Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

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9. Kapitel. Bruch

Pongowski übertrieb nicht, wenn er sagte, die Damen würden hinfort Jakob mit Abscheu betrachten. Der junge Mann konnte sich davon überzeugen. Frau Winnicka zog geschwind die Hand zurück, als er sich anschickte, ihre Fingerspitzen an die Lippen zu führen. Dabei sah sie ihn sehr entrüstet an.

Fräulein Siëninska antwortete nicht einmal auf seinen Gruß und hatte weder mit seinem Kummer noch mit seiner Verlegenheit Erbarmen. Ihre ganze Sorge galt Cypryanowicz. Ihm widmete sie süße Blicke und innige Teilnahme, und als der Verwundete sich erhob, um das Zimmer aufzusuchen, das man für ihn instand gesetzt hatte, stützte das junge Mädchen ihn trotz seines Einspruchs und fand noch, daß er ein wenig schwach auf den Füßen sei.

Jakob sprach zu sich selbst, Verzweiflung und Eifersucht im Herzen: »Alles ist verloren. Du hast hier nichts mehr zu tun.«

Verzweiflung und Eifersucht waren um so größer, als er nimmermehr geglaubt hatte, daß dieses so launenhafte Mädchen, das sich gegen ihn stets gefühllos, zum mindesten aber trotzig benahm, wenn er ein Lächeln erbettelte, einem geliebten Manne so engelgleiche Zärtlichkeit zu erzeigen wisse. Denn nun konnte er nicht mehr daran zweifeln, sie liebte Cypryanowicz. Und doch hätte er, Taczewski, einen einzigen dieser Blicke, ein einziges Wort in diesem Tone nicht nur mit einer leichten Wunde, wie die des Cypryanowicz war, sondern mit all seinem Blute bezahlt, Tropfen für Tropfen vergossen.

Und sein Schmerz erzeugte in ihm einen unermeßlichen Gram, der einen Strom jener Tränen aufwallen ließ, welche, wenn sie nicht durch die Augen ausfließen, das Herz überschwemmen und das ganze Wesen eines Menschen ausfüllen können. Eine solche innere Tränenflut verspürte Jakob jetzt, und um seinen Gram noch schärfer zu machen, war ihm Fräulein Siëninska fast noch nie so schön erschienen wie jetzt.

»Schön vor allen andern – aber nicht mir zu Ehren. Anbetungswürdig – doch einem andern wirst du gehören.«

Unwillkürlich empfand er das Verlangen, vor ihr niederzuknien, ihr seine Liebe, seine Todesnot zu bekennen; aber er wußte im voraus, daß er ihr in seinem wahnsinnigen Schmerz, in seiner tollen Leidenschaft alles andere sagen würde, nur nicht das, worauf es ankäme. Er könnte sich ihr nicht verständlich machen, das war ihm klar. Zu groß war der Zwiespalt in seiner Seele, zu bitter die Beklemmung. Das Ende wäre doch nur, daß er sich bei ihr ganz unmöglich machen würde.

Doch als Frau Winnicka, die sich kraft ihres Alters und ihrer Erfahrungen auf die Pflichten einer Krankenschwester verstand, das Zimmer verlassen hatte, um sich den Verwundeten zu widmen, entschloß sich Jakob, die Gelegenheit zu benützen.

»Ich möchte ein Wort mit Euch sprechen,« stammelte er.

Seine Stimme zitterte und klang fremd, doch zwang er sich zur Ruhe.

Fräulein Siëninska sah ihm mit kalter Verwunderung ins Gesicht.

»Was wünscht Ihr, mein Herr?«

Das milde Lächeln eines Märtyrers huschte über Jakobs Züge.

»Was ich wünsche, ach, das wird sich nie erfüllen, und wollte ich mein Seelenheil darum geben,« sagte er, den Kopf schüttelnd. »Aber seid doch wenigstens barmherzig und klagt mich nicht an! Hegt doch keinen Groll gegen mich! Gewährt mir doch ein wenig Mitleid!«

»Ich habe Euch nichts zu antworten, und die Stunde,« antwortete sie, »scheint mir schlecht gewählt für Auseinandersetzungen.«

»Es ist immer Zeit, einem Unglücklichen ein gutes Wort zu sagen.«

»Ein gutes Wort? Wohl um Euch zu danken, daß Ihr mit meinen Rettern so fein umgegangen seid?«

»Hat Euch der Diener nicht das Zeugnis des Abts Wonowski überbracht? Gott ist mit den Unschuldigen. Der Priester trug dem Diener auf, Euch mitzuteilen, daß nicht ich es gewesen sei, von dem die Herausforderung ausgegangen? Habt Ihr es erfahren?«

Sie wußte es. Allerdings hatte der Diener, ein ziemlich einfältiger Mensch, seinen Bericht in die etwas unklaren Worte zusammengefaßt: »Meiner Treu, der junge Herr hat ihnen allen tüchtig zur Ader gelassen.« – Aber Herr Pongowski hatte doch der Wahrheit die Ehre gegeben und erklärt, Taczewski habe seine Gegner nicht gefordert. »Jedoch,« setzte er nachdrücklich hinzu, »hat er durch seine Arroganz sie geradezu gezwungen, ihn zu fordern.«

Er hatte übrigens auch darauf gerechnet, das Herz seines Mündels werde, wie jedes weibliche Herz, sich denen zuneigen, die bei dem Abenteuer am meisten Schaden gelitten hatten.

Dennoch glaubte Jakob, als er seine Frage an Fräulein Siëninska richtete, in ihren Augen einen Schimmer von Sympathie zu erkennen, und er wiederholte: »Wußtet Ihr das, gnädiges Fräulein?«

»Ich wußte es, ja. Aber diese Herren haben mir das Leben gerettet. Ihr hättet dessen eingedenk sein sollen, so Ihr auch nur ein wenig Liebe für mich hegtet. Ihr habt sie dazu gezwungen, Euch zu fordern – das weiß ich auch vom Vormund.«

»Und so hege ich am Ende keine Liebe für Euch? Darüber möge Gott, der in die Herzen der Menschen sieht, richten!«

Die Lider des jungen Mädchens zitterten, sie schüttelte nervös den Kopf, so daß die schwere Flechte von einer Schulter auf die andere fiel.

»Ja, ja, dem ist auch so!« sagte sie.

Da antwortete Jakob mit gepreßter Stimme: »Es ist wahr – ich hätte mich lieber in Stücke hacken lassen sollen, als Euch betrüben. Ein anderes Blut, das Euch unendlich kostbarer ist, wäre dann geschont worden. Nun ist es schlimm. Und das ist nicht wieder gutzumachen. Nichts ist jetzt wieder gutzumachen. Euer Vormund hat Euch gesagt, durch meine Unverschämtheit hätte ich sie gezwungen, mich herauszufordern. Hat er Euch auch mitgeteilt, daß er mich in meiner eignen Behausung ohne Maß, ohne Mitleid geschmäht und beleidigt hat? Und doch bin ich noch hergekommen. Ich bin gekommen, meine Augen ein letztes Mal an Euerm Anblick zu laben. Ach, ich weiß wohl – Euch ist das einerlei – aber dennoch – ich habe gedacht – –«

Jakob hielt inne. Tränen ließen ihn nicht weiterreden.

Auch um Fräulein Siëninskas Lippen zuckte es. Ihre Mundwinkel begannen heftig zu beben, aber Stolz und Scham kämpften in ihr gegen die Rührung. Sie unterdrückte sie denn auch – vielleicht weil sie noch glühendere Bekenntnisse zu hören wünschte – vielleicht weil sie nicht daran glauben mochte, daß er wirklich den Mut habe, sie auf immer zu verlassen.

Schon öfters war es zwischen ihnen zu ähnlichen Mißverständnissen gekommen, die ein Lächeln von ihr zerstreut hatte. Jakob war von Herrn Pongowski schon oft gekränkt worden, und doch war nach einer kurzen Zeit der Spannung stets eine stillschweigende oder durch eine Auseinandersetzung herbeigeführte Versöhnung zustande gekommen. Und dann war immer alles beim alten geblieben.

»Auch diesmal wird sich's wieder einrenken,« dachte sie.

Und doch erschien es ihr süß, sich von der Musik dieser innigen Liebe wiegen zu lassen, die sich aus Bescheidenheit, aus Zartgefühl nicht mit aller Macht zu äußern wagte. Sie hätte diese männliche, erregte, klangvolle Stimme lange, ja ihr ganzes Leben lang hören mögen.

Er aber war wie alle, die wahnsinnig lieben, unerfahren, ungewandt in der komplizierten Kunst des Liebens. Er begriff daher nicht, was in der Seele des jungen Mädchens vorging. Ihr Schweigen erschien ihm als Zeichen für eine Gleichgültigkeit, gegen die nichts mehr auszurichten sei. Mehr und mehr stieg die Bitternis in seiner Seele empor, bis diese ganz davon überflutet wurde und alle Ruhe ihn verließ. Seine Augen nahmen einen andern Ausdruck an. Kalter Schweiß trat in Tropfen auf seine Stirn. Etwas in ihm ging entzwei. Ihn ergriff jetzt jene Verzweiflung, in der der Mensch nach nichts mehr fragt und imstande ist, mit eigener Hand sein Herz zu zerreißen.

Er sprach noch ruhig, aber seine Stimme klang heiser und hart.

»Also kein Wort? Kein einziges?« fragte er.

Fräulein Siëninska zuckte die Achseln.

»Es ist schon so. Abt Wonowski hatte recht, als er mich warnte, daß ich mir hier nur neue Beleidigungen holen würde.«

Sie hatte nicht erwartet, daß er einen solchen veränderten brüsken Ton anschlagen würde, und war davon unangenehm berührt. Sie richtete sich stolz auf.

»Inwiefern habe ich Euch beleidigt?« fragte sie.

Nun verlor er endgültig die Mäßigung. »Wenn ich nicht mit eignen Augen gesehen hätte, wie besorgt Ihr um Cypryanowicz wäret, so würde ich mir gesagt haben: sie hat kein Herz. Aber Ihr habt eins, nur schlägt es für einen andern, nicht für mich! Dieser andere brauchte nur einen Blick auf Euch zu werfen, und es war genug!«

Er nahm das Haupt zwischen beide Hände.

»Mein Gott!« schrie er, »hätte ich ihn doch getötet!«

Fräulein Siëninska zitterte. Es war, als wenn eine Flamme sie durchzuckte. Blut schoß in ihre Wangen. Zorn blitzte in ihren Augen. Sie war zugleich über Jakob und über sich selbst entrüstet – über sich selbst, weil sie vor einem Augenblick noch so schwach und zärtlich gewesen war, daß sie fast geweint hätte. Jetzt ergriff tiefer, jäher Groll ihr Herz.

»Ihr seid verrückt!« rief sie, maß ihn mit dem Blick und kehrte ihm den Rücken zu.

Mit brutaler Gebärde ergriff er ihre beiden Hände und hielt sie zurück.

»Nein, bleibt, ich habe noch etwas zu sagen, ich muß und werde sprechen,« stieß er zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor. »Ich muß es Euch sagen, es darf nicht ungesagt bleiben: ich habe Euch geliebt, mehr als das Leben, mehr als die Gesundheit, mehr als die Seele, aber ich werde nie wieder zu Euch kommen. Ich werde vor Schmerz meine Hände benagen – aber ich werde das halten. So wahr Gott mich hört!«

Sprach's und stürzte zur Tür hinaus, seine schäbige Pelzmütze am Boden zurücklassend. Im nächsten Augenblick eilte er an den Fenstern vorbei, durchschritt den Garten, der auf die nach Wyremby führende Straße hinausging, und verschwand.

Entsetzt, fassungslos stand Fräulein Siëninska da. Als sie endlich die Gedanken, die wie erschreckte Vögel zerflattert waren, einigermaßen zu sammeln vermochte, blieb keine Spur von Zorn am Grunde ihres Herzens zurück. Beständig hallten in ihrem Ohr die Worte Jakobs wider, diese furchtbaren Worte: »Ich habe Euch geliebt, mehr als mein Leben, mehr als meine Seele, aber Ihr sollt mich nimmer wiedersehen!«

Und sie begriff, es war ihm Ernst damit, er verließ sie eben wegen dieser unendlichen Liebe. O, warum hatte sie ihm ein freundliches Wort verweigert, bis der Schmerz ihn um den Verstand brachte? Ja, er hatte darum gebettelt, um dieses freundliche Wort, wie um ein Almosen, wie um ein Stück Brot auf den Weg!

Ihr war zumute, als versänke sie in einem Abgrund von Schmerz und Schreck. Er war in Wahnsinn – in Verzweiflung weggelaufen. Vielleicht war er unterwegs zusammengebrochen. Vielleicht trieb die Raserei ihn zu einer Schreckenstat, die nicht mehr gutzumachen wäre? Und mit einem einzigen Worte hätte sie Frieden stiften können!

Wenn wenigstens ihre Stimme ihn noch erreichen könnte! Da war keine Sekunde zu verlieren. Dort unten, am Ende des Obstgartens, am Rande des Flüßchens, konnte ihr Ruf vielleicht noch gehört werden.

Sie eilte in den Garten. Auf dem Schnee der Allee zeichneten sich Jakobs Tritte in aller Frische ab. O, wie begierig folgte sie jetzt dieser Spur! Sie lief vorwärts, in den Schnee einsinkend, und ließ unterwegs die kleinen Dinge fallen, die sie in der Hand hielt, den Rosenkranz, das Taschentuch, das Beutelchen mit Zwirn. Endlich erreichte sie das Pförtchen.

»Jacek!«polnische Koseform für Jakob.

Jenseits des Flüßchens erstreckte sich die Steppe, weiß und leer.

Der Ostwind, der die Wolken weggefegt hatte, schüttelte die Skelette der Birn- und Apfelbäume, daß die dürren Aeste knackten. Die Rufe des jungen Mädchens klangen schwach und kläglich im tiefen Rauschen dieses Windes. Ohne auf die Kälte zu achten, die durch ihre leichten Kleider drang, ließ sie sich auf eine Bank fallen und weinte.

Tränen, groß wie Perlen, rannen über ihre rosigen Wangen herab, und da sie das Tuch schon verloren hatte, wischte sie sie mit den Haaren ab.

»Ich werde ihn nimmer wiedersehen!«

Immer stärker heulte der Wind und schüttelte von den Zweigen den nassen Schnee.

Als Jakob, barhäuptig, ungestüm wie ein Wirbelsturm, nach Hause geeilt war, erwartete ihn Abt Wonowski. Beim Anblick seines zerzausten Haars, seines verzerrten Gesichts erriet er, was geschehen war, und empfing ihn mit den Worten: »Praedixi – ich habe es vorhergesagt. Möchte wenigstens der Herr dir beistehen, Jakob. Erst beruhige dich, erst fasse dich, dann will ich weiter fragen.«

»Aus! Alles aus!« antwortete Taczewski mit dumpfer Stimme.

Er durchmaß das Zimmer mit großen Schritten, wie ein wildes Tier im Käfig hin und her rennt. Der Abt beobachtete ihn schweigend. Er ließ ihn ganz in Ruhe, und erst nach einer Weile stand er auf, nahm seinen Schützling sanft bei der Hand, umarmte ihn, küßte ihn aufs Haupt und führte ihn dann zum Alkoven.

Dort, über dem Lager des jungen Mannes, hing an der Wand das Bildnis des Gekreuzigten. Sie knieten zusammen nieder, und der Abt begann mit lauter Stimme zu beten: »Erlöser der Menschheit! Du kennst den Schmerz, denn du hast es gewollt, daß man dich ans Kreuz schlug, um unsere Sünden zu sühnen!

Hier bringe ich dir zum Opfer mein blutendes Herz dar. Hingeworfen zu deinen Füßen, flehe ich deine grenzenlose Barmherzigkeit an.

Herr! ich sage ja nicht: Erlöse mich von meinen Schmerzen, sondern nur: Verleihe mir Kraft, sie mit Geduld zu ertragen!

Denn ich bin ein Soldat, der zu deinem Fähnlein gehört, o mein Gott! und es verlangt mich, dir nach Kräften zu dienen und auch meiner Mutter, der Republik!

Und wie soll ich das tun können, wenn mein Herz ermattet und meine Rechte kraftlos herabsinkt?

Deshalb gib, o Herr, mein Gott, daß ich mich selbst vergesse und nur darauf sinne, deinen Ruhm zu mehren und für das Heil des Vaterlandes tätig zu sein! Was bedeuten die Sorgen eines Erdenwurmes wie ich gegen ein so heiliges Werk?

O Herr, befestige mich in meinem Sattel, damit ich – ein Schrecken für die Ungläubigen – nach einem glorreichen Tode hoffen kann, daß das Paradies sich mir öffnen werde!

Bei deiner Dornenkrone, erhöre mich!

Bei der Wunde in deiner Seite, erhöre mich!

Bei deinen mit Nägeln durchstochnen Händen und Füßen, erhöre mich!«

Noch ein paar Minuten blieben sie auf den Knien liegen. Doch schon fühlte Jakob, daß süße Ruhe sich in sein verzagtes Herz senkte. Tränen erleichterten ihm die Brust. Er vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte.

Als sie sich erhoben, sprach der Priester in väterlichem Tone zu ihm: »Höre mich an, mein Sohn! Während meines langen Soldatenlebens habe ich weit entsetzlichere Prüfungen bestehen müssen als die, die eben dich betroffen hat. Und namentlich eine vermeinte ich nicht überleben zu können. Ich will diese Erinnerungen nicht wachrufen, wisse jedoch, daß der Glaube mir damals eben jenes Gebet eingab, das wir jetzt zusammen gesprochen haben. Ihm verdankte ich Rettung im Augenblick des grimmigsten Schmerzes. Seitdem habe ich es oftmals in Stunden der Angst wieder hergesagt. Und immer hat es mir dieselbe Tröstung bereitet. Fühlst auch du dich nun erleichtert, mein Sohn?«

»Ich leide noch immer, aber die Qual erscheint mir nicht mehr ganz so furchtbar.«

»Siehst du – nur Mut! Jetzt trink ein Glas Wein – da hast du eins. Und damit du wieder Vertrauen faßt, sieh einmal her!«

Der Priester senkte das Haupt, schob das weiße Haar zur Seite und zeigte eine tiefe, lange Narbe.

»Ich wäre fast daran gestorben,« sagte er. »Die Wunde hat mir gräßliche Schmerzen bereitet – die Narbe tut nicht weh. So geht es immer, Jakob. Auch deine Wunde, mein Sohn, wird aufhören, dir Schmerzen zu bereiten, wenn sie nur erst ein wenig vernarbt ist. Und nun erzähle mir, was vorgefallen ist.«

Jakob berichtete. Er verstand weder zu übertreiben noch zu lügen, und so sehr es ihn wunderte, fühlte er doch, daß diese Szene, die ihm in dem Augenblick, wo er sie erlebte, so furchtbar vorgekommen war, jetzt schon weit weniger schmerzlich und dramatisch erschien.

Der Abt hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen. Er kannte das menschliche Herz zu gut, um nicht mit all seinen Schwächen Nachsicht zu haben.

»Ich verstehe,« sagte er endlich, »gewisse Gebärden und Blicke können mehr beleidigende Geringschätzung enthalten, als man in Worten wiederzugeben vermag. Ist es doch oft schon eines Blickes oder einer Handbewegung wegen zu blutigen Zweikämpfen gekommen. Das Wichtige dabei ist der Entschluß, den du gefaßt hast, nie wieder Belczonka zu betreten. Aber das Fleisch ist schwach, die Jugend wankelmütig. Liebe ist unbeständig wie der Mond, und wenn Sehnsucht das jugendliche Herz ergreift, so ist auch dieses wandelbar wie der Mond am Himmelszelt – luna mendar, der sich verringert, um dann wieder voll zu werden. Hast du also wirklich die feste Absicht, Wort zu halten?«

»Ich habe gesagt: So wahr mir Gott helfe! Und wenn Ihr es verlangt, so bin ich bereit, diesen Eid hier vor dem Kreuze zu wiederholen.«

»Es ist gut. Was willst du nun tun?«

»In die weite Welt gehen.«

»Bravo! Oft genug habe ich dich dazu aufgefordert. Ich wußte, was dich in dieser Gegend zurückhält. Nun hast du den Faden zerrissen. Ja, meiner Treu, auf! vorwärts! in die weite Welt! Hier hast du nichts zu erwarten. Nichts Gutes ward dir bisher hier zuteil, und so wird es auch bleiben. Es war dein Unglück, daß du überhaupt so lange hier geblieben ist. Wenn ich dich nicht in der Führung der Waffen und in der lateinischen Sprache unterrichtet hätte, wärest du versauert, mein Sohn. Ach, was denn? was denn? Keine Danksagungen! Aus aufrichtiger Liebe zu dir tat ich es. Potzblitz ja! Es wird mir sehr weh tun, dich scheiden zu sehen; aber meine persönlichen Empfindungen kommen nicht in Betracht. Auf Reisen gehen, die Welt durchschweifen, das heißt, soweit ich es verstehe, zum Militär gehen, Kriegsdienste nehmen, zumal man ja auch jetzt von einem Kriege gegen die Ungläubigen spricht. Ach, ich weiß, in den Kanzleien, beim Dienste mit Feder und Papier, ist die Beförderung sicherer und stellt sich auch rascher ein, aber für einen Mann von deiner Abkunft geziemt sich der Degen mehr als der Gänsekiel.«

»Ich habe auch an nichts anderes gedacht, als Soldat zu werden,« antwortete Taczewski. »Doch möchte ich nicht Infanterist werden – aber kann wohl ein armer Schlucker wie ich daran denken, bei dem schmucken Fähnlein der Husaren einzutreten?«

»Bah! mit seinem Säbel und seinem Latein kann sich jeder Edelmann weiterhelfen. Uebrigens ist da gar nicht darüber zu reden, du kannst nur in eines unserer Elite-Regimenter eintreten. Wir müssen uns darüber beraten. Und ich will dir da etwas sagen, was ich bisher geheimgehalten habe. Ich habe für dich zehn Golddukaten, ein Schatz, den mir deine Mutter anvertraut hat. Sie hat mir auf die Seele gebunden, sie dir erst in einer entscheidenden Stunde zu übergeben. Diesen Schatz hatte sie sich, das kannst du mir glauben, durch harte Entbehrungen abgedarbt.«

»O Gott, gewähre ihr die ewige Ruhe,« murmelte Jakob. »Nein, dieses Geld soll verwendet werden zu Messen für ihr Seelenheil, ich will lieber Wyremby verkaufen, sei es auch um einen Spottpreis.«

»Sei ruhig, diese barmherzige, sanfte Seele bedarf der Messen nicht,« antwortete Pater Wonowski, von Jakobs Worten zu Tränen gerührt. »Uebrigens wird es ihr an Messen nicht fehlen, verlasse dich auf mich. Und wenn sie ihr nicht vonnöten sind, so mögen sie andern armen Seelen im Fegfeuer zugute kommen. Wyremby aber verpachte lieber nur. Veräußere deinen Besitz nicht. Ein Edelmann, der Grund und Boden hat, und sei es auch nur eine kleine Scholle Landes, wird immer anders angesehen, denn er gilt als possessionatusbegütert

»Das ist richtig – aber die Zeit drängt . . . ich möchte mich gleich heute auf den Weg machen.«

»Heute? das ist nicht möglich – obwohl auch ich sage, je schneller, desto besser. Erstens will ich dich mit Empfehlungsbriefen an einige meiner Freunde versehen, an ehemalige Waffengefährten. Zweitens will ich mit den Bauern von Jedlinka wegen eines Darlehns sprechen. Ich kenne welche, die außer ihren vollen Talersäcken Rassepferde besitzen, welche unserm stolzesten Ritter zur Zierde gereichen würden. Schließlich werde ich auch in meinen Truhen eine Rüstung finden, ganz zu schweigen von guten Klingen, deren Schärfe mancher Schweden- oder Türkenschädel erprobt hat.«

Bei diesen Worten schaute der Geistliche zum Fenster hinaus und setzte hinzu: »Da kommt auch eben mein Schlitten, und wer fahren soll, für den ist es Zeit!«

Jakobs Gesicht nahm wieder einen düsteren Ausdruck an. Er ergriff die Hand des Pfarrers und führte sie an die Lippen.

»Noch eine Bitte,« sagte er, »laßt mich, mein Vater und Wohltäter, jetzt mit Euch fahren. Gebt mir bis zu meiner Abreise Obdach in der Pfarre. Von hier sind jene Dächer sichtbar, und ihr Anblick würde mich ohne Unterlaß an alles erinnern.«

»Gewiß! Ich habe dir das selbst vorschlagen wollen. Du kommst meinem Wunsche zuvor. Die Luft, die man hier atmet, ist dir wirklich nicht zuträglich, mein Sohn. Du bist mir herzlich willkommen. Doch Mut, Jakob! Mit Belczonka hört die Welt nicht auf. Sie steht vielmehr offen vor dir, weit und breit. Du wirst ihre endlose Mannigfaltigkeit sich entfalten sehen. Bist du einmal im Sattel, wer weiß, wohin du gelangen kannst, Gott allein kann es wissen. Krieg und Ruhm harren dein. Der Sturm wird deine Wunde rasch eintrocknen lassen. Du wirst fühlen, wie dir Flügel wachsen. Ich sehe schon die Schwingen an deinen Schultern. Fliege, du Vogel Gottes, denn dazu bist du geschaffen und bestimmt.«

Ein Sonnenstrahl der Freude erhellte das wackere Gesicht des Alten. Nach Soldatenart schlug er sich mit der hohlen Hand auf den Schenkel.

»Nun, nimm deine Mütze, und vorwärts!«

Allein kleine Ursachen bilden manchmal ein Hemmnis bei großen Plänen, und die Komödie mischt sich ins Drama. Jakob warf einen verwirrten Blick um sich her, dann sah er den Geistlichen verlegen an und stammelte: »Meine Mütze?«

»Na ja, du wirst doch nicht barhäuptig fahren wollen?«

»Die Mütze habe ich in Belczonka gelassen.«

»Ach, Liebe, das ist einer deiner Streiche! Was nun tun?«

»Mein Diener soll mir seine Mütze borgen. – Doch nein, ich kann nicht in einer Bauernmütze fahren.«

»Nein, das geht nicht – in einer Bauernmütze kannst du nicht fahren. Schick lieber jemand hin nach Belczonka.«

»Um alles in der Welt nicht, Vater,« rief Jakob.

»Sapristi!« rief der Geistliche ungeduldig. »Krieg, Ruhm, die weite Welt, alles das ist gut und schön – aber eine Kopfbedeckung muß man auch haben.«

»Ich habe noch tief in einem Koffer einen alten Hut von einem schwedischen Offizier, den mein Vater im Gefecht bei Tremessen erschlagen hat.«

»So nimm den und dann fort!«

Jakob ging und kehrte nach einigen Augenblicken zurück, bedeckt mit einem ungeheuern gelben Schlapphut, in dem sein Kopf fast verschwand.

Der Abt konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Er griff mit der Hand an die linke Seite, als wollte er den Degen ziehen, und rief dabei: »Es ist nur ein Glück, daß du nicht gar den Turban eines Janitscharen hast aufsetzen müssen.«

Jakob lächelte.

»Seht! es sind ein paar Steinchen auf der Schnalle. Vielleicht sind die etwas wert.«

Damit stiegen sie ein und fuhren fort.

Bald war der Schlitten über die Einfriedigung hinaus. Jenseits der Hecke erblickte man durch das laublose Erlengehölz den Gutshof von Belczonka. Der Abt beobachtete Jakob. Der aber zog seinen Filzhut tief über die Augen und warf nicht einen Blick auf das Dach, unter dem er doch mehr als nur seine Mütze zurückließ.



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