Henryk Sienkiewicz
Auf dem Felde der Ehre
Henryk Sienkiewicz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. Kapitel. Die Erbberechtigten

Benachrichtigt von der Ankunft des Herrn durch den Vorreiter, der vorausgeeilt war, stand das Dienstpersonal zum Empfange bereit. Der ziemlich geräumige Hof war von einem alten, schon morschen und an vielen Stellen ausgebrochnen Palisadenwerk umgeben. Seit uralten Zeiten waren keine Feinde bis hierher gedrungen, und so kümmerte sich niemand darum, das Wohnhaus in ausreichenden Verteidigungszustand zu setzen. Zwei Taubenschläge waren da. Auf der einen Seite zog sich eine Dependance entlang, auf der andern lagen ein Speicher, eine Scheune und eine Käsekammer, aus Latten und Brettern zusammengefügt.

Vor dem Herrenhause und rings um den ganzen Hof waren niedrige Pfähle eingerammt, die mit eisernen Ringen zum Anketten der Pferde versehen waren. Jetzt trug jeder dieser Pfähle eine Mütze von hartgefrorenem Schnee. Das Wohnhaus war alt und geräumig. Das niedrige Dach bestand aus Stroh. Auf dem Hofe trieben sich Jagdhunde umher, und zwischen ihnen stolzierte ein zahmer Storch, der einen Flügel gebrochen hatte. Er war offenbar eben erst aus der warmen Stube herausgekommen, um sich Bewegung zu machen und einmal im Walde Luft zu schnappen.

Durch den vorausgeeilten Vorreiter von der Ankunft des Herrn benachrichtigt, stand das Dienstpersonal zum Empfange bereit. Einer von ihnen öffnete den Wagenschlag und meldete mit einer respektvollen Verneigung: »Der Herr Starost von Raygrod ist hier.«

»Grothus? und seit wann?« fragte Pongowski.

»Kaum seit einer Stunde. Seine Gnaden waren willens zurückzukehren; ich habe mir aber erlaubt, ihm zu sagen, der gnädige Herr müßten jeden Augenblick ankommen.«

»Das war recht von dir.«

Dann wandte er sich an seine Reisegefährten.

»Ein Verwandter meiner seligen Gemahlin, der Herr Starost Grothus – er ist Reichstagsabgeordneter. Ich denke mir, er kommt geradeswegs von Warschau her zu uns. Das ist mir eine angenehme Ueberraschung.«

Im nächsten Augenblick war die Gesellschaft in den alten Speisesaal getreten, wo der Starost weilte. Dieser Herr überragte die vier Brüder Bukojemski um Haupteslänge, so daß er fast die Decke berührte. Sein tiefer Blick und die Kahlheit seines riesigen Schädels verliehen ihm das Aussehen eines Diplomaten oder Staatsmannes.

Eine zweiteilige Narbe, die die Stirn zwischen den Brauen spaltete, erhöhte noch diesen strengen Ausdruck. Wenn er lächelte, nahm jedoch sein Gesicht einen sanften Glanz an. Er trat mit offenen Armen auf Pongowski zu.

»Ja, ich, der unerwartete Gast, empfange den Hausherrn unter seinem eigenen Dache. Willkommen!«

»Willkommen, willkommen! ein allzeit lieber, verehrter Gast! Gelobt sei Gott, daß er Euch diesen guten Gedanken eingab! Was bringt Ihr uns Neues aus der Hauptstadt? Quid noviWas Neues?

»Gute Nachrichten, de privatis, noch bessere de publicis. Denn es gibt Krieg!«

»Krieg? Wie das? Mit wem? Für uns?«

»Für uns noch nicht. Aber ein Schutz- und Trutzbündnis soll im März mit Seiner Apostolischen Majestät abgeschlossen werden, und infolgedessen ist der Krieg unvermeidlich und steht nahe bevor.«

Obwohl schon vor Neujahr das Gerücht von einem unvermeidlichen Kriege mit der Türkei umgegangen war, machte die Bestätigung dieses Gerüchts durch einen so hervorragenden, in den Angelegenheiten des Staates so wohl unterrichteten Mann einen ebenso tiefen Eindruck, wie ihn dieser Mann selbst auf die jungen Gäste des Herrn Pongowski machte.

Man sprach von nichts mehr als von dem großen Ereignisse, von Tekeli, von dem Kampfe, der bald Ungarn überfluten und dessen Flammen sicherlich bis nach Polen um sich greifen würden. Ein furchtbarer Krieg, vor dem dem Kaiser und allen Ländern germanischer Nation schon jetzt graute. Der in der Politik erfahrene Herr Grothus sah voraus, daß die Hohe Pforte ganz Afrika und halb Asien mobil machen und eine gewaltige Armee aufbieten würde, derengleichen das Weltall noch nicht gesehen habe.

Allein diese Prophezeiungen störten nicht einen Augenblick die Zuhörer in ihrer ausgelassenen, fröhlichen Stimmung. Diese jungen Burschen bebten vielmehr vor Freude. Lastete doch die Tatenlosigkeit schon schwer auf ihnen. Und nun sahen sie sich schon im Glanze des Ruhmes, der Ehren und reicher Beute.

Mit der rechten Hand schlug sich Matthäus Bukojemski aufs Knie, so kraftvoll, daß das ganze Zimmer wackelte.

»Ganz Afrika! halb Asien! um so besser!«

»Gut gesprochen!« zollte der Amphitryon Beifall. »Und möchte man nur mit der Rekrutierung so bald wie möglich anfangen! Ich erinnere mich eines alten Waffengefährten aus der Belagerungsarmee von Chocim. Er war blind. Seine Söhne setzten ihm die Lanze zwischen die Hände, richteten sie mit Sorgfalt, und dann ging er wie die andern auf die Janitscharen los. Ach, ich habe keinen Sohn!«

»Bei Gott,« versetzte der Starost. »Wenn jemand ein Recht auf Ruhe hat, so seid Ihr es, mein Herr Bruder . . .«

»Gewiß, mir fehlt ein Arm, aber ich bin geübt, den Säbel allein mit dem andern zu handhaben, und die Zügel kann man immer zwischen den Zähnen halten. Und welches Ende könnte mir süßer sein, als auf dem Felde der Ehre zu fallen, die Stirn dem Ungläubigen zugewendet! Nicht etwa, weil dieser barbarische Feind auf immer das Glück meines Lebens zerstört hat – nein, das sage ich Euch auf Ehrenwort. Doch so ist es eben. Ich bin alt, ich habe vieles mit angesehen; ich habe die Bosheit der Menschen kennen gelernt, ihren Egoismus, öffentlichen und privaten Hader und so viel Ungesetzlichkeit und Gewalttat, daß ich oftmals dem Himmel die Frage vorlegen mußte: »O, Herrgott, warum hast du diese Republik und diese polnische Nation geschaffen?« Und doch, da nun die Hochflut der Heiden heranbraust, da sie die christliche Welt zu verschlingen droht, da Wien und alle deutschen Lande vor dem nahenden Wirbelsturm zittern, o, da erkenne ich deutlich, warum Gott uns geschaffen hat, und ich sehe auch, welche Mission er uns aufgetragen. Die Osmanli selbst sind sich auch klar darüber. Andere mögen zittern! Wir haben nie gezittert und werden auch jetzt nicht zittern. Laßt uns, wenn es sein muß, für die heilige Sache unser bestes Blut vergießen!«

Pongowski schwieg. Vor Rührung waren seine Augen feucht, doch entrann ihnen keine Träne. Vielleicht auch, weil er gegen sich und andere hart war.

Der Starost Grothus aber schritt auf ihn zu, drückte ihn an die Brust und küßte ihn auf beide Wangen.

»O, das ist wahr!« rief er aus. »Wir leiden an einem eingefleischten Uebel, und wir könnten unsere Fehler nicht besser entgelten als durch Blut. Wir werden die Garde im Dienst der Christenheit bilden. Das ist die Bestimmung unserer Nation. Die Zeiten sind nahe, wo es an uns sein wird, aller Welt zu zeigen, daß wir uns dieser Sendung bewußt sind. Jawohl! Der Lärm schwillt mehr und mehr an im Orient. Wien, die kaiserliche Hauptstadt, ist von der Lawine bedroht. Nun wohl, wir werden dieser Lawine die Stirn bieten. Wir werden der Welt beweisen, daß wir immerdar die Soldaten Christi sind, die berufenen Verteidiger des Evangeliums und des Kreuzes. Und die Völker, die im Schutze unserer Schultern ein ruhiges Leben führen, werden sich abermals überzeugen, daß wir noch immer unserer Aufgabe gewachsen sind! So Gott will, wird, solange die Erde steht, auch unser Ruhm und unser Verdienst nicht vergessen werden!«

Bei diesen Worten ergriff Begeisterung die jungen Leute. Die Brüder Bukojemski sprangen auf und riefen: »Gott helfe uns! Gott helfe uns! Es lebe der Krieg! Wann kann man zu den Fahnen?«

Und Stanislaus Cypryanowicz setzte hinzu: »Wir sind bereit, noch heute aufzubrechen!«

Taczewski allein blieb mürrisch. Die Nachricht, die die andern hinriß, erfüllte ihn mit bitterer Stimmung.

Seine Gedanken wie seine Blicke folgten ohne Unterlaß Fräulein Siëninska, die mit Anmut selbst die Vorbereitungen zum Abendessen leitete. Er schien zu ihr zu sagen: »Wärest du nicht, du Grausame, so würde ich längst am Hofe eines Magnaten sein und hätte dort, wenn auch keinen Reichtum, so doch eine Rüstung gefunden. Um den Tod oder den Ruhm zu suchen, hätte ich mich zu dem ersten besten Fähnlein einreihen lassen. Aber deine Schönheit, deine Blicke, die freundlichen Worte, die du mir wie ein Almosen zuwirfst, haben mich veranlaßt, lieber zu leiden und von den paar Morgen Landes, den kläglichen Resten meines väterlichen Gutes, ein hungriges Dasein zu fristen. Deinetwegen habe ich auf die Welt verzichtet, auf den Ehrgeiz, auf das schöne Treiben bei Hofe. Was habe ich dir getan, daß du mich in dieser Weise leiblich und seelisch zum Sklaven machst? Denn wahrhaftig, ich möchte lieber sterben, als dich ein Jahr lang nicht sehen! Indem ich dir zu Hilfe eilen wollte, habe ich gestern mein letztes Pferd eingebüßt. Und statt Dankes erhalte ich Spott von dir, und deine süßen Augen lächeln einem andern zu. Was soll nun aus mir werden? Da ist der Krieg. Soll ich mich als Troßbuben einreihen lassen? Bin ich so tief gesunken, daß ich bei den Fußsoldaten dienen muß? Was habe ich dir getan, frage ich nochmals, daß du mir niemals, niemals Huld oder Mitleid erzeigt hast?«

So beklagte sich Pan Jakob Taczewski, und um so demütigender erschien ihm sein Mißgeschick, als er ja von einer hervorragenden Reihe von berühmten Kriegern abstammte. Und obwohl es keineswegs zutraf, wenn er behauptete, Fräulein Siëninska habe ihm niemals Huld und Mitleid erwiesen, so war es doch völlig wahr, daß er aus Liebe zu ihr sich nicht von dem magern väterlichen Gütchen losreißen konnte, das nicht ausreichte, ihn und seine beiden Leibeigenen zu ernähren.

Er war erst siebzehn Jahre alt gewesen, sie hatte kaum ihr dreizehntes beendet, als er sich wahnsinnig in sie verliebte, und seitdem war seine Liebe noch beständig größer geworden und drohte ihn zur Verzweiflung zu treiben.

Zuerst hatte Pongowski diesen Sproß einer Familie, welcher ehemals fast die ganze Gegend gehört hatte, mit Wohlwollen aufgenommen. Aber als er merkte, daß sich ein Liebesverhältnis entspann, hatte er eine feindselige Haltung angenommen, die sich bisweilen zur Grausamkeit steigerte. Ohne ihm die Tür zu weisen, hielt er ihn von seinem Mündel fern, für welches er andere Pläne hegte.

Das Mädchen selbst fand Vergnügen daran, an dem jungen Manne ihre Macht zu erproben. Für sie war der Verehrer ein Spielzeug. Sie war eben eine Evastochter, eine Blume der Prärie, die zwischen Blumen wandelte. Bald pflückte sie eine, um sie ins Haar zu stecken, bald warf sie eine weg, sie gleichgültig mit dem Fuße zertretend, bald auch fügte sie sie zum Strauße.

Jakob hatte ihr niemals die Liebe gestanden, dennoch wußte sie, er liebte sie, obwohl sie so tat, als wenn sie nichts davon ahnte. Eines Tages, als ein Schwarm Bienen sie angegriffen, hatte er sie an sein Herz gedrückt, sie in seinen Mantel gehüllt. Aber lange Zeit schien sie ihm wegen dieser Minute, in der sie sich vergessen, zu grollen. Sie behandelte ihn mit Hochmut, ja mit Geringschätzung, und dann, wenn er schon alles verloren glaubte, bezauberte sie ihn durch einen einzigen süßeren Blick, der sein Herz in Freude und Hoffnung wiegte.

Wenn er zufällig durch eine Jagd oder eine Feierlichkeit anderswo zurückgehalten wurde und eine Woche verstrich, ohne daß er sich in Belczonka zeigte, erwartete sie ihn mit größter Ungeduld, und sobald er erschien, rächte sie sich für die Langeweile, die seine Abwesenheit ihr verursacht hatte.

Aber die schlimmsten, die düstersten Stunden für Jakob waren die, wo er unter den Gästen des edlen Pongowski einen jungen Adeligen von hübschem Gesicht, gebildetem Geist und anmutigem Benehmen erblickte. So litt er auch jetzt unter der Anwesenheit des jungen Cypryanowicz. Was Pan Grothus über einen bevorstehenden Krieg gesagt hatte, machte das Maß der Bitternis voll, von der sein Herz überfloß.

So sehr er auch daran gewöhnt war, sich in Gegenwart Pongowskis zu beherrschen, so vermochte er doch an diesem Abend, als er die Worte hörte, die dieser unbekannte Nebenbuhler an die Schöne richtete, nur mit größter Mühe an sich zu halten. O, er sah es nur zu wohl: dieser Cypryanowicz, ein Mann von einnehmendem Wesen und schöner Rede, gefiel ihr wirklich.

Man sprach noch immer von der Rekrutierung. Cypryanowicz hatte von Grothus gehört, daß dieser vielleicht selbst mit seinen Mannen in jener Gegend eintreffen würde; Stanislaus wandte sich nun plötzlich an das junge Mädchen mit der Frage: »Edles Fräulein, welches Banner beehrt denn Ihr mit Eurer besondern Vorliebe?«

»Die geharnischten Husaren.«

»Wohl wegen ihrer Flügel aus Metall?«

»Ja, ich gebe es zu. Eines Tages sah ich sie vorbeireiten. Das sah aus, als wenn eine himmlische Miliz auf unsere Erde herabgeschwebt wäre. Ich habe davon mehrere Nächte geträumt.«

»Ich weiß nicht, ob ich, wenn ich Husar geworden bin, euch jemals dank meiner Flügel in einem Traume erscheinen werde, aber Euer Bild wird sich stets in meinen Träumen zeigen, und Ihr werdet ebenfalls Flügel haben.«

»Wirklich? und wieso denn?«

»Eben wie ein Engel.«

Fräulein Siëninska senkte verständnisinnig die Augen.

»Nun, so werdet nur erst Husar, mein Herr,« murmelte sie nach kurzem Schweigen.

Jakob biß sich auf die Lippen, daß sie bluteten. Er strich mit der Hand über die mit leichtem Schweiß bedeckte Stirn. O, die Grausame! Für ihn hatte sie kein Wort, keinen Blick. Erst als endlich die Gäste sich vom Tische erhoben, flüsterte, in dem Lärm der beiseitegeschobenen Stühle und der Gespräche, eine geliebte Stimme gleich göttlicher Musik ihm ins Ohr: »Und Ihr, mein Herr, werdet Ihr auch in den Krieg ziehen?«

»Um dort zu sterben, um dort zu sterben!«

Und er hatte diese Worte mit so aufrichtigem, herzzerreißendem Ausdruck hervorgestoßen, daß dieselbe Stimme, noch bewegter und noch süßer, antwortete: »Warum wollt Ihr die Leute in Trauer versetzen?«

»Um mich wird niemand weinen.«

»Wißt Ihr das genau?«

Schon war das junge Mädchen verschwunden, doch wie eine wunderbare, strahlende Rose sah er sie plötzlich am andern Ende des Zimmers wiedererscheinen.

Nach dem Essen setzten Pongowski und Grothus sich beiseite und tranken einen köstlichen Met, wobei sie erst Staatsangelegenheiten, dann Privatgeschäfte erörterten. Während des Gesprächs verfolgte der Starost mit bewundernden Blicken die geringsten Bewegungen Fräulein Siëninskas.

»Wirklich ein Rehlein!« sprach er. »Und seht nur die jungen Burschen. Man möchte sagen, Abendfalter, die um die Flamme herumschwirren. Bei Gott! wäre nicht das Gewicht meiner Jahre, ich würde gern ihrem Beispiel folgen.«

Pongowski machte eine verächtliche Handbewegung.

»Falter, habt Ihr gesagt. Sehr gewöhnliche Falter, nichts weiter.«

»Was? Ist Taczewski denn nicht von hoher Abkunft?«

»Aber doch ein armer Schlucker. Die Bukojemskis haben auch in dem Punkte was aufzuweisen: sie behaupten sogar, Vettern des heiligen Petrus zu sein. Dieser Verwandte wird ihnen vielleicht die Pforten des Paradieses aufschließen. Bis dahin aber hat der König ihnen bloß die Obhut über eine seiner Forsten anvertraut – also sind sie nichts als simple Waldhüter . . .«

Der edle Herr Grothus, auf den diese Verwandtschaft mit dem Apostel zuerst Eindruck gemacht hatte, fing an zu lachen.

»Gewiß, ich hege tiefe Verehrung für den heiligen Pförtner des Himmels, und um so angelegentlicher will ich ihm huldigen, als ich bei meinem Alter von einem Augenblick zum andern seiner hohen Fürsprache bedürfen kann. Aber unter uns, mit ihm verwandt zu sein, ist wirklich nichts, dessen man sich rühmen könnte. Er war doch eben nur ein gewöhnlicher Fischer. Ja, wenn es sich um den heiligen Joseph handelte! das war ein ganz anderer Mann – ein Sproß Davids – aus königlichem Blute.«

»Wie dem auch sei,« antwortete Pongowski, »unter denen, die Ihr hier unter meinem Dache seht, ja überhaupt in der ganzen Gegend wüßte ich keinen zu nennen, der mir als eine passende Partie für mein Mündel erschiene.«

»Ei nun! und jener schöne Kavalier, der neben Frau Winnicka sitzt?«

»Cypryanowicz? Ein schöner Kavalier, einverstanden! Aber von armenischer Herkunft – erst seit zwei oder drei Generationen geadelt.«

»Weshalb ladet Ihr in diesem Falle sie alle zu Euch ein? Kupido ist ein Schalk und ein Verräter. Ehe Ihr's Euch verseht, kann er Euch einen Streich nach seiner Weise spielen.«

Herr Pongowski hatte schon, als er die Herren vorgestellt, erzählt, was er ihnen verdanke, nun berichtete er noch einmal ausführlich von dem Ueberfall der Wölfe und der Hilfe, die ihm geworden, und wiederholte, er hätte schon aus Dankbarkeit die jungen Leute zu sich einladen müssen.

»Sehr wohl, sehr wohl,« stimmte Herr Grothus bei, »aber ich bleibe dabei, mit Amor ist nicht zu spaßen, und bei einem jungen Mädchen ist das Blut kein Wasser.«

»Ah, Ihr rechnet da nicht mit der Kleinen,« versetzte Pongowski. »Sie ist ein Wiesel und weiß sich zu verteidigen, im Notfall sogar zu beißen. Sie schlüpft Euch unter den Fingern durch. Da macht nicht gleich der erste beste, der da herkommt, sein Glück, dafür bürge ich Euch. In ihr steckt die eingeborene Tugend eines edlen Blutes, das sich zu beherrschen weiß. Daher lasse ich ihr auch oft den Willen, obwohl ich es nicht an mir habe, mich an der Nase herumführen zu lassen. Es ist wahr, ich verdanke den Siëninskis viel. Aber lassen wir diese alten Verpflichtungen beiseite. Wenn sie anfängt, mir um den Bart zu gehen, wenn sie das Köpfchen auf die Seite legt und mich mit ihren lachenden Augen ansieht, verdammt, dann gehorche ich ihr, was immer sie will. Ja noch mehr! Ich sage mir: welch ein Segen ist es doch, den Abkömmling eines so illustren Geschlechts an meinem Herde zu haben! Denn wer kennt nicht das Haus Siëninski? Ganz Podolien hat ihnen ehemals gehört. Die Danilowicz, die Zolkiewski, die Sobieski sind groß nur durch sie. Der König sollte sich dessen entsinnen, denn von dem ganzen ungeheuern Erbe ist so gut wie nichts mehr da. Das Waisenkind wird im Grunde nichts weiter besitzen, als was ich ihr bei meinem Tode hinterlassen kann.«

»So so? Was werden da Eure unmittelbaren Erben sagen?«

»Pah, Vettern im sechsunddreißigsten Grade, die denselben Namen tragen wie ich, sich aber nicht die Mühe geben werden, ihre Rechte geltend zu machen. Doch immerhin – der geringste Gedanke, daß sie es einmal nötig haben könnte, einen Prozeß zu führen, stimmt mich schon traurig. Ich befürchte da vor allem den Einspruch derer, die auf das Erbe meiner verstorbenen Frau Anrecht haben. Sie hat mir mehrere Besitztümer als Mitgift zugebracht, unter anderm dieses schöne Gut Belczonka.«

»Ich für mein Teil begebe mich jedes Anspruchs,« sagte der Starost mit Lächeln, »aber ich kann nicht für die andern bürgen.«

»Das ist ja eben der wunde Punkt. Ich habe schon daran gedacht, mich nach Warschau zu begeben und den König zu bitten, daß er die Waise unter seinen Schutz nehme. Aber er hat ja jetzt zu viele andere Pläne im Kopfe.«

»Ach, wenn Ihr einen Sohn hättet, so gäbe es nichts einfacheres; Ihr würdet die beiden Kinder zu einem Paare machen, und . . .«

Der Starost brach mitten im Satze ab, denn der unsäglich traurige Blick, den sein Gefährte auf ihn richtete, ließ ihn verstummen. Beide saßen ein Weilchen schweigend da, dann fuhr Pongowski mit zitternder Stimme fort: »Ich könnte Euch mit einem Verse Virgils antworten: »infandum jubes renovare dolorem.«Du läßt unsäglichen Schmerz wiederaufleben. O ja! wenn ich einen Sohn hätte, nichts wäre einfacher. Soll ich es bekennen? Wenn dieser Schimmer von Hoffnung nicht wäre, längst schon läge ich unter der Erde! Denn mein Sohn, mein einziger Sohn, ist mir, als er noch ein ganz kleines Kind war, von den Tataren geraubt worden. Nun ja doch! es kommt immerhin vor, daß jemand aus dieser entsetzlichen Sklaverei heimkehrt; manchmal sind sogar Leute wiedergekommen, an die kein Mensch mehr gedacht hat. Seit Jahren warte ich auf dieses Wunder. Seit Jahren lebe ich von dieser Hoffnung. Heute erst habe ich zu mir gesprochen: ›Und wenn er doch noch zurückkehrt?‹ Doch das sind nur flüchtige blitzartige Momente der Zuversicht. Langer Schmerz folgt ihnen immer, andauernder Kummer ist die Buße dafür. Nein! Warum will ich mit mir selber Fangball spielen? Mein Blut wird sich nicht mehr mit dem der Siëninski vermischen. Und wenn entfernte, unbedeutende Verwandte sich um mein Vermögen streiten, dann wird nach meinem Tode dieses Kind, der letzte Sproß einer Familie, der ich alles verdanke, was ich besitze, alles, was ich bin, ohne heimischen Herd, ohne Dach über seinem Haupte dastehen.«

Beide schwiegen und leerten langsam, schluckweise ihre Humpen. Der Starost sann, wie er den Schmerz besänftigen könnte, den er, ohne es zu wollen, erweckt hatte. Plötzlich kam ihm ein Gedanke.

»Potzblitz, mein Herr Bruder, es gibt für alle Leiden ein Heilmittel. Ihr könnt noch immer Eurem Mündel eine sichere Zukunft schaffen.«

»Wie aber?« fragte Herr Pongowski lebhaft.

»Kommt es nicht oft vor, daß ein ältlicher Herr ein ganz junges Weibchen freit? Zum Beispiel der Großhetman der Krone, Koniecpolski. Er zählte siebzig Winter und nahm ein Mägdlein von sechzehn Lenzen. Es ist freilich wahr, er hatte für diesen schwierigen Fall der stärkenden Drogen zu viel eingenommen und überlebte die Brautnacht nicht. Aber anderseits ist weder Pan Makowski, der Obermundschenk von Radom, noch der Oberjägermeister Rudnicki, obwohl beide noch älter sind als Ihr, an der Ehe gestorben, die sie doch erst sehr spät geschlossen haben. Ihr seid noch ein grüner Stamm. Und wenn Euch die Vorsehung das Leben erhält, um so besser. Wenn nicht, auch gut! So hinterlaßt Ihr eine junge Witwe, gut versorgt und in ordentlichen Verhältnissen. Und sie kann, um sich zu trösten für Euern Verlust, nach ihrem Herzen noch einmal wählen.«

Hatte Pan Gideon diesen Traum selbst schon in seinen geheimsten Gedanken gehegt? Jedenfalls regten die Worte des Starosten ihn sehr auf. Mit zitternder Hand goß er seinem Freunde den Humpen so voll, daß der Met überfloß.

»Auf Eure Gesundheit,« sprach er, »und auf den Erfolg der christlichen Waffen!«

»Herzlich gern, und vielen Dank!« antwortete Pan Grothus. »Aber überlegt nur, was ich Euch eben gesagt habe. O, ich müßte mich sehr irren, sofern ich nicht doch den Nagel auf den Kopf getroffen hätte, wie?«

»O, nicht doch! Was sagt Ihr da! Doch trinken wir noch einen Humpen, Pan!«

Das Geräusch beiseitegeschobener Stühle unterbrach ihr vertrauliches Gespräch. Die Damen schickten sich an, das Zimmer zu verlassen. Man hörte die silberhelle Stimme Fräulein Siëninskas.

»Gute Nacht, mein Herr! Gute Nacht, mein Herr!« sagte sie mehrmals.

Sie machte dem Starosten eine anmutige Verbeugung, küßte Pongowski die Hand, streichelte sanft wie ein Kätzchen seine Schulter und verschwand. Cypryanowicz, die Brüder Bukojemski und Jakob Taczewski gingen nun auch.

Die beiden Freunde blieben allein und plauderten noch lange miteinander. Pan Gideon hatte eine neue, noch bauchigere Flasche Met bringen lassen, welche ein überaus ehrwürdiges Aussehen hatte.



 << zurück weiter >>