehr auf dieser Welt?«

»Nein, denn er selbst behauptet, im Paradiese zu sein. Mulier – Ihr versteht –«

Die Herren Bukojemski, die von Natur aus nie auf der Stelle begriffen, was sie hörten, und diesmal außerdem die Worte des Priesters nicht genau verstanden hatten, erschraken zu Tode. Sie zogen die Mützen und stimmten bereits den Gesang an: »Requiem aeternam dona ei, domine!« Da unterbrach ein homerisches Gelächter ihre traurigen Gedanken. Aber in diesem Lachen sprach sich nur aufrichtige, herzliche Freundschaft aus. Aus den Erzählungen des jungen Cypryanowicz wußte man schon im Regiment, was für ein verliebter Kavalier Jakob sei, und wieviel er durch seine unglückliche Liebe gelitten habe. Nun freute man sich allgemein über die Worte des Geistlichen. Viele Stimmen ließen sich vernehmen: »Na ja doch! Wir haben's ihm doch angesehen, daß er Liebesleid hatte! Er war zerstreut, er vergaß fast Essen und Trinken, und in der Nacht seufzte er. Das sind immer Zeichen einer heftigen Leidenschaft, einer unglücklichen Liebe.« Andere setzten hinzu: »Nun schwimmt er dafür im Himmel. Keine Wunde schmerzt so sehr wie Liebeswunden; aber dafür ist auch nichts süßer als erwiderte Liebe.« So äußerten sich Jakobs Freunde. Einige gerieten nun, als sie hörten, was das junge Mädchen erdulden mußte, in Wut über Martins Gemeinheit und ließen drohend ihre Säbel klappern. Andere jauchzten hellauf, als sie die Geschichte von dem Bade in Teer und Federn hörten, und priesen mit überschwenglichen Worten die Tatkraft und den erfinderischen Sinn der Herren Bukojemski.

Einer machte den Vorschlag: »Was meint ihr, Kameraden? Wollen wir sie nicht hochleben lassen, die beiden Verliebten? Wollen wir ihnen nicht Glück und langes Leben wünschen?« Und wie auf einen Wink scharte sich das Fähnlein um den Lastwagen, auf dem Jakob und Fräulein Siëninska mit offnen Augen von ihrem Glücke träumten. Ein ohrenbetäubendes Geschrei erscholl plötzlich rings um sie her: »Vivant, floreantSie mögen leben, blühen. Und ein paar Indiskrete setzten hinzu: »Crescite et multiplicaminiWachset und mehret euch!

Ob Annette über dieses Getöse wirklich erschrak oder als »mulier insidiosa« nur so tat, das hätte wohl selbst Abt Wonowski nicht erraten können. Jedenfalls mußte sie sich an Jakob schmiegen und verwirrt fragen: »Was ist das? Was wollen sie von uns?«

Er schlang den Arm um ihren biegsamen Leib. »Sie geben dich mir! Und ich nehme dich!«

»Nach dem Kriege?« flüsterte sie ihm ins Ohr.

»Vorm Kriege noch.«

»So rasch?«

Aber Jakob hörte ohne Zweifel diesen naiven Ausruf gar nicht. Denn statt darauf zu antworten, sagte er: »Wir wollen meinen lieben Kameraden für ihr Wohlwollen danken.« Sie standen auf und verneigten sich nach rechts und links. Beim Anblick des schönen jungen Mädchens, das von lieblicher Schamröte übergossen war, ging die Begeisterung über alles Maß. »Großer Gott! Man ist ja wie geblendet!«

»Ein Engel vom Himmel müßte sich da verlieben!«

»Kein Wunder, daß er vor Sehnsucht verging!«

Und von neuem erschütterte vielstimmiges Geschrei die Luft. »Vivant! crescant! floreant!«

Unter diesem betäubenden Lärm zogen inmitten einer Wolke von goldfarbigem Staube die Husaren in die kleine Stadt Szydlowiec ein. Die Bewohner erschraken zuerst. Sie flüchteten in ihre Wohnungen und Werkstätten, in denen sie Schleifsteine aus Sandstein fertigten, und schlossen sich ein. Doch bald erkannten sie, daß das ein Freudengeschrei und kein Wutgebrüll war, kamen in Menge zum Vorschein, füllten die Straßen und mischten sich unter die Soldaten. Da gab es einen lustigen Tumult, ein malerisches Gewirr von Menschen und Pferden. Die Kesselpauken, Pfeifen und Trompeten der Husaren erklangen in einer brausenden Fanfare. Selbst die Juden wagten sich endlich zum Vorschein und schrien, ohne zu begreifen, worum es sich handelte: »Vivat! vivat!«

Und Jakob murmelte Annetten ins Ohr: »Vorm Kriege noch – und sollte ich eine Stunde später fallen!«



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